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Ein Briefwechsel über die Beichte
von Wilhelm Stählin

Leer... Darf ich noch etwas sagen, das mir als allgemeines wie als persönliches Problem schwer aufliegt. Ich hatte vor kurzer Zeit starkes Verlangen zu beichten. So viele Fehler und Verkehrtheiten, über die ich bei mir stolperte; ich konnte keinen frischen getrosten Anfang mehr finden.... Ich hätte sie sachlich und ganz ehrlich sagen und etwas von einer ganz  a n d e r e n  Seite dazu hören müssen. Da ging ich zu dem Pfarrer, dem ich am ersten unter all den vielen Pfarrern unsrer Stadt zutraute, daß er eine Beichte irgend wie „objektiv” halten könnte, und sagte ihm, was ich brauchte; eine andere Beichte könne mich nicht fördern, ja ich könne sie nicht einmal ablegen. Wir kamen dabei in ein langes Gespräch über die Beichte. Er meinte, es ginge nicht an, daß man so von Zeit zu Zeit reinen Tisch mache und dann wieder so frisch anfange; man müsse, wann immer es nötig sei, zu seinem Pfarrer, ja auch zu irgend einem seiner Mitchristen frei von seinen Fehlern sprechen und dann sein Wort als das Wort eines Stellvertreters Gottes annehmen können. Es sei nicht nötig, daß der die Beichte abnimmt, „hinter einer Gardine sitze”, wie bei den Katholiken (ich hatte gesagt, daß das in irgend einer Form sein müsse), und man müsse rückhaltlos ehrlich sein ohne Veranstaltungen, die immer gleich zu den ärgsten Mißbräuchen Anlaß gegeben hätten.

LeerEs entspann sich endlich ein seelsorgerliches Gespräch, in dem ich nichts von meinen Fehlern sagen konnte. Ich konnte es nicht. So ging ich weg, und heute noch entbehre ich, was ich nicht gehabt habe. Für mich wäre das unpersönliche Beichten Wohltat gewesen. Aber so eine Beichte gibt es nicht; ist nicht eingeführt. Die Beichte in der Sprechstunde kann auch ihren eigenen tiefen Sinn haben; aber das ist eine andere Art der Erscheinung der Gnade, als die, die in der formalen Absolution einem gegeben wird... Es graut mir richtig, wenn ich denke, ich soll nun immer weiter so ohne die Beichte leben, deren ich bedarf..

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LeerWie sehr verstehe ich Ihre Klage! Das Verlangen, das Sie zu jenem Pfarrer geführt hat, ist das Verlangen nach dem verbindlichen, aufrichtenden und verpflichtenden Wort der Kirche, das Sie hätten mitnehmen können auf Ihren Weg in die Fremde, und jener Pfarrer, an den Sie gerieten, hat wirklich nicht verstanden, was Sie begehrten, und was Sie brauchten. Wie sollte er auch verstehen, was es eben auf dem Boden unseres gegenwärtigen Protestantismus kaum gibt, und was er sicher selber nie an sich erfahren hat? Ich wundere mich nicht, wenn ein Mensch in Ihrer Lage entweder an sich irre wird und sich frägt: Ist denn mein Verlangen so ganz und gar unsinnig oder etwas, das einem evangelischen Christen nicht geziemt? - oder irre wird an der evangelischen Kirche. Wie viele evangelische Männer und Frauen mögen sich in dieser Verzweiflung in Beichtstühle der katholischen Kirche flüchten, freilich auch dort dann erst recht enttäuscht wieder von dannen gehen!

LeerIch möchte Sie zunächst über das Eine ganz und gar beruhigen: Was Sie gesucht haben, ist ein völlig berechtigtes Verlangen. Sie wollten nicht Aussprache über einzelne Lebensfragen; Sie suchten nicht die Beratung durch einen erfahrenen Seelsorger; sondern Sie suchten das Wort der Kirche, das Sie in Ihrer sehr konkreten Sündhaftigkeit gewiß macht, daß Sie als Glied an dem Leibe Christi in der Gnade stehen und bleiben. Auch das haben Sie völlig richtig empfunden, daß ein solches Wort dann nicht in der Zufälligkeit eines persönlichen Gespräches, auch nicht zwischen dem vielgestaltigen Schmuck eines Wohnraumes gesprochen werden kann, sondern daß es der Form bedarf, auch des Raumes, in denen eben das Wort der Kirche seinen ihm gemäßen Rahmen hat. Sie wissen aus den Freizeiten, die Sie mit erlebt haben, daß uns eben aus unsern Erfahrungen eine solche Form der persönlichen Beichte erwachsen ist. So oft ich diese Form der Privatbeichte als Beichtender oder als Seelsorger erlebe, empfinde ich mit immer neuer Dankbarkeit, wie sehr sie dazu hilft, über das persönliche Vertrauensverhältnis hinaus in die Sphäre eines in Vollmacht gesprochenen Wortes - im Sinne von Matth. 18, V. 18 - hineinzuwachsen. Es ist nicht so sehr die Feierlichkeit als die Sachlichkeit, die wir suchen; jene Sachlichkeit, die bei der ärztlichen Beratung durch den weißen Kittel und durch die ganze Atmosphäre des Sprechzimmers ohne weiteres gegeben ist. Jener Pfarrer, mit dem Sie gesprochen haben, hat noch garnicht verstanden, daß die rückhaltlose Ehrlichkeit menschlicher Begegnung etwas völlig anderes ist, als jene Lauterkeit und Wahrhaftigkeit, mit der wir vor dem Diener der Kirche das Bekenntnis unserer Sünden ablegen, und jene Gehorsamsbereitschaft, mit der wir uns von ihm das Wort der Gnade sagen lassen. Was er als die „Gardine” lächerlich macht, ist gerade jener Abstand, der der eigentliche und entscheidende Schutz ebenso der Wahrhaftigkeit wie der Verschwiegenheit ist.

LeerNach Ihrem Briefe habe ich mir von neuem überlegt, ob wir nicht einfach die Pflicht haben, mit den Erfahrungen, die uns geschenkt sind, hervorzutreten, und auch die Form, die sich uns bewährt hat, öffentlich mitzuteilen. Wenn ich mir nur davon Entscheidendes versprechen könnte! Ich fürchte, die beste Form der persönlichen Beichte könnte in der Hand solcher, die keine persönliche Erfahrung von diesem Weg haben, doch nur eine neue Verführung sein. So kann ich nur wünschen, daß immer mehr Menschen eine eigene Erfahrung von der heilsamen Kraft einer geformten persönlichen Beichte gewinnen und damit auch die Freudigkeit finden, Andere an dieser Erfahrung teilnehmen zu lassen. Ich möchte glauben, daß diese Form der streng-sachlichen Beichte zugleich ein sehr heilsames Gegengewicht sein möchte gegen die formlose Aussprache über eigene Sünden, wie sie etwa in der Gruppenbewegung geübt wird. Denn indem wir das Band der Zunge lösen und endlich - endlich reden dürfen von den Nöten, in denen wir fast zu Grunde gehen, wollen wir doch ebenso streng den heiligen Schutz der Scham und Scheu wahren, der solche Aussprache vor dem Abgleiten in das allgemein menschliche Gespräch rettet. - Ein Brief darüber kann nun freilich kein Ersatz sein für das lebendige Widerfahrnis einer solchen Stunde. Aber eine gewisse Hilfe mag es Ihnen doch sein, daß ich von Herzen Ja sage zu Ihrem Verlangen und mit Ihnen auf den Tag hoffe, wo man nicht mehr umsonst einen evangelischen Pfarrer um den Dienst einer solchen Beichte zu bitten braucht.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 51-54

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-09
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