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„Laientheologie”?
von Heinz-Dietrich Wendland

LeerDies Wort hat zweierlei Sinn: es meint erstens eine Theologie, die für „Laien” bestimmt ist und von Laien verstanden werden kann, eine Theologie die sich nicht mehr in dem unverständlichen den Laien schreckenden „Theologen-Chinesisch” ausdrückt. Es meint zweitens eine Theologie, die von Laien gedacht wird, theologische Schriften, die von Laien ausgehen. Beides ist für die gegenwärtige Lage unserer Kirche kennzeichnend, beides gehört zu den wenigen Hoffnungszeichen, die aus den Trümmern der evangelischen Kirche sich sietzt erheben: daß die Forderung laut wird nach einer Laientheologie, nach lebendiger, gegenwartskundiger und gegenwartsnaher Lehre für die Laien -, und daß darüber hinaus Laien selber zur Arbeit an und in der Theologie übergegangen sind, weil sie ihre Bedeutung für die Kirche erkannt haben, weil sie von der Sache ergriffen worden sind, die hinter den mühseligen oder kümmerlichen Denkversuchen der Theologie steht und durch diese hindurch in sieder Zeit nach neuem Ausdruck ringt. Solche Laien finden wir heute unter den Philosophen den Historikern, den Juristen, den Ärzten, den Schriftstellern und Journalisten - und die Theologen sollten Gott dafür danken, daß solche Männer in ihre Arbeit mit hineintreten, sie mit verantworten wollen, Männer, die tiefer mit der Not der Wirklichkeit an ihrem Standorte in der Welt verbunden sind, als dies leider durchschnittlich von dem Theologen gesagt werden kann.

LeerWenn heute Laien (damit sind hier immer nur die Nicht-Theologen gemeint! - eigentliche Laien, d. h. Nicht-Priester gibt es in der evangelischen Kirche überhaupt nicht) mit Ernst und Leidenschaft nach der  L e h r e  der Kirche verlangen, wenn sie  w i s s e n  wollen, was die Kirche glaubt, bekennt und verkündigt, so ist das wahrlich etwas Anderes als ein Verlangen nach korrekter Schultheologie und auch mehr als bloß die Forderung nach sauberem und klarem Denken in der Kirche, - es ist vielmehr das Verlangen nach dem Inhalte des Evangeliums selbst als nach der ewigen und ehernen Wahrheit. Diese Menschen wollen heraus aus dem Chaos der Meinungen, auch der theologischen Meinungen, sie wollen nährende kräftige Speise, Milch und Schwarzbrot von der man leben kann. Sie wollen aber auch Klarheit; denn ihre Glaubenssehnsucht und ihre Erkenntnis streiten widereinander, weil sie weithin noch bestimmt oder zum mindesten beunruhigt sind durch die Dogmen einer verstandesgläubigen, auflösenden Wissenschaft, von denen sie sich nicht ohne Hilfe zu befreien vermögen! Wie tief sitzen in unseren gebildeten Menschen auch in denen, die zu tieferem Leben des Glaubens neu erwachen, die geschichtlichen Vorstellungen und Vermutungen, die Bibel- und Dogmenkritik der Theologie der letzten fünfzig Jahre fest. Wissenschaft oder das, was sie dafür zu halten gelehrt worden sind, hindert sie, zur Freiheit und Freudigkeit des Glaubens durchzustoßen.

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LeerDiese Nöte wollen von den Theologen wirklich ernst genommen sein. Theologie soll nichts anderes sein als ein Dienst an der Verkündigung, der die Wahrheit des Evangeliums über und in aller Weltwirklichkeit bezeugt - so bezeugt, daß Antwort gegeben wird auf die Frage und Not jeder Zeit, des je und je gegenwärtigen Menschen. Theologie ist Verantwortung gegenüber dem Geist jeder Zeit und ihrer geheimsten und innersten Sehnsucht. Wenn das so ist, bedürfen wir doppelt der Menschen, die als Laien Theologie treiben, weil sie aus der Not der Wirklichkeit getrieben werden, vom Evangelium her zu denken, es als die Wahrheit in aller Welt zu verkündigen.

LeerSolche verantwortliche, antwortende Theologie wird sich aber immer durch eines auszeichnen - durch die Demut des Begriffes, welcher nicht begreift.

LeerWenn etwas den ernst ringenden Laien widerwärtig und erstaunlich zuqleich ist, so ist es die Geschwindigkeit, Leichtigkeit und Sicherheit, in welcher die Theologen mit ihren Formeln hantieren, Formeln, in denen von Gott!, von den erhabensten und unaussprechlichsten Geheimnissen die Rede ist, und die sie durcheinanderschütteln wie ein Apotheker seine Pulver und Mixturen. Echte Theologie aber, sowenig sie etwas preisgeben kann von Strenge, Sauberkeit, Schärfe des Gedankens und Begriffes, ist durchweht von dem Atem der Demut: „Wenn ich dies Wunder fassen will, so steht mein Geist vor Ehrfurcht still . . .” Wenn die Sprache der Theologie geprägt ist von diesem Stillstehen vor dem Wunder, von der Beugung vor dem Geheimnis des Gottes, der unser Fleisch und Blut wird, dann kann sie verstanden, in der Sache, auf die sie hinweist, ertastet werden trotz all' der gewaltigen traditionellen Belastung ihrer Sprache.

LeerDer Theologe darf aber dann auch dem Laien sagen: in der theologischen Sprache schwingt mit das Glaubensringen und die Denkbemühung vieler Geschlechter, die vor uns Christen waren. Die Sprache der Bibel, die Denkweise der Griechen und der großen Theologen der alten Kirche, Wort und Denkweise Luthers und viel Anderes mehr hat diese Sprache mitgeformt. Die Theologie kann sich nicht einfach der Tatsache entziehen, daß die Kirche Jesu Christi eine Geschichte hat in der Welt, daß wir in einer Kette der Glaubenden stehen und aus ihr empfangen. Das fordert Ehrfurcht, das fordert Liebe zu den Wegen des frommen Gedankens, die unsere Väter gewandelt sind, das fordert Mühe, wo diese Gedanken uns fremd und eigen gegenübertreten. Auch unser ganzer Kampf um Lebendigkeit, Gegenwärtigkeit und Wirklichkeitsnähe des Handelns und Lebens und Denkens der Kirche wird einmal Erbe sein und Geschichte - wollten wir, daß all' dies ehrfurchtslos weggeworfen werde?

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LeerAndererseits aber erkennt der Laie eine Gefahr schärfer als der Theologe: daß wir uns hinter der Geschichte der Kirche und der Überlieferung der Theologie verbergen können, um einer gegenwärtigen Verantwortung, um der Verpflichtung im Heute, das Evangelium neu zu denken und zu Sagen für den Menschen, der heute vor uns steht, uns zu entziehen. Die Geschichte des Glaubens in der Kirche Christi speist und nährt uns wohl, aber sie fordert genau das Gegenteil dieser Flucht vor der Gegenwart, dieses Erstickens in dem Gewesenen! Sie fordert gerade lebendige Gegenwärtigkeit, Umdenken und Umschaffen aus unserer Wirklichkeit in Volk und Staat, Geist und Kultur heraus, damit das Wort der Kirche nicht verwechselt werde mit einer merkwürdigen Lehre vergangner menschlicher Geschlechter. Das ewige Evangelium bricht hinein in jede Gegenwart - keine Zeit, keine Sprache, keine Theologie kann es festlegen, umklammern und endgültig formen, immer wieder bricht es aus und hindurch, weil es heiliger Geist ist und Kraft aus der Höhe

LeerEben dies will der Laie spüren im gottesdienstlichen Handeln der Kirche, im Wort des Verkündigers und des Theologen: das „verbum aeternum” (das ewige Wort), das durch alle Zeiten hindurchstürmt und aller Zeiten Erfüllung ist. „Werdet aus Theologen zu Propheten, streckt euch wenigstens danach, damit ihr den Weg bereitet dem, der da kommt” - so schallt es den Theologen entgegen, und dieser Ruf beugt sie tief. Es liegt nahe einzuwenden: man kann sich nicht zum Propheten machen, die Propheten erweckt Gott, und nicht immer so, nicht immer dann, wie und wann wir Menschen es uns wünschen. Aber trifft das den Kern der Forderung, die so an die Theologen ergeht? Sind sie nicht allzu oft Schulmeister, Gelehrte, Advokaten, Propagandisten, Vortragsreisende statt Verkünder zu sein, ergreifende Ergriffene? „Es liegt ein Zwang auf mir - wehe, wenn ich nicht das Evangelium verkündigte!” (1. Kor. 9, 16). Was fehlt? Ist es nicht Glaube und Gewißheit des Heiligen Geistes, des Gegenwärtigen, der erfüllt und erleuchtet? Allein aus ihm kann die Speise, die wir reichen, lebendiges Brot sein: der Herr ist der Geist (2. Kor. 3, 17). Aus ihm allein wandelt sich die schlichte, klare, kräftige Lehre, die zu geben der Theologe heute wahrlich auch aufgerufen ist, in Leben, nicht vom Menschen her, in Speise zum ewigen Leben. Das ist die „Theologie für die Laien”, die die Laien den Theologen abfordern - der Erweis des Geistes und der Kraft im Stammeln, in der Schwachheit der menschlichen Rede.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 54-57

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-24
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