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Vom arischen Christus
von Heinz-Dietrich Wendland

LeerEs ist nicht mehr selbstverständlich, an Jesus Christus zu glauben. Die alten Götter stehen wieder auf. So umschreibt Wilhelm Stählin die religiöse Lage, in der wir uns heute befinden, in dem einleitenden Aufsatze des „Gottesjahrs” 1934. Der Entscheidungskampf geht heute wie immer um die Frage: was dünket euch um Christus? Er wird aber heute mit einer Leidenschaft ohnegleichen geführt, weil er sich mit der rassischen, der völkischen Frage verbunden hat: der Christusglaube sei die orientalisch-semitische Pest, die schuld ist an allem Niedergänge unseres Volkes bis hin zum Versailler Vertrag, den nach Ernst Bergmann der Christengott nicht hat verhindern können! - Wenn wir in der Zeit der Passion dieses Kampfes gedenken, so nicht, um den zu verteidigen, der keiner Verteidigung bedarf, so nicht, um sein Leiden aufzuheben, der doch auch heute, als der Gegenwärtige, nichts anderes sein kann als eben der Leidende. Litt er einst unter seinem Volke, unter Pharisäern, Schriftgelehrten, Hohepriestern, so leidet er heute unter anderen Völkern, aber unter demselben Unglauben, demselben Haß und demselben vollkommenheitsbewußten, in seinen Taten sich brüstenden Pharisäertum. Doch gerade als der Leidende, nur als der Leidende ist Christus der Lebendige. Das Leiden ist sein Weg zum Leben. Als der Leidende ist er der Auferstehende. Daß er umkämpft wird heute wie nur je, ist sein Leiden, aber auch sein Leben. Das bekennen und bezeugen wir in der Zeit der Passion, deren unsere Kirche heute so elend und geschlagen, so uneins gedenkt. Christus das Zeichen der Scheidung und der Entscheidung, des Kampfes und des glühenden, gerade religiösen Widerwillens - das ruft uns zum Preise und zum Bekenntnis seiner Lebensmacht. Das zeigt, daß er die Mitte der Weltgeschichte ist, an der jede Epoche und alle Völker im Ja oder im Nein sich ausrichten müssen.

LeerNeben den Stimmen des rückhaltlosen Nein zu Christus aber erklingen andere. Sie wollen eine arische, germanische Neugeburt und Umschmelzung des Christusglaubens. Eigenartig ist, wie in diesem Wollen die Gedanken der verschiedensten Zeitalter zusammenströmen. Christus soll das werden, was die alten Götter und Heroen waren: Menschgötter, Steigerung, Verklärung, Vollendung des Menschlichen. So nur können Arier und Deutsche Christus glauben, daß er aus dem einigen Sohn des Vaters zum Menschgott gemacht wird, zu einem herrlichen Sinnbilde der Einheit des Göttlichen und Menschlichen, die in jedem nordischen Menschen von Natur aus vorhanden und bestimmend ist. Wenn dieser Menschgott, dieser Heros Christus noch Heiland genannt wird, so kann das nicht mehr heißen, daß er Sünde vergibt, daß er sich darbringt als „Lösegeld für viele”, sondern nur noch: daß an der vorbildlich schönen Einheit des Göttlichen und Menschlichen in ihm unser daseiendes Einheitsbewußtsein erwacht und erstarkt. Der Christus-Heros außer uns, in der Geschichte, hat nur die Bedeutung, daß er dem Christus im Menschen zum Lichte, zur Geburt verhilft, der schon immer in der menschlichen Gottestiefe da ist. Einer Erlösung bedarf es da ja gar nicht mehr. Darum kann auch das Leiden und Sterben Jesu Christi nichts mit Erlösung zu tun haben. Es ist nur ein „heldischer Untergang”.

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LeerChristus als Heros - das besagt, er wird zum Gott unter vielen Göttern. Die Götter des Blutes, der Liebe, des Kampfes, des Schicksals oder wie sie heißen, können neben ihm angebetet werden. Er ist nur einer unter vielen. So ist Christus in den antiken Mythos zurückgenommen. Wir erleben die Erneuerung des antiken Christus-Hasses, aber auch den Versuch, mit den Mitteln des a n t i k e n  M y t h o s  seiner Herr zu werden, das Ärgernis zu überwinden, das Widerwärtige und den unbedingten Anspruch Christi, der Sohn des Vaters, der Bringer der Gottesherrschaft, der Weltenrichter zu sein, loszuwerden. Oder in der Sprache der antiken Welt geredet: er darf einer der vielen „Kyrioi” (Herren) sein, aber nicht der eine und einzige Kyrios, den Paulus jenen vielen gegenüberstellte (1. Kor. 8, 5-6).

LeerDer Heros ist Steigerung des Menschlichen, ist gewaltiger Ausdruck, mächtige Gestalt dessen, was doch Wesen des Menschen, eben göttliches Wesen des Menschen ist. Jesus als Heros ist zweierlei: Held und Vorbild. Als Held ist er das Vorbild. Er stürmt uns voraus - aber er begegnet uns nicht von drüben her, von der Seite Gottes. Wir können uns ihm nachbilden: „Wir wollen endlich Christus sein und als ein Christus handeln” (Ernst Bergmann in: „Die 25 Thesen der Deutschreligion. Ein Katechismus”. Breslau 1934. Verlag Ferdinand Hirt.). Entscheidend ist, daß dieser Christus-Held ein „Christus ohne Leid” ist. Gegen den Christus der Passion geht der eigentliche Angriff. Der Urchristus, der kämpfender und siegender Lichtheld ist und als solcher die Versinnbildlichung des immer wieder auferstehenden Lebens, soll jetzt erneuert und verehrt werden, wie die altnordische Urreligion schon von ihm gewußt hat, dem Jahreslichtgott, dem Befreier. - So verbindet sich der  a r i s c h -n o r d i s c h e  M y t h o s  mit der antiken Heroen-, Halb- oder Menschgott-Verehrung.

LeerAber die alten Mythen werden ja mit Hilfe der Vernunft entdeckt, erneuert und zeitgemäß gemacht. Eine eigentümliche Vernunftkälte haftet der arischen Christus-Schau an. Der Mensch schafft den Christus! - das ist hier das Grundgesetz. Darum kann dieser Christus nur tun und sagen, was die selbstherrliche Menschenvernunft ihm erlaubt. Es ist nicht zu begreifen, wie solch ein Christus auch nur noch Helfer und Befreier sein könnte. Das ist nun die Paradoxie im arischen Christusglauben, daß der menschenerschaffene Christus doch zugleich Führer des Menschen sein soll. Der „arische Christus” ist aber nur Spiegelung der menschlichen Vernunft, nur ein sinnbildlicher, durch die christliche Tradition nahegelegter Ausdruck für den Willen und die Kraft des Menschen zur  S e l b s t e r l ö s u n g .

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LeerEinordnung Christi in den neuzeitlichen Vernunftglauben: das ist es, was im arischen Christusglauben vor sich geht. Und das ist so wenig arisch oder deutsch, daß es vielmehr der allgemeine abendländische Vernunft-Kult und Wissenschaftskult seit dem 18. Jahrhundert ist, der hier seinen neuesten Sieg feiert: Jesus der große Lehrer, der Erkennende, der Aufklärer, der aus dem Vernunft- und humanitätswidrigen jüdischen Rache- und Zorngott-Glauben hinaus- und hinaufführt zu den lichten Höhen des humanen und vernünftigen Gott-Vater-Glaubens. Daher die verblüffende Beobachtung, daß man seitenweise die Gedanken der arischen Theologen der Gegenwart belegen kann mit Zitaten aus den Schriften der Aufklärer des 18. Jahrhunderts, die doch sonst als die Urheber allen Unheils, des Liberalismus und Marxismus und so fort, gelten, in der arischen Christus-Lehre nun aber ihre Auferstehung und einen ihrer größten Siege feiern. -

LeerIst das alles? Das kann nicht sein. Bei den Begriffen können wir nicht stehen bleiben. Ein heißes Verlangen nach Christus-Gegenwart, nach Christus-Wirklichkeit ist doch hinter allen Entstellungen und Vernünfteleien lebendig. Es ist der Ruf nach der Neuschöpfung, der Erhöhung, der Erfüllung des Menschen, der im Gedanken des arischen Christus Gestalt gewinnt. Indem der „arische” Christus Volks-Heros ist, sammelt sich in dieser Lichtgestalt die Sehnsucht des Volkes nach einem höheren Leben, einer neuen Zeit. Es ist weiter die Sehnsucht nach dem wirklichen und menschlichen Christus, die hier ins Leben drängt, nach Christus-Begegnung statt schulgerechtem Christus-Dogma. Und alles dies ein Gericht über die Kirche, in der von so vielen Christus-Gegenwart nicht mehr erfahren wird, daß sie einem andern Christus sich zuwenden, nach einem andern Christus suchen, weil sie doch nicht loskommen von dem, was mit dem Christusnamen und der Christusgestalt nun einmal gegeben ist. Ein Gericht über die Kirche, das den Gedanken ausschließt, es könnten mit der bloßen Verteidigung der rechten Christus-Lehre Schlachten gewonnen werden - weil wir selber als Soldaten Christi höchst fragwürdig geworden sind. Um die Kraft Christi in uns, die sich mächtig erweist im Zeugen, Dienen, Leiden, bitten und wissen, des Christus, der gekreuzigt ist in Schwachheit, aber lebt aus der Kraft Gottes (2. Kor. 13, 4) - das ist hier das Entscheidende.

LeerDoch müssen wir Christus auch verkündigen: nicht nur als den Leidenden und Sterbenden, sondern, antwortend auf das Verlangen der arischen Christus-Schau: als den neuen Menschen, den Anfänger der neuen Gotteswelt, den „zweiten” Menschen, der nicht von der Erde, sondern vom Himmel her ist, und gerade so die Vollendung und Erfüllung des Menschenwesens wird. Verkündigen als den Menschensohn, der das Schicksal der ganzen Menschheit in sich birgt, in sich durchkämpft, aber dies Ganze nur tragen und ertragen kann, weil er der „himmlische Mensch” (1. Kor. 15, 45 ff) ist, der lebendig ist aus der Kraft Gottes. Die Erfüllung des Menschen wie die Gegenwart des wirklichen Christus gibt es nicht auf dem Wege der heroischen Steigerung des Menschen und der Erschaffung eines schönen Sinnbildes für die Selbsterlösungskraft des Menschen. Es gibt sie wirklich! - aber es gibt sie nur in dem Passions- und Oster-Christus, in dem die neue Schöpfung beginnt.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 83-86

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-09
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