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Von Sonnenwende zur Weihenacht
von Axel Werner Kühl

Das ewig Licht geht da herein,
Gibt der Welt ein neuen Schein.
Es leucht wohl mitten in der Nacht
Und uns des Lichtes Kinder macht.
Martin Luther

LeerMitten im Dunkel des Winters und der Erdennacht geht das Licht auf.

LeerWas für ein lebendiges Gotteswort ist das Licht! Das weißt du, wenn du einmal einen Sonnenaufgang erlebtest. Das Licht weckt das Leben auf, wie am Aufgang alles Daseins. Die Vögel erheben ihre Stimme. Die Blütenkelche öffnen sich. Und dein eigen Herz wird aufgeweckt zu dem Glauben, daß dich „Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen.” Wiederum auch kann die Nacht, die über einem Herzen ist, uns dazu bereiten, daß wir Ausschau halfen nach dem helfenden Licht, nach der „Kraft Gottes, die da selig macht alle, die da glauben.”

LeerEin lebendiges Gotteswort ist das Licht. Ich nahm einmal unser Gesangbuch zur Hand, mich in die Lieder Paul Gerhardts hineinzulesen. Unter den 33 Liedern, die es bringt, wüßte ich nur drei zu nennen - und zwei von ihnen sind für die Zeit der Passion bestimmt -, in denen nicht irgendwie etwas schimmerte von Glanz und Sonne und Kerzen und Sternen. Ihm ist das Licht eine der großen Offenbarungen vom Herzen Gottes geworden. Und doch war die Zeit seines Lebens die dunkelste Epoche deutscher Geschichte. Über dem Grauen der dreißigjährigen Verwüstung von Land und Volk und Menschengedanken gehen die Lichter Gottes auf.

*

LeerIn diesem Zug der Lieder Paul Gerhardts tritt uraltes Erbe an den Tag. Längst ehe mit dem Johannesevangelium die Menschen des Nordens, unsere Vorfahren, den Logos, das göttliche Wort in dem erblickten, der sich und seine Boten das Licht der Welt nennen konnte, längst ehe auf christlichen Altären die Kerzen brannten, öffneten sich die Herzen mit Acker und Baum und Getier der Himmelskraft der Sonne und der Sterne. Nicht als ob sie den Lichtern am Himmel göttliche Verehrung gegeben, nicht als ob sie das innerweltliche Licht mit dem Wesen Gottes gleichgesetzt hätten. Gott wurde „nicht mit den Augen, sondern mit dem Herzen gesehen” (Kummer). Aber daß in Feuer, Licht und Wärme des Jahres, des Menschenlebens der Geheimnisvolle hineinwirkt in diese Welt, ist Grund und Inhalt der alten Feste und der frühen Frömmigkeit.

LeerDie letzten Jahrzehnte haben uns mehr als frühere Wissenschaft in die germanische Glaubenswelt vor dem Erscheinen des Heilandes sehen lassen. Wir erleben sie nach als die späten Enkel von gleichem Blut und Sinnen. Dabei spüren wir noch heute etwas von der Kraft der Symbole jener Zeit, aus denen unserer Ahnen frommer Sinn den Glauben an Gottes Freundschaft, auch das Ahnen vom Vater der Menschen schöpfte. Die Nordmänner, von denen Prokop zu berichten weiß, die Sehnsüchtigen, die um die Wintermitte auf den Berghöhen dem tiefsten Stand der Sonne, dem Beginn ihrer Wiederkehr entgegenharrten, leben noch in uns weiter, wenn wir um Gottes Wohltaten beten.

LeerOb das Sonnenwendfeuer draußen, „mitten im kalken Winter, wohl zu der halben Nacht”, ein flammendes Bekenntnis zu dem Gott, der mit der zunehmenden Sonne wieder schenken und wohltun will, die wachen Gedanken unserer Vorfahren weiterführte? Ob sie daran lernten, daß das Feuer nur aus dem Tode des Holzes wird? Ob es sie dazu trieb, im eigenen Wesen der Opfergesinnung nachzuleben, die sich verzehren läßt, um Gottes Licht in die Welt zu tragen? Ob dieses Wort Gottes auch davon zu ihnen sprach, daß nicht nur das Licht der Sonne, nein, alles Leben ein Selbstopfer des Schöpfers ist, hineingegeben in diese Welt? Wir können auf diese Fragen nicht mit gedanklicher Genauigkeit antworten. Symbole lassen sich nicht immer begrifflich deuten. In den Symbolen einer vergangenen Zeit kann zudem nur lesen, wer das Erbe der Zeit in sich trägt, die sie einst schuf. Uns selber aber hat das von den Vätern ererbte Sonnenwendfeuer mit seinem Ernst ergriffen und mit seiner heiligen Freude. Es konnte uns wohl auch zum Wort solcher Opfergedanken werden. Waren das nicht doch auch die Opfergedanken in Ernst und heiliger Freude unserer Vorfahren? Wie eine Bestätigung dieses Schlusses kommt dann auch der spätgermanische Mythos der heiligen Nächte zu uns, in dem Gott, um das innere Licht zu gewinnen, als Opfer am Baume hängend, das Licht des Auges dahingibt. Seltsame Sprache des Mythos, nur dem deutlich, der willig horchend das alte Wort zur innersten Seele reden läßt. Seltsamer Ahnung voll die alte Überlieferung in Sitte und Sang. Seltsam dunkel und ernst die Freude am werdenden Licht.

*

LeerInzwischen wandelte sich die Sonnenwende in die deutsche christliche Weihenacht. Engelsang und Lichterglanz der heiligen Nacht ist um die Krippe aufgeblüht. Selige Lieder singen Kind und Mann.

LeerAuch hier ein ernster Unterton. Der Baum des Kreuzes wuchs über der Krippe auf. Sieben Schwerter sind durch das Herz einer Mutter gedrungen. Und doch ist gerade im Opfer am Kreuz das Licht hell geworden, das da kam „zu erleuchten die Völker”.

LeerEin entscheidender Unterschied gegen das Frühere ist mit Händen zu greifen: „das Wort ward Fleisch”. Krippe und Kreuz bezeichnen Anfang und Ende eines Weges um die Wende der Zeiten auf dem festen Boden der Geschichte. Statt Ahnungen des Mythos begegnet uns geschichtliches Leben. Dämmernde Schau der Seher aus unserem Blut fand ihre Erfüllung in der auch uns geschenkten Offenbarung. Und Lichtsehnsucht und Lichtgedanke unserer Väter wurde zu unserem „Erzieher auf Christus hin”, nicht anders als die andere vorchristliche Art, die Paulus im Galaterbrief so nennt.

LeerSollen wir heute den Schritt vom Mythos zur Offenbarung ungeschehen wünschen? Sollen wir, manchem Ruf in der Gegenwart folgend, wieder zurücktauchen in die ewige Gegenwart des germanischen Mythos? Oder birgt die Weihenacht ein lebendiges Gut, auch für die bestimmt, in deren Blut noch heute etwas von der Schau der Väter lebendig ist?

LeerDie Feiernden um das Feuer der Sonnenwende her erlebten Jahr um Jahr Aufstieg und immer neues Versinken des Lichtes. Wann wird endlich der Sieg des Lichtes bleiben? Wann wird Gott allein, allen deutlich, das Wesen der Welt aus seinem Licht bestimmen? Auf diese sehnsüchtige Frage hat zunächst der Germane keine Antwort. Er weiß nur, daß es seine Pflicht ist, im heldischen Trotz dem Dunkel, dem Übel in der Welt gegenüber zu verharren. „Bleiben wir Helden - ob auch heute wir sterben.”

LeerTrotz allein aber hat auf die Dauer nicht Kraft genug, über den Rätseln der Welt das Licht aufgehen zu lassen: In germanischer Spätzeit taucht die Dichtung vom Untergang der Welt auf, Götterdämmerung!

LeerAuch um die Krippe her ist Nacht. Das Kind, das die Welt erleuchten soll, liegt im Schoß der Mutter - am Rande der Welt, ausgestoßen in Fremde und Armut, muß seine Herberge haben bei den Tieren im Stalls „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hats nicht begriffen!” Das Kind der Weihnacht wird von der Welt gekreuzigt.

LeerWeihnacht deckt keinen Schleier über die Tragik des Lebens. Weihnacht täuscht nicht hinweg über die Tatsache, daß die Welt in Gottesferne lebt. Das Evangelium lehrt eine unerbittliche Nüchternheit im Blick auf die Welt. Aber die Verzweiflung, die sonst aufkommen müßte, wird zur „getrösten Verzweiflung”. So hat Luther die Grundstimmung des Menschen unter dem Licht des Evangeliums bezeichnet. Und er hat selber in dieser Grundstimmung gelebt. Von ihr geht ein Abglanz durch seine wundervollen Weihnachtslieder. Die männlich starke, mutige Lebensmelodie geht durch das Lied, aus dem unser Leitvers stammt. Die tiefe, lichte Freude macht dieses Mannes Herz kinderselig und fähig, das „Kinderlied auf Weihnachten” zu dichten: „Vom Himmel hoch, da komm ich her.” Das Geheimnis des Lichtes deutscher Weihnacht stammt aus diesem Singen und Klingen.

LeerUnd der Grund dieser Getrostheit? Das Evangelium lehrt uns, das Licht, das der Welt „einen neuen Schein” gibt, als ein Angeld aufzunehmen auf das Leben am Herzen Gottes. Die Sonnenwende der heiligen Nacht hat ihre volle, bleibende Sommerhöhe am Herzen Gottes, in einer „neuen Schöpfung”. Dieses neue schlackenfreie Leben aber ist, dem Dunkel der Welt zum Trotz, aufgeleuchtet, im ersten hellen Schein, greifbar, wirklich, geschichtlich in dem einen, der in der Weihenacht geboren wird. Es flammt überall da wieder auf, wo im Laufe der Jahrhunderte Menschen zu „Lichtes Kindern” werden, zu Trägern des Christuslichtes mitten im kalten Winker dieser Welt. Es wird greifbar, wirklich, geschichtlich in der echten Kirche Jesu Christi, der unsichtbaren und sichtbaren echten Gemeinschaft der Glaubenden.

LeerDie Welt bleibt, wie sie ist. Aber sie hat einen „neuen Schein” empfangen. Der stammt aus der schlackenfreien Wirklichkeit, die Gott gestaltet. In ihm getragen von der „Kraft Gottes, die da selig macht”, tun wir den Schritt vom Mythos zur Offenbarung nicht wieder zurück. Aber wir sind dankbar dafür, daß Gott die Gedanken unseres Blutes, die ahnenden, sehnsüchtigen, mit dem Aufleuchten der Erfüllung segnete. Gott hat damit das Werden frommer Gedanken in der Zeit auch vor Christus zur ersten Stufe der Heilsgeschichte für unser Volk werden lassen.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 16-20

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-03
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