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von Wilhelm Stählin |
Das Neue Testament hat seine Mitte in der Verkündigung, daß wir mit Christus leben dürfen als Glieder seines Leibes. Mit Christus leben, das heißt mit Christus sterben und mit ihm auferstehen; eben so, wie es der letzte Vers unseres alten Adventsliedes besingt: Es kommt ein Schiff geladen: „Danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn”. Sicher war sich schon die urchristliche Gemeinde dessen bewußt, wie nahe dieser christliche Zentralgedanke des Mit-Christo-sterbens und -auferstehens den hellenischen Mysterien der damaligen Zeit zu stehen scheint. Jedenfalls die alte Kirche hat sich viel Gedanken darüber gemacht, wie sich dieses christliche Mysterium zu den Mysterien der vorchristlichen und außerchristlichen Welt verhalte. Denn auch dort geht es um Tod und Auferstehung. Die Mysterien führten den Eingeweihten einen Weg durch den Tod hindurch, durch sehr reale Erlebnisse des Sterbens und Begrabenwerdens hin zu dem ungeheuren Widerfahrnis der Neubelebung, in der der „Myste” Anteil gewann an dem todüberlegenen Leben der Unsterblichkeit. Die Frage, an die wir damit rühren, ist keineswegs eine historische Frage. In ganz anderer Form bricht heute die Frage nach diesem Mysterienweg wieder auf. Das Christentum tritt - im besten Falle - in eine Reihe mit allen jenen religiösen Kulten und Erlebnisten, in denen der Mensch der Vergänglichkeit seines Einzellebens entnommen und in den großen Zusammenhang des unendlichen und unsterblichen Lebens eingefügt wird. Aber es ist ganz folgerichtig, wenn das Christentum in dieser Reihe im Grunde als überflüssig, ja störend und widersinnig empfunden wird. Wir werden belehrt, daß nicht die Geburt Jesu Christi, sondern die Wiedergeburt des Lichtes der eigentliche Anlaß sei, Weihnachten zu feiern, und Ostern wird zu dem Frühlingsfest, an dem in uralten Sinnbildern die Auferstehung des Lebens und sein Sieg über die winterliche Totenstarre gefeiert wird. Wie viel näher liegt uns - so wird heute verkündigt - dieses der gesamten indogermanischen Welt ehrwürdige Mysterium von Tod und Auferstehung, als die uns zeitlich und räumlich so fernliegende und in der Sache so fragwürdige Auferstehung Christi aus dem Grabe. Die religionsgeschichtliche Schule vor einem Menschenalter machte den Versuch, das christliche Mysterium als einen Spezialfall, als die christliche Erscheinungsform jenes Mysterienweges zu begreifen, von dem die ganze indogermanische Welt (aber nicht nur sie!) als von dem tiefsten Lebensgeheimnis wußte. Wenn heute an die Stelle dieser Einordnung die Ablehnung und Bekämpfung des christlichen Mysteriums tritt, so wird hier - mit Recht! - wieder der Unterschied, der das christliche Mysterium von dieser ganzen Welt der Mysterien trennt, empfunden und ernst genommen. Was ist der tiefste Sinn dieses Unterschiedes? Freilich ist die echte christliche Tradition weit davon entfernt, dies naturhafte Mysterium zu verachten. Der Sieg des Lebens in der äußeren Natur ist zwar nicht Urbild, aber Abbild und Gleichnis der Auferstehung. Die Hoffnung, die über dem christlichen Mysterium leuchtet, findet in der Welt der Naturmysterien zwar nicht ihren Grund, aber ihre Bestätigung, gleichsam eine Weissagung, die erst in Christus erfüllt ist. Darum haben die koptischen Christen in den ersten Jahrhunderten auf ihren Grabsteinen neben und unter dem Christuskreuz das Henkelkreuz, das ägyptische Zeichen der Unsterblichkeit, und das Hakenkreuz als das Zeichen dieses Naturmysteriums angebracht. Und darum geht in die österliche Freudenzeit der christlichen Kirche auch die Freude an dem neuen Grünen und Wachsen der äußeren Erde ein. Wie sollten wir uns auch nicht an alle dem freuen und mit einer neuen Gewißheit uns die Spuren des Lebens eröffnen, wenn wir „mit Christo leben”! Aber man muß wissen, was das Urbild unserer eigenen Auferstehung ist: der Kreislauf des unendlichen Lebens oder die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 70-72 |
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