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Emmaus
von Wilhelm Stählin

LeerVon der Auferstehung Jesu Christi hat die christliche Kirche ihren Ausgang genommen; als die Stätte der Wandlung und der Auferstehung lebt sie in der Welt des Todes. Darum kann es nicht Wunder nehmen, wenn sich in jenen Geschichten, in denen die vier Evangelien von den Erscheinungen des Auferstandenen erzählen, das Geheimnis der Kirche spiegelt. An dem, was sie berichten, kann wie durch eine durchsichtige Hülle hindurch abgelesen werden, was die Gegenwart des Auferstandenen in der Mitte seiner Jünger bedeutet.

LeerDie Geschichte von den beiden Jüngern, die am Abend des Auferstehungstages nach Emmaus gingen und dort den Fremdling, der sich ihnen auf dem Wege zugesellt hatte, als den auferstandenen Christus erkannten, (Luk. 24, 13-35) ist eine der vertrautesten Ostergeschichten, und wir lieben sie besonders um ihres lebendigen menschlichen Gehaltes willen. Wie oft haben wir mit den beiden gebeten: „Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werben, und der Tag hat sich geneiget!” Und wenn wir uns in eines der Bilder versenkten, in denen unsere großen Maler, Rembrandt vor allen, die Emmaus-Geschichte dargestellt haben, so haben manche von uns ahnend empfunden, daß darin zugleich das Geheimnis der Kirche, daß Er selbst in der Mitte seiner Jünger gegenwärtig ist, seinen Ausdruck gefunden hat.

LeerDie Emmaus-Geschichte spiegelt die zwiefache Gegenwart Christi bei seinen Jüngern. Er gesellt sich zu den beiden auf ihrem Wege und redet mit ihnen. „Und fing an von Moses und allen Propheten und legte ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren.” Er ist bei ihnen, indem er zu ihnen redet; und in das lebendig gegenwärtige Wort mischt sich die Stimme aller Gottesmänner aus naher und ferner Vergangenheit, „Moses und alle Propheten”. Das lebendige gegenwärtige Wort nimmt das Siegel von den verschlossenen Büchern heiliger Schriften und öffnet ihr Geheimnis. Ihr Geheimnis aber ist das eine große Mysterium von Tod und Auferstehung; nicht das Geheimnis von Sterben und neuem Werden, wie es für das tiefer schauende Auge in der Natur überall verborgen ist, sondern das Geheimnis Christi als ein geschichtliches Ereignis, in dem die Zeiten ihre Mitte erhalten. „Mußte nicht Christus solches leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?” Das ist das deutende Wort, das am hellen Tage dem Sinnen und Fragen den Weg der Antwort weist; es lehrt, das Geheimnis Christi als Gottes Weltenplan zu erkennen und die heiligen Schriften als Hinweis und Weissagung auf diese Erfüllung zu lesen. Das ist die Gegenwart Christi in seinem Wort, die eine Form seiner Gegenwart in der Kirche. Wer im Kreis der Jünger ihm, dem Redenden, begegnet, wen er begleitet auf seinem eigenen Wege, dem ergeht es, wie es die beiden Jünger von sich selbst bekennen: Das Herz wird brennend in ihnen über dem ungeheuren Geschehen, daß die verschlossene Pforte der Wahrheit sich auftut und ein neues Licht fällt auf alle heimlichen Zusammenhänge.

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LeerAber am Abend, da der Tag sich neigt, da die Gedanken und Erkenntnisse des Tages standhalten sollen in der Einsamkeit und den Abgründen der Nacht, da in der hereinbrechenden Dunkelheit die heimlichen Ängste der Seele aufwachen und fragen, wer und was denn bei ihr bleibt in der Ohnmacht des Schlafes, da „ging Er hinein, bei ihnen zu bleiben”. Es ist von keinem Wort die Rede, das zwischen ihnen noch gewechselt wäre. Aber Er saß mit ihnen zu Tisch; Er nahm das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. Eben dieses ist es, was der Herr tut, wenn Seine Gemeinde sich versammelt um Seinen Tisch, um den Tisch des Herrn: Er nimmt das Brot und gibt es den Seinen; Er selber ist das Brot und teilt sich aus denen, die nach Ihm hungrig sind. Das ist die andere Gegenwart Christi in seiner Kirche: das heilige Sakrament, da er selber als der Tischherr des heiligen Mahles die Seinen um sich versammelt und sich selber austeilt als das Brot, das der Welt das Leben gibt; als der Hohepriester, der für die Seinen eintritt vor Gott, und der sich selber darbringt als das eine vollkommene Opfer. Und es heißt: „Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn”; „an dem, da er das Brot brach”.

LeerBeide Gestalten, in denen der Herr gegenwärtig ist in seiner Gemeinde, gehören unauflöslich zusammen: Wort und Sakrament. Das Wort geschieht im hellen Licht des Tages auf dem Wege und tröstet und unterweist die Traurigen und Verzagten; aber das Sakrament geschieht, wie es uns Rembrandt mit unheimlicher Dringlichkeit gemalt hat, im nächtlichen Raum und entzündet das Licht in jenen Tiefen und -dunklen Räumen, die von dem Licht unserer Gedanken und unserer Worte nicht erhellt werden. Das Wort öffnet den Fragenden und Hörenden die verborgenen Zusammenhänge der Schrift und aller prophetischen Rede; aber ihre Augen wurden erst geöffnet, als er mit ihnen zu Tisch saß und ihnen das Brot brach. Aber wären ihre Augen geöffnet worden, wenn nicht vorher ihr Herz brennend geworden wäre über seiner Rede? Sie fingen an zu begreifen, daß Christus solches leiden mußte und zu seiner Herrlichkeit eingehen. Aber in dem gebrochenen Brot kommt das Geheimnis des geopferten Lebens selber zu ihnen und nährt sie durch wunderbare Speise. Unser falscher Eifer kann sich nicht genug tun mit Worten, und wir halten manchen lange auf auf dem Wege, weil wir meinen, unser Wort müsse ihn vollends überzeugen, vollends gewinnen; und es ist doch wichtiger, daß wir uns mit ihm zu Tisch setzen, um mit ihm gemeinsam das Brot zu essen, das die Liebe uns bricht. Vielleicht daß denen, denen das Herz brennend geworden ist auf dem Wege über dem Wort, die Augen aufgetan werden für das Mysterium der Kirche, daß das Haupt gegenwärtig ist in seinem Leibe, gegenwärtig in gedanklicher Klarheit und in geheimnisvoller Speise; gegenwärtig in Wort und Sakrament.

LeerBleibe bei uns, Herr; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 72-74

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-03
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