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Neuheidnischer und christlicher Glaube
von Hans Faißt

LeerVon Tag zu Tag wird es deutlicher, wie groß die Gefahr ist, die der Kirche und mit ihr unserm deutschem Volk vom Neuheidentum her droht. Es ist traurig genug und beschämend für die Kirche, daß sie dies eingestehen muß; denn wenn ihre Haltung stark wäre und in sich selbst ein Erweis des Glaubens und der Kraft, dann brauchte sie die Gefahr nicht zu fürchten. Daß heute weite Kreise unseres Volkes der Versuchung des Neuheidentums erliegen und schon lange erlegen sind, ist ein Beweis dafür, wie gering der Einfluß der Kirche geworden war und ist - ein Beweis aber auch dafür, wie arm unser Volk an inneren Gütern geworden sein muß, wenn es seine Zuflucht ernstlich beim Heidentum sucht!

LeerDenn was ist das Neuheidentum? Was will es sein? Darauf gibt es zunächst eine Antwort im Negativen: es will nicht Christentum sein; warum? Weil das Christentum die Verantwortung tragen soll für alle Schäden der Volksseele, weil es die deutsche Art überfremdet haben soll mit semitischen Einschlägen, weil es dem deutschen Menschen den Glauben an sich selbst und die Kraft seines schöpferischen Willens geraubt habe und raube und ihn zum Knecht erziehe anstatt zum Herrn über sich selbst und sein Schicksal.

LeerDazu gesellen sich historische Betrachtungen: Das Christentum wird verantwortlich gemacht für eine verhängnisvolle Fehlentwicklung der deutschen Geschichte; es habe den germanischen Volkscharakter verfälscht, habe ihn Rom hörig gemacht, sei verantwortlich für die Kraftvergeudung der italienischen Kaiser - und uferlosen Kreuzzüge; das Christentum habe die Spaltung des deutschen Volkes in zwei und mehr sich bekämpfende Konfessionen verschuldet und also die Volkwerdung verhindert und mit ihr die Bildung eines einheitlichen, in sich ruhenden Reiches.

LeerDarum fort mit dem Christentum, ist die Parole; und an seine Stelle den deutschen Glauben, den deutschen Gott! Artgemäß sei die Religion der Deutschen, das ist die erste Forderung; im Volkstum verwurzelt, die zweite: Glaube sei sie, inbrünstiger Glaube an das deutsche Volk und seine ewige Bestimmung und damit an den Gott, der dieses Volkes Schöpfer und Erhalter ist! Und weil dieses Volk ein innerlich freies und hochgemutes, von keinem Schicksal zu überwindendes ist, weil seine innerste Natur die Freude an männlichem Kampf und heroischer Lebensgestaltung ist, darum bedarf es keines Mittlers, keines Heilandes, sondern ist selbst sein Heiland, wenn es zu den Urwesenheiten seines Blutes erwacht und den Mut hat, sich zu sich selbst zu bekennen. Ein solches Volk tritt stolz im Bewußtsein seiner Kraft vor seinen Gott, dessen Wohlgefallen auf ihm ruht, der sich zu seinem Volk bekennt, wie sich das Volk zu ihm!

LeerDas etwa ist der Grundzug deutschen neuheidnischen Glaubens. Weil er aber ein wirklicher Glaube ist, und ein edler Glaube, würdig eines freien Mannes und Volkes, darum ist er so verlockend für Viele, und wahrlich nicht für die Schlechtesten! Und weil er getragen ist von echter Leidenschaft, in engstem Bunde mit nationaler, völkischer Gesinnung und dem Freiheitsstreben eines ganzen Volkes, darum ist er so gefährlich für den christlichen Glauben, der mehr verlangt als den Glauben an sich selbst, das eigene Volk und den Gott dieses Volkes und damit weniger für das Bewußtsein der Anhänger des deutschen Glaubens!

LeerDenn für sie ist das Volk und sein Gott der Inbegriff alles dessen, was glühender Hingabe bis zur Selbstaufopferung wert ist; wer diese Werte in Frage stellt, versündigt sich am Heiligsten der Nation. Aber stellt das Christentum sie wirklich in Frage? Es verkündet wahrhaftig seinerseits den Glauben an den Gott, der die Völker der Erde geschaffen hat und erhält und den Menschen verpflichtet, Dienst zu tun mit leidenschaftlicher Seele an dem Volk, in das Gott ihn gewiesen hat - aber es verkündigt allerdings nicht den Glauben an den besonderen Gott eines besonderen Volkes. Denn damit fiele es zurück auf den vorchristlichen Standpunkt der Vielgötterei - einen Standpunkt, den schon die Propheten bei dem jüdischen Volke bekämpft haben! Nichtsdestoweniger kennt es den Gott, der Herr ist über ein jedes Volk und jedes in seiner Weise mit besonderen Gaben und Berufungen ausgestattet hat - aber es weist den Gedanken zurück, daß Gott in alttestamentlicher Weise einem bestimmten Volke besonders verpflichtet sei.

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LeerDas Christentum weiß etwas von dem Gott, der sich nichts abhandeln läßt und durch keine unserer Tugenden und keines unsrer Verdienste dazu bewogen werden kann, sich zu irgend einem Volke besonders zu bekennen; es weiß etwas von dem Gott, der Völker erhöht und erniedrigt, der nicht nach den Maßstäben menschlicher Gerechtigkeit und menschlicher Ansprüche regiert, sondern Seine eigenen Wege geht, und oft genug in unerforschlichem Dunkel! Es weiß davon, daß kein Mensch und kein Volk durch die Höhe seiner Sittlichkeit und den Adel seines Geistes die Gunst des lebendigen Gottes erwerben kann, weil das alles, so köstlich es ist, ja nichts anderes ist als Seine Gabe, Sein Geschenk; erfüllt ein Volk seinen innersten Beruf, so ist es ein unnützer Knecht, der getan hat, was er zu tun schuldig war und keinen Anspruch darauf hat, als „Sohn” im Hause des Vaters zu leben. Das Christentum weiß, daß aller Drang der Menschen und der Völker, ans sich selbst und eigener Machtvollkommenheit etwas vor Gott bedeuten zu wollen, eine Überschreitung der Grenzen des Menschlichen ist, indem der Mensch dann nicht bedenkt, wer Gott und wer er selber ist, und in titanenhaftem Übermut sich Gott gleichstellen zu dürfen meint.

LeerWie aber käme der Mensch dazu? Der christliche Glaube vermag den Optimismus und Idealismus nicht zu teilen, mit dem das Neuheidentum auf den Menschen schaut, sondern mit unbestechlichem Realismus nimmt es den Menschen, wie er ist und weiß um die Gebrochenheit auch des idealsten und heroischsten Willens. Es weiß, daß der völkische Glaube es war, der den Heiligen Gottes ans Kreuz schlug; es weiß von der furchtbaren Verblendung, in die der Glaube an die eigene Vollkommenheit und Güte führt!

LeerUnd damit weiß es von dem Sinn des Kreuzes, das über allen Völkern der Erde aufgerichtet steht, und von der Notwendigkeit der vergebenden Gnade Gottes, ohne die all unser Tun umsonst ist, auch in dem besten Leben. Weil es aber durch solche Haltung das Ethos des heidnisch-völkischen Glaubens verneint, weil es die ungebrochene Leidenschaft des völkischen Willens dämpft, weil es die Fragwürdigkeit alles menschlichen Tuns nicht einen Augenblick leugnen kann, darum erscheint es dem Neuheidentum verdächtig und gefährlich, darum ist es jeder Mißdeutung und Verächtlichmachung vonseiten Jener ausgesetzt, die sich doch gerade vermessen, aus Idealismus für Wahrheit und Freiheit zu streiten!

LeerHier aber wird offenbar, warum das Christentum vor dem Neuheidentum warnen muß: weil es letztlich nicht auf die Höhe, sondern in die Niederungen führt. Weil sein Idealismus nicht ausreicht, ein Volk zu erneuern, weil sein inbrünstiger Glaube an den völkischen Gott nicht vorwärts und hinaufführt zu unerstiegenen Höhen, sondern zurück auf die Stufe einer Religion, die tausendmal im Lauf der Geschichte gerichtet ward und auch dem deutschen Volk in gegenwärtiger Zeit nicht die Erlösung, sondern nur Enttäuschung und schließlich Verzweiflung bringen muß.

LeerWeil wir das wissen, darum schauen wir mit banger Sorge auf die Fortschritte des Neuheidentums. Wir kennen seine Gefahr, die nicht zum wenigsten darin begründet liegt, daß seine Lehre dem natürlichen Menschen mit seiner Selbstgefälligkeit und seinem naiven Glauben an die eigene Vollkommenheit so weit entgegenkommt; aber gerade, weil wir unser Volk lieben und es vor einem neuen seelischen Zusammenbruch bewahrt sehen möchten, darum halten wir das Banner des Christentums hoch in dem Bewußtsein, nur durch die Predigt vom Kreuz Jesu Christi und die Erlösung, die durch ihn geschehen ist, das deutsche Volk in die letzten Tiefen des Lebens zu führen und ihm zu helfen, über der eigenen Ehre nicht Gottes Ehre und damit sich selbst in Frage zu stellen.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 109-111

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-03
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