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Vorchristliches und nachchristliches Heidentum
von Wilhelm Thomas

LeerDie in der Kirche Gottes geborgene Schar der Jünger Christi schaut hinaus auf das Völkermeer, das sie umbrandet, und sie erkennt zweierlei Strömungen im Gewoge der Menschheit: hin zu Christus und von Christus fort. Das vorchristliche Heidentum ist in einer Bewegung auf Christus zu; in allen Zeiten und Zonen ist eine Vorbereitung und Zurüstung auf den, der allen Völkern zum Herrn gesetzt ist. Die aber, die Anteil an Christus gewonnen hatten und haben sich wieder abgewandt: das ist das nachchristliche Heidentum: ein Zurücktasten in die schrankenlose Weite des Anfangs, in der aber nun statt der Erwartung Christi die unerbittliche Feindschaft gegen ihn und seine Kirche lebt. Wäre Christus nur ein menschlicher Gedanke, .so könnte es im Grunde gleich sein, ob ein Mensch diesem Gedanken fernsteht im Jahre 200 vor Christus oder im Jahre 2000 nach Christus. Nun aber ist Christus das allerwirklichste und wirksamste Ereignis der Weltgeschichte, die Erde ist durch seinen Kreuzesweg und sein Auferstehen verwandelt; darum ist es zu tiefst etwas anderes, ob man um ihn nicht wissend ihm entgegengeht, oder ob man ihn ablehnend vor ihm flieht.

Leer„Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker” - hier sendet Christus die Seinen in die alte Welt gläubigen Heidentums. „Die Heiden werden kommen, zu suchen den Herrn” - das ist die Verheißung, auf die hin wir es wagen dürfen, den Befehl des Herrn in Angriff zu nehmen. Der Glaube der Heiden ist nicht eitel Menschentand, Gott hat ihnen eine Vorahnung des Heils geschenkt: „er ließ sich nicht unbezeugt unter ihnen”. Das alte Heidentum weiß von der Ohnmacht des Menschen und von einer Übermacht, der es zu begegnen sucht und dann doch immer wieder in hilfloser Unterwerfung huldigt. Aber es läßt sich bei aller Ohnmacht dies nicht nehmen: daß es immer wieder hofft und dankbar nimmt, was ihm geschenkt wird. Kindlich zu jauchzen in der Stunde der Freude und dann wieder in Angst zu ersterben, wenn Schrecken drohen, das ist seine Art. Wenn solche Heiden Christen werden, dann müssen sie vieles „verbrennen, das sie angebetet haben”. Und doch werden ihre Hoffnungen nicht zerstört, sondern erfüllt und überboten. Was das Heidentum glaubte, das war nicht unsinnig, sondern nur verzerrt unter dem Einfluß der Sünde. Die Sünde bleibt aber auch im Christenleben eine unheimliche Macht, nur darf sie das Eine, das not tut, nicht mehr zerstören: das Wissen um den einen Schöpfer und Erlöser, von dem und durch den und zu dem alle Dinge sind. „Tut Buße” steht am Tor der Kirche. Aber dies „Tut Buße” heißt: Kehrt um zu dem verborgenen Ursprung alles Lebens, aus dessen Hand ihr nicht entflohen seid, auch als ihr ihn vergaßet.

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LeerGanz anders das Heidentum derer, die bei Christus waren und sich nun von ihm wenden. Die Freiheit, die dem Menschen geschenkt ist, abzuirren von Gott, hört auch in der Kirche nicht auf. Sie kann dahin führen, daß das Glied am Leibe Christi sich von ihm löst und sich eine von Christus abgewandte Welt aufzubauen sucht. Es gibt für dieses neue Heidentum keine allgemeine Verheißung, wie für das alte. In seiner Art liegt nichts, das es mit dem Glanz kindlicher Erwartung umgäbe. Gewiß, Gott kann auch einen verlorenen Sohn wieder zur Buße rufen und annehmen, und die Freude über ihn ist groß. Aber wenn alle Fasern des Wesens erst einmal unser vielen Schmerzen sich von Christus gelöst haben - der von Christus Abgefallene mag sich als „Gottloser” brüsten oder die Frömmigkeit des alten Heidentums wiederzugewinnen suchen: um zu Christus nein sagen zu können, muß er sich selbst auf den Thron erheben. Er kann mit aller Beteuerung der Gottlosigkeit nicht davon los, daß Gott lebt und er gegen Ihn den Kampf führen muß. Und er kommt mit aller Beteuerung seiner Gottesfurcht nicht darum herum, den Aufstand des entwurzelten Verstandes gegen Gott und gegen alle Götter mitzumachen und alles zu leugnen, was nicht seinem eigenwilligen Ich entströmt und untertan ist.

LeerDer verlorene Sohn im Gleichnis findet keinen Seelsorger, er muß aus eigenem, durch diese Not hindurch, heimfinden. Wer hat die Sendung zu den neuen Heiden, den Auftrag, ihnen noch einmal das Heil anzubieten? Man kann Dämme aufwerfen und Gräben ziehen, damit die neuheidnische Geisteshaltung nicht um sich fresse und Tausende von Unentschiedenen und Ahnungslosen ergreife - was sind alle Schriften unserer Tage gegen das Neuheidentum anderes als solches Gräbenziehen, als solches Herausarbeiten des Gegensatzes? Aber kann man unter den Abgefallenen missionieren? Hak die Christenheit eine Verheißung, daß die aus ihren Schranken Ausgebrochenen jemals zu ihr zurückfinden? Und wenn schon Hunderte zurückkehrten -wird ein Volk, das sich christlicher Ordnung unterworfen hatte, je wieder als Ganzes christlich, wenn es sich einmal geteilt hat in Kirche und Nichtmehr-Kirche?

LeerAber vielleicht stehen sich die Dinge in der Wirklichkeit nicht so scharf gegenüber, wie wir es hier sehen. Vielleicht hängen vorchristliches und nachchristliches Heidentum doch enger zusammen als es zunächst erscheint. Erinnern wir uns der Christianisierung Deutschlands. Die Bekehrung der Germanenstämme ist nicht in einer rein geistlichen Welt geschehen, sondern in engster Verkettung mit Machtkämpfen und Kultur-Zusammenstößen. Nationales Erbgut rang mit der Zivilisation der Mittelmeerländer. Wandernde Stämme kämpften mit ansäßigen Völkerschaften. In der Kirche selbst rangen verschiedene Richtungen und Strömungen mit einander. Im steten Wechselspiel mit allen diesen Auseinandersetzungen vollzog sich die Taufe des deutschen Volkes. So viel immer der missionarische Wille der Sendboten und der Eroberer getrübt gewesen sein mag durch irdische Ziele, ebenso weit blieb das Ergebnis ihrer Arbeit hinter einer echten Überwindung des Heidentums zurück. Große Zugeständnisse an unüberwundene Zaubermächte und an eine Geisteshaltung, die dem Alten Testament näher verwandt war als dem Neuen, haben dahin geführt, daß man nicht sagen kann: das vorchristliche Heidentum ist eines Tages zu Ende gewesen. Vielmehr hat das Neuheidentum ein gewisses Recht dazu, zu betonen, daß die christlichen Jahrhunderte das Heidentum nie ganz ausgerottet haben. Mögen Wodan und Donar gestorben sein - ein Rest heidnischer Verehrung der Urgewalten des Lebens ist im deutschen Blut lebendig geblieben, vor allem in der Frömmigkeit des Bauern. Alle Empörungen in der Kirche und gegen die Kirche zehren in Deutschland von diesem heidnischen Erbe. Auch in dem neuen Heidentum unserer Tage steckt hinter der literarischen Maske, die aus dem Rationalismus und dem Antichristentum der Moderne stammt, etwas von bluthafter Gesundheit und Urwüchsigkeit und damit von der echten Ehrfurcht des alten Heidentums - und das heißt dann: von Erlösungsfähigkeit und Empfänglichkeit für die christliche Botschaft.

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LeerAber es gilt auch das Umgekehrte: Wohin heute der Heidenmissionar kommt, trauend auf die Verheißung, die dem vorchristlichen Heidentum gegeben ist, da findet er es untermengt mit dem nachchristlichen Heidentum und Unglauben der Zivilisationswelt. Wo er die Dämonen durch Christus bannen will, sind sie schon von der Aufklärung des weißen Mannes in die Schlupfwinkel verscheucht. Wo er die uralte Volksordnung reinigen und zurechtrücken möchte um die Gottessippe zu bauen, greifen die Kolonisationsmächte dazwischen und ersetzen den Glauben an Gott durch die Ehrfurchtslosigkeit derer, die auf Gold, Schlauheit und Waffengewalt trauen; ersetzen gewachsene Ordnungen durch technische Organisation und Gewaltherrschaft.

LeerMau könnte geneigt sein zu sagen: überall auf der Welt umgeben uns vorchristliches und nachchristliches Heidentum zugleich. Ja wir selber sind nicht davon ausgenommen, daß uns beides anhaftet: altes und neues Heidentum. Mit jedem Kinde wachsen unter uns natürliche Glaubenskräfte, natürliches Wissen um gute und böse Mächte, natürlicher Trotz und natürliche Verzagtheit auf, und dann türmen sich mit jedem Jahre der Reife in uns die Argumente der Abwehr aus tausend Enttäuschungen, die wir im Raum der Kirche erfahren. Nie stirbt das alte Heidentum ganz aus und nirgends gibt es eine Sicherung gegen das neue.

LeerAber so wenig beides äußerlich geschieden ist, so sehr müssen wir beides unterscheiden, so sehr müssen wir uns klar werden, daß wir an zwei Fronten kämpfen. Ratloser, ohnmächtiger fühlen wir uns gegenüber dem zweiten Heidentum. Denn es ist eine rückfällige Krankheit, und mehr als das. Es ist uns, als könnte es nur davon leben und auch nur daran genesen, daß in ihm noch etwas von dem ersten, von dem frommen Heidentum der Urzeit lebt und vielleicht einmal stark wird und den Geist des Unglaubens überwindet, dann würde auch das neue Heidentum Anteil gewinnen an der Verheißung des alten. Wenn wir das Schicksal unseres Volkes überdenken, die Mängel seiner Missionierung, die Schäden seiner Kirche, die unheimliche Gewalt des Widerchrist in den kritischsten Stunden seines Weges - dann wird unser Missionswille geläutert und geheiligt werden; dann werden wir beten, daß wir Werkzeuge würden, durch die Gottes Name geheiligt werde und sein Reich komme in unsrem Volke und in allen Zeiten und Zonen, bei denen, die ihn nie voll erkannt, und auch bei denen, die ihn verloren haben.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 112-115

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-03
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