|
von Walter Uhsadel |
Die beiden ersten Worte dieses Themas stellen uns vor eine der schwierigsten Fragen, die unserm Denken gestellt sind, eine Frage, die in vielfältiger Abwandlung wiederkehrt: Wo sollen wir das entscheidende Schwergewicht unseres Lebens suchen, im freien oder im unfreien Willen, in dem Verhängnis, das über uns zu walten scheint oder dem Willen zur Selbstbehauptung, in dem Los, das uns gefallen ist oder dem Streben, das uns beseelt, in der Naturnotwendigkeit, mit der unser Leben abzulaufen scheint oder der Macht der Persönlichkeit, die es gestaltet, in der Lebensangst, die uns jagt, oder dem Trotz, mit dem wir uns aufbäumen, im Zufall, der mit uns spielt, oder unserer Willkür, in dem Fluche, der auf uns lastet, oder dem Segen, den wir uns zu erkämpfen meinen, in dem, was wir sollen, oder was wir sind und haben? Ob es überhaupt möglich ist, Antwort auf dieses Fragen zu geben und das Knäuel, das sie darstellen, zu entwirren? Und wenn es möglich ist, es zu entwirren, ob dann nicht zwei Fäden herauskommen - Schicksal und Schuld - und alle Bemühungen, sie mit einander sinnvoll zu vereinen, sie zu einer schönen, glatten Schnur zusammenzudrehen, mißlingen, weil sie immer wieder auseinanderspringen? Wer den Knoten lösen will, muß jedenfalls mit großer Geduld darangehen. So wollen wir zunächst einmal das eine Ende anfassen und fragen: W a s v e r s t e h e n w i r u n t e r S c h i c k s a l ? Wir brauchen das Wort Schicksal fast nur im negativen Sinne, in Redewendungen wie „das ist nun einmal mein Schicksal” oder indem wir reden von dem harten, traurigen, unerbittlichen Schicksal. Wir meinen damit eine Fessel, die uns angelegt ist, einen Bann, unter dem wir unausweichlich stehen. Und in der Tat scheint ja unser Leben unbarmherzig festgelegt zu sein. Wir können den Menschen sehen als „Naturwesen” - ist er dann nicht völlig abhängig von den Naturmächten, unter denen er lebt, Blut, Boden, Himmelsstrich und allem, was damit zusammenhängt? Wir können ihn sehen als Gemeinschaftswesen - ist er dann nicht ohne Gnade hineinverflochten in das Leben seiner Familie, seines Volkes, in die Geschichte, das Geschehen, das sich an dem größeren Ganzen, dem er zugehört, vollzieht? Wir können ihn schließlich auch sehen als Einzelwesen - ist er als solches nicht das Ergebnis einer vielfältigen Ahnenschar, die sein Wesen bestimmt? Kann er aus seiner Haut heraus? Hat er nicht seinen Charakter, das Gepräge seines Wesens, wie seinen Körperbau unabänderlich mit auf den Weg bekommen? Muß er nicht mit allem, was er tut sagen: „Ich bin nun einmal so”? So sehr wir geneigt sein mögen, uns so festgelegt zu sehen, um uns damit ent-schuldigen zu können, so erschreckend ist es doch für jeden, wenn er darin ernst genommen und ihm gesagt wird: So bist du. Er merkt dann, daß der, der da aus ihm heraus spricht „Ich bin” gar nicht jene wohl geordnete bürgerliche Fassade ist. Er hat das Empfinden: ich bin ein Abgrund mit tausend Möglichkeiten und bin der Spielball dieser Möglichkeiten. Ich bin gar nicht so festzulegen und bei einem endgültigen „So bist du” festzuhalten. Im alten China hat man davon gewußt: Der Mensch besteht aus den wirkenden Kräften des Himmels und der Erde. Er besteht aus der Vereinigung eines Kwei und eines Schen, sie aber sind die feinsten Teilchen von Yin und Yang, Himmel und Erde. So ist er ein Widerspiel unergründlicher Mächte, die er in seine Gewalt zu bekommen trachten muß. In Indien nennt man das Gleiche „alle Götter”. In unserm Leibe wirken alle Götter als Kräfte. Sie sind uns nicht untertan, sondern führen ein eigenwilliges Dasein. Der Mensch aber versucht im Yoga dieser Götter Herr zu werden. Indem der Mensch nun aber danach trachtet, aus sich selbst heraus der Dämonen Herr zu werden, erlebt er schwere Zusammenbrüche. Er weiß sich von etwas besessen, belastet, versucht, umgarnt. Er kämpft dagegen unter Aufbietung aller Kräfte, die er in sich zusammenrafft; er fühlt, daß es vergeblich ist, er flieht, er wendet sich ab, macht die Augen zu, steckt den Kopf in den Sand, versucht zu vergessen - und hinterrücks überfällt es ihn wieder. Und je mehr er kämpft, desto mehr scheinen die unheimlichen Gewalten zu wachsen, um ihn schließlich zu übermannen. Dann sagt er: Es ist mein Schicksal, ich bin nun einmal so einer, ich bin ein geborener Pechvogel. Wir nennen das F a t a l i s m u s . Der Mensch fühlt sich unter einem Verhängnis, unter einem Los, das ihm geworden ist, einer grausamen Naturnotwendigkeit, einem Fluch, zur Ohnmacht verdammt. Aber es bleibt ihm dennoch eine Ahnung, baß der Bannkreis des Verhängnisses nicht geschlossen ist, daß irgendwo doch noch die Möglichkeit einer Frage, eines „Einwandes” besteht. Es bleibt trotz aller fatalistischen Resignation in ihm eine a n k l a g e n d e u n d r i c h t e n d e Instanz lebendig. „Es ist ein Mensch hier innen, der mir zürnt”. Und ein solcher Mensch ist nicht nur „hier innen”, sondern um ihn her sind viele Menschen, die ihm zürnen. Sie greifen ihn an, sie rütteln ihn, sie mahnen, sie beschwören ihn, sie klagen an, s i e s u c h e n n a c h s e i n e r S c h u l d . Der Mensch aber verstockt sich dagegen. Aber es schreit in ihm nach Hilfe; denn gegen den Richter „hier innen” kann er sich nicht so verstocken. Und es kann auch der Richter in ihm, wie die da draußen, lieblos sein oder bewegt von einer falschen, nicht echten, strengen, hilfreichen Liebe. Auch er kann rufen wie die Menschen ringsumher: Du mußt trotzen, deine Energie aufbieten, mußt eine Tat wagen, den Segen erkämpfen, das Gute in dir nähren und entwickeln. Diesen Appell an den Menschen nennen wir M o r a l i s m u s . Tut der Fatalismus so, als ob der Kreis des Schicksals endgültig geschlossen sei, so der Moralismus, als ob der menschliche Wille die Schuld ausscheiden und den Kreis des Lebens gegen sie abschließen könne. Aber es läßt sich nicht alles als „Schicksal” erklären. Der Mensch selbst wehrt sich dagegen. Er weiß, daß er dann erst wirklich aus dem Leben ausgestoßen wäre, wenn man mitleidig oder höhnisch von ihm sagen könnte, er sei einer, „der nicht dafür kann”. Das französische Sprichwort: „Tout comprendre, c'est tout pardonner” ist eine Unbarmherzigkeit. Der Mensch, der dem Leben zugewandt ist, will „dafür können”. - Es ist aber auch nicht möglich, alles an den Willen des Menschen zu verweisen: „Wo ein Wille ist, da ist ein Weg”. Wo ein Wille ist, da braucht noch lange kein Weg zu sein. Da kann es ungezählte Hemmungen und Hindernisse geben, an denen der Mensch scheitert. Die beiden Linien, Schicksal und Schuld, oder anders: blindes Schicksal und ohnmächtiger Wille, lassen sich so nicht zueinanderbringen. Fatalismus und Moralismus sind unvereinbare Gegensätze. Und doch fühlen wir, daß die beiden mächtigen Tatbestände unseres Lebens, die wir mit den Worten „Schicksal” und „Schuld” zu bezeichnen versuchen, zusammengehören. Es muß einen schmalen Grad geben, in dem sie sich vereinigen, einen Pfad, den wir beschreiten sollen, während es rechts und links in die Niederungen des Fatalismus und Moralismus hinabgeht. Wer in die Niederungen geraten ist, sieht die andere Seite nicht. Wer aber den schmalen Weg geht, der sieht beide und gibt ihnen auch das Recht, das einem jeden zukommt, ohne einem der beiden zu verfallen. Es ist nicht leicht, diesen schmalen Weg zu gehen, aber er ist der Weg zum Leben: „Gehet ein durch die enge Pforte; denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis abführet, und viele sind ihrer, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führet; und wenige sind ihrer, die ihn finden” (Matth. 7, 13-14). Dieses Wort der Bergpredigt darf nicht moralistisch mißdeutet werden. Es spricht von dem Wege des Glaubens, dem Wege des Gehorsams, der da spricht: Dem Wille geschehe. Wollen wir noch einmal auf das am Anfange gebrauchte Bild zurückgreifen, so könnten wir uns erinnern, daß zwei Fäden sich eben nur so lange zu einer Schnur vereinen lassen, wie sie an beiden Enden festgehalten werden. Sobald das eine Ende losgelassen wird, lösen sie sich auf. Den schmalen Weg der Sendung und Berufung zu gehen, das heißt Gott zu „glauben”. Nun kann aber der Mensch „entfallen von des rechten Glaubens Trost” (wie es in dem von Luther gedichteten letzten Verse des Liedes „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen” heißt). Er kann hinabgleiten in die Niederungen des trost-losen, weil gott-losen Fatalismus oder Moralismus, in die Schicksalsgläubigkeit oder den Eigenwillen und Eigensinn, die in die „Verdammnis”, ins Nichts, in die Sinnlosigkeit führen. Das aber ist die Verdammnis, daß er in beiden Fällen sich den „tausend Möglichkeiten”, „allen Göttern” (die er neben Gott nicht haben soll), den Geistern der Unterwelt, die in ihm und um ihn lauern und rumoren, preisgibt: „Ich heiße Legion, denn unser sind viele” (Marc. 5, 9). Und alles wird zum Dämon, was von Gott losgerissen ist, auch die höchsten, edelsten, „heiligsten” Güter. Darum: „Ärgert dich dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe, als daß der ganze Leib in die Hölle geworfen werde” (Matth. 5, 29). Der Weg des Lebens ist der Weg im Gehorsam des Glaubens. Darum kann der, von dem es heißt, „er ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz (einem vom Schicksalsgedanken her unfaßlichen und sinnlosen Tode)”, darum kann er von sich sagen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, denn durch mich” (Joh. 14, 6). Und darum mahnt Paulus: „Nehmet gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam Christi” (2. Kor. 10, 5) und kann sagen: „Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen” (Röm. 8, 28), „Gott ist es, der in uns wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen” (Phil. 2, 12), „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen” (Röm. 9, 16). *: Anmerkung: Eine der wesentlichsten Aufgaben, die uns heute gestellt sind, ist die, dem Gebildetem zu einer Klärung der Begriffe zu helfen und ihm dadurch das Tor zu einem Verstehen der geistlichen Sprache aufzutun. Dieser Aufsatz gibt in knapper Form einen Gemeindevortrag aus einer Vortragsreihe wieder, in der versucht wurde, diese Aufgabe anzugreifen. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 119-124 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 16-02-03 Haftungsausschluss |