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Fragen des neuen Heidentums an die Kirche
von Hermann Schwemer

LeerBeim Lesen des gegen den christlichen Glauben gerichteten Schrifttums unserer Tage fällt immer wieder eine Tatsache besonders ins Auge: Was jene Gegner des Christentums so leidenschaftlich bekämpfen, ist weithin ein Zerrbild wahrhaft christlicher Haltung. Man wird das aber nicht durchweg als bösen Willen und listige Kampfesweise auffassen dürfen. Es ist zu deutlich, daß solche Menschen in ihrer christlichen Vergangenheit tatsächlich ein Zerrbild der Kirche und echten biblischen Glaubens vor Augen gehabt haben müssen. Es ist deshalb auch nicht richtig, solche Irrtümer einfach zurückzuweisen und die Gegner zur Auseinandersetzung mit einer echten Gestalt christlichen Glaubens aufzufordern. Diese echte Gestalt dürfte dann nicht nur in Büchern beschrieben werden, sondern müßte leibhafte Wirklichkeit sein. Einer Kirche, die ihr Pfund vergraben hat, gilt jedenfalls die Verheißung nicht, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden.

LeerDas soll nicht heißen, als könne durch Ausprägung echter Kirche der Angriff auf einmal zum Stehen gebracht werden. Im Gegenteil wird dann der Kampf erst die ganze Schärfe erhalten. Aber er wird fruchtbar fein, während eine Kirche, die selber den Irrtümern der Zeit verfallen ist und nur noch um ihren Bestand kämpft, keinen geschichtlichen Auftrag mehr hat. Es soll im Folgenden an drei Punkten gezeigt werden, wie die Gefahren moderner Geistesentwicklung in tiefstem Zusammenhang stehen mit Verfälschungen der zentralen christlichen Botschaft und deshalb auch nur von dieser wiedergewonnenen lebendigen Mitte her wirksam bekämpft werden können.

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Leer1. Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch den Versuch, die öffentliche Autorität wieder aufzurichten. Seitdem der Staat aufgehört hatte, sich als göttliche Stiftung im Sinne von Römer 13 zu fühlen, und alle Lebensgebiete, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft sich „emanzipiert” hatten, war das Problem gestellt. Auf dem Boden der modernen Diesseitigkeit sucht man es heute so zu lösen, daß man innerweltliche „Werte” absolut setzt und aus ihnen allgemein verbindliche Maßnahmen und Ordnungen herleitet. Die öffentliche Autorität der Kirche ist damit entscheidend in Frage gestellt. Sie kann ja grundsätzlich nur in zwei Formen auftreten. Entweder sie wird als geistliches Lehramt von der gesamten Öffentlichkeit anerkannt im Rahmen eines in diesem Sinne als „christlich” zu bezeichnenden Staates. Diese Möglichkeit hat die moderne Entwicklung zerstört. Oder ste tritt als prophetisches Wort, als göttliche Störung, ganz von außen her an eine vermeintlich in sich ruhende Welt heran. Zu dieser Möglichkeit ist das heutige Kirchentum weithin außerstande. Es muß sich widerstandslos die Rolle zuweisen lassen, die ihm die moderne Diesseitigkeit gibt, die des religiösen Privatvereins. Warum kann es sich nicht wehren? Weil es in der Kirche selbst kaum noch das „Wort” in der ursprünglichen Bedeutung gibt. Weil die Predigt mit dem Wachsen der individualistischen Frömmigkeit mehr und mehr zur privaten Meinungsäußerung eines religiösen Menschen wurde. In Zeiten individualistischer Auflösung war diese Meinungsäußerung eine unter tausend anderen, mehr oder weniger interessant, aber auf jeden Fall unverbindlich. Heutzutage kann ste nur entweder in den Dienst der menschlichen Weltanschauung, die den Totalitätsanspruch erhebt, treten, oder muß als lästiges Dazwischenreden unbequemer Einzelwesen empfunden werden.

LeerDie Frage, ob unsere Zeit das vollmächtige Wort Gottes hört, ist deshalb nicht nur an Zeit und Welt gerichtet, sondern auch an die Kirche. Erst muß die Kirche selbst wieder als eine Größe in Erscheinung treten, die vor dem Einzelnen da ist und ihm einen Gottesauftrag auszurichten hat. Und so hängt die Entscheidung darüber, ob unsere Zeit das echte „Wort” hört, davon ab, ob es zunächst einmal innerhalb der Kirche gehört wird. Und das wiederum hängt nicht nur von den Predigern ab. Wir können noch so viel und so richtig predigen und gepredigt bekommen, wenn nicht die Gemeinden allmählich lernen, darin nicht persönliche Meinungsäußerung eines Individuums zu sehen, sondern auftragsgemäßes Ausüben einer Funktion an dem Gesamtleib, zu dem auch der Hörer gliedmäßig gehört, dann wird weiterhin alles als unverbindliche persönliche Meinungsäußerung genommen werden. Es gilt deshalb zunächst einmal zu zeigen, daß Sünde identisch ist mit Vereinzelung, Gnade mit Einfügung in den Leib Christi. Es gilt sichtbar zu machen, daß die Kirche mit ihren Ämtern als Stiftung vor dem Einzelnen da ist. Es gilt klar zu machen, daß Gemeinde nicht eine Ansammlung gleichgestimmter Seelen ist, sondern die Schar der Herausgerufenen und zu neuer Einheit Verbundenen.

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Leer2. Wie das religiöse Leben sich in den privaten Bereich zurückziehen mußte, so blieb dem Glauben aus dem Gesamtbereich menschlichen Geisteslebens nur das Gebiet des Gefühls mit seiner angeblich eigenen Welt übrig. Die Welt der objektiven Wirklichkeit wurde dem Verstände und dem Willen überlassen. Aber eine Glaubenshaltung, die sich aus die Irrationalität subjektiven Gefühles zurückzieht, hat damit nicht etwa die Überrationalität Gottes gerettet, sondern im Gegenteil grundsätzlich unsere Subjektivität zum Primären und Gott ebenso zum Produkt unseres Fühlens gemacht, wie die ganze Weltbetrachtung der Autonomie den Menschen selbst zum Schöpfer der Wahrheit und Wirklichkeit macht. Und heute sehen wir nur, daß der religiöse Subjektivismus seine ihm fälschlich noch anhaftende christliche Gewandung abgeworfen und in der Forderung der rassegebundenen Religiosität sein eigenes ihm innewohnendes Wesen entfaltet hat. Auch hierbei wird deutlich, daß wir es bei solchen Erscheinungen nur mit einem Spiegelbild der kirchlichen Entartung zu tun haben.

LeerIn diesem Zusammenhang ist allerdings noch eine weitere sehr wesentliche Erscheinung unseres Zeitalters ins Auge zu fassen. Die k u l t i s c h e  G e s t a l t u n g einer rein subjektiven Religiosität kommt über substanzlose Stimmungsmache nicht hinaus. Wo man sich aber in Kreisen entschlossener Diesseitigkeit in richtigem Instinkt vor bewußten Religionsexperimenten zurückhält, da wird umso stärker, bewußt oder unbewußt, ein säkularistischer Kultus entwickelt, der gegenüber der Pflege subjektiver Feierlichkeit etwas Neues darstellt. Hier wird die Mächtigkeit der Welt, z. B, der Natur oder des Volkes, in kultähnlicher Weise b e g a n g e n. In Form symbolischer Zeichen und Handlungen wird der Mensch in ein objektives Geschehen hereingezogen, nicht etwa steht er in subjektiver Freiheit genießend oder betrachtend einer Darbietung gegenüber. Unter der Maske religiöser Neutralität kann hier der Mensch einschließlich seiner religiösen Inbrunst für eine Haltung absoluter Diesseitigkeit gewonnen und aus der Kirche herausgeführt werden, ohne daß er selber merkt, was hier eigentlich geschieht. Und ist es wider die Eigenständigkeit der Kirche, wenn wir von hier aus die Frage an die Kirche gerichtet fühlen: Wo ist dein Kultus? Die ganze Unzulänglichkeit und traditionslose Willkür unseres bisherigen liturgischen Arbeitens wird hier offenbar. Die Pflege der Feierlichkeit und Schönheit des Gottesdienstes um der entsprechenden subjektiven Empfindungen willen hat mit christlichem Gottesdienst nicht das Mindeste zu tun und stellt nichts als eine hilflose Reaktion gegen die Intellektualisierung des Gottesdienstes durch das Überwiegen der Predigt dar. Kultus ist das Begehen eines Geschehens - nun nicht von Weltmächtigkeiten, sondern des Heilsweges Jesu Christi, der die Welt in die Wandlung durch sich selbst hereinzieht. Auch hierbei wird sichtbar, wie der christliche Kultus, so wie das Werk Christi selbst, über das Persönliche ins Kosmische hineinreicht und so allein imstande ist, den säkularistischen Kultus mit seinen dämonischen Gefahren positiv zu überwinden. Das schuldet die Kirche der Welt, und das Aufkommen eines säkularistischen Kultus ist hier nichts als eine Anklage. Daß unter solchen Voraussetzungen die Stellung des Sakraments ins Zentrum rückt, kann hier nur festgestellt, aber im Rahmen dieser Erörterung nicht weiter ausgeführt werden.

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Leer3. Gegenüber allen Versuchen, die Weltzustände durch menschliche Kraftanstrengung zu vervollkommnen, ist es gewiß nötig gewesen, den absoluten Unterschied zwischen Gott und Mensch zu betonen. Aber man hat damit weithin die Welt umso hemmungsloser einer autonomen, ja atheistischen Ethik überlassen, zum andern aber den Gottesgedanken in eine schwere Krise gebracht. Denn eine Glaubenshaltung, die in gar keiner Weise mehr die im Argen liegende Welt für den Ort des Anbruchs der neuen Schöpfung hält, hat damit nicht nur Gott in der Welt entmächtigt, sondern steht auch für sich selber zu Gott in einem andern Verhältnis. Gott ist auf der ganzen Linie entmächtigt. Das Kapitel von der Heiligung fällt aus. Sie wird wesentlich unrealisierbar, und gerade dadurch wird die eschatologische Spannung auf die Vollendung des Reiches Gottes lahmgelegt. Sie weicht einer Verbannung Gottes in ein oberes Stockwerk, in dem sich nur intellektuell zu fassende Vorgänge hinsichtlich des im unteren Stockwerk lebenden Menschen vollziehen. Von solcher Theologie her kann man den Vorwurf des Neuheidentums nicht entkräften, es handele sich in der christlichen Jenseitsvorstellung um eine Schwäche gegenüber der Weltwirklichkeit. Zwar zeigen die neuen Religionsversuche selber genau die gleiche Flucht vor der Wirklichkeit, denn es ist gleich, ob man das in der Form der Jenseitshoffnung oder in der einer illusionistischen Verklärung des Diesseits tut. Wo aber dem unvollkommenen Weltzustand der Wille entgegengesetzt wird, wo die Illusion des Glaubens an den eigenen Willen doch zunächst einmal Gewaltiges hinstellt und dahinter die Umrisse des babylonischen Turmes sichtbar werden, da ist Gefahr im Verzuge, und da ist die echte christliche Haltung nicht nur nach ihrer Nüchternheit der Wirklichkeit gegenüber gefragt, sondern auch nach ihrer Kraft der Lebensgestaltung. Und man erlebt nur allzuoft, daß eine solche Erwägung abgetan wird als eine Verwechslung des Reiches Gottes mit verbesserten Weltzuständen. Es ist aber Tatsache, daß eine Ablehnung solcher Folgerungen aus vermeintlich eschatologischer Haltung heraus nicht zu irgend einer Durchformung des Lebens etwa im Sinne des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen führt, sondern zu dem Tatbeweis, daß da, wo nicht die Zucht des Heiligen Geistes herrscht, eben die Dämonen der Unordnung und richtungsloser Willkür die Herrschaft antreten. Die Zerfahrenheit des kirchlichen Lebens mit ihren verheerenden Folgen in den beiden letzten Jahren ist dessen Beweis genug.

LeerIn drei Richtungen haben wir verfolgt, wie der kirchliche Zustand durch den Säkularismus und das Neuheidentum in Frage gestellt wird. Der eigentliche Ruf jener Erscheinungen an die Kirche ist, wenn wir sie besser verstehen, als sie sich selber verstehen können, einfach der, wieder in vollem Sinne Kirche Jesu Christi zu werden, anstatt einerseits aus Angst um den Bestand der Kirche sich jeder Zeitströmung anzupassen, andererseits aber in falsch verstandenem Vertrauen auf die überweltliche Kraft der Kirche sich bei dem torsoartigen Zustand der Kirche blasiert zu beruhigen. Wir meinen nicht, daß Einzelmaßnahmen das Entscheidende wären. Das Entscheidende ist, daß der Herr seiner Kirche noch sein Wort und Sakrament gelassen hat und daß wir endlich anfangen sollen, mit diesem Pfund zu wuchern, anstatt es in einem säkularisierten Kirchenbetrieb weiterhin begraben sein zu lassen. Sonst wird der Herr es uns nehmen.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 152-156

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 16-02-03
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