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von Hermann Schwemer |
Beim Lesen des gegen den christlichen Glauben gerichteten Schrifttums unserer Tage fällt immer wieder eine Tatsache besonders ins Auge: Was jene Gegner des Christentums so leidenschaftlich bekämpfen, ist weithin ein Zerrbild wahrhaft christlicher Haltung. Man wird das aber nicht durchweg als bösen Willen und listige Kampfesweise auffassen dürfen. Es ist zu deutlich, daß solche Menschen in ihrer christlichen Vergangenheit tatsächlich ein Zerrbild der Kirche und echten biblischen Glaubens vor Augen gehabt haben müssen. Es ist deshalb auch nicht richtig, solche Irrtümer einfach zurückzuweisen und die Gegner zur Auseinandersetzung mit einer echten Gestalt christlichen Glaubens aufzufordern. Diese echte Gestalt dürfte dann nicht nur in Büchern beschrieben werden, sondern müßte leibhafte Wirklichkeit sein. Einer Kirche, die ihr Pfund vergraben hat, gilt jedenfalls die Verheißung nicht, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. Das soll nicht heißen, als könne durch Ausprägung echter Kirche der Angriff auf einmal zum Stehen gebracht werden. Im Gegenteil wird dann der Kampf erst die ganze Schärfe erhalten. Aber er wird fruchtbar fein, während eine Kirche, die selber den Irrtümern der Zeit verfallen ist und nur noch um ihren Bestand kämpft, keinen geschichtlichen Auftrag mehr hat. Es soll im Folgenden an drei Punkten gezeigt werden, wie die Gefahren moderner Geistesentwicklung in tiefstem Zusammenhang stehen mit Verfälschungen der zentralen christlichen Botschaft und deshalb auch nur von dieser wiedergewonnenen lebendigen Mitte her wirksam bekämpft werden können. Die Frage, ob unsere Zeit das vollmächtige Wort Gottes hört, ist deshalb nicht nur an Zeit und Welt gerichtet, sondern auch an die Kirche. Erst muß die Kirche selbst wieder als eine Größe in Erscheinung treten, die vor dem Einzelnen da ist und ihm einen Gottesauftrag auszurichten hat. Und so hängt die Entscheidung darüber, ob unsere Zeit das echte „Wort” hört, davon ab, ob es zunächst einmal innerhalb der Kirche gehört wird. Und das wiederum hängt nicht nur von den Predigern ab. Wir können noch so viel und so richtig predigen und gepredigt bekommen, wenn nicht die Gemeinden allmählich lernen, darin nicht persönliche Meinungsäußerung eines Individuums zu sehen, sondern auftragsgemäßes Ausüben einer Funktion an dem Gesamtleib, zu dem auch der Hörer gliedmäßig gehört, dann wird weiterhin alles als unverbindliche persönliche Meinungsäußerung genommen werden. Es gilt deshalb zunächst einmal zu zeigen, daß Sünde identisch ist mit Vereinzelung, Gnade mit Einfügung in den Leib Christi. Es gilt sichtbar zu machen, daß die Kirche mit ihren Ämtern als Stiftung vor dem Einzelnen da ist. Es gilt klar zu machen, daß Gemeinde nicht eine Ansammlung gleichgestimmter Seelen ist, sondern die Schar der Herausgerufenen und zu neuer Einheit Verbundenen. In diesem Zusammenhang ist allerdings noch eine weitere sehr wesentliche Erscheinung unseres Zeitalters ins Auge zu fassen. Die k u l t i s c h e G e s t a l t u n g einer rein subjektiven Religiosität kommt über substanzlose Stimmungsmache nicht hinaus. Wo man sich aber in Kreisen entschlossener Diesseitigkeit in richtigem Instinkt vor bewußten Religionsexperimenten zurückhält, da wird umso stärker, bewußt oder unbewußt, ein säkularistischer Kultus entwickelt, der gegenüber der Pflege subjektiver Feierlichkeit etwas Neues darstellt. Hier wird die Mächtigkeit der Welt, z. B, der Natur oder des Volkes, in kultähnlicher Weise b e g a n g e n. In Form symbolischer Zeichen und Handlungen wird der Mensch in ein objektives Geschehen hereingezogen, nicht etwa steht er in subjektiver Freiheit genießend oder betrachtend einer Darbietung gegenüber. Unter der Maske religiöser Neutralität kann hier der Mensch einschließlich seiner religiösen Inbrunst für eine Haltung absoluter Diesseitigkeit gewonnen und aus der Kirche herausgeführt werden, ohne daß er selber merkt, was hier eigentlich geschieht. Und ist es wider die Eigenständigkeit der Kirche, wenn wir von hier aus die Frage an die Kirche gerichtet fühlen: Wo ist dein Kultus? Die ganze Unzulänglichkeit und traditionslose Willkür unseres bisherigen liturgischen Arbeitens wird hier offenbar. Die Pflege der Feierlichkeit und Schönheit des Gottesdienstes um der entsprechenden subjektiven Empfindungen willen hat mit christlichem Gottesdienst nicht das Mindeste zu tun und stellt nichts als eine hilflose Reaktion gegen die Intellektualisierung des Gottesdienstes durch das Überwiegen der Predigt dar. Kultus ist das Begehen eines Geschehens - nun nicht von Weltmächtigkeiten, sondern des Heilsweges Jesu Christi, der die Welt in die Wandlung durch sich selbst hereinzieht. Auch hierbei wird sichtbar, wie der christliche Kultus, so wie das Werk Christi selbst, über das Persönliche ins Kosmische hineinreicht und so allein imstande ist, den säkularistischen Kultus mit seinen dämonischen Gefahren positiv zu überwinden. Das schuldet die Kirche der Welt, und das Aufkommen eines säkularistischen Kultus ist hier nichts als eine Anklage. Daß unter solchen Voraussetzungen die Stellung des Sakraments ins Zentrum rückt, kann hier nur festgestellt, aber im Rahmen dieser Erörterung nicht weiter ausgeführt werden. In drei Richtungen haben wir verfolgt, wie der kirchliche Zustand durch den Säkularismus und das Neuheidentum in Frage gestellt wird. Der eigentliche Ruf jener Erscheinungen an die Kirche ist, wenn wir sie besser verstehen, als sie sich selber verstehen können, einfach der, wieder in vollem Sinne Kirche Jesu Christi zu werden, anstatt einerseits aus Angst um den Bestand der Kirche sich jeder Zeitströmung anzupassen, andererseits aber in falsch verstandenem Vertrauen auf die überweltliche Kraft der Kirche sich bei dem torsoartigen Zustand der Kirche blasiert zu beruhigen. Wir meinen nicht, daß Einzelmaßnahmen das Entscheidende wären. Das Entscheidende ist, daß der Herr seiner Kirche noch sein Wort und Sakrament gelassen hat und daß wir endlich anfangen sollen, mit diesem Pfund zu wuchern, anstatt es in einem säkularisierten Kirchenbetrieb weiterhin begraben sein zu lassen. Sonst wird der Herr es uns nehmen. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934/35, S. 152-156 |
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