Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1936
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Sakrament und Volkstum in Dänemark
von Johannes Tonnesen

LeerBei dem Wort „Erweckung” denken wir Deutsche an den Pietismus. Dänemark hat durch Grundtvig eine ganz anders geprägte Erweckung erlebt.

LeerEr hat sein Volk in eine starke völkisch-nationale Selbstbesinnung hineingeführt, die er selbst eine „Erweckung” nannte. Dazu hatte er durchaus das Recht, denn indem er das Volk zu sich selber rief, lehrte er es, daß die entscheidenden Kräfte, die das Volk vor Gott auf den Platz stellen, auf den es berufen sei, in der christlichen Gemeinde lebendig seien. Sein eigener Durchbruch zum Glauben war heftig und gewaltsam. Dem herrschenden Vernunftglauben hatte er schon heftige Feindschaft geschworen, ehe er selbst Christ war. Und nun meinte er, echtes Glaubensleben sei nur zu finden in den kleinen Kreisen der Stillen im Lande, deren Erweckung zu einem guten Teil auf das volksmissionarische Wirken der BrüDergemeinde zurückging. Mit Grimm sah er, wie diese Stundenhalter von einer engstirnigen Polizei verfolgt und von den rationalistischen Pastoren in ihrem Bibelglauben beunruhigt wurden. Grundtvig sann darüber nach, wie er ihnen helfen könne und empfand sehr bald, daß das Christentum doch wirklich nicht das Aschenbrödel zu sein brauche, zu dem es sich erniedrigte, wenn es sich immer mir verteidigen müsse.

LeerEr machte die Entdeckung, daß das Christentum im Volkstum nicht fortlebe in den einzelnen Bekennern, sondern daß im Volkstum durch das Dasein der um Wort und Sakrament versammelten Gemeinde daß Christuszeugnis geschehe. Darum rief er die Gemeinde auf, sich als Christusgemeinde in der Volksgemeinde dadurch zu bewähren, daß sie sich erstmal als Taufgemeinde vor der Welt bezeuge. Die christliche Gemeinde, so lehrte Grundtvig als Schüler Luthers, soll nicht auf ihren  Z u s t a n d  sehen, sondern auf den  S t a n d , in den sie durch das Sakrament berufen ist. Dadurch, daß sie getauft ist und im Auftrage Christi tauft, ist der Herr bei seiner Gemeinde und wirkt in ihr durch seinen heiligen Geist, daß ihr alle Sorge um den Anspruch Gottes und um alle Verheißungen Gottes in heiliger Unbekümmertheit abgenommen sind.

LeerUnd Grundtvig verwies die Gemeinde auf das Sakrament des Abendmahls, in dem Christus den Taufbund mit der Gemeinde erneuere und immerfort bekräftige.

LeerDiese Gedanken Grundtvigs sind echt reformatorisch. Das Geheimnis ihrer Durchschlagskraft lag in seiner Persönlichkeit. Rückschauend darf man wohl sagen, daß er seinem Volke in entscheidender Stunde als ein Gottesmann gesandt war. Nach den furchtbaren Katastrophen der napoleonischen Kriege, dem Verlust Norwegens, dem zerrüttenden Staatsbankrott, dem Erwachen des nationalen Gedankens allenthalben in Europa, der auf das kleine, um seine Zukunft gebrachte Land übersprang und ihm seinen tiefen Sturg offenbar machte, hat Grundtvig ihm das Vertrauen zu sich selbst wiedergewonnen. Er lehrte das Volk seine Muttersprache und damit die gottgegebenen Eigenwerte des Volkstums. Aber nicht so, daß das kleine Volk sich nun an seiner eigenen Art emporranken solle. Vielmehr lehrte er sein Volk, seinen Glauben nicht zu nähren aus der eigenen Kraft, sondern aus Gott. Daß Gemeinde da sei, in der getauft und das Abendmahl gefeiert werde, das war das Unterpfand, daß Gott trotz allem an diesem Volke sein Heil verwirkliche. An den Sakramenten schenkte Grundtvig seinem aus entsetzlicher Verzweiflung sich erhebenden Volke die heilige Unbekümmertheit des Glaubens.

Linie

LeerUnd so ist es gekommen, daß wir in Dänemark eine lutherische Sakramentskirche im Volkstum finden.

LeerAber es ist gar nicht so leicht, sie zu finden. Wer sich in der dänischen Welt umsieht, wird zunächst erstaunt und erschrocken sein über die tiefen Gräben, die die einzelnen kirchlichen Gruppen im Volk von einander trennen. Wir reisen durch das Inselland und freuen uns über die vielen weißen Zinnen der Kirchen, die die idyllische Landschaft beherrschen. Aber wir erschrecken, wenn wir dann bald die Entdeckung machen, daß sich um diese einzelnen .Kirchen ein so verschieden geprägtes Gemeinde- und Volksleben entfaltet, als seien wir in ganz verschiedenen Ländern. Hier die weltoffenen Grundtvigianer und dort die pietistischen Missionsleute und da wiederum die von englisch-amerikanischem Geist Geprägten mit jenem seltsamen Gemisch von Bibelgläubigkeit und Weltlichkeit.

LeerSie kennen einander nicht, sie haben kaum Gemeinschaft, se befehden einander wohl gar heftig und müssen sich gelegentlich von uns sagen lassen, daß „die anderen” gar nicht so sind, wie sie sie sich vorstellen. So groß sind die Gegensätze und Spannungen, daß wir zu fragen Anlaß haben: aber wie in aller Welt könnt ihr nun doch in einer Kirche sein! Und manchmal erleben wir, daß wir eine sehr überraschende Antwort erhalten, nämlich daß die „Kirche” eben nur ein Zweckverband sei.

LeerAber bald geht uns dann auf, daß doch die sie alle umfassende und mit heiligem Geist erfüllende Kirche da ist. Nicht in den Meinungen der Menschen und ihren Lebensformen und Lebensäußerungen, sondern in der Weise, wie hier und da, sie mögen wähnen, von einander so weit getrennt zu sein, daß sie nicht einmal zu einander rufen können, die Taufe und das Abendmahl gefeiert werden. Da sind sie eines und wissen es wohl nicht einmal!

LeerIm Volkstum aber wirkt diese Gemeinde, die so wider all ihr Eigenes und Menschliches von Gott gesetzt ist als Trägerin seiner Zeichen, als Verkünderin der Tatsache, daß das Christentum nicht eine Weltanschauung neben anderen ist, sondern die unaussprechliche Gabe Gottes.

Dieser Aufsatz ist der erste Beitrag zu einer größeren Reihe, in der das Thema „Volkstum und Völker in der einen heiligen Kirche” von den verschiedensten Gesichtspunkten aus behandelt werden soll.
Die Schriftleitung


Evangelische Jahresbriefe 1936, S. 139-141

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-28
Haftungsausschluss
TOP