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Die Frauengestalten in der Leidens-, Oster-und Pfingstgeschichte
von Rose Matz

LeerAls Jesus seinen Leidensweg beschreitet, Galiläa verläßt und nach Jerusalem zieht, sind unter denen, die ihm folgen, viele Frauen als stille Begleiterinnen. Es wird nichts weiter von ihnen gesagt, als daß sie ihm dienen, ihm Handreichungen tun mit ihrer Habe. Aber es kommt die Zeit, in der Jesus nicht mehr erreichbar für sie ist. Da stehen die Frauen nur noch von ferne und schauen zu. Sie verharren in äußerer Untätigkeit, sie warten, was da werden soll aus dem unbegreiflichen Geschehen, dessen stumme Zeugen sie sind. Während die Männer, die Jesus gefolgt sind, hineingerissen werden in die Kämpfe, während sie mitgehaßt und mitverfolgt werden, während Verrat und Verleugnung in ihre Reihen einbricht, während sie ihr Leben einsetzen für ihren Herren, ziehen die Frauen still ihres Weges weiter und werden zum Gefäß, das die Leiden Christi auffängt, und zum Spiegel seiner neuen Herrlichkeit. In wartendem Schweigen vollenden sie ihren Dienst.

LeerMaria, Jesu Mutter, steht unter dem Kreuz. Welche Wanderung liegt hinter ihr bis zu dieser Stunde. Sie ist mitgegangen und wußte nicht wohin. So war denn dies das Ziel. In wirrer Folge drängen sich die Ereignisse der letzten Tage in ihrer Seele. Auf und ab wogen die Bilder, und sinnlos reihen sie sich aneinander. Wer vermöchte dies Geschehen zu fassen? „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.” Ihr feines Ohr vernimmt die Worte, und sie bewegt sie in ihrem Herzen. Vater nennt ihr Sohn den Gott, der solches zuläßt? Jene Stunde im Tempel zu Jerusalem wird lebendig, da er zu seinen Eltern sagte: „Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem, das meines Vaters ist?” Da begann sein rätselhaftes Wesen, das ihr Unruhe brachte, Angst und Not. Hat sie nicht immer wieder versucht, ihn zurückzuhalten? Ist sie ihm nicht gefolgt mit seinen Brüdern und Schwestern, um ihn zu warnen vor dem seltsamen Weg, den er beschritten? Waren nicht daheim viele, die an ihm zweifelten? Sie begriffen ihn so wenig wie die Mutter. Fast schroff wies er sie zurück. Und aller Hohn und Spott, der sie mitgetroffen, ist nun zusammengefaßt in jene bitteren Worte über dem Kreuz: „Der Juden König”.

LeerSie wagt nicht ihre Augen zu erheben. Hinter den gesenkten Lidern steht dennoch lebendig alles vor ihr, was geschieht. Warum haben sie nicht ihr die Nägel durch Hände und Füße getrieben? „Hier sind meine Hände, hier sind meine Füße. Drückt mir die Dornenkrone in die Stirn. Wie gern nähme ich das äußere Leiden hin, während das Schwert durch meine Seele geht.”

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Leer„Bist du Gottes Sohn, so steige herab vom Kreuz. Andern hat er geholfen und kann sich selbst nicht helfen.” Andern hat er geholfen. Wer wüßte es besser als sie. Und nun, da er der Hilfe bedarf, erhebt sich keine Hand. Und die helfen möchten, stehen in ohnmächtigem Schweigen.

Leer„Dieser aber hat nichts Unrechtes getan.” Ein Wort des Glaubens dringt in ihre Verzweiflung. Und die Stimme des Sohnes, die dem Glaubenden antwortet: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.” Im Todeskampfe noch das unerschütterliche Wissen um die Verbundenheit mit dem Vater im Himmel. Unter den Schatten des Todes der Glaube an das ewige Licht.

LeerMaria hebt den Blick empor. Ihr Auge begegnet dem des Sohnes. Alle Verlassenheit der irdischen Mutter bricht aus diesem Blick. Und Jesus weist sie an den Jünger, den er lieb hatte: „Weib, siehe, das ist dein Sohn; siehe, das ist deine Mutter.”

LeerIn unheimliches Dunkel taucht die Erde, tauchen die Herzen der Menschen, die am Kreuze stehen. Durch finstre Todesnacht geht die Seele unsres Herrn. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?”

LeerMaria spricht die Worte nach. Ihre Seele füllt sich mit dem Leiden ihres Sohnes bis zum Rande. Nichts sonst hat Raum darin. Von fernher dringen die Worte an ihr Ohr: „Mich dürstet”. Dichter wird die Nacht um sie. Wie aus einer anderen Welt klingt eine verklärte Stimme: „Es ist vollbracht.” Und dann ein Aufschrei: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.” Da ist ihre Kraft zu Ende. Hilfreiche Frauen stützen die sinkende Gestalt.

LeerAls sie die Augen öffnet, haben sie ihr den Sohn in den Schoß gebettet. Ihr Blick ruht auf seinem Antlitz. Ihr Schmerz weicht vor dem Frieden dieser Züge. Ihre Seele weitet sich. Ein Strahlen geht aus von diesem Haupt und erinnert sie an die Heilige Nacht. Von dem Kinde ging damals das Leuchten ans und füllte den Raum des ärmlichen Stalles. Stärker wird der himmlische Glanz, der des Toten Stirn verklärt. Weiter zurück gehen ihre Gedanken. Das Licht verdichtet sich zu einer überirdischen Gestalt, die zu ihr in die Kammer triff, eine Lichtgestalt, die sie erbeben läßt: „Gegrüßet seist du, Holdselige! Der Herr ist mit dir, du Gebenedeite unter den Weibern!”

LeerDa neigt sich Maria tief über den toten Sohn und ihre Lippen sprechen leise: „Meine Seele erhebet den Herren und mein Geist freuet sich Gottes meines Heilandes.”

LeerDann überläßt sie den heiligen Leib den Freunden zur Bestattung.

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LeerHüllt den göttlichen Leichnam in leinene Tücher, gebt ihm Myrrhe und Aloe mit in die Nacht des Grabes, Freunde. Aber die Füße laßt unberührt von euren Händen, Bedeckt sie nicht mit euren Spezereien. Sie sind schon bereitet zum Begräbnis, köstliche Salbe hat sie gebadet, lebendiges Haar hat sie getrocknet. Maria von Bethanien hat diese Füße umsorgt zu dein letzten schweren Weg. „Laßt sie mit Frieden.” Sie wußte, mitleidend vorausschauend, daß des Grabes Nacht diesen Leib nicht immer halten würde. War nicht auch ihr Bruder aus den unheimlichen Gründen des Todes zurückgekehrt in das Licht des Lebens?

LeerIm Garten ist vor das neue Grab der Stein gewälzt. Die Nacht zieht schweigend herauf. Der blauschwarze südliche Himmel steht majestätisch über der Welt.

LeerZwei Frauen betreten den Garten. Ihre Füße berühren die Blumen am Grunde: Anemonen, die am Tage leuchten wie Tropfen Blutes. Nun sind sie bleich unter dem weißen Glanz der Sterne. Gegen das milde Licht des Himmels stehen hoch die dunklen Bäume des Gartens. Dort schimmert der Fels, in den das Grab gehauen. Maria Magdalena und die andere Maria huschen wie Schatten hin zu der heiligen Stätte. Müde lehnen sie sich gegen das Grab. Kein Wort kommt über ihre Lippen. Ihre Gedanken umkreisen den Tag, an dem der Vorhang im Tempel zerriß und das Allerheiligste bloßlag vor den Augen der Leute.

LeerWas geht vor hinter dem Stein? Welche Kräfte weben um den geliebten Leichnam? Es sind dieselben, die einst die Seele Maria Magdalenas befreiten von der siebenfachen Qual, die sie zerriß. Schweigen überall. Fängt der tote Stein, an dem sie lehnen, an zu atmen? Bricht aus den Fugen ein blendendes Licht?

Leer„Schwester, deine Hand.”

LeerDrüben stehen hoch und schwarz drei verlassene Kreuze. Hatte nicht Salome, die Mutter des Jakobus und Johannes, einst kniefällig gesteht: „Laß meine zween Söhne sitzen in deinem Reich, einen zu deiner Rechten und den andern zu deiner Linken?” Zu deiner Rechten und zu deiner Linken. Hoch und schwarz stehen die Kreuze. O Schmach, o verborgene Herrlichkeit. Ist das der Kelch? Ist das die Taufe?

LeerDie ersten Strahlen der Sonne treffen die drei Frauen, die zum Grabe eilen. In sorglichen Händen tragen sie die Spezereien, die sie in der Stille des Sabbats bereitet, befangen in ihrem liebenden Tun betreten sie den Garten.

LeerDa bebt der Grund unter ihren Füßen. Wie im Schmerz erschauert die Erde, erbleichend stehen die Frauen und zittern wie der Boden unter ihnen. Ein Blitz reißt den Himmel auf, und hernieder fährt ein blendendes Licht. Es hebt den Stein zur Seite, es füllt des Grabes Nacht mit überirdischem Schein. Hin sinken die Wächter, als wären sie tot. Doch die Frauen umrauscht es wie Flügelschlag himmlischer Heerscharen. „Fürchtet euch nicht, ich weiß, daß ihr Jesum, den Gekreuzigten, suchet. Er ist nicht hie; er ist auferstanden, wie er gesagt hat.”

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LeerSo flutet denn aus dem dunklen Schoß der Erde des Lichtes Fülle, und aus dem Tode bricht das Leben hervor. Die beiden Mütter ergreifen anbetend das Wunder. Aber Maria Magdalena tastet, sucht, findet nicht den Leib ihres Herren. Ihre Hände halten das Gefäß mit den Spezereien, ihren letzten Dienst. Wer nimmt ihn in Gnaden an? Weinend steht sie an des Grabes Tür. Da erreicht sie eine Stimme, im innersten Wesen wird sie angerufen in ihrem Namen. Ein Strahl dringt durch die Nacht ihrer Tränen, ihr Auge wird hell, sie sinkt in die Knie: „Meister”.

Leer„Christ ist erstanden.” Die Frauen eilen nach Jerusalem mit großer Freude. Ein Märlein nennen die andern ihre selige Gewißheit. Vierzig wundersame Tage und Nächte gehen über das Land. Christus ruft mit leiser Stimme das Zerstreute und Verirrte zusammen, und die Frauen erleben, wie aus ihrem kindlichen Märchen auch den Jüngern immer heller die heilige Wahrheit aufersteht, die sie hindurchgetragen haben durch die Nacht des Todes. Als Jesus aufgehoben wird zum Himmel, sind Männer und Frauen eines Sinnes geworden. Die trennende Furcht, die zerstörenden Zweifel werden aufgelöst wie die Schmerzen des Todes. Ihre einmütige Freude wird zum Gebet, ihre einmütige Hoffnung wird zum Flehen: „Komm, heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen.”

LeerDas Brausen des Windes erfüllt gewaltig das Haus, Knechte und Mägde, Söhne und Töchter weht der Atem Gottes an, daß sie weissagen. Ergriffen werden alle von der himmlischen Flamme, die in ihnen das Feuer der göttlichen Liebe entzündet. Wer entflammt die Züge der Männer? Wer verklärt die Mienen der Frauen? Wer bewegt die Herzen aller, daß sie brennen und es wie lodernde Zungen über ihnen steht? Ergriffen und eingetaucht in das Feuermeer einer heiligen Taufe gehen Männer und Frauen gemeinsam den Weg aus der Stille hinaus in die Welt, um von Christus, dem Auferstandenen, zu zeugen. „Der du durch Mannigfaltigkeit der Zungen die Völker der ganzen Welt versammelt hast in Einigkeit des Glaubens”.

LeerDurch das Pfingstwunder gehen die Frauen ein in die große Gemeinschaft. Außer Maria, der Mutter Jesu, wird keine von ihnen mehr mit Namen genannt. Während die Jünger von nun an handelnd in ihrer ganzen Eigenart hervortreten, bilden die Frauen den tragenden Grund in Gebet und Sakrament. Die Bitterkeit des Leidens und des Todes, den Durchbruch zum neuen Leben hat jeder für sich erfahren müssen. Der Jubel der jungen Kirche aber wird zu einem tausendstimmigen Chor, in dem die Stimme des einzelnen untergeht im rauschenden Halleluja.

Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 93-97

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-24
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