Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1937
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Was heißt „Aufgefahren gen Himmel”?
von Walter Uhsadel

LeerUnter den christlichen Festen gehört das Fest der Himmelfahrt Christi zu denen, die am wenigsten verstanden und am meisten vernachlässigt werden. Und doch ist gerade für uns Heutige dieses Fest von besonderer Bedeutung. Überblicken wir die Reihe der christlichen Feste, so sehen wir, wie leicht sie verfälscht werden können und verfälscht worden sind: Weihnachten als das „Fest der deutschen Familie”, Ostern als das Fest der Frühlingsfreude, Pfingsten als das Fest großer, lebenbejahender Begeisterung, der Karfreitag als Tag der Trauer über die Leiden der Menschheit, Weihnachten und das Johannisfest als Sonnenwendfest - um nur einige Beispiele zu nennen.

LeerUnd an all diesen Festen beobachten wir, wie das, was sie von Christus aussagen, auf irgendwelche Menschen übertragen wird. So ist schon von manchem gesagt worden, Gott habe ihn gesandt zur Erlösung der andern oder er sei auferstanden oder er habe anderen seinen Geist mitgeteilt. Und von wie vielen großen geschichtlichen Persönlichkeiten hat es schon gehießen, sie seien ein Geschenk Gottes gewesen, sie seien nicht tot, sondern ihr Geist lebe in ihren Anhängern fort! Man denke nur an so manche pathetische Verherrlichung Martin Luthers. Nur das Himmelfahrtsfest ist von solchen Umdeutungen und Übertragungen verschont geblieben. Es scheint dafür keine Handhabe zu bieten.

LeerDas liegt daran, daß es von Christus etwas aussagt, das ihn hinaushebt über alles, was noch unter den Begriff der großen geschichtlichen Persönlichkeit gebracht werden könnte. Das Himmelfahrtsfest hebt ihn ans dem Pantheon der Helden der Menschheit hinaus. Er ist nicht einer der großen Geisteshelden der Menschheit, unter denen man je nach persönlicher Neigung und Veranlagung sich sein Ideal, seinen Lieblingshelden oder -dichter ober -denker auswählen kann, so daß etwa die „religiös Veranlagten”, denen nun gerade diese Form von „Religiosität” zusagte, sich Christus erwählen könnten. Christus ist der, dem „gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden”, der, dem Gott „einen Namen gegeben, der über alle Namen ist”.

LeerWas heißt das? Das heißt, daß der, der sich Christ nennt, damit Ernst machen muß, daß Christus ihm über allem, über allen Gütern, die ihm wert, und über allen Menschen, die ihm teuer sind, auch über allen Mächten, die ihn bedrohen, und allen Menschen, die ihm feind sind, stehen muß. Es kann für den Christen nichts, schlechterdings nichts geben, das er über Christus oder auch nur neben ihn stellt, auch nichts Feindliches, das ihm mächtiger schiene als Christus. Es gilt für den Christen im vollen Sinne das Wort, daß Christus „gegeben ist alle Gewalt” und daß er bei ihm ist „alle Tage bis an der Welt Ende”.

Linie

LeerWenn Menschen unserer Tage an ihrem „Christentum” irre werben, so liegt es schließlich immer daran, daß es eben ein Christentum war, eine vielleicht sehr wichtige Lehre, aber doch eine Lehre, eine Lehre unter vielen andern. Sie haben nicht ernst gemacht damit, daß es nicht um eine Lehre, um ihr Meinen, um ihre Überzeugung geht, sondern um die Herrschaft Christi über ihr gesamtes Leben.

LeerFür den Christen rückt alles unter Christus, unter das Licht Christi. Es gibt für ihn keine Sache in der Welt, der er zu dienen bereit ist, die aus diesem Lichte herausgenommen werden dürfte. Es gibt keinen Menschen, keinen Menschen, den der Christ anders als im Lichte Christi zu sehen vermöchte, einerlei ob Freund oder Feind. Und es gibt im Bereiche des persönlichen Lebens des Christen nichts, wovon gesagt werden könnte, das habe mit Christus nichts zu tun, es sei groß oder klein, gut oder böse.

LeerDag Fest der Himmelfahrt redet zu uns davon, daß Christus seine Herrschaft als der König der Welt, in dem „alle Dinge verfaßt sind”, angetreten hat. Darum ist es sehr scharf zu unterscheiden von dem Fest der Auferstehung, das ihn uns noch oder wieder auf der Ebene der Welt zeigt als den, den das Grab nicht hat halten können. Die Himmelfahrt Christi ist die Thronbesteigung: „Er hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe”. Wir können ihn als Christen nicht anders sehen als „sitzend zur Rechten Gottes”, das heißt also: nicht in irgendwelchen irdischen Bindungen. Wir können von ihm nicht reden in historischen oder psychologischen oder philosophischen Denkformen, können ihn nicht einordnen in die Galerie der Geisteshelden der Menschheit. Nur wer das erfaßt hat, kann das Neue Testament richtig lesen. Und nur der kann in der Kirche richtig stehen und seine Taufe und das Abendmahl verstehen.

LeerEs kann sehr wohl sein, daß ein Mensch unserer Zeit, der mit Ernst Christ sein möchte, an diesem Punkte Schwierigkeiten hat. Dem kann man nur raten, einmal all seine Bedenken beiseitezustellen, zunächst einfach die Tatsache, daß das ganze Neue Testament Christus so zeigen will, anzuerkennen und das Neue Testament unter diesem Gesichtspunkte zu lesen. Er wird dann mit Überraschung erleben, wie geschlossen alles ist, was das Neue Testament sagt, und wie sich viele Rätsel lösen und dunkle Stellen Licht empfangen.

LeerChristus als den thronenden König der Welt zeigt uns auch das Bild dieses Heftes, eine Darstellung aus der Kirche St. Sernin in Toulouse. In der Mandorla, dem mandelförmigen Glorienschein, thront er, die Rechte, deren drei gestreckte Finger auf die Dreifaltigkeit hinweisen, segnend erhoben. In der Linken aber hält er das Buch des Lebens, dessen Seiten die Worte „Pax vobis” (Friede sei mit euch) zeigen. Hinter seinem Haupte das Kreuz, das zum Zeichen seiner Herrschaft geworden ist, und am Rande der Mandorla die Symbole der vier Evangelisten: Engel, Löwe, Stier und Adler, die als seine Engel, seine Boten für ihn bereitstehen.

Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 97-99

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-24
Haftungsausschluss
TOP