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Johann Albrecht Bengel (1687-1762)
von Immanuel Pfisterer

LeerUnter den Männern, die die evangelische Kirche in Württemberg am stärksten beeinflußt haben, ragt neben dem Reformator Johannes Brenz und dem Erneuerer der Kirche in und nach den Nöten des 30jährigen Krieges, Joh. Valentin Andreae, der Bibeltheologe des 18, Jahrhunderts, Joh. Albrecht Bengel hervor. Seiner zu gedenken gibt uns die 250. Wiederkehr seines Geburtstages am 14. Juni d. J. Anlaß.

LeerDer äußere Lebensgang Bengels verlief in einfachen und geraden Linien. Nach der Ausbildungszeit in Stuttgart und in Tübingen (als Student und als Stiftsrepetent) und nach einer Reise, die ihn in Halle mit A. H. Francke zusammenführte, übernahm er Ende 1713 die Stelle eines Klosterpräzeptors in Denkendorf bei Stuttgart, und damit Unterricht und Erziehung eines Teile der künftigen württembergischen Pfarrer auf der Vorstufe zur Universität. Dem unmittelbaren kirchlichen Leben blieb er dadurch verbunden, daß er gleichzeitig das Gemeindepfarramt in Denkendorf zu versehen hatte. Über 27 Jahre hatte er diesen bescheidenen, aber verantwortungsreichen Posten inne; einen Ruf als Professor der Theologie in Gießen lehnte er ab. Die weiteren Stationen seines Lebensweges waren Herbrechtingen, wo er von 1741 an Propst war, und Stuttgart, wo er in seinen letzten Lebensjahren seiner Kirche und seinem Land als Konsistorialrat und als Mitglied des Engeren Ausschusses diente. Am 2. November 1752 schloß er die Augen für dieses Leben.

LeerBengels theologische Bedeutung beruht auf seinen textkritischen und exegetischen Arbeiten zum Neuen Testament. Von 1722-1734 arbeitete er mit Hilfe der damals erreichbaren Handschriften an einer wissenschaftlich zuverlässigen Ausgabe des griechischen Neuen Testamentes. 1736 erschien seine „Richtige Harmonie der vier Evangelisten”. Nach mancherlei Vorarbeiten gab er 1740 die „Erklärte Offenbarung Johannis”, 1747 „Sechzig erbauliche Reden über die Offenbarung Johannis” heraus; diese Schriften zeigen, wie stark ihn das letzte Buch der Bibel beschäftigt hat. Da ihm daran lag, das Ganze der Schriftwahrheit zur Geltung zu bringen, ging er auch an den neutestamentlichen Schriften, die in der überlieferten Theologie wenig beachtet wurden, nicht vorüber. Sein wichtigstes, heute noch lebendiges Werk ist der 1742 herausgekommene „Gnomon Novi Testamenti” (d. h. Wegweiser für das Neue Testament). Es sind sprachlich und fachlich erklärende Bemerkungen zu den Schriften des Neuen Testaments; den einzelnen Büchern sind kurze Einleitungen und Inhaltsübersichten vorangestellt; im übrigen folgen die oft außerordentlich einprägsamen Erklärungen den einzelnen Versen, ohne daß dabei das Ganze des Zusammenhangs außer acht gelassen wäre.

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LeerBengels Hauptleistung in den Denkendorfer Jahren war der Unterricht und die Erziehung der Klosterschüler. Hierzu befähigte ihn sein gründliches Wissen, sein gesundes, natürliches Empfinden, sein großes Verständnis für die Jugend und seine tiefe seelsorgerliche Weisheit. Kein Wunder, daß er mit vielen seiner Schüler auf Lebenszeit verbunden blieb, und daß Menschen aller Art, auch nachdem er Prälat geworden war, in ungebrochenem Vertrauen seinen seelsorgerlichen Rat begehrten. Dadurch, daß er fast ein Menschenalter lang Lehrer und Erzieher künftiger Pfarrer war, hat er den nachhaltigsten Einfluß auf die württembergische Kirche ausgeübt.

LeerAls Mann der Kirche hat er mit wachem Auge die Geistesströmungen seiner Zeit verfolgt. Einerseits beobachtete er die zunehmende Verweltlichung. Auf der anderen Seite sah er die Gefahr eines schwärmerischen Wesens. In seinem Briefwechsel mit Schülern und Freunden nimmt die Auseinandersetzung über Zinzendorf und die Brüdergemeine einen breiten Raum ein. Daß in Württemberg Kirche und Pietismus sich fanden, daß infolge hiervon der Kirche die religiöse Wärme und Kraft des Pietismus und seine Vertrautheit mit der Bibel zugute kam, daß aber auch aufs Ganze gesehen die privaten Erbauungsversammlungen gesund erhalten wurden und vor dem Absinken in kirchenfeindliches Sektentum bewahrt blieben, ist nicht zuletzt Bengels Einfluß zuzuschreiben.

LeerBengels Wesen und Wirken war gegründet in einer lauteren Demut, im stetigen Umgang mit der Heiligen Schrift, in einem schlichten und innigen Gebetsleben (er verschmähte es nicht, sich bestimmter Ordnungen und formulierter Gebete zu bedienen) und in der hieraus geflossenen Heiligung seiner Natur. Bekannt ist der Eindruck, den er als gereifter Mann auf junge Menschen gemacht hat, als ob auf seiner Stirne das Wort „Ewigkeit” zu lesen wäre. Mit dem allen verband sich eine reiche und lebendige innere Erfahrung und ein tiefes Verständnis für die Nöte und Anliegen seiner Mitmenschen.

LeerWer sich mit Bengel näher befassen will, sei auf das reichhaltige Buch von Dr. Oskar Wächter, Johann Albrecht Bengel (Lebensabriß, Charakter, Briefe und Aussprüche), Stuttgart 1865, hingewiesen. Von der Wernerschen Übersetzung des Gnomon ins Deutsche ist vor kurzem ein Neudruck erschienen. Ebenso ist eine Neuausgabe der Erklärung der sieben Sendschreiben Weihnachten 1936 herausgekommen. 1924 hat der Calwer Verlagsverein eine Sammlung von Bengel-Worten (auf alle Tage des Jahres verteilt) unter dem Titel „Vom heiligen Heimweh” mit einem Vorwort von K. Hermann herausgebracht.

Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 100-101

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-24
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