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von Walter Blankenburg |
Wir suchen in den meisten unserer Gesangbücher vergeblich nach rechten eigentlichen Liedern für die Johanniszeit, insbesondere für das Johannisfest. Viele Gesangbücher schließen ihren Abschnitt „Kirchenjahr” mit Pfingsten und einigen wenigen Trinitatisliedern ab. Die Lieder aber, die wir da finden, tragen in erster Linie predigthaften Charakter, sodaß die Beziehung auf die Gestalt Johannis des Täufers gar nicht deutlich genug wird. Es wundert uns darum nicht, wenn demgegenüber in unserer Liedordnung, in den „Liedern für das Jahr der Kirche”, für das Johannisfest mit dem „Wir wollen singen ein' Lobgesang” ein ganz schlicht nacherzählendes Evangeliumslied von Nikolaus Herman festgelegt ist. Und gewiß stellen wir zu unserem nicht geringen Erstaunen dabei fest, daß Nikolaus Herman sich in diesem Liede bei der äußeren Anlage des Textes der gebräuchlichen Form der Volksliedballade und damit zugleich dem ihr verwandten geistlichen Volksliede (auf diese Zusammenhänge wiesen wir ja früher hin) anschließt. So steht zu Beginn ein einleitender Vers, der gleichsam als Überschrift anzusehen ist, und am Schluß ein Dankvers, durch den die Erzählung abgerundet wird. Es sind die Rahmenverse, die wir hier vorfinden, genau in der gleichen Art, wie wir sie früher bei anderen Beispielen angetroffen haben, die über das rein Äußerliche hinausweisen und bei der Gestaltung des Schlußverses als Danksagung vielmehr inhaltlich etwa mit der Liedpassion Berührungspunkte zeigen. Dieser enge Anschluß Nikolaus Hermans an das deutsche Volkslied ist von grundsätzlicher Wichtigkeit; denn er ist ein neuer Beweis für die ganz selbstverständliche Verschmelzung christlicher Glaubensäußerung mit deutschem Volkstum, ohne daß ein ehrlicher Betrachter dabei eine Verderbnis des Volksgutes feststellen könnte. Vielmehr muß eine Vertiefung zugegeben werden. Denn er ist es, der jenen uns gesandt hat, um uns auf sein Kommen hinzuweisen, und er ist es, der die rechte Buße, zu der Johannis aufgerufen hat, in uns allein wecken kann. Weil Johannis' Botschaft eine nicht wegzudenkende, ja notwendige Vorbedingung für die Aufnahme Christi bei uns ist, weil wir ohne sie Christus nicht die rechte Ehre erweisen, darum gehört das Johannisfest so unbedingt in das christliche Jahr. Die Verse 2-5 erzählen in Kürze die Hauptpunkte aus der Predigt des Täufers. Mit dem rechten Bußruf hebt es an; es folgt die Aufklärung über seine Person, sodann der schwerwiegende Fingerzeig auf das Gotteslamm und schließlich ein Wort darüber, was er als Mensch ist, gemessen an dem wahren Gottessohn, der Jesus Christus ist und heißt. Das ist von Nikolaus Herman ganz einfach, klar und unter Herausstellung des Entscheidenden in diesem Liede gesagt. Was vom Text im Hinblick auf den Volkston gilt, das trifft auch wieder auf die Weise zu, die uns bei Bartholomäus Gesius begegnet. Wir haben also hier keine Weise von Nikolaus Herman selbst vorliegen. Sie ist zunächst weiter nichts als die in einen Dreitakt umgeschriebene bekannte Melodie von „Christe, du bist der helle Tag”, die sich bei Cyriacus Spangenberg (1568) zuerst findet. Dabei fällt nur auf, daß die erste Zeile unseres Liedes nicht nur den Tonstufen, sondern auch dem Rhythmus nach fast völlig übereinstimmt mit dem Anfang des bekannten alten, aus vorreformatorischer Zeit stammenden Volksliedes „Ach Elslein, liebes Elselein”. Die nächsten Zeilen fahren dann zwar anders fort, aber auch bei ihnen kann man lose Berührungspunkte mit diesem Liede herausklingen hören, ganz abgesehen von der Übereinstimmung beider Lieder in der Vierzeiligkeit. Die Fäden, die doch wohl offenbar hier hin und her laufen, lassen sich sicher nicht so leicht entwirren. Aber mögen die Zusammenhänge sein, wie sie wollen, eins lehren sie auch hier wieder, nämlich das wunderbare Ineinanderklingen von Glaubenston und kreatürlichem Leben, sodaß eins das andere wirklich trifft, eine Begegnung, die wir gerade heute so schmerzlich vermissen und doch zugleich so dringend nötig haben, wenn nicht völliger Säkularismus siegen und uns den Untergang bereiten soll. Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 125-128 |
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