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Der Kampf mit dem Satan
von Oskar Planck

Ein Brief

Leer„ . . . Du hast mich in Deinem kurzen Antwortschreiben gebeten, ich solle Dir etwas über den Kampf mit -dem Satan schreiben. Mit diesem Satz hast Du für jeden Kenner der neutestamentlichen Wunder den Kernpunkt der Wunderfrage berührt. Aber wer von uns hat die Vollmacht, darüber etwas zu sagen? Es ist damit wie mit dem magnetischen Pol: wir wissen zwar, daß sich unsere Erde um ihn dreht, aber nur ganz wenige haben ihn erreicht, keiner hat ihn gesehen. Für unsere gegenwärtige Weltzeit liegt er unter unzugänglichen und undurchdringlichen Eismassen begraben.

LeerAls vor 20 Jahren unsere frühere Wunderschau in Wundersucht umschlug, da schien es allerdings, als mache sich die europäische Menschheit auf, jenen geheimnisvollen Pol zu suchen. Es war ein Aufbruch in unbekannte Gebiete, und Du erinnerst Dich wohl so gut wie ich des atemraubenden Staunens über die interessanten Ergebnisse, die man von diesen Fahrten heimbrachte. Man erzählte von der geheimnisvollen Einwirkung bisher unbeachteter Kräfte auf unser Lebensgefühl und unsere Wesensart: von den verdrängten Trieben und Erlebnissen unserer eigenen Vergangenheit und von der aufbewahrten Weisheit und Erfahrung unserer Vorfahren, die in uns weiterwirken, von den Ausstrahlungen unserer Erde und anderer Gestirne, denen wir ausgesetzt sind, von den Einflüssen mineralischer Salze und pflanzlich-tierischer Lebenskräfte, an denen wir durch unsere Nahrung Anteil gewinnen. Handelte es sich dabei zunächst auch nur um ein wunderbares Erleiden, so glaubte man doch bald, Mittel und Wege gefunden zu haben, um diese Kräfte zu entbinden und von ihnen herrührende Störungen zu beseitigen. Die Psychoanalyse jedenfalls konnte in diesem doppelten Sinn von Wundern erzählen.

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LeerAm augenfälligsten aber war das Wunder bei den Erscheinungen des Hellsehens, wo Ereignisse aus Vergangenheit und Zukunft, aus verborgener Nähe und weitester Entfernung erkennbar wurden, und auf dem ausgedehnten Gebiet der Willensübertragung, wo nicht nur Menschen, sondern auch Dinge willenlos einem fremden Willen gehören mußten. Solche Wunder wurden denn auch dem staunenden Publikum öffentlich zur Schau gestellt. Es war freilich, wie man bald erkannte, nur die Wiederentdeckung okkulter Mächte und Kräfte, die unter der einseitigen Herrschaft des bewußten Verstandes für uns Europäer verloren gegangen waren, die aber in der Weisheit des Ostens, in der Zauberkunst der Primitiven und in der Überlieferung des „finsteren” Mittelalters noch fortlebten. Man merkte, wenn ich im Bilde bleiben darf, daß das eisige Grönland einst ein grünendes Eiland gewesen war, auf dem Menschen wohnten; aber doch schien der Weg zum Wunderland wieder frei. Vielleicht war es auch so. Aber man war nur bis zum Vorfeld des Wunders gekommen, auf dem es sich noch um die Entdeckung seelischer Tiefen und kosmischer Weiten handelte, und heute biegt der Weg wieder zurück in die Welt, von der man einst ausgegangen war.

LeerMan kennt sich jetzt auf dem Gebiet der seelischen Beeinflussung aus, man weiß von der Bedeutung der Erdverbundenheit und dem Bluterbe der Ahnen - und man stellt das willentlich und bewußt in die Rechnung ein. Man redet zwar noch immer von den „Wundern” der Technik und der Organisation, von den „Wundern” der Tiefsee oder der Arktis, aber man gebraucht das Wort nur noch im Sinne des Unerhörten, noch nie Dagewesenen. Täusche ich mich, wenn ich sage: die meisten sind auch damals nur ausgezogen, um unbekannte Naturgesetze zu finden und sie dem menschlichen Können dienstbar zu machen? Und konnte es dann anders gehen, als daß man sich um sich selbst drehte und eines Tages von der anderen Seite her wieder an die alt« Stelle zurückkam? Wenn ich von der vorhergehenden Generation sagte, sie habe sich die Wunder der Alten als mißverstandene Auswirkung unbekannter Naturgesetze gedeutet, so glaubt unsere Zeit, in der recht verstandenen Anwendung wiederentdeckter und neuentdeckter Naturgesetze selber Wunder zu vollbringen. Sie steht eigenmächtiger und selbstherrlicher auf ihrem angestammten Grund und Boden als zuvor, aber sie hat das Land der Verheißung nie betreten.

LeerFür die Bibel stammen die Wunder aus einer ganz anderen Dimension: Sie sind nicht die Wirkung natürlicher Kräfte, sondern das Werk des heiligen Geistes. Sie kennt alle die genannten Kräfte und Mächte, aber sie weiß auch, daß sie nie religiös unbestimmt sind, sondern uns entweder mit Gott in Verbindung bringen oder mit dem Teufel. Die Wunder der Gottesmänner sind der Einbruch göttlicher Kräfte in eine Welt, die unter der Herrschaft gottfeindlicher Mächte steht. Jedes Wunder Jesu ist eine gewonnene Schlacht in seinem Befreiungskrieg um die in Sünde, Not und Tod versklavte Welt. Es genügt, an ein einziges Wort von ihm zu erinnern: „So ich die Teufel durch Gottes Geist austreibe, so ist das Reich Gottes zu euch gekommen” (Mt. 12, 28). Aber freilich, indem wir das nachsprechen, schwindelt uns - nicht weil es bodenlose Phantasterei ist, sondern weil wir nicht mehr gewohnt sind, in diese Hintergründe, ja Abgründe des Lebens zu blicken.

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LeerDer alte Blumhardt hat in diese Abgründe hineingeschaut. Für ihn ist - wie für die Evangelisten - Besessenheit und Teufelsaustreibung der eigentliche Zugang zum Wunder geworden. Was er im Hause der Gottliebin Dittus erlebt hat, übersteigt völlig den gewöhnlichen Erfahrungsbereich, es war auch nach seinem eigenen Eindruck eine Entscheidungsschlacht im Geisterkampf, bei der mit dem letzten Aufgebot aller Machtmittel gekämpft wurde. Ich weiß nicht, ob Du den protokollarischen Tatsachenbericht kennst, den er seiner Kirchenbehörde vorgelegt hat - er ist in Zündels Blumhardtbiographie fast vollständig abgedruckt -, kennst Du ihn, so stimmst Du mir gewiß zu, wenn ich sage: So unglaublich die Vorgänge sind, die hier erzählt werden, so ist doch jedem Wort der doppelte Stempel wirklicher Erfahrung und voller Wahrhaftigkeit aufgeprägt.

LeerBlumhardt berichtet hier mit der Nüchternheit und Anschaulichkeit eines Forschungsreisenden, der von einem fremden Erdteil erzählt. Schon das nimmt den Leser für ihn ein, daß er diese unheimliche Welt nicht fürwitzig aufsucht, sondern ganz wider seinen Willen Schritt für Schritt hineingedrängt wird, ebenso daß er zu seiner eigenen Kontrolle immer einen vertrauenswürdigen Augenzeugen mitnimmt und jede Sensation im Ort und im Land geflissentlich vermeidet. Den stärksten Eindruck aber macht der seelsorgerliche Ernst, mit dem er den Kampf führt. Es handelt sich ihm letztlich überhaupt nicht um interessante Erkenntnisse aus der Geisterwelt, sondern um die Erlösung seiner in die Hand des Satans geratenen Gemeindeglieder, und so gleicht sein Bericht in der strengen Sachlichkeit und Verantwortlichkeit mehr noch dem Schlachtenbericht eines Heerführers als dem Reisebericht eines Forschers.

LeerWir empfangen in ihm den überzeugenden Tatsachenbeleg für den Fundamentalsatz Luthers, daß der Mensch wie ein Pferd ist, das entweder Gott oder der Teufel reitet. Es kann nach seiner Erfahrung geschehen, daß die unseligen Geister von Abgeschiedenen oder gottfeindliche Dämonen von einem Menschen Besitz ergreifen, daß sie durch ihn reden, ihn zu Zwangshandlungen seelisch-leiblicher Art nötigen, wobei der Besessene vollständig klares Bewußtsein haben, sich unter Umständen sogar über seine qualvolle Lage aussprechen kann. Dabei leidet er unter leiblicher Krankheit verschiedenster Art und unter furchtbarer innerer Not. Was er so unverhüllt sah, stimmt Zug für Zug überein mit den packenden Augenzeugenberichten Mk. 5, 1-19; Mk. 9, 14-27 und Mt. 12, 43-45.

LeerAber „Jesus ist Sieger”. Dieses Wort, das der überwundene Satansengel am Ende eines zweijährigen Kampfes über den Ort Möttlingen hinbrüllte, so daß man es weithin mit Schaudern hörte, wurde für Blumhardt der Schlachtruf für alle folgenden Kämpfe, für seine Gemeinde der Weckruf zu gräßlichem Erwachen und ist für uns die Erklärung für den Bann, der von den Möttlingern wich und Befreiung von Krankheit und innerer Gebundenheit im Gefolge hatte. Fragen wir, warum gerade Jesus in das Haus des Starken eindringen und ihm seine Beute nehmen konnte, so antwortet er selber darauf: Weil er den Starken zuvor gebunden hat (Mt. 12, 19). Seine Wunder sind die Frucht eines siegreich bestandenen inneren Kampfes mit dem Satan. Und wenn wir die andere Frage stellen, warum er noch heute durch seine Jünger Wunder tut, so weist Blumhardt auf die Einwohnung Christi bzw. die Einwohnung des heiligen Geistes hin, die nach dem Zeugnis der Schrift, das Gegenstück zur dämonischen Besessenheit ist.

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LeerHier erhebt sich nun freilich die sehr ernste Gegenfrage, die das ganze Mittelalter beherrscht hat und die in der Mission wie in der praktischen Seelsorge immer wieder auftaucht, ob nicht auch mit Teufelsgewalt Wunder geschehen. Jesus bestreitet es in Bezug auf die Teufelsaustreibungen (Mt. 12, 25-27), für andere Wunder aber bejaht es die heilige Schrift Alten und Neuen Testaments. Sie vermeidet es zwar, unsere Phantasie mit interessanten Einzelheiten auf dieses Gebiet zu lenken, aber sie warnt mit unüberhörbarer Eindringlichkeit vor aller Zauberei (5. Mose 18, 9-14). Wer solches tut, der ist dem Herrn ein Greuel. Du weißt, was Modersohn aus seiner Beichterfahrung darüber schreibt, wie sehr er davor warnt, auch nur versuchsweise oder scherzweise sich mit so etwas einzulassen, weil man dadurch zwar von dem einzelnen Übel befreit, aber dafür mit seiner ganzen Person in den Bann des Satans kommen könne.

LeerBlumhardts Erfahrung bestätigt das, und ich selber habe auch Fälle beobachtet, die ich mir nur so deuten kann. Weil aber für den Unerfahrenen die Grenze zwischen schwarzer und weißer Magie so schwer zu ziehen ist, darf ich Dir eine Begebenheit erzählen, die mir und meiner Gemeinde zum Prüfstein geworden ist. Ein frommer Mann macht sich nach langem Zureden der Leute auf, um für seine unheilbar magenkranke Frau einen Schäfer aufzusuchen, der mit allerlei Magie Kranke gesund machen kann. Unterwegs wird er irre, ob er recht tut mit seinem Unterfangen. Er setzt sich hinter einen Busch und betet: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst”. Ms er nach einer weiteren halben Stunde Wegs zu dem Schäfer kommt, weist dieser ihn schon an der Türe zurück: „Dir kann ich nicht helfen. Meinst du, ich habe nicht gesehen, wie du hinter dem Busch gesessen bist?” Daheim aber kommt ihm sein Weib gesund entgegen. Zur selben Zeit, wie er gebetet hatte, war das Wunder geschehen.

LeerDie meisten Christen finden sich damit ab, daß nur in der biblischen Welt oder unter wenigen Auserwählten solche Wunder geschehen. Dann müssen sie sich aber auch damit abfinden, daß das Reich Gottes heute in Worten steht und nicht mehr in Kraft, daß das Evangelium für ein abgestandenes Geschwätz gilt, dessen man sich zu schämen hat, und nicht mehr die Kraft Gottes ist, die alle errettet, die daran glauben. Ich fürchte, wir haben Grund, Buße zu tun und das zornige Wort Jesu aus uns anzuwenden: „D du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich mich mit euch leiden? Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt!” (Mk. 9, i9 und 23).

LeerDie Jünger haben nach ihrem Versagen gefragt: „Warum konnten wir den bösen Geist nicht austreiben?” Die Antwort Jesu lautet nach Matthäus: „Um eures Unglaubens willen” (Matth. 17, 20). Damit meint er den wagemutigen Glauben im Unterschied von unserer sogenannten christlichen Ergebung, die sich scheinbar mit allem geduldig abfindet und dabei doch, wie Blumhardt treffend bemerkt, nur an Gott keinen Glauben hat, aber dafür zu allen Ärzten und Apothekern läuft: „So ihr Glauben habt als ein Senfkorn, so möget ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich von hinnen dorthin! So wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein” (Matth. 17, 20). Dieses Wort bedeutet nun freilich nicht, daß wir uns der Kraft Gottes nach eigener Willkür bemächtigen ober über die empfangene Wunderkraft frei verfügen dürften, wie es der Zauberer Simon in Samaria oder die 7 Skevassöhne in Ephesus versuchten (Apg. 8, 5ff. u. 19, 14ff.).

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LeerDer Grund dafür wird sofort verständlich, wenn wir das andere Wort Jesu vernehmen, das nach dem Markusevangelium für die Jünger bedeutsam wurde: „Diese Art kann nicht ausfahren als durch Beten und Fasten” (Mark. 9, 29). Beten bedeutet ja nicht, Gott zwingen, etwas zu tun, was er nicht tun will, sondern eins werden mit seinem Willen. Beten ist die gläubige Hinwendung zu Gott in ihrer reinsten und eindringlichsten Form. Fasten aber ist das unentbehrliche Gegenstück dazu, die bewußte Enthaltung von Dingen und Gewohnheiten,, die uns ankleben und träge machen, damit wir ganz frei werden für Gott. Gott kann uns nicht einfach nur so auf Anruf seines Geistes Kraft verleihen. Wir müssen erst ein empfängliches Gefäß dazu geworden sein. Die Jünger sind es damals noch nicht gewesen, sie sind es aber dadurch geworden.

LeerEs war immer die Hoffnung Blumhardts, daß die Wunder, die durch seine Hand geschahen, nur die ersten Boten seien, die einen neuen Geistesfrühling ankündigen. 30 Jahre nach seinem Tode ist in seiner Gemeinde Möttlingen die Wunderkraft in „Vater Stanger” wieder aufgeblüht. Seine Wirksamkeit fiel in die Zeit der Wundersucht, und die Wallfahrt zur „Rettungsarche” war darum, wie sich denken läßt, sehr groß. Viele in Deutschland und jenseits der Grenzen verdanken ihm mit Leib und Seele ein neues Leben. Auf manche aber hat Stanger ernüchternd gewirkt. Sie glaubten neben unleugbaren Wunderheilungen und Bekehrungen auch verhängnisvolle Fehlgriffe feststellen zu müssen und vermißten an dem einstigen Grobschmied die seelsorgerliche Feinheit und biblische Reife seines Vorgängers. Sein Realismus hatte für sie nicht die überzeugende Einfachheit eines aufs Wesentliche gerichteten Christenglaubens, sondern kam ihnen weithin primitiv vor.

LeerIch fühle mich nicht berufen, darüber zu entscheiden, kenne auch die nach seinem Tod eingetretene Spaltung in Exorzisten und Evangelisten nicht aus eigenem Augenschein. Aber weil ich von Deinem Freund nach der Stellung der Kirche zu den Wundertätern gefragt war, will ich Dir doch erzählen, wie unser Landesbischof dazu Stellung genommen hat. Er legte Wert darauf, daß der Ortspfarrer enge Fühlung mit der Rettungsarche hielt, und machte auch selbst in eigener Persom Stanger seinen Besuch, Als Geschenk aber überreichte er ihm dabei Schlatters Erläuterungen zum Neuen Testament. Damit brachte er - wie mir scheint - in taktvoller, aber unmißverständlicher Weise zum Ausdruck, daß das Neue Testament auch für das Wunder Prüfstein und Norm bleiben muß und daß eine Gemeinde, die über dem Wunder das Wort vernachlässigt, innerlich verarmt. In dieser Richtung geht auch das, was ich selber zum Schluß aussprechen möchte.

LeerWir stehen unverkennbar in einer Zeit, in der die satanischen Mächte zu einem neuen Schlag gegen Christus und sein Reich ausholen. Aber auch Christus hat sein schlafendes Heer aufgeweckt. Es geht jetzt um den Erweis des Geistes und der Kraft, um den Erweis der Christuswirklichkeit und Christusüberlegenheit. Aber vielleicht schauen wir nach einer ganz falschen Richtung, wenn wir das Wunder der Satans-Überwindung in der Form von Heilungen und Bekehrungen erwarten. Das größte Wunder Jesu war sein Kreuz und seine Auferstehung und das Wachsen und Reifen seiner Gemeinde in der Verfolgung. Wir sollten uns im Glauben und Gebet nur darauf rüsten, ganz ohne eigenes Wählen Werkzeuge zu werden in seiner Hand. Wenn er solche Werkzeuge findet, werden gewißlich Wunder geschehen. Welche? Das haben wir ihm nicht vorzuschreiben. Aber seine Kraft wird dann in den Schwachen mächtig sein. ...”

Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 180-184

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-24
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