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von Heinz-Dietrich Wendland |
Einführung in die Offenbarung des Johannes Kap. 4, 1 bis 8, 1 Das Wort der Sendschreiben im 2. und 3. Kapitel hat die Kirche auf Erden zugerüstet auf das Kommen des Herrn. Nun empfängt der Seher Johannes neue Schauung und wird abermals mit dem heiligen Geiste erfüllt: der Himmelspalast öffnet seine Tür vor ihm, er wird gewürdigt, auf ihre Schwelle treten zu dürfen und darf schauen, „was nach diesem geschehen soll” (4, 1-2). Es ist das zukünftige Geschehen der gewaltigen Gerichte Gottes über Menschheit und Erde und Kosmos, der endlichen Erlösung der leidenden Gemeinde Jesu und der Neuschöpfung Himmels und Erden, das sich nun dem Seher enthüllt. So beginnt hier der zweite große Hauptteil des Offenbarungsbuches, der bis zum Ende der Schilderung dos „himmlischen Jerusalem” (22, 5) reicht. Wo hat all' dies zukünftige Geschehen seinen geheimnisvollen Ursprungsort und Quell? Vom Throne Gottes kommt es her. Gott ist es, Gott in seiner unbeschreiblichen Majestät, Herrlichkeit und Macht, der Herr der Welt und der Geschichte, der das Ende aller Dinge schafft und die Feuerbrände seines Zornes auf die Erde schleudert. Mit klarem Bewußtsein und tiefem Sinn stellt also der Seher seine S c h a u u n g G o t t e s (4, 1-11) an den Anfang alles Weiteren und Kommenden. Nur wer Gottes Herrlichkeit erschaut, erkennt und versteht das ganze kommende Geschehen der Gerichte und der Erlösung. Der Thron Gottes ist der unerschütterliche, ewige und ruhende Mittelpunkt in dem unerhörten Ringen dämonischer und göttlicher Mächte, die unbewegte stille Mitte in den zuckenden Blitzen seiner Gerichte. Der Seher schaut Gott - und doch schaut er ihn auch wieder nicht. Er gibt ihm keinen Namen. Gott ist für ihn nur der, der auf dem Throne sitzet, der Allbeherrscher, dessen Gestalt und Wesen aber nicht ausgesagt und beschrieben werden kann. Nur die Lichtherrlichkeit, die von ihm ausstrahlt, kann Johannes schauen. Die schönsten, leuchtendsten Edelsteine und die Farben des Regenbogen dienen ihm als Gleichnis dafür. Und doch dürfen wir mit Johannes wirklich erkennen, wer er ist: an den Wirkungen, die von ihm ausgehen - Blitz und Donner sind wie am Sinai die Zeichen der Gegenwart und Offenbarung Gottes -, und an der Anbetung, die ihm zuteil wird (4, 8-11): er ist der Heilige, er ist der Allmächtige, er ist der Lebendige, er ist der Schöpfer aller Dinge, aus dessen Willen einzig und allein alles, was ist, sein Leben und sein Wesen empfangen hat. Der Herr der Schöpfung also ist es, der richtend und erneuernd sein Werk, seine Schöpfung vollenden will. So spannt sich dem Seher von Urzeit zu Endzeit der Bogen der göttlichen Macht. Gott ist die ruhende Mitte alles Geschehens. Es scheint so, als ob überhaupt kein Handeln von ihm ausginge. Doch sein Sein ist sein Herrschen. In der z w e i t e n V i s i o n 5, 1 -14, in deren Mittelpunkt die Gestalt des „Lammes” steht, tritt stärkere Bewegung und Handlung zutage. Der Seher schaut nämlich nun die eigentliche Begründung und den Anfang des endzeitlichen Geschehens: sie liegen in Christus, der Recht und Macht hat (5, 5. 7. 9 ff.), den göttlichen Willen zu vollstrecken. Jetzt wird an Gott etwas sichtbar: seine Rechte, die ein versiegeltes Buch hält. Es ist die Urkunde, das Testament seines letzten Willens. Und dieser Wille ist verborgen, niemanden zugänglich. Der ganze Kosmos muß schweigen auf die Frage des Engels, ob jemand würdig sei, das Buch zu nehmen und zu öffnen (5, 2). Denn die Welt in allen ihren Ordnungen vermag nicht, den Willen Gottes zu erschließen. Tiefe Trauer und Erschütterung befällt darüber den Seher. Aber das Wort eines der Glieder der himmlischen Gemeinde gibt ihm Trost: dennoch ist einer da, der diese Vollmacht hat, nicht Mensch ist er noch Engel, Christus ist es, der überwunden und gesiegt hat. In diesem Gedanken ist sein ganzes Erlösungswerk zusammengefaßt: der Gekreuzigte, oder, wie Johannes sagt, „das Lamm, das erwürgt (wörtlich: geschlachtet) ist” (5, 6. 9. 12), der zugleich der Sieger ist, der zum göttlichen Leben Durchgedrungene, der hat die Macht und das Recht, den göttlichen Endzeitwillen zu offenbaren. Er vermag die Siegel des Buches zu öffnen. Aber das bedeutet noch weit mehr als bloße Enthüllung des Gotteswillens: Christus ist der V o l l s t r e c k e r des göttlichen Willens, in Gottes Auftrag Richter und Bezwinger alles Widergöttlichen. Darum heißt er nicht nur das geschlachtete Lamm, sondern zugleich der Löwe aus Judas Stamm, gegen den sich niemand auflehnen kann (1. Mose 49, 9 wird hier auf Christus bezogen), sodaß dieser Name Gleichnis ist für den Sieger in Gottes Macht. Der sterbende Erlöser ist der königliche Weltherrscher. Die sieben Hörner sind das Zeichen der Macht und der königlichen Würde; denn so wird das Horn schon im Alten Testament verstanden; und die sieben Augen sind das Zeichen des göttlichen Geistes, der Christus erfüllt und von ihm in alle Welt geht. Die Schau Gottes und seiner Herrlichkeit und die Vision von der Anbetung des Lammes sind Grund und Ursprung alles dessen, was im Buche des Sehers weiter folgt. Wir lesen es nur dann recht, wenn wir beide beständig vor unserem Auge behalten. Denn nicht auf die Vorhersagung schauerlicher Begebenheiten in der Endzeit der Welt kommt es Johannes an, sondern auf die Bezeugung und gleichnishafte Schau der g ö t t l i c h e n G e r i c h t e . Diese Gerichte beginnen nun zu wirken, indem das Lamm die Siegel des Gottesbuches öffnet. Sie sind aber alle, so viele ihrer auch in den sieben Siegel-, den sieben Posaunen-, den sieben Schalenvisionen und den sieben Gesichten vom Falle Babels geschildert werden, nur vorlaufende Plagen für die gottlose Menschheit und teilweise Erschütterungen der kosmischen Ordnungen, sind nur Anfang und nicht Ende. Deutlich wird jedoch sichtbar, wie sie sich zu immer schrecklicherer Größe und Wucht steigern. Unter der Öffnung der e r s t e n v i e r S i e g e l 6, 1 - 8 beschreibt der Seher das Kommen der v i e r „a p o k a l y p t i s c h e n R e i t e r ” , gerufen von den vier Wesen am Throne Gottes. All die furchtbaren und dämonischen Gestalten, die Johannes erschaut, sind Werkzeuge des göttlichen Zornes und müssen seinem Willen dienen. Der erste Reiter bringt die Not des Krieges; darum ist er als siegreicher Kämpfer dargestellt, bewaffnet mit dem alten orientalischen Kriegs- und Königszeichen, dem Bogen. Auch Jesus verkündet unter den Plagen der Endzeit das Kommen von Kriegen (Mark, 13, 7). Der zweite Reiter bringt Aufruhr und innere Zerfleischung der Völker in die Welt, der dritte Mißernte, Hungersnot und Teuerung, sodaß die bloße Nahrung den ganzen Tageslohn verzehrt (6, 6). Der vierte Reiter bringt den Tod über einen großen Teil der Menschheit, ihm folgt die „Totenwelt” (Luther übersetzt fälschlich „Hölle” ), d. h. wohl der endlose Heereszug der von ihm Dahingerafften. Aber alle diese Gerichte sind begrenzt, als Zeichen Gottes, die auf das kommende Weltgericht erst nur hinweisen. So hat auch der Glaube unserer Väter in großen Katastrophen der Natur und der Geschichte den Finger Gottes gesehen. Sie hatten von Johannes gelernt, alles Weltgeschehen vom kommenden Ende der Welt her zu begreifen. Heute muß die Kirche von neuem um den prophetischen Geist bitten, der dies zu tun vermag. Denn noch hat ja das große Weltgericht, das allenthalben Gottes Gerechtigkeit offenbart und zum Siege bringt, noch nicht stattgefunden. Aus dem inbrünstigen Verlangen nach diesem endlichen Siege der göttlichen Gerechtigkeit bricht der Schrei der Märtyrer hervor: „Wie lange richtest du nicht?” (6, 10), nicht ein Ruf selbstsüchtiger Rachgier, sondern die Folge ans dem furchtbaren Widerstreit zwischen der Wirklichkeit der widergöttlichen Welt, die Leiden und Tod über die Gemeinde bringt, und dem Glauben an Gottes gerechte Herrschaft, die sich durchsetzen muß. So sagt auch der Herr selber Luk. 18, 7, daß die Auserwählten Gottes zu ihm schreien Tag und Nacht. Die Antwort, die ihr Gebetsschrei empfängt, ist eine doppelte: eine Tat der Gnade und eine Mahnung zur Geduld. Jetzt gilt das „Noch nicht.” Gott hat es sich vorbehalten, den Tag der Vollendung und des gerechten Gerichtes erscheinen zu lassen, wann er will, und immer dann, wenn die leidende und kämpfende Gemeinde aufseufzt in ihrer Not, wird sie dieser Antwort eingedenk sein müssen. Noch ist die Zahl der Mitknechte und Brüder nicht vollendet, die leiden werden und sollen. Die Tat der Gnade aber ist die Gewähr und das Unterpfand, daß Gottes Gericht kommt, so wahr Gott Gott ist, und darum empfangen die Blutzeugen schon jetzt das weiße Gewand, das ist die himmlische Verklärung, die neue Lebensgestalt, die zu Gottes Reich gehört und ihnen an seiner Herrlichkeit Anteil gibt. In der s e c h s t e n S i e g e l v i s i o n 6, 12-17 wendet sich der Blick des Sehers vom Geschick der Märtyrer dem ganzen Kosmos zu. Darin wird uns ein Grundgesetz des ganzen Offenbarungsbuches sichtbar: das Geschick der Gemeinde und das der Welt ist das Doppelthema seines Werkes. Er scheidet scharf die gottwidrige Welt und die Gemeinde, die im Zeugnis sich bewährt. Aber beide sind auch unlöslich miteinander verbunden, indem sie beide der Vollendung entgegengehen. Vor der Schöpfung des neuen Kosmos (21, 1) aber muß der alte vergehen (20, 11). Auf dies kommende Geschehen weist (6, 12 ff.) die grauenhafte Verwandlung der Gestirne hin, die Erschütterung alles Festen und aller Ordnungen der Natur. Angst ergreift die Menschheit, angefangen von den Königen und den Mächtigen bis herab zu den Niedrigsten. Sie will sich vor dem „Zorn des Lammes” verbergen und kann es doch nicht; sie weiß, daß ihr das Gericht bevorsteht und sie in diesem nicht bestehen kann. Wenn Johannes vom Zorn des Lammes spricht, so versteht er hier wiederum Christus als den Weltrichter, und die seltsame Verbindung der beiden Worte zeigt uns, daß er das Bild vom Lamme gar nicht in dem süßlich-weichlichen Sinne verstanden hat wie eine spätere Frömmigkeit. Davon spricht die e r s t e der beiden Visionen in 7, 1 - 8. Die Knechte Gottes sind die christliche Gemeinde hier auf Erden, die Gottes Wort und das Zeugnis von Jesus Christus hat und bewahrt. Der Seher spricht hier also von der auf der Erde lebenden Gemeinde der Gläubigen. Es darf uns nicht verwundern, daß im prophetischen Schaubilde der Endzeit von ihr die Rede ist. Daß sie von Gott berufen und erwählt und gegründet wird, das ist der Anfang der Endzeit! Die Kirche Jesu Christi ist das Zeichen dafür, daß die große Weltenwende begonnen hat. Sonst gäbe es diese Kirche überhaupt gar nicht. Die Zeichnung der Knechte Gottes mit dem Siegel auf ihrer Stirn bedeutet ihre Errettung und Bewahrung vor den Schrecken der Endzeit und damit zugleich, daß sie Gottes Eigentum sind. Die Zahl 144 000 ist nicht eine mathematische Zahl, eine Zahl, wie wir Zahlen im alltäglichen Leben brauchen, sondern eine Gleichniszahl voll religiösen Sinnes: sie stellt die von Gott gewollte und durch seine Diener verwirklichte Ganzheit und Vollständigkeit der Gemeinde seiner Erwählten dar. Die Nennung der Stämme Israels besagt nicht etwa, daß Johannes hier nur von dem judenchristlichen Teil der damaligen Gemeinde reden wolle, vielmehr ist „Israel” für ihn wie für Paulus der Name der christlichen Gemeinde, weil sie das neue Gottesvolk ist, in dem Gott jetzt seine Heilsverheißung an das alte, abtrünnig gewordene Israel (vgl. 2, 9 und 3, 9 „des Satans Schule” ) verwirklicht hat. - Diese Versiegelung muß geschehen (7, 2-3), bevor die Gerichte Gottes ihren Fortgang nehmen. So weiß denn die Gemeinde Christi, daß Gott selber sie bewahren wird. Das z w e i t e Gesicht des Sehers in diesem Zwischenstück 7, 9-17 stellt der Gemeinde auf Erden die v o l l e n d e t e Gemeinde der B l u t z e u g e n gegenüber, der Gemeinde der irdischen Gegenwart die Gemeinde der göttlichen Zukunft. Verbunden sind beide Bilder durch die Gewißheit des Johannes, daß die jetzige, irdische Gemeinde Christi in Kraft der Versiegelung durch Leiden und Tod hindurch zur siegreichen Gemeinde der Verklärten werden wird. So werden wir jetzt von neuem vor den Thron Gottes geführt: da steht die unabsehbare Schar der aus allen Völkern Erlösten, die Palmen als Zeichen des Sieges in den Händen, in weißen Gewändern; denn sie haben die himmlische Herrlichkeit empfangen. Diese Vision ist im engeren Sinne prophetisch: sie nimmt ja etwas noch ganz Zukünftiges vorweg und schaut dies als schon verwirklicht an. Der heilige Geist trägt den Seher über all das, was noch geschehen muß, hinweg und zeigt ihm schon jetzt die Endgemeinde der Vollendung. Bis zum Allerletzten und Höchsten, das sagbar ist, hat der Prophet hinausgegriffen. Jetzt tritt Schweigen im Himmel ein (8, 1). Noch ist ja dieses Letzte nicht Wirklichkeit geworden. Darum entsteht die Frage: Was muß noch geschehen, bis es kommt? Auf diese Frage geben die weiteren Gesichte die Antwort. In alldem aber, was der Prophet bis hierher schaute, erweist er sich als echter Prophet C h r i s t i : denn der Siegeskönig der Endzeit, der Weltenrichter und -herrscher, der Vollstrecker des göttlichen Willens ist ihm d e r , der gekreuzigt ward und auferstanden ist, der uns erlöst und entsühnt hat mit seinem Blut. Karfreitag und Ostern sind die ewige göttliche Feste, auf der alles Kommende, Gerichte und Verklärung, beruht. Dem Lamm sei Lob und Ehre! Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 38-44 |
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