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Christus wider den Antichrist
von Heinz-Dietrich Wendland

Einführung in die Offenbarung des Johannes Kap. 8, 2 bis 13,18

LeerDer Seher Johannes hatte uns im 7. Kap. im Gegensatze zur Welt, die von den ersten Schrecknissen göttlicher Gerichte getroffen wird, die Gemeinde Gottes gezeigt, die Schar der Erwählten und Versiegelten, die verklärt und rein gemacht sind von aller Sünde. In der nächsten großen Visionen-Gruppe aber, 8, 2 - 11, 17, den  s i e b e n  P o s a u n e n v i s i o n e n  wendet er sich wiederum der Welt, dem ganzen Kosmos zu, den er von neuem von schrecklichen, gegenüber den ersten sich steigernden Zeichen und Kräften des göttlichen Gerichtes heimgesucht sieht. Während die Gebete der Heiligen, der Gemeinde auf Erden bei Gott Erhöhung finden, wird das Feuer des göttlichen Zornes vom himmlischen Altar auf die Erde hinabgeschleudert (8, 3-5).

LeerWieder bleibt Gott in der Verborgenheit seiner Majestät. Schauen kann der Seher nur das Tun der Engel, der Boten und Vollbringer seines Willens, der Vollstrecker seiner Gerichte. Sie blasen die Posaunen, die alten heiligen, gottesdienstlichen Instrumente, die das Zeichen für den Beginn der Endzeit geben, und sie lösen damit den Einbruch der Schrecken und Plagen aus. Die ersten vier von ihnen (3, 7-12) haben kosmische Art: Land und Meer und Flüsse, Sonne und Mond und Sterne werden von ihnen „geschlagen”. Gott ist wirklich der Herr der ganzen Welt, der allmächtig über den kosmischen Ordnungen und Gesetzen steht und sie verändern kann, wann und wie er will. Kein andres Buch des Neuen Testaments hat diese Gewißheit mit solcher Schärfe und Unerbittlichkeit durchlebt und durchdacht wie die Offenbarung. Aber diese Gerichtszeichen haben noch eine Grenze: nur ein Drittel jeweils des Landes und der Geschöpfe im Meer wird von ihnen betroffen. So sind auch sie noch nicht das Endgericht.

LeerDie letzten drei Posaunen werden eingeleitet durch den Ruf des Adlers hoch oben am Himmel, der das dreifache Wehe über die Erdbewohner ausruft. Denn die Schrecknisse der drei letzten Posaunen werden nun unmittelbar die Menschenwelt selber treffen. Was hier geschieht (9, 1-21: die fünfte und die sechste Posaune), ist die Entfesselung dämonischer Mächte. Aber wie kommt sie zustande? Durch Gottes Willen und Gebot, durch das Tun der himmlischen Engel! Ein Engel ist es, der 9, 1-2 den Brunnen des Abgrundes öffnet, das Gefängnis der bösen Geister und gefallenen Engel (vgl. Luk. 8, 31). Gott befiehlt den Dämonen; denn er ist der Allbeherrscher. Das Dämonische ist Werkzeug Gottes, und zwar des göttlichen Zornes und Gerichtes. Und es ist doch zugleich das Gegenreich wider Gott, das dereinst vernichtet werden muß und wird. Aus dem Qualm der Hölle entwickeln sich die zu dämonischen Wesen gesteigerten Heuschrecken, deren Stich den Menschen unerträgliche Qualen bereitet. Doch die versiegelte Gottesgemeinde bleibt von der Heimsuchung verschont (9, 4) wie die Verheißung Jesu Luk.10, 19 seinen Jüngern sagt, daß sie Macht hätten über alle Gewalt des Feindes.

LeerDanach folgt (9, 13-21) der Angriff eines überirdisch-dämonischen Reiterheeres auf die ganze Welt. Die phantastische Zahl (9, 16) drückt das Ungeheure, alle menschlichen Vorstellungen Übersteigende, die sinnwidrige und widernatürliche Gestaltung der Rosse das Grauenvoll-Dämonische aus, in welchem alle irdischen Gesetze und Gestaltmaße gesprengt und überwuchert sind. Die ganze Weltsicht und das Christusbild des Johannes stehen und fallen mit der Gewißheit, daß es übermenschliche, übergeschichtliche und doch in der Menschheit und ihrer Geschichte wirkliche und real eingreifende Mächte des Dämonischen gibt. Nur stehen sie nie wie gleichberechtigte Partner Gott gegenüber: wie sie durch die Engel Gottes entbunden werden, so muß auch ihr entfesseltes Wirken den letzten Zielen Gottes dienen.

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LeerDas dämonische Ungewitter sollte (9, 20-21) die gottlose Menschheit zur Buße führen. Darauf zielen diese vorlaufenden Zorneswirkungen hin. Aber die Menschheit, die am Leben geblieben ist, bekehrt sich nicht. Sie ist in ihrer Gottlosigkeit erstarrt, sie dient weiter den Götzen und Dämonen. Je näher dem Ende zu, desto weniger Buße, desto mehr Verstockung, Götzendienst und Ungerechtigkeit allen Tuns. Der Seher hat es tief begriffen, daß der Unglaube eine gewaltige Machtwirkung mit sich führt, die allenthalben die Herzen verschließt. Und ist der Gedanke der sich steigernden Macht und Entfesselung des Dämonischen und des glaubenslosen Ungehorsams wirklich bloß eine seltsame, gleichsam „negative” Entwicklungsidee, wie heutige Theologen meinen? Die Gerichte Gottes treiben das Satanische ganz heraus, und eben sein völliges, ungehemmtes Herauskommen, Wüten und Toben ist der Anfang seines Endes.

LeerNun aber wendet sich der Seher wiederum von dem dämonischen Unheil ab: Kap. 10 u. 11 bedeuten ein Zwischenspiel, so wie das 7. Kap. vor der Eröffnung des siebenten Siegels ein solches Zwischenstück darstellte.

LeerIn der Vision vom  E n g e l  u n d  d e m  k l e i n e n  B u c h  im 10. Kap. wird durch den Schwur des Engels bei dem ewigen Gott und Schöpfer der Gemeinde Gottes Trost zugesprochen: es wird nun keine Verzögerung mehr geben, Gottes Geheimnis wird vollendet, das heißt, das Ende kommt wirklich bald! - davon soll die Fülle vorläufiger Gerichte, aber auch Gnadenerweisungen an die Gemeinde den Blick nicht ablenken.

LeerAuf höchst seltsame Weise (vgl. den Propheten Hesekiel 3, 1 ff.) wird nun dem Seher neue Offenbarung und Weissagung eingegeben: er muß das Büchlein verzehren, das ihm der Engel reicht. Der Mensch von sich aus kennt sie nichts Darum muß sie in ihn eingehen. Mit dem Buche des göttlichen Endzeitwillens aber, dessen Siegel das Lamm löste (5, 1 ff.) will dies Engels-Büchlein nicht verwechselt werden; es ist nur für die Ermächtigung zu einer neuen prophetischen Weissagung (vgl. 10, 11), wie sie im 11. Kap. gegeben ist. Süß ist es und bitter zugleich; denn die Weissagung bedeutet Heil und Gericht, Leben und Tod, Leiden und Errettung in Einem, wie alsbald das Schicksal der beiden großen, endzeitlichen Gotteszeugen erweisen wird.

LeerDas Thema der neuen Schau des 11. Kap. entfaltet nun die schon im 10. Kap. gegebene Hinwendung zur Gemeinde. Der Scher wird aufgerufen, die sinnbildliche Handlung der  M e s s u n g  d e s  T e m p e l s  (die Vision knüpft an Hesekiel 40, 3 ff. an) zu vollziehen. Im Bilde des geschichtlichen Jerusalem mit Tempel und Altar ist hier die neue Gottesgemeinde, das Christus-Volk gedacht. Was einst der Tempel zu Jerusalem war, das ist sie jetzt: sie ist Gottes Heiligtum und Gottes Wohnung, sie Gottes Eigentum, sie der neue Tempel. „Die darin anbeten” (11, 1), sind die Glieder der Gemeinde. Dieser neue Tempel samt denen, die zu ihm gehören, wird ausgemessen, das heißt gleichsam „festgestellt” in seinem Zustande und Umfange und hinsichtlich dessen, was zu ihm gehört.

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LeerSo entspricht die Gleichnishandlung des Sehers der Versiegelung der Gemeinde, die die Diener Gottes vorgenommen haben (7, 2 ff.). Diese Gemeinde gehört zu Gott! Darum wird sie auch geschieden von dem „äußeren Vorhof” und der Stadt Jerusalem, die von den Heiden eingenommen und verwüstet werden (vgl. Luk. 21, 24). Klein ist die gotterwählte und von Gott geschützte Gemeinde, scharf geschieden von der gottlosen Welt, und selbst in ihrem allernächsten Umkreise triumphiert die heidnische Macht. Das alte Jerusalem, das jüdische Volk - sie sind nicht mehr heilig; heilig und gottbewahrt ist nur noch die Gemeinde Christi. Welch' unerhörter Anspruch! Entweder stammt er aus Gottes Wahrheit oder er ist ein welthassender religiöser Wahn.

LeerDen dämonischen Gewalten, die Johannes schaute, treten (11, 3ff.) die beiden  Z e u g e n  G o t t e s  entgegen, auch sie wie ins Überirdische entrückt, mit unerhörter Wunderkraft ausgerüstet, mit gewaltiger Vollmacht, zu strafen und zu richten. Denn Prediger der Buße sind sie („angetan mit Säcken”), wie Johannes der Täufer, aber größer als er; denn ihr Gericht peinigt die Bewohner der Erde, die Gottlosen (11, 10), größer auch als die Apostel, deren Wort- und Wundermacht in ihnen aufs höchste gesteigert erscheint mit der Wirkung des Todes, mit naturverwandelnder Kraft, mit der Macht den Himmel zu verschließen. Es sind - werden ihre Namen nicht genannt, weil diese Erwartung den Christen jener Zeit bekannt war? -  M o s e  u n d  E l i a , die als die erweislichen Zeugen Jesu Christi wiederkehren vor seiner letzten Ankunft, wie sie, der Prophet und der Mittler des Gesetzes, dereinst hingewiesen haben auf den kommenden Messias durch ihrem Kampf um Gottes Volk, wie sie Mark. 9, 2 ff. die Zeugen der himmlischen Verklärung Jesu sind. Ihr Zeugnis ist die Kraft und Gabe, die Gott in der letzten Notzeit seiner Gemeinde schenkt. Diese beiden Zeugen müssen nun durch Kampf und Tod, durch den Siegesjubel der gottlosen Welt, die ihrem Zeugnis nicht glaubt, durch die Leichenschändung, die die hassende Welt ihnen bereitet, hindurch den Weg zum Leben und zur sieghaften Erhöhung gehen. Das Tier aus dem Abgrund, der Antichrist, überwältigt sie, so wie auch Christus, ihr Herr gekreuzigt worden ist. Aber sie werden auch zum Himmel erhöht, so wie Elia dereinst gen Himmel fuhr (2. Kön. 2, 11).

LeerDas durch die  s i e b e n t e  P o s a u n e  eröffnete Geschehen (11, 15 - 19) ist anderer Art als dasjenige, das dem Rufe der sechs ersten Posaunen folgt. Es ist ein himmlisches Geschehen. Auf zwei Lobgesänge gewaltiger Stimmen im Himmel folgt das Sichtbarwerden der Bundeslade im eröffneten himmlischen Tempel. Der Seher nimmt die alte Erwartung der Wiederkehr der verborgnen Lade auf: die Zeit der Gottes-Ferne und -Verborgenheit ist nun vorüber; Gott will zu seinem Volke kommen, will gegenwärtig werden. Damit ist der Sinn des folgenden Endkampfes zwischen Satansmacht und Gottesherrschaft und der ihm folgenden Endvollendung im voraus bezeugt (vgl. Kap. 12-22).

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LeerSo nehmen auch die himmlischen Lieder, die jetzt erschallen, den göttlichen Endsieg vorweg: die Königsherrschaft über die Welt gehört nun Gott dem Herrn, eine neue und ewige Herrschaft ist damit begründet. Der Empörung der Völker, der gottlosen Menschheit, die sich nicht zum Gehorsam beugen will, begegnet der göttliche Zorn. Die Heiligen, die Knechte, die Propheten - das sind die Ehrennamen der Gemeinde, die ausgesondert ist zum Gehorsam und zur Bezeugung des göttlichen Willens - empfangen den himmlischen Lohn. Verderben vergilt den Verderbern der Erde. Gott errettet seine Schöpfung von seinen Widersachern - das ist das Ja zur Welt, das die christliche Prophetie des Endes spricht.

LeerDiese Lobgesänge zeigen an, wie wir uns auf steilem Wege immer mehr dem Gipfelpunkte der endgültigen Entscheidung nähern. Sie leiten hinüber zu einer neuen großen Gruppe von Gesichten 12, 1 -14, 20, in denen  A n t i c h r i s t  u n d  M e n s c h e n s o h n  einander gegenübertreten, die Herrschaft des Antichrist über den ganzen Erdkreis aufgerichtet, die Kirche des Antichrist begründet und ausgebreitet wird, zugleich aber mit der Erscheinung des himmlischen „Menschensohnes” (Daniel 7), welcher der Weltenrichter und Welterlöser ist, schon das Gericht über den Gottesfeind und sein ganzes Reich sich ankündigt.

LeerDie Herrschaft Gottes ist gekommen: jetzt geschieht  d i e  G e b u r t  d e s  g ö t t l i c h e n  K i n d e s , das zum Weltherrscher eines neuen Aeon bestimmt ist (12, 1-6). Aus uralten antiken Mythen stammt der Zug, daß die Mutter eines göttlichen Kindes von einem Drachen verfolgt wird. Die alte, um die Wende der Zeiten allenthalben verbreitete Sehnsucht nach dem Erlöserkinde, das eine neue Zeit bringen soll, hat der Seher aufgenommen. Er sieht sie in Christus erfüllt. Das Bild der Himmelskönigin 12, 1 ist oft auf Maria gedeutet worden, doch wenn 12, 17 von den Übrigen ihres Samens spricht., so ist sie die Mutter aller Glaubenden, die  K i r c h e  als himmlische göttliche Wirklichkeit, die von Ewigkeit her bei Gott ist; sie ist es, die das Erlöserkind gebiert. Weil es zum Hirten der Völker, zum Wellherrscher bestimmt ist (12,5), muß der Drache Mutter und Kind verfolgen. Er ist der Todesfeind der Kirche und des Erlösers, weil er weiß, daß diese beiden ihn um seine Herrschaft bringen. Aber sie genießen des göttlichen Schutzes, ja das Kind wird - ein Zeichen seiner göttlichen Würde - in Gottes Nähe entrückt.

LeerUns Heutigen scheint es unbegreiflich, daß der Seher hier, mitten in seiner Schau des Endes, von der Geburt des Erlösers sprechen kann. Ist sie denn nicht eine längst vergangene geschichtliche Tatsache? Ja, blickt der Seher nicht oft schon auf den Tod Jesu auf das „Blut des Lammes” als auf ein vollzogenes Ereignis zurück? (1, 5; 5, 9). Doch mit unserer Logik und zeitlich-geschichtlichen Denkweise können wir Johannes nicht verstehen. Die prophetischen Gesichte sind nicht an die zeitliche Folge gebunden. Und vor allem: die Geburt des Kindes soll uns hier als das entscheidende Ereignis der Endzeit selber geoffenbart werden, als das göttliche Geschehen, mit dem der Entscheidungskampf um die Gottesherrschaft einsetzt. Damit will der Seher nicht leugnen, daß die geschichtliche Geburt und der geschichtliche Tod Jesu schon in der Vergangenheit hinter ihm und der christlichen Gemeinde seiner Tage liegen. Vielmehr: was diese Geburt eigentlich bedeutet, daß sie zugleich Gegenwart und daß sie nicht weniger als der Anfang der göttlichen Endvollendung ist, das wird uns hier verkündigt, das sagt Johannes uns in der seltsam-gewaltigen, „mythischen” Sprache seiner Zeit und Welt. Damit trifft er den einseitig rückwärts gewandten Christusglauben unserer Tage an seiner schwächsten Stelle.

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LeerIn dem folgenden Gesicht vom  D r a c h e n k a m p f  (12, 7-12) erhebt sich Michael, der Fürst der Engel, der Kämpfer für Gottes Sache, mit den Seinen wider den Satan, der vom Himmel auf die Erde herabgestürzt wird. Dieser erste himmlische Sieg ist der Beginn der endgültigen Niederwerfung der satanischen Macht. So sah auch der Herr selber in prophetischer Schau „den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz” (Luk. 10, 18). Auf dies Ereignis gibt das Siegeslied 12, 10-12 die deutende Antwort: Gott hat die Macht ergriffen, sein Gesalbter seine Macht erwiesen. Das „hilflose Kind” tritt wirklich die Weltherrschaft an! Der Sieg Gottes und seines Christus aber ist zugleich der Sieg der Märtyrer, der leidenden Gemeinde: durch das „Blut des Lammes”, durch ihre getreues Zeugnis von ihm und durch die Preisgabe ihres Lebens in den Tod haben sie mitgesiegt; gerade ihr Tod ist nun ihr Sieg geworden. Satan kann sie nicht mehr verklagen; denn durch Christi Blut sind sie mit Gott vereint. Wie im Hiobbuche 1, 6 ff. ist der Satan hier als der Ankläger der Menschen vor Gott gedacht. Der Sieg über ihn ist freilich noch kein vollständiger; denn jetzt wird die Erde von seinem Zorne heimgesucht werden, aber er hat nur noch eine kurze Frist. Wie allem Geschehen, so hat der Herr der Zeiten auch ihm die seine zugemessen, und der Satan selber kennt sie.

LeerDie Vision von der Flucht des Weibes vor dem Drachen zeigt nun, wie sich auf Erden der Kampf zwischen Satan und der Kirche fortsetzt (12, 13-17). Das Weib muß fliehen, erfährt aber wunderbare göttliche Hilfe. Deutet die Hilfe, die auch die Erde dem fliehenden Weibe gewährt, einen geheimen Bund an zwischen der Schöpfung und der Kirche, der Schöpfung und dem Erlöserkind? Es hatte ja auch alle Kreatur dem Lamme Lob gesungen (5, 13). So ist deutlich unterschieden zwischen der satanischen Macht und der Kreatur Gottes, und so weit auch jene sich erstreckt, sie kann Gottes Schöpfung nicht vollständig erobern und verzehren. Dies AIles wird im mythischen Bildern abgemalt, abstrakte Begriffe sind Johannes völlig fremd; ihm ist alles verdichtet und geformt zu persönlichem Leben, realer Gestalt, so der Satan zum „Drachen”, der wie ein Meerungeheuer Wasser speit. Johannes hat hier wie oft Züge uralter Mythen, die vom Kampf der Götter mit den Urungeheuern, den Elementargewalten erzählten, übertragen auf den Kampf zwischen Gott und Satan in der Endzeit. Doch so, daß anstelle Gottes selber Michael im Kampf, das Weib (die Kirche) in Leiden und Bewahrung stehen: seine Boten sind tätig, seine Hand ist in allem, aber er selbst bleibt unsichtbar-verborgen hinter dem Geschehen und seine Majestät unberührbar über allem.

LeerWie gewaltig aber nun des Satans Macht sich entfaltet, wie sie über die ganze Welt sich reckt, wie sie nicht etwa bloß brutale Gewalt, sondern geistige Macht und Herzensbezwingung im höchsten Sinne ist, davon kündet das 13. Kap. der Offenbarung, das von Aufstieg und Macht der  b e i d e n  T i e r e  nämlich dem  A n t i c h r i s t  u n d  s e i n e m  P r o p h e t e n  oder Priester handelt.

LeerWie Gott durch Christus sich offenbart, so ist das erste Tier, das aus dem Meer aufsteigt, eine Fleischwerdung Satans. Es trägt die Hörner und Kronen als Zeichen der Herrschergewalt und die „Namen der Lästerung” lästern ©Ott; denn es schreibt sich mit ihnen göttliche Würde zu, so wie im Herrscherkultus jener Zeit die Kaiser „Gott”, „Heiland”, „Herr” genannt wurden. Auch Paulus sagt vom Antichrist, daß er sich für Gott ausgibt und in den Tempel Gottes setzt, an Gottes Stelle (2. Thess. 2, 4). Der Satan macht das Tier zu seinem Stellvertreter und zum Inhaber seiner ganzen Macht (vgl. 2. Thess. 2, 8).

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LeerJa die Gleichheit im Gegenbilde, im Verhältnis des Antichrist zu Christus geht noch weiter: ist Christus das geschlachtete Lamm (5, 6f.), so trägt auch das Tier ein tödlich verwundetes Haupt, aber die Todeswunde ist geheilt - es ist, wie Christus, z» neuem Leben gekommen. Die Welt bestaunt das Tier, sie betet es an, sie nimmt den Antichrist als Offenbarung. Sie bezeugt die Allmacht des Tieres.

LeerDas ist das grauenvolle Widerspiel zur Anbetung des Lammes (5. 9 ff.). Diese dem Tiere erwiesene Anbetung und seine Herrschaft umspannen den ganzen Erdkreis. Alles verfällt seinem dämonischen Bann, ausgenommen allein die Erwählten Gottes, die zur himmlischen Herrlichkeit berufen sind. Damit treten die Welt, die Menschen des Unglaubens und die Gemeinde Gottes in endgültiger, schärfster Scheidung auseinander, und der Antichrist muß wider die Heiligen kämpfen, die einzigen, die sich ihm nicht unterwerfen. Ja, er kann sie überwinden, er kann sie bis zum Tode verfolgen, er kann sie mit brutaler Gewalt ausrotten. Darum schließt das furchtbare Gesicht mit dem Rufe aufzumerken: ist dies die Lage der Kirche, so gibt es nur Eines, die Bejahung des Gefängnisses und des Todes. Hier müssen Glaube und die Kraft des Ausharrens auf den Plan! (Wir lesen und übersetzen anders als Luther: „Wem Gefängnis ist beschieden, der geht ins Gefängnis ein, wer mit dem Schwerte soll getötet werden, wird mit dem Schwert getötet werden” (13, 10) - nur so zerstört der Satz nicht den Sinnzusammenhang und hat er die ganze Härte der willentlichen Übernahme des Geschicks der Märtyrer.)

LeerDem ersten Tiere folgt das zweite, dem Antichristen sein Prophet. Er begründet nun erst ganz die  G e g e n k i r c h e  d e s  A n t i c h r i s t s  (13, 11-18). 16, 13; 19, 20 und 20, 10 wird das zweite Tier ausdrücklich „der falsche Prophet” geheißen. hat Christus seine Zeugen (11, 3 ff.), so auch der Antichrist seine Priester und Prediger. Das Aussehen dieses Tieres ist friedlich, aber seine Rede ist dämonisch und wider Gott. Es unterwirft mit Wundern in der Kraft des Satans alle Erdbewohner. Sie errichten dem Tiere ein Bild und dieses Bild hat dämonisches Leben. Nun ist der Kult des Antichrist fertig; das Reich der widergöttlichen Welt hat in der Religion widergöttlicher Vermessenheit und Gotteslästerung seine geistige Einheit gefunden. Das Bild gehört zum richtigen Kultus im heidnischen Sinne, aber die Bilder heidnischer Götterverehrung sind ja stumm und tot. Das aus Satans Macht redende Bild dagegen ist die Überbietung alles Heidentums und aller Götzen-Verehrung. Der Dienst dieses Bildes erhebt einen ausschließlichen Anspruch, neben dem nichts Anderes mehr Gültigkeit hat: wer es nicht anbetet, ist des Todes.

LeerDie geistige, die „religiöse” Macht dieser „Gegenkirche” beherrscht das ganze Leben; niemand kann mehr Handel treiben, verdienen und existieren, der nicht mit dem Zeichen des Tieres sich zeichnen läßt. Der Name des Tieres wird von dem Seher mit einer Geheimniszahl angedeutet, die seine Leser enträtseln konnten, die aber danach allen Künsten der Auflösung bis auf den heutigen Tag getrotzt hat. Sicher ist nur die ganz bestimmte Beziehung auf den Namen eines Menschen oder seinen Würdetitel wie etwa „Kaiser und Gott”, wie überhaupt hinter diesen beiden Gesichten von den Tieren, die in Anlehnung an Daniels Schau der Weltreiche geschaffen sind (Kap. 7, 3 ff.), eine Wirklichkeit und eine klare Kampfstellung stehen: der Seher deutet mit ihnen die Selbstvergottung des römischen Weltreiches im Kaiserkult. Die Macht, die zum Kampfe mit der Kirche Christi aufsteigt, ist übermenschlich-dämonisch und menschlich-geschichtlich zugleich.

Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 78-85

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-05
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