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von Georg Gudelius |
Unser evangelischer Kalender weist uns am 10. Juni hin auf Valentin Weigel: vor nunmehr 350 Jahren ist „der Ehrwürdige und Gottesgelahrte Mann” zu Zschopau in Sachsen, dem Ort seines ersten und einzigen Pfarramts, im Alter von 58 Jahren gestorben. Daß das Andenken an ihn in unserer Kirche so ganz erloschen ist, hat seinen guten Grund; denn als über 20 Jahre nach seinem Tode die ersten Drucke seiner vielen Predigten und Abhandlungen von Halle aus ihren Weg ins Land nahmen, da warf sich ihnen gleich eine ganze Reihe von streitbaren Theologen entgegen, an der Spitze der „Pastor zu St. Peter in Hamburg und des Ehrwürdigen Ministerii daselbst Senior” Johannes Schelhammer. Man nannte den „berühmten, heillosen Mann” , den „himmelblauen Propheten” von Zschopau einen neuen Thomas Münzer, man warnte vor seinen Anhängern hin und her im Lande und schleuderte gegen sie und den toten Weigel selbst den Bannstrahl lutherischer Rechtgläubigkeit. Aber auch wo man nicht so grobes Geschütz auffuhr, war doch die innere Ablehnung der Weigelschen Gedanken allgemein; man sah in ihnen Verrat an der Reformation, zumal an Luthers und der Bekenntnisschriften Lehre, und so lautet bis heute das Urteil über Valentin Weigel, daß wir in ihm einen der ärgsten Feinde der Reformation zu erblicken haben. Diese Meinung ist nicht unbegründet, und es liegt uns nichts ferner, als daß wir sie zu entkräften suchten. Im Gegenteil: gerade die Tatsache, daß man sich außerhalb der Kirche, in Kreisen, die ein „dogmenloses Christentum” fordern und das in einer „deutschen Religion” zu finden meinen, des Zschopauer Pfarrers erinnert und in seinen Worten eine der „Stimmen deutscher Gottesfreunde” (vgl. Deutsche Frömmigkeit. Stimmen deutscher Gottesfreunde. Hrsg. v. W. Lehmann, Jena, Diederichs, 1916) erkennt, - gerade das macht auch uns hellhörig und läßt uns mit aller Vorsicht an ihn herantreten. In der Tat: bei Weigel lesen wir schlimme Dinge. In seinem „Dialogus de Christanismo” sagt Weigel von Melanchthon, er sei kein theologus, höchstens ein „grammaticus, Graecus, Aristotelicus, Physicus” , und gegen die „Zank- und Buchstabentheologen” , gegen „Buchstäbler und Maulchristen” hat er alle Register seiner spitzigen oder polternden Polemik spielen lassen. Er hatte ein waches Auge für die mit der Orthodoxie über die lutherische Kirche hereinbrechende Gefahr: daß die Bibel aus einer Quelle des religiösen Lebens umgestaltet würde zu einem Kodex der „reinen Lehre” und daß man über theologischen Formulierungen und Streitereien vergessen könnte, wie nicht die Theorie, wohl aber das Wirklichwerden des Glaubens im Leben des Christen, das Erfülltsein mit Kraft ans der Höhe das Entscheidende sei. Können wir auch dem, was Weigel positiv über die Gestaltwerdung des Glaubens, über Wiedergeburt und Heiligung sagt, nicht folgen, so wäre es doch Unrecht ihm gegenüber, wollten wir seine Warnung überhören und uns nicht durch ihn hinweisen lassen auf jene Wirklichkeiten, die uns in der Bibel als Grundtatsachen unseres Glaubens beschrieben sind: „Christus in uns” , darauf kommt in der Tat alles an. „Da er eigentlich Christus ist: gestern, heut und in Ewigkeit, wir können es nit eher mit Wahrheit sagen, wir befinden und fühlen denn die Kraft Christi in uns selbst; sonst lügen wir und hilft uns Christus nicht.” Ja, sagen wir. besser wissend als Weigel, wer Christus ist: Wenn wir uns nicht durch Christus hineinziehen lassen m die große Wandlung, wenn der Heilige Geist sich nicht als reale Kraft m unserm Leben erweist, dann spielen wir mit Begriffen und geben der Welt nur Anlaß, über die Kraftlosigkeit des Christentums zu spotten. Valentin Weigel hat - in seiner Weise - sehr ernst von dem geredet, was uns als geistliches Leben neu wichtig geworden ist. „Wer nun in der Liebe oder im Glauben bleibet, der bleibet in Gott, oder mit Christo, und tritt in die Fußstapfen Christi und ist ein Nachfolger Christi, und ist ein Licht in dem Herrn, er bleibet ein Baum des Lebens aus Gott gepflanzet, er wird ein angenehm Opfer dem Herrn, indem er mit Christo seinen Willen Gott aufopfert; er leidet und stirbt mit Christo, und sein Leben ist in Gott verborgen durch Christum. Also wird und ist der gläubige Mensch ein Zeuge der Wahrheit wie Christus, nämlich mit seinem Leben und Wandel bezeuget er auch vor der Welt, daß das Leben Christi oder Christus der wahrhaftige Weg sei zum Vater im Himmel. Also wird er auch in, mit und durch Christum andern Leuten ein Vorbild und Muster des Lebens. Wo aber Christi Leben und Wandel nicht ist. da ist auch kein wahrer seligmachender Glaube, noch kein Christ.” (Von der seligmachenden Erkenntnis Gottes, Kap. 14, gekürzt.) Wir haben aber mich Zeugnisse dafür, daß Weigel um das Schweigen in der Weise gewußt hat, die wir meinen, wenn wir es als eine, ja in gewissem Sinn als d i e geistliche Übung bezeichnen. Kommt nicht im Schweigen das am vollkommensten zum Ausdruck, was das Wesen geistlicher Übung bildet: das Geöffnetsein für das, was Gott an uns tun will? Und haben wir nicht gelernt, auch das Gebet wieder von diesem äußeren und inneren Stillewerden her zu begreifen? Auch Valentin Weigel wußte um diesen Zusammenhang, und verschiedene seiner Schriften enthalten ausgesprochene Anweisungen zu dieser geistlichen Übung des Schweigens und - des Betens; und die Gebete, die er selber dem Leser darbietet für den Fall, daß sich beim Stillewerden im Schweigen auch dunkle, untergründige Kräfte in ihm regen, sind geladen mit der ganzen Spannung meditativer Versenkung, und wir spüren es ihnen geradezu leibhaft an, wie sie nicht bloß geschrieben, sondern betend erprobt worden sind. „Auf solche oder dergleichen Gebetlein bleibe bei dir selber eingekehrt und warte in einem Schweigen auf Gott, was er in dir rede und wirke, und ob du gleich nicht bald süßen Trost befindest, so wird er doch wohl zu seiner Zeit und Stunde kommen: er kann doch nicht außen bleiben. Also magst du dich oftmals üben eine halbe oder ganze Stunde oder länger, bis du in eine Gewohnheit kommst. Darnach kehre dich heraus an deinen Beruf und Arbeit, so bist du kein Enthusiast, Wiedertäufer oder Mönch, sondern ein Christ. Diese Übung ist das rechte Beten, und ist keinmal umsonst, ob wir gleich nach dem Auskehren gar nichts an uns befinden. Ja nach solcher Übung, da wir oft nicht daran gedenken, ergeußt sich das göttliche Licht in uns, daß wir im Glauben wachsen von Tag zu Tag. Amen. Amen. Amen.” (Vom himmlischen Jerusalem in uns, Kap. 7, gekürzt.) Johann Arndt hat ein gut Teil von Valentin Weigels „schönem Gebetbüchlein” in seine „Sechs Bücher vom wahren Christentum (2. Buch, Kap. 34) aufgenommen, und mit diesem weitverbreiteten Erbauungsbuch ist Weigels Gut, die Anweisung zu echter geistlicher Übung in die Herzen vieler eingezogen, die sich vom „Weigelianismus” , von Weigels allzu mystischen und schwärmerischen Spekulationen fern und frei hielten. Sollte dieser Weg zu Valentin Weigel nicht auch uns zum Segen werden können? Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 127-130 |
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