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Wie man lernt, zu schweigen und stille zu werden
von Wilhelm Stählin

LeerIm Fastenbrief hatte ich aus einem Brief die Frage weitergegeben, wie man es denn lernen könne, bei Tag und Nacht zu wirklicher Ruhe und innerem Schweigen zu kommen. Zu meiner tiefen Freude habe ich dazu eine ganze Reihe von Zuschriften empfangen, die zu dieser Frage wirklich „etwas Wesentliches und Hilfreiches” sagen. Aus diesen Briefen möchte ich einiges mitteilen. Ich tue es mit tiefem Dank nicht nur für dieses Echo, sondern mit jenem Dank, der in den Briefen des Neuen Testaments so oft aufklingt: Ich danke Gott, wenn ich euer gedenke; danke mit euch für das, was euch geschenkt ist. Die Leser werden mit mir empfinden, wie sehr alle diese Antworten im Letzten und Tiefsten übereinstimmen.

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LeerWenn Schweigen heißt, die Gedanken überhaupt abzustellen, so kann ich es auch nicht. Ich meine, man muß suchen, nicht mit sich und über sich zu reden, sondern Gedanken und Worte ganz auf Gott zu lenken und zwar in solchen Stunden weniger bittend als dankend und lobend... Schlaf bringt solches Loben und Danken auch nicht immer, aber es gibt Ruhe, und es gibt auch Kraft für den Tag... Es gibt auch ein Nicht-Schlafen vor Glück.

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Leer... Ich selbst komme ja soeben aus einer Zeit, in der viel zwangsläufige Stille und „Schweigen” war. In der Tat nützt einem das zunächst gar nichts; sondern es jagt irgend etwas, oder eins das andere, in einem herum, - man kanns nicht einmal Gedanken nennen, sondern eher wild aufeinander folgende Vorstellungen. Bis man der Stille einen Inhalt und eine Richtung gibt! Ein Wortlaut von etwas, was man „im Schlaf” kann, Psalm, Morgen- und Abendgebet oder Lied. Wenn man müde oder krank ist, darf man sich nicht besinnen müssen. Dann tropft das ins Bewußtsein, füllt es aus und bringt es in Ordnung, und es ist, als wüßte man ganz genau, wer die Unordnung eigentlich angestiftet hat. Ist man wach und gesund, geht dasselbe natürlich mit Lesen und Denken und Betrachten. Aber zuerst muß man einmal wollen und den Anfang machen...

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Leer... Wenn nach der Arbeit des Tages die Stille beginnt und innerlich noch so manches weiterredet, dann schreibe ich in ganz gewöhnlicher aber ganz langsamer schöner Schrift, in der jeder Buchstabe sein Recht erhält, ein Wort, das mir einmal half, einen Bibelabschnitt, über dem ich still werden, in den ich hineinhören möchte... Das ging zuerst sehr schwer und langsam, heute brauche ich mich nur hinzusetzen und anzufangen, dann beginnen die Tagessorgen schon abzufallen und zu schweigen... Ich muß dabei freilich die immer weiterhetzende Uhr wegsetzen, weil sie mich hindern kann. (!)...
LeerNichts hilft oft ein ganz leise, aber hörbar und langsam hingesprochenes Bibelwort die redenden Stimmen zu jener Ordnung zu führen, die dann Schweigen nach sich zieht...

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LeerIch hatte mir immer eingebildet, sehr viel vom Schweigen zu verstehen... und glaubte auch seinen Segen zu kennen, wenn ich die vielen stillen Zeiten benutzte, um z. B. in Gedanken lange Briefe zu schreiben oder ebenso lange Gespräche zu führen. ... Dann kam ich auf eine Berneuchener Freizeit. Unser Leiter führte uns zum Schweigen vor uns selbst. ... Nun durfte ich, sollte ich sogar die Gedanken ganz ruhen lassen - gar nichts tun in der stillen Zeit - das war schön - aber zunächst fremd und unheimlich- was ist denn nun wirkliches Schweigen? Doch kein Vakuum? Schweigen bedeutet: gar nichts selber tun wollen, außer auf Gott warten. „Weicht nichtige Gedanken hin, wo ihr habt euren Lauf - ich baue jetzt in meinem Sinn Gott einen Tempel auf.” ... Es gibt Menschen, die werden erst recht hell wach, wenn sie schlafen sollten und möchten. Da arbeiten Gedanken und Phantasie so lebhaft wie je am Tage - und das ist kein Schweigen und keine Ruhe! - Da muß man sich zwingen, ganz langsam ein einfaches kindliches Verschen oder Gebet oder nur eine Zeile zu sprechen; ist man allein, wirklich sprechen, sonst „denken” - ... „In Gott ruht meine Seele” oder „Ich bin in Gott geborgen”...
„Es leuchtet Dir der Himmelslichter Zier.
Ich sei Dein Sternlein, hier und dort zu funkeln,
Nun kehr ich ein. Herr rede Du allein,
Beim tiefsten Stillesein zu mir im Dunkeln.”Leer (Tersteegen)
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Leer... Vor Jahren hatte ich mit ... ein Gespräch über das Schweigen, und wir nannten das innere Reden „Feind Nr. 1”, und ich halte es noch heute dafür. Wessen Feind? Gottes Feind. Es ist nämlich ein Reden gegensätzlich zu Gott, und ich glaube, nur von dieser letzten Tiefe her kann man es verstehen und - heilen. ... Es ist letzten Endes ein Nicht-schweigen, also Nicht-ja-sagen-können zu seinem sehr persönlichen Schicksal... Sein ganz persönliches Schicksal als Liebe Gottes erkennen, ist der einzige Weg zum Schweigen. ... Nun ist eben das schwer, im unverständlichen Schicksal die Liebe Gottes erkennen, und umgekehrt können wir das nur im Schweigen vor Gott.
LeerDer erste Schritt ist sicher: zu erkennen, zu merken, daß wir reden, das zweite: was wir reden. Wenn wir genau darauf achten, so schämen wir uns meist, was für nebensächliche Dinge da geredet werden. Für mich ist eine Hilfe, mir vorzustellen, man redete plötzlich laut, oder irgendein Mensch, den wir sehr schätzen, hörte uns zu oder könne Gedanken lesen... Wir müssen auch einfach Ernst machen mit der Ehrfurcht vor der Macht der Gedanken, und jeden Abend sehr ernst nehmen die Formel: gesündigt in Gedanken, Worten und Werken. Sie sagten einmal, ein inneres Schimpfen sei eine Meditation des Bösen. Nun, dies innere Geschwätz ist sicher eine Meditation des Nebensächlichen. ...

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Leer... Wenn wir schon nicht schweigen können, dann wenigstens Vernünftigeres reden. Dann: versuchen, langsamer zu reden, wenigstens nicht so unkonzentriert alle 5 Sekunden etwas anderes... Sich vornehmen: einen bestimmten Weg, der 5 Minuten dauert, nun wirklich zu schweigen...
LeerGroße Hilfen sind andere Menschen, deren Wesen aus dem Schweigen kommt. ...
LeerWichtig:... sich ein Bild vorzustellen, während man geht, näht, usw., also Phantasie beschäftigen, inneres Schauen. Sehr große Hilfe: schweigende Räume ! vielleicht entschließt sich doch einmal ein protestantischer Pfarrer, an die Kirchentür zu schreiben: das Reden in der Kirche ist verboten! Wir hatten in ... jetzt die wohltuende Erfahrung, daß in dem Raum eine solche schweigende Atmosphäre war, und er bekam sofort eine starke eigene Kraft. . ..
LeerGottesdienst ist natürlich die größte Hilfe, ein Gottesdienst, der so stark ist, die Menschen schweigen zu lassen...
LeerDas „Beten” halte ich nicht ohne weiteres für ein Hilfsmittel gegen inneres Reden, weil es sehr wohl inneres Reden nur auf höherer Stufe sein kann. ... - Singen ist eher noch ein Hilfsmittel, weil es vorgeschriebene Worte, aber anders als Gebete, kein freiwilliges Tempo zuläßt, und einige Melodien haben in sich etwas Beruhigendes.

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LeerFolgendes ist mir Hilfe geworden.
LeerSchweigen ist warten auf Stimmen, die Leben spenden. Die Zucht des Schweigens löst unser „Ich” von seinen eigenen, unruhevollen weltlichen Stimmen. Läßt uns horchen auf Nöte, Fragen der Brüder. Erzieht uns, die Worte milde zu setzen. Lehrt uns Hingabe. ..
LeerFür innere Ruhe in schlaflosen Nächten müssen wir, ebenfalls als Erstes, unser Ich lösen von den eigenen Sorgen und Wünschen. Gleich dem Kind - die Hand ergreifen, die sich uns ausstreckt - im Vaterunser. - Ferner beten für die, die uns am Tage wehe getan, die uns erschreckt, enttäuscht haben. Auch für die, die in einem irdischen Glück stehen, das uns nicht beschieden. Als Zweites, unserer Lieben gedenken, der Freunde, des Vaterlandes, der Kirche, 1. Korinther 12 lesen oder langsam, leise im Dunkel der Nacht, Vers um Vers sagen, oder die Seligpreisungen. Der Gefangenen, Kranken, Blinden, Sterbenden gedenken; in Bitten um sie sein! Um eigenen würdigen Tod flehen... Schon naht der Morgen. Vogelstimmen werden wach. Glocken klingen. Sich fest in diese Töne legen, mitloben . . . Im Geiste einstimmen
Leer„Großer Gott wir loben Dich”. Die schlaflosen Nächte werden Freunde - nicht Feinde . . . „Geheiligt werde Dein Name”. Unsern Mitmenschen wenig von Schlaflosigkeit sagen! Wir müssen festen Willen haben, unser Ich zu lösen. Kein Schlafmittel. Keinen Nervenarzt. Ein Kind muß allein zum Vater gehen wollen!
Leer. . . Wenn eine Gemeinschaft sich selbst überlassen bleibt, dann brodelt sie durcheinander wie eine Schulklasse vor dem Eintritt des Lehrers, eine Zuschauerschaft vor dem Beginn der Vorstellung. Dieses unruhige Gebrodel hört von allein nicht auf, im Gegenteil, es wird, wie jede Verspätung des Lehrers, des Vorstellungsbeginnes zeigt, nur immer lebhafter. Innerster Sinn dieses Gebrodels ist aber doch das Bestreben nach Ausgleichung, Ausrichtung, harmonischem Gleichgewicht. Der Lehrer tritt ein, die Vorstellung beginnt - und mit einem Schlage ist die Ruhe, die Ausrichtung, das Schweigen da. So auch der einzelne Mensch. „Ich will schweigen”, „ich will meine innere Unruhe überkommen”: das gelingt - wenigstens nach meinen Erfahrungen, nie, - es ist ein ungeschickter Vorsatz. Nur die Ausrichtung, die Sammlung „auf den Lehrer”, „auf die Vorstellung” führt zur inneren Ruhe, zum Schweigen. . .
Leer In dem von Ihnen zitierten Briefe wird u. a. die schlaflose Nachtstunde genannt, die mir besonders vertraut ist. Da gibt es zunächst eine körperliche Hilfe zur Beruhigung: die andächtige Überwachung des Atems. Keine Atemkunststücke, keine Willenseinwirkung, nur das ganz ruhige Ausatmen - Warten, bis die Einatmung von selbst einsetzt - Einströmenlassen des Atems. . . . Der liegende Körper ist völlig entspannt (die Glieder, der ganze Körper „vergißt sich selbst” - so möchte ich es ausdrücken.) Wer diese Übung mit aller Aufmerksamkeit macht, der gleicht bereits der Klasse vor dem Lehrer, - das Gebrodel verstummt. -
LeerDann mag man ein Wort in sich aufnehmen, einen kurzen Satz. Z. B. „Nun komm der Heiden Heiland”. Nur diese fünf Wörter (die Kürze halte ich für wesentlich.) „Aufnehmen” - das bedeutet nicht, bohrend darüber nachdenken. „Die Heiden” - das ist die brodelnde Schulklasse, das bin ich selbst. „Nun” (jetzt und hier!) komm der Heiden Heiland - und diese auf ihn hingerichtete Haltung ist ja ein „Gesammelt-werden”, ein Sich-ordnen, ein Sich-in-die-Ruhe-stellen, ein Gleichgewicht-finden des heidenmäßigen Durcheinanders der brodelnden Gedanken und der in und hinter ihnen treibenden Triebe. ...
LeerEs handelt sich, um es kurz noch mal zu sagen, nicht darum, das Schweigen zu suchen, die innere Ruhe, sondern darum, sich in Andacht auszurichten: etwas ganz Bestimmtes, Eindeutiges zu erfüllen mit seinem ganzen Herzen, mit seiner ganzen Seele, mit seinem ganzen Geiste. Und es ist dann freilich kein Zufall, daß solche Forderung anklingt an das erste und vornehmste Gebot (Matth. 22, 35-40): Wer sich selbst in der Hingabe verliert, der begegnet dem Vater. -

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LeerEben da ich diese Briefstellen zusammenfüge, kommt mir das neue Buch von Max Picard in die Hände „Grenzen der Physiognomik”, darin finde ich einige Sätze, mit denen diese Äußerungen vom Schweigen und Stille-werden einen rechten Abschluß finden:

Leer„Das Menschengesicht ist viel mehr Gott hingehalten als den Menschen; es ist zu allererst Antwort an Gott, es antwortet dem Schöpfer. Diese Antwort geschieht im Schweigen... Das Gesicht ist nur in dem Maß laut und deutlich zu den Menschen hin, als die Antwort an Gott, das Schweigen zu Gott hin, es erlaubt. Die Deutlichkeit und Lautheit zu den Menschen hin ist diesem Schweigen untergeordnet. Von diesem Schweigen, von dieser Ruhe, beginnt jedesmal die Antwort, die Bewegung zu den Menschen hin. ... Da die Bewegung an der Ruhe entspringt, so weiß sie hier eher, was wirkliche Bewegung ist, als dort, wo es nichts anderes gibt als Bewegung...”

Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 142-147

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-04
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