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Sankt Michael
von Bernhard Martin

LeerErzengel MichaelDas Bild des Erzengels Michael, dessen Wiedergabe man in diesem Briefe findet, gehörte mit drei anderen etwa ebenso großen Bildern, mit denen es auf die nämliche Holzplatte gemalt ist, auf die linke Seite eines Flügelaltars, der in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts entstanden ist und in dem Kloster Altenberg in Hessen aufgestellt war. Heute kann man es in der Städelschen Bildersammlung in Frankfurt am Main betrachten, wo übrigens auch die ebenfalls vier Bilder umfassende rechte Altartafel zu sehen ist.

LeerTrotz der Nachbarschaft der erwähnten drei anderen Bilder ist es ganz in sich geschlossen und durchaus bestimmt, für sich allein angeschaut zu werden. In großer Einfachheit gibt es den Kampf des Erzengels mit dem Drachen wider. Seine Gestalt steht leicht gebogen und in edel fallende Gewänder gehüllt mit weit ausgebreiteten Flügeln und stark geneigtem Haupte da, in den Händen anscheinend mühelos den Speer haltend, der fast eine ganze Bilddiagonale deutlich kennzeichnet und dem Drachen in den Schlund gestoßen ist. Dieser erfüllt schalenartig den unteren Bildrand, indem sein Kopf sich links, sein Schwanz sich rechts um Michael emporzieht. Seine Zähne, Zunge, Augen und Ohren sind schrecklich, in ruhevollem Gegensatz zu ihnen steht der Heiligenschein des Gottesstreiters. Die Farben des Bildes sind einfach und leuchtend, fast nur gelb und rot, dieses, das irdische rot, vorherrschend und das Ganze bestimmend. Damit ist alles Wesentliche des Bildes erwähnt.

LeerVon dem ruhigen Gebaren und der friedevollen Miene Michaels könnte man zunächst in Erstaunen versetzt werden. Es ist kaum einzusehen, wie von dieser anmutigen Gestalt das Untier zu ihren Füßen überwunden worden sein soll. Auch scheinen beide, der Kämpfer und der Gegner, wenig mit einander zu tun zu haben. Keiner sieht den anderen an, und fast scheint der Drache das Maul selbst geöffnet zu haben, damit des Engels Speer gut hineinpasse.

LeerMan könnte sogar eine gewisse Gelassenheit des Künstlergemütes, das Vorherrschen eines leisen Spieltriebes vermuten, so niedlich und mehrfach ist der Drachenschwanz gerollt, und so regelmäßig und ornamental sind die Federn auf den Engelflügeln gemalt. Ein rein Dekoratives scheint an die Stelle persönlichen Ausdruckes getreten zu sein, und Michaels Gestalt ist schwer zu entnehmen, ob sie männlich oder weiblich gedacht ist.

LeerDies alles, was ja mit dem Stil des Bildes zu tun hat, führt aber bereits zu seinem tiefen Gehalte hin. Allerdings liegt seine Größe nicht in der Wiedergabe irgend eines persönlichen Gefühls, weder des Malers selbst noch Michaels, sondern in der Sprache seiner Gebärden. So bringen etwa der Kopf des Drachens und das Haupt des Erzengels schlicht und eindeutig das Wesen der beiden Gegner zur Anschauung. Dort herrscht das Tier, die bloße Naturhaftigkeit, das Untermenschliche, hier der Ritter, der Gewappnete, eine übermenschliche Macht. Bis in alle Einzelheiten kann man der Verschiedenheit der Kämpfer nachgehen, und dann begreift man, was der Künstler durch die einfache Gegenüber- oder Zusammenstellung sagen will: Wer so friedlich schaut, sich so gelassen bewegt, ums Haupt so erleuchtet ist, dem liegt das Untier zu Füßen. Indem Michael auf dem Drachen stehend dargestellt wird, wird ihm der Sieg einfach zugesprochen. Die Geste des Sieges war jener Zeit wichtiger und nährender als der Anblick irgend einer Anstrengung. In monumentalen Gebärden schildert das Bild das wahre Verhältnis des Gottesstreiters und des Widersachers, und die Geste des Sieges gehört mit Notwendigkeit demjenigen Wesen zu, das so geartet ist wie die Michaelgestalt dieses Bildes.

LeerSo erklärt sich auch das sinnende Fortschauen des Engels, das scheinbar freiwillige Öffnen des Maules bei dem Drachen, so auch das über alles Dekorative weit hinaus sprechende Ringeln des Schwanzes und Ausbreiten der Flügel, so die Leibesverrenkung des Untiers und die anmutige Gelassenheit des Siegers. Menschliches, Göttliches und Widergöttliches durch Gebärden zur Anschauung zu bringen, war das Bestreben und Vermögen der romanischen Kunst. So ist aus dem Bilde eine wundervolle, wirklich herrliche Charakteristik Michaels zu gewinnen. Der Erleuchtete, der Gelassene, der Aufrechte, der Schön-Gewandete, der mit den schwingenden Flügeln, der über Männlich und Weiblich Erhobene, der mit dem Speer Gerüstete, der ohne Eigenwillen Demütige, der Unnahbare, der Tapfere, dies alles ist Michael.

LeerNun kommt es aber bei einem solchen Bilde nicht allein darauf au, daß es aus seiner Zeit verstanden werde. Denn es stellt selbst ein Überzeitliches dar, eine machtvolle Tat und Tatsache, den Himmelskampf einer göttlichen mit einer widergöttlichen Macht, was alles in sehr verschiedenen irdisch wahrnehmbaren Gestalten nachgebildet worden ist und nachgebildet werden kann.

LeerDas Altarbild von Altenberg ist aus dem Erlebnis dieser Tatsache hervorgewachsen, und dieses Erlebnis hat seine feierliche, seelentragende, krafterweckende Gebärdensprache ins Leben gerufen. Dennoch ist dies alles die Sprache einer weit zurückliegenden, bestimmten Zeit, die der Nachfahre zwar verstehen und bewundern, aber nicht völlig als die seine empfinden kann. Was damals geschah, aus der eignen Zeit ein gültiges Erzengelbild aufzustellen, das kann auch heute angestrebt werden. Nicht indem der Unberufene den Pinsel zur Hand nimmt, wohl aber indem jeder Berufene - und das ist jeder, der es sein will - aus Achtung vor dem Urbild das Nachbild zu durchschauen sucht und nur als Stufe auf dem Wege zu dem Urbild hin nimmt.

LeerSo kann das edle, einfache Bild durchaus zu Michael weisen und führen, dessen göttliches Wesen, gebändigt und sozusagen erträglich gemacht, aus ihm herausschaut, dessen Geisteskraft aber fraglos jede menschliche Vorstellung überbietet.

LeerDas Bild wie auch der Erzengel selbst wendet sich an einen Jeden persönlich. Aus den wenigen Worten, die das Neue Testament über ihn aussagt, und aus den Erfahrungen, die ihm der Christus-Lebens-Kampf bringt, kann ein Jeder sein herbes, verpflichtendes Bild innerlich aufbauen und so in seine Gefolgschaft eintreten. Michael, der „unüberwindlich starke Held”, der „himmlische Kapitain”, ist der oberste Führer all derer, die Christus dienen wollen, und die in seine Kampfschar eintraten, haben in ihm stets nicht nur einen Fordernden, sondern einen Helfer erlebt. In aller Welt und in uns allen hilft er den Widersacher Christi überwinden, früher und heute und wohl auch in Zukunft.

Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 162-164

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-04
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