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Die christliche Bestattung der Toten
von Wilhelm Stählin

LeerBei der Vorbereitung eines Merkblattes über die Zurüstung und den Schmuck des christlichen Altars tauchte die Frage auf, ob bei einer kirchlichen Totenfeier, etwa einer „Messe zum Gedächtnis Verstorbener” der Altar zum Zeichen der Trauer schwarz verhängt, ob er mit der violetten Farbe der Buße oder mit der weißen Christus-Farbe des Lichtes und der Auferstehung bekleidet werden sollte. Während wir darüber sprachen, empfanden wir mit erschreckender Deutlichkeit, wie hinter einer scheinbar ganz äußerlichen Frage der liturgischen Formen und Gebräuche letzte Fragen nach dem Sinn und der Tragweite unseres gottesdienstlichen Handelns überhaupt verborgen sind; nur damit ist es überhaupt zu rechtfertigen, wenn wir mit ernster Überlegung und Sorgfalt uns bemühen, bis in solche Äußerlichkeiten hinein alles „richtig” zu machen, das heißt so, wie es dem Glauben der Kirche gemäß ist.

LeerWir haben uns in großer Einmütigkeit dafür entschieden, daß bei solchen Gottesdiensten der Altar mit der weißen Farbe der österlichen Hoffnung geschmückt werden soll; und wir konnten keine andere Entscheidung treffen, wenn wir das ernst nehmen und treu bewahren wollten, was die christliche Kirche von Anfang an über ihre Verbindung mit ihren verstorbenen Gliedern geglaubt und in der Art, wie sie ihre Toten bestattete, bekannt und dargestellt hat.

LeerDie Nachrichten und Denkmäler ans der alten Kirche zeigen unmißverständlich ein Doppeltes: Mit der gesamten alten Welt teilten die Christen, wie es nicht anders sein konnte, die Überzeugung, daß die Toten in einer uns verborgenen Weise noch in unserer Nähe weilen, daß sie sich sozusagen erst allmählich ans dem irdischen Lebensraum entfernen, daß sie über den Tod hinaus unserer liebenden Fürsorge bedürftig sind, und daß in einer geheimnisvollen Weise wir auf sie, vor allem aber sie auf uns wirken; um dieser Zusammenhänge willen ist der Dienst der Bestattung eine bedeutsame Pflicht jener pietas, die wir ebenso den Verstorbenen wie der Gottheit selber schulden. Aber diese Fürsorge wird nun durch den christlichen Glauben in charakteristischer Weise gewandelt. Während in der gesamten vorchristlichen Welt der Ritus, den die Lebenden den Toten erweisen, wesentlich der Angst vor den Toten entspringt, leuchtet über den christlichen Grabstätten von Anfang an der helle Schein der Freude und der Hoffnung; der Leib wird bestattet, nicht um feindselige Mächte und ihre bösen Einflüsse zu bannen, sondern um an den Särgen triumphierend die Hoffnung der Auferstehung zu bezeugen.

LeerAlle Sitte, mit denen die Gemeinde den Tod ihrer Glieder umkleidet, vom Gebet bis hin zum Tragen des Sarges, wird zu einem festlichen Dienst, mit dem die Heimgegangenen gleichsam über die Schwelle der himmlischen Heimat geleitet werden; auch von Bischöfen, wie Ambrosius von Mailand oder Gregor von Nyssa, wird uns erzählt, daß sie selbst den Sarg ihrer Angehörigen mitgetragen haben. Auch der tote Leib empfängt eine Ehre, wie sie das Heidentum nicht gekannt hat: „weil der heilige Geist diesen Leib als Gefäß und Organ zu allen guten Werken gebraucht hat” (Augustin). „Weil wir uns freuen, darum singen wir Psalmen bei dem Tod der Unsrigen” (Chrysostomus); erst sehr viel später wurde es üblich, an dieser Stelle Bußpsalmen, vor allem den 130. Psalm zu beten. Die Verbindung der Kirche mit ihren Gliedern wird durch den leiblichen Tob zwar verändert, aber nicht eigentlich unterbrochen oder ausgehoben; an den Gräbern der Märtyrer, über der Leiche des Verstorbenen wird das Heilige Mahl gefeiert, und so unmittelbar fühlt man die Heimgegangenen in die Gemeinschaft des Heiligen Mahles einbezogen, daß verschiedene Synoden davor warnen mußten, den Friedenskuß auch an den vor dem Altar aufgebahrten Leichnam auszuteilen oder ihm die Hostie in den Mund zu legen!

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LeerDie Ostkirche hat auch in diesem Punkt das Erbe des urchristlichen Realismus reiner bewahrt als die Kirche des Abendlandes; sie kennt keine eigentlichen „Totenmessen” und gibt da, wo sie ihrer Toten gedenkt, immer der Freude über den vollbrachten Sieg den weitesten Raum. In der römischen Kirche des Mittelalters wurde alles geistliche Geschehen wie unter einem verhängnisvollen Zwang in ein rechtliches Schema gefaßt; unter diesem Drang wandelte sich der altchristliche Glaube an eine reale Verbundenheit mit den Heimgegangenen in eine gesteigerte kirchliche Machtfülle, die auch den Verstorbenen ihre Gnade zuwendete oder versagte. Die Höllenangst, von der die Herzen am ausgehenden Mittelalter gepeinigt waren, erzeugte einen bald ins Maßlose gesteigerten Eifer, durch Stiftung von Messen den „armen Seelen” im Fegfeuer zu Hilfe zu kommen. Die bedenklichen finanziellen Vorteile, die die Kirche ans diesem Glauben zog, drängten sich, wie es nicht anders sein konnte, bald In den Vordergrund, und aus der Siegesfreude, mit der die alte Kirche ihrer Toten gedachte, wurde ein von der Angst gefördertes blühendes Unternehmen der kirchlichen Finanz-Wirtschaft.

LeerWie hätte das 16. Jahrhundert hinter diesem Unwesen noch den eigentlichen Sinn des Dienstes erkennen können, den die Kirche ihren heimgegangenen Gliedern erweisen will? Der Unfug der unzähligen Seelenmessen samt allem, was damit zusammenhangt, erregte den besonderen Zorn der Reformatoren. „Demnach haben wir in unseren Kirchen die päpstlichen Greuel, als Vigilien, Seelmessen, Begängnis, Fegfeuer und alles andere Gaukelwerk, für die Toten getrieben, abgetan und rein ausgefegt und wollen unsere Kirchen nicht mehr lassen Klagehäuser und Leidesstätten sein, sondern wie es die alten Väter auch genannt Koimeteria, das ist für Schlafhäuser und Ruhestätten halten. Denn es auch billig und recht ist, daß man die Begräbnis ehrlich halte und vollbringe zu Lob und Ehre dem fröhlichen Artikel unseres Glaubens, nämlich von der Auferstehung der Toten und zu Trotz dem schändlichen Feind, dem Tod.” (Luther; Erl. Ausg. 56, 300 f.) Die doppelte Front, in der diese Worte geschrieben sind, ist für die ganze Haltung der Reformation in dieser Frage charakteristisch: gegen die Praxis, die bestimmte Kulthandlungen den Verstorbenen zuwendet, und alle daraus entspringenden Mißbräuche, und gegen die Verdunkelung des Evangeliums von der Auferstehung durch den auf Klage und Buße gestimmten Ton des kirchlichen Toten-Kultus.

LeerAber auch an diesem Punkt hat die Polemik ins andre Extrem getrieben und ein wesentliches Moment des alten kirchlichen Glaubens an den Rand des christlichen Bewußtseins gedrängt. In einer Württembergischen Kirchenordnung (1536) wird als Zweck des kirchlichen Begräbnisses genannt die öffentliche „Kundschaft” der Auferstehung, die Bemessung der Liebe und Freundschaft, schließlich die Erinnerung an den eigenen Tod und die Mahnung zur Bereitung auf ein seliges Sterben. Damit ist im wesentlichen alles das bezeichnet, was bis heute in der evangelischen Kirche als Sinn und Aufgabe des kirchlichen Dienstes am Grabe gilt. Von einer realen Verbindung mit den aus dem zeitlichen Leben abgeschiedenen Gliedern der Kirche und von einem Liebesdienst, den die irdische Gemeinde ihnen schulden oder leisten könnte, ist nicht mehr die Rede. Der kirchliche Dienst der „Bestattung” gilt mehr den Lebenden als dem Verstorbenen, er ist ein seelsorgerlicher Dienst an den Trauernden, eine Gelegenheit zur Wortverkündigung, die umso verantwortungsvoller ist, als hier „das Wort” auch solche erreicht, die kaum mehr an unseren regelmäßigen Gottesdiensten teilnehmen. Aber das könnte grundsätzlich auch in Abwesenheit des Toten und fern vom Grab geschehen, und es ist eher eine ehrwürdige Gewohnheit als eine tiefere Notwendigkeit, daß sich dieser volksmissionarische und seelsorgerliche Dienst mit dem bürgerlichen Akt der Bestattung verbindet, mit dem er eigentlich nichts zu tun hat.

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LeerDiese verbreitete und ziemlich allgemein herrschende Auffassung von dem kirchlichen Dienst der Bestattung leuchtet dem gesunden Menschenverstand ein, und sie kommt dem allgemein menschlichen Bedürfnis nach einer das Gemüt bewegenden Feierlichkeit an der furchterregenden Stätte des Todes entgegen; aber es ist darin nichts mehr enthalten von der unmittelbaren Gewißheit, daß die Kirche in die unsichtbare Welt jenseits dieses Erdenlebens hineinragt, und daß die Glieder, die durch den Tod unseren Augen und unserer Anrede entrückt sind, nicht aufhören, Glieder der Kirche zu sein. Aber diese Denkweise, die das Mysterium verloren hat, wird nach drei Richtungen durchkreuzt und in gewissem Maß aufgehoben.

Leer(1) Während die Kirche nach ihrer eigenen Theorie bei der Bestattung sich nur an die Lebenden wenden dürfte, um ihnen zu bezeugen, was der christliche Glaube von Tod und Auferstehung zu sagen hat, hat auch die evangelische Kirche praktisch nie aufgehört, in dem Akt der Bestattung an dem Toten selbst zu handeln. Die Bestattung im engeren Sinn, die Einsenkung des die Leiche bergenden Sarges in das Grab, ist nicht ein weltliches Geschäft, das auch ganz außerhalb der kirchlichen Feier durch irgendwelche profanen Instanzen besorgt werden könnte, sondern dieses äußere und sinnenfällige Geschehen ist gerade in die kirchliche Feier selbst einbezogen; in manchen Gegenden wird bis heute im Rahmen der kirchlichen Bestattungsfeier das Grab zugeschaufelt und der Hügel aufgerichtet, und auch wo das nicht geschieht, wird doch dieses notwendige Tun in der der Liturgie eigentümlichen sinnbildlichen Weise durch die drei Handvoll Erde (die man eben nicht stimmungsvoll durch Blumen ersetzen kann!) wenigstens angedeutet.

LeerWichtiger als dieses Handeln mit dem Leichnam sind die Worte, die dabei gesprochen werden; die Formen sind landeskirchlich und heute wohl auch individuell sehr verschieden; immer aber sind es Worte, die in irgend einer Weise dem Verstorbenen selber gelten und keinesfalls mehr als seelsorgerliche Anrede an die Umstehenden gedeutet werden können. Die kirchlichen Ordnungen scheuen auch nicht die direkte Anrede an den Verstorbenen: „Von Erde bist du genommen, zur Erde sollst du werden; unser Herr Jesus Christus wird dich auferwecken am Jüngsten Tage.” In einer Landeskirche (Bayern) ist bei der „Aussegnung” im Sterbehaus ein Segenswunsch gebräuchlich, der ursprünglich als Gebet in der Sterbestunde gemeint war, nun aber die Todesgrenze überspringend dem Toten selbst zugewendet wird: „Es segne dich Gott der Vater, der dich nach Seinem Bild geschaffen hat! Es segne dich Gott der Sohn, der dich mit Seinem Blut erkauft und erworben hat! Es segne dich Gott der Heilige Geist, der dich zu Seinem Tempel bereitet und geheiligt hat! Der gnädige und barmherzige Gott, der deinen Eingang gesegnet hat, segne auch deinen Ausgang von nun an bis in Ewigkeit!” Die Kirche  h a n d e l t  an den Gräbern, sie handelt an ihren heimgegangenen Gliedern.

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Leer(2) Sie handelt, in dem sie „segnet” und für sie betet. Es ist eine alte Streitfrage, an der sich die Geister scheiden, ob es erlaubt sei, für die Toten zu beten. Die Reformatoren selbst verraten in diesem Punkt eine gewisse Verlegenheit und Ängstlichkeit, namentlich gegenüber dem öffentlichen Gebrauch und der liturgischen Formung eines solchen Gebetes für die Toten; sie fühlten sich unsicher, weil sie eine klare biblische Weisung vermißten und andererseits noch nicht wagten, das gänzlich zu verdammen, was ebenso durch gemein-christliche Tradition wie durch ein tiefes Bedürfnis der Glaubenden und Liebenden geboten schien. Aber spiegelt sich nicht diese innere Unsicherheit auch in einem Rat, wie ihn Luther selbst gegeben hat: „Sprich: Lieber Herr, so die Seele in einem solchen Stande wäre, daß ihr zu helfen stünde, mein Herr, so erbarm dich ihrer und hilf ihr! ” (Erl. Ausg. 152, 521). Aber da, wo sich unsere Bekenntnisschriften ausdrücklich mit dieser Frage befassen (Apol. der Augsb. Konf. in dem Artikel von der Messe), da legen sie Wert darauf, daß das Gebet für die Verstorbenen nicht zu verwerfen oder zu verbieten, sondern nur die Zuwendung bestimmter Kulthandlungen an die Toten zu meiden sei; die Väter hätten die Totenmessen nicht als ein Sühnopfer für die Verstorbenen, sondern als eine eucharistia, als ein Lob- und Dankopfer gefeiert. Es ist darum einfach falsch, zu behaupten, das Gebet für die Verstorbenen wider- streite den Grundsätzen der Reformation. Damit aber erhält auch die kirchliche Bestattung ein Gewicht und eine Bedeutung, die über den seelsorgerlichen Dienst an den Lebenden entschieden hinausgeht: Kein anderes menschliches Handeln dringt über die Todesgrenze, und weder Haß und Feindschaft noch alle Ehrung können den Verstorbenen erreichen; aber in dem Gebet der Kirche dringt der göttliche Lebensstrom selbst zu den Heimgegangenen, weil diese Gebete zu Gott dringen, in dessen Hand auch sie ruhen.

Leer(3) Noch tiefer greift das Dritte. Es ist eine alte, auch heute nicht gänzlich aufgelöste Ordnung, daß die Kirche in bestimmten Fällen, vor allem bei der Bestattung von Selbstmördern oder von solchen, die aus der Kirche ausgetreten sind, ihren Dienst verweigert. Wenn die Bestattung als kirchlicher Dienst nur denen gilt, die als Lebende am Grab stehen, welches Recht hätte dann die Kirche, diesen Dienst gerade in den Fällen zu versagen, wo diese Lebenden eines seelsorgerlichen Wortes in besonderem Maß bedürfen? Wer ernstlich der Meinung ist, die Kirche habe auch am Grabe nur an den Lebenden zu handeln, der wird eine solche Entscheidung immer als eine nicht zu begründende Härte empfinden und verurteilen; aber wenn sie an den Toten selbst handelt, so kann sie freilich doch nur an ihren Gliedern handeln; wie könnte sie an denen vollmächtig handeln, die in der ihnen gegönnten Zeit der Entscheidung selbst das Band, das sie mit der Kirche verband, gelöst haben? (Denn auch der Selbstmörder scheidet sich selbst aus der Schar derer, die nicht mehr über ihr eigenes Leben verfügen!) Die alte Kirche hat streng festgehalten, daß die Fürbitte der Kirche nicht in einer zauberhaften Weise allen Verstorbenen nützen könne, sondern nur denen, die in ihrem Erdenleben sich in die Gemeinschaft der betenden Kirche gestellt haben; wie viel weniger dürfte die Kirche versuchen, einen Menschen sozusagen nach seinem Tode zu vergewaltigen, der seinen Ort außerhalb dieser Gemeinschaft gesucht hat!

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LeerHier tritt durch die Oberflächenschicht hindurch, in der die verbreiteten und eingängigen Gedanken verwurzelt sind, eine ältere und tiefe Schicht kirchlicher Einsicht zu Tage. Die Liturgie und die Ordnung der Kirche „wissen” noch, was der Verstand und was auch die „Lehre” nicht mehr weiß. Die Menschen, auch die Theologen meinen, die Kirche könne nur da handeln, wo sie mit ihrem Wort das Bewußtsein des Menschen erreichen und sich durch eine deutliche Antwort bestätigen lassen kann, daß das Wort gehört und richtig aufgenommen worden ist. Eine Denkweise, die den Menschen überhaupt von seinem Bewußtsein her verstehen wollte, hat auch die Kirche nur mit ihren kurzsichtigen Augen gesehen. Aber eben diese Voraussetzung ist ein Irrtum, der sich selbst auch den Zugang zu dem Geheimnis des Sakramentes verschließt. Es gibt ein vollmächtiges Handeln der Kirche, das sich nicht primär an das Bewußtsein der Menschen wendet. Wie dürften wir sonst die Kinder taufen und daran glauben, daß in diesem Handeln wirklich etwas an ihnen geschieht? Man soll nicht mit dem unklaren Wort „magisch” ab les abtun, was in unserm sehr ungenügenden Denken keinen Raum hat.

LeerEs gibt auch eine echte Verbundenheit und darum auch eine echte Stellvertretung unter den Gliedern am Leibe Christi. Dürfen wir nach der Auferstehung Christi dem Tod die Ehre antun zu meinen, daß diese Verbundenheit und diese Stellvertretung zwischen den Gliedern am Leibe Christi durch den leiblichen Tod aufgehoben würde? Sind wir nicht wirklich Bürger mit den Heiligen? Und hören die Heiligen Gottes, die der Herr aus dieser Zeit abgerufen hat, auf zu sein, was sie durch Christus geworden sind? Werden nicht unsere Gebete von der Kirche der Vollendeten als „Rauchopfer” zu Gott emporgetragen? Und ist nicht das Grab gleich dem Altar ein Zeichen jener Grenze, wo Gott das Zeichen der Erlösung und der Vollendung aufgerichtet hat, und steht nicht die Kirche immer diesseits und jenseits dieser Grenze?

LeerDie Kirche hört nicht auf, ihre verstorbenen Glieder als ihre Glieder zu lieben und sie mit ihren Gebeten zu begleiten. Was heißt das? Es wird uns gesagt, wir sollten für die Toten nicht beten, sondern sie „nur” der Gnade Gottes empfehlen. Was ist das für eine seltsame Unterscheidung! Was tun wir denn mit unserer Fürbitte überhaupt anderes, als daß wir die Menschen, die wir lieb haben, in die Hand Gottes befehlen und ihn bitten, er wolle an ihnen seine Gedanken zum Siege führen ? Und wenn wir sie also „nur” der Gnade Gottes befehlen, ist das ein „Nur” oder gar ein Nichts? Ein bloßes Geständnis unserer Hilflosigkeit und Ohnmacht? Oder ist dieses Gebet in aller Zurückhaltung ein reales Geschehen, das über die Todesgrenze hinaus wirksam ist, weil es zu Gott dringt, für den der Tod keine Grenze ist? Wir können uns den Weg, auf dem unsere Verstorbenen weitergeführt werden, nicht vorstellen, und jeder Versuch davon zu reden, bleibt ein Stammeln von Geheimnissen. Aber sollten wir wirklich alle jene tiefen Ahnungen für Wahn und Aberglauben halten, daß unser Leben auf Erden auch für jene anderen Bereiche etwas bedeutet? Daß wir selber ganz und lauter uns Gott und der himmlischen Welt zuwenden, das verbindet uns mit jenen, die die Hülle des irdischen Lebens abgestreift haben, und es hilft ihnen auf ihrem eigenen Wege, auf dem sie von uns getrennt sind. Es gibt keine direkte Verbindung mehr zwischen ihnen und uns; aber wir sind in Gott verbunden, und wir sind auch ihnen nahe, wenn wir uns mit Gott verbinden. Warum sollten wir dem nicht auch Ausdruck geben und ausdrücklich der Toten vor Gott gedenken: „Wir gedenken an die, so im Glauben entschlafen sind; sie mögen ruhen im Frieden, und das ewige Licht leuchte ihnen!”

LeerIn diesem Glauben handelt die Kirche an den Gräbern ihrer Toten, und sie gestaltet, wenn sie sich selbst recht versteht, diese Gräber und die Friedhöfe nicht als Zeugnis der hoffnungslosen Trauer oder der wehmütigen Rückschau ober eines rasch welkenden Nachruhms, sondern als das Bekenntnis zu der durch den Tod nicht aufhebbaren Verbundenheit des Leibes Christi.

LeerWir haben einen merkwürdigen Beleg für das, was wir meinen. Nach einem Bericht aus dem Jahre 1768 hat ein „Priesterkonvent” in Görlitz /1) im Jahre 1525 die „Seelenmessen” abgeschafft (wegen des Fegfeuerglaubens usw.), aber zugleich etwas Positives an die Stelle setzen wollen, nämlich ein feierliches „Requiem” und eine Messe von der heiligen Dreieinigkeit; nach der Meinung des Berichterstatters nicht ein „Opfer für die Toten”, sondern eine „Eulogia”, Fürbitte und Gotteslob. War das nicht über alle Jahrhunderte hinweg eine echte Rückkehr zu dem Glauben und der Übung der alten Kirche? Und ziemt nicht solcher „Messe zum Gedächtnis eines Verstorbenen” und einem solchen fürbittenden Handeln die weiße Farbe des Christuslichtes und der österlichen Hoffnung?

Anmerkung (1): Monatsschr. f. Gottesd. u. kirchl. Kunst 1 (1896), 230 ff.

Ev. Jahresbriefe 1941, S. 45-50

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-17
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