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Gestaltwandel des christlichen Grabmals
von Martin Kautzsch

LeerSeitdem die Kultur des Abendlandes und des deutschen Volkes von christlichem Geist getroffen wurde, gibt es christlichen Totenbrauch und christliche Totenehrung, Der Tod, „der letzte Feind, der überwunden wird”, hat für den Christen durch Tatsache und Botschaft von der Auferstehung des Herrn den Schrecken des unüberwindlich herrschenden Vernichters verloren. Weil Tod und Auferstehung Christi im Mittelpunkt christlicher Lehre und Lebenssicht stehen, bekommt auch der Tod des einzelnen Christen von daher seinen inneren Sinn und eine entscheidende Bedeutung - für ihn wie für die Gemeinde. Das zeigt sich selbstverständlich in den Formen der Gestaltung, in denen die Gemeinde ihrer entschlafenen Glieder gedenkt. Aus dem Wandel der Gestaltung lesen wir andrerseits den Wandel des christlichen Bewußtseins ab.

LeerEs ist kein Zufall, daß „das Grab der Ursprung der christlichen Kunst” ist, wie Friedrich Gerke in „Kunst und Kirche” (1938, 6) ausführlich dargestellt hat. „Aus der Idee der Todesüberwindung ist die christliche Kunst entstanden”, sagt der gleiche Verfasser in seinem Buch „Christus in der spätantiken Plastik” (Verlag Fl. Kupferberg, Berlin, 1940). Das zeigt gerade für die erste Christenheit, die Zeiten der Verfolgungen und Martyrien, die lebenbestimmende Wirkung des Sterbens für die Kirche. Diese Tatsache erwies sich als echte, starke Gestaltungskraft. Dies aber nicht im Sinne einer drückenden Angst vor Vergehen und Vergessenwerden, die die ägyptischen Pharaonen ihre gewaltigen Grabbauten und Pyramiden aufrichten ließ; nicht mit dem Vorzeichen wehmütig-stiller Ergebung in einen unwiederbringlichen menschlichen Verlust, der aus den still-beherrschten Darstellungen Entschlafener auf griechischen Grabmalen spricht, oder aus dem nüchternen Willen zu Erhaltung und Erinnerung an ein besonderes menschliches Antlitz, der der römischen Porträtkunst zugrunde liegt.

LeerDie christliche Beisetzung in Sarkophagen oder in den Arkesolien und Lokuli (Wandgräber) der Katakomben denkt und erinnert gar nicht in erster Linie an den Verstorbenen, sondern an den Herrn und Hirten der Kirche und an die objektiven Glaubensgewißheiten der christlichen Lehre. Die Beisetzungsform in den Katakomben ist von der größten Anspruchslosigkeit, wie es Zeit und Anlaß geboten. Die Verschlußplatten zu den langen Wandgrab-Reihen tragen auf dem weißen Putz Namen und einen kurzen Segensspruch in kunstloser leichter Schrift. Eine Unterscheidung der Glieder der Gemeinde gibt es nicht; reichere Gestaltung kommt der gesamten Grabanlage in Decken- oder Wandmalereien zugute. Alles atmet Freudigkeit und gläubige Zuversicht: die festliche Farbigkeit von weiß, rot und blau, wie die immer wiederkehrenden Bilddarstellung en des guten Hirten, der betenden Kirche (orans) als „Inbegriff menschlichen Notgebetes um Rettung vom Tode” (Gerke), des wundertätigen, rettenden, herrschenden Christus. Gleichartig ist trotz allen Formwandels im einzelnen der Ton, auf den die plastischen Bilder der christlichen Sarkophage seit dem späten 3. Jahrhundert gestimmt sind. Die bildhauerische Formsprache wie die Gestalt des Sarkophags, sogar einzelne Elemente der Darstellung stammen aus der heidnischen Umwelt. Die christliche Zuversicht zum Siege Christi gegen den Tod aber setzt sich mit zunehmender Entschiedenheit durch. Mit der gleichen freudigen Entschlossenheit wie die ersten Jahrhunderte hat die christliche Grabkunst später kaum mehr vom Einzeltod des Christen weggewiesen auf den Auferstandenen, in dem „der Tod in den Sieg verschlungen” ist.

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LeerEine selbständige Form christlichen Totengedenkens bilden in: der Folgezeit die nordischen Hochkreuze in Stein aus Schottland und Irland. Zur Erinnerung an den Tod einzelner Volks- oder Kirchenführer aufgerichtet, sind sie in Grundform und Bildschmuckplan heidnischer Herkunft. Das christliche Element fügt sich langsam als Darstellung des Gekreuzigten oder kleine Bilder aus dem Leben heimischer Heiliger der vorhandenen Gesamtform ein; bisweilen stehen christliche Darstellungen am gleichen Mal neben nordisch-germanischen, verbunden durch die gleiche vereinfachte, streng stilisierte Formsprache und das eigenwillige nordische oder keltische Ornament voll abstrakter Erregtheit. Das innere Bild christlicher Todüberwindung und Sinndeutung menschlichen Sterbens ist erst unvollkommen entwickelt in den Gestaltern dieser Male und ihren Auftraggebern. Es steht unvermittelt neben dem Willen, „des Toten Tatenruhm” über die Zeiten in Erinnerung zu halten.

LeerIn den folgenden Jahrhunderten wirkt dieser Gegensatz als entscheidendes Grundthema der Grabmalgestaltung ununterbrochen fort. Außer dem persönlichen Geltungswillen über das Grab hinaus, ist besonders der Sippengedanke ein mächtiger Antrieb der Totenehrung, mit dem sich die christliche Auffassung auseinanderzusetzen hatte und hat. „Nicht steht ein Denkstein an der Straße Ranb, wenn ihn ein Gesippe nicht setzt”, heißt es in der Ebda; und viele mittelalterliche und spätere Grabmale enthalten in der Inschrift nicht nur ausführlich den Namen des Toten, sondern oft seine Haus- und Sippenmarke oder die Namen der „Gesippen”, die das Mal aufstellten. Über die rechtsgeschichtliche Seite dieser Auseinandersetzung zwischen kirchlichen und germanisch-heidnischen Vorstellungen (Einbeziehung der Totenpflege in den Kultbereich der Kirche, Kirchenraum und Friedhof als Orte des Sippengrabes und als „Grabhaus”, Konzilbeschlüsse über „profana sacrifia mortuorum”) gibt die sehr lesenswerte Arbeit von K. Ruppel, „Die Hausmarke” (Berlin 1939) z. T. überraschende Aufschlüsse. Uns beschäftigt hier nur die getreue Spiegelung der immer wechselnden Situationen in diesem Geisteskampf auf dem Felde der Bildgestaltung.

LeerWie die Sarkophage unb Grabsteine der frühmittelalterlichen Jahrhunderte aussahen, können wir aus wenigen erhaltenen Denkmalen höchstens ahnen. Überhaupt nichts wissen wir über die Grabstätten und Friedhöfe der einfachen Christen bis zum 15. Jahrhundert. Die Könige, Herrscher, Ritter, Kirchenfürsten und Geistlichen dagegen, später auch die Patrizier der Städte haben auf die Errichtung von Grabplatten und -malen in Kirchen und Kreuzgängen von früh an großen Wert gelegt. Schon im Jahr 442 (Konzil von Vaison) mußte dem gesteuert werden: „Nach den Vorschriften der Vorfahren soll verhindert werden, daß jemand innerhalb der Kirche begraben wird; vielmehr soll dies im Vorhof oder Säulengang oder im Anbau der Kirche erfolgen.” Die Synode von Tribur (995) gestand Bestattungen in der Kirche zu; Grabmäler und Hinweise auf die Beisetzung im Fußboden blieben streng untersagt. In den „Merseburger Gewohnheiten” von 1323 ist nur noch eine Einschränkung ausgesprochen: „Niemand außer dem Bischof oder einem Vorsteher wird im Schiff der Kirche begraben.” Im Kirchenraum war, wie uns viele Nachrichten und erhaltene Denkmäler beweisen, der hervorragendste Platz für Bestattungen die Stelle vor dem Kreuzaltar mitten im Schiff (s. W. Haftmann, die Bernwardsäule zu Hildesheim, Ztschr. für Kunstgesch. 3/4, 1939).

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LeerDie geistliche Rangordnung der Kirche, die zum selbstverständlichen Bestandteil mittelalterlicher Frömmigkeit gehört, äußert sich in der Unterscheidung der Christen auch im Tode. Die Beisetzung von Fürsten und Herrschern unter besonderen Grabmalen im Schiff der Kirchen ist ein Teil der weltgeschichtlichen Auseinandersetzung zwischen dieser Ordnung und der Wirklichkeit politischer Führung. So gehört z. B. zu den frühesten erhaltenen Grabmalen des Mittelalters bereits die Bronzebild platte des Gegenkönigs Rudolf von Schwaben im Schiff des Merseburger Doms (um 1180). Sie zeigt den König von vorn, stehend in voller Figur, mit Szepter, Krone und Reichsapfel (die er tatsächlich nie besessen hat!); die Umschrift spricht von „König Rudolf, der für das Recht der Heimat... und die Kirche gefallen ist”. Er fiel bekanntlich in der Schlacht von Hohenmölsen gegen Kaiser Heinrich IV. Jeder Hinweis auf eine christliche Sinndeutung des Sterbens fehlt. Das ist zunächst überraschend und für die landläufige Vorstellung von mittelalterlicher Frömmigkeit befremdend, zumal wenn wir an Sarkophage und Katakomben des christlichen Altertums denken oder noch an Darstellungen wie den Gedenkstein aus S. Alban Mainz (nach Dehio spätkarolingisch, für Erzbischof Hatto); er zeigt Christus in priesterlichem Gewand, auf der Rückseite ein großes Kreuz.

LeerDie Bildnisplatte im Sinne des Males für Rudolf von Schwaben ist nicht nur eine völlig neue Grabmalgattung des Mittelalters ohne erkenntliche Vorgänger, sondern seit dem 11. Jahrhundert die allein beherrschende Art bis ins 16. Jahrhundert geworden. Wir müssen diesen erstaunlichen Sachverhalt mit der Nüchternheit sehen, die den großen Schilderer mittelalterlicher Kunstgeschichte, Georg Dehio in seiner „Geschichte der deutschen Kunst” zu folgenden Schlüssen führt: „In der Grabkunst des Mittelalters ist der Hauptgegenstand die Bildnisfigur ... Die Fortdauer in einem Jenseits ist ein nicht im Zweifel gezogenes Stück der Kirchenlehre, aber ein die religiöse Sehnsucht beherrschendes Hauptstück, wie im frühen Christentum, ist dieser Gedanke nicht. Die sich Grabdenkmäler dieser Art errichten ließen, dachten zuerst an die Fortdauer ihres Gedächtnisses im Diesseits. Wer aus der Literatur die Bemühungen der Kirche kennt, den Menschen die Überzeugung von der Vergänglichkeit und Wertlosigkeit des irdischen Durchgangsdaseins einzuprägen, muß über diese unumwundene Auflehnung des Persönlichkeitsbewußtseins und seine Duldung, ja Unterstützung, schließlich durch die Kirche selbst, erstaunen.” Es kommt hinzu, daß der Verstorbene nicht sfchlafend, liegend oder gar als Leichnam dargestellt ist und damit die Vergänglichkeit des irdischen Daseins angedeutet wird - dafür gibt es erst im 16. Jahrhundert ein Beispiel im „Landgrafenchor” der Marburger Elisabethkirche -, sondern als Lebender, mit dem Zeichen seines Berufes oder seiner Würde. Wir haben keinen Anhalt dafür anzunehmen, daß damit der Tote sich als Träger dieses Amtes oder Berufes etwa am Jüngsten Tag unter Gottes Urteil stehen wollte.

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LeerUnd doch ist eins gegenüber Dehios Schluß zu bedenken: die Grabkunst des Mittelalters ist ein rein kirchliches Gestaltungsgebiet; denn die uns erhaltenen Bildnisplatten befinden sich sämtlich in christlichen Gotteshäusern und wären außerhalb von deren Mauern undenkbar. Der Auftrag der Kirche hindert sie nicht, die Erinnerung an ihre verstorbenen Bischöfe und Priester, wie auch die Fürsten, Herren und Ritter unter ihren Gliedern im Gotteshaus selbst, mitten in der Gemein de der Lebenden anschaulich wach zu halten. So nehmen sie teil am täglichen Gottesdienst, wie die Erinnerung an sie ein Stück dieses Gottesdienstes ist; und daß sie das möglichst leibhaftig - in porträthafter Eindringlichkeit - tun, beweist uns nur die erstaunliche Unbedingtheit, mit der das Mittelalter von der Zusammengehörigkeit der Gemeinde der Toten und Lebenden in Gebet und Lobgesang überzeugt war. Daß der Tote nicht als typische Idealgestalt, sondern im Abbild seiner geprägten Persönlichkeit an Verkündigung und Sakrament im Gottesdienst teilnahm, wird nicht wenig dazu beigetragen haben, immer wieder die Glaubwürdigkeit der una sancta ecclesia und ihrer Verheißung in Tod und Leben ober die Gewißheit des Apostelworts anschaulich vor die Gemeinde zu stellen: „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn; darum wir leben ober sterben, so sind wir des Herrn.” In welchem Umfang sich mit diesem entscheidenden geistlichen Sinn der nordisch-germanische Gedanke des Nachruhms (bewußt ober unbewußt) verband, wird wohl nie endgültig und klar abzugrenzen sein.

LeerSo stehen die langen Reihen der Bilder und Persönlichkeiten auf mittelalterlichen Grabplatten aus fünf Jahrhunderten vor unserem Auge: - als Glieder der betenden und feiernden Kirche, für die der Tod seit der Auferstehung ihres Herrn keine Trennung mehr bedeutet. Ihr Blick ist nach vorn gerichtet, nicht etwa ins Profil gestellt, wie bei griechischen Grabmalen - was für Reliefdarstellungen das Natürliche und Naheliegende wäre. Die Forschung schließt aus wenigen vorhandenen Beispielen, daß die ursprünglichen Totenerinnerungsmale dieser Art Mosaikbilder mit dem Bild des Toten in voller Vorderansicht gewesen seien. Die Wirkung ist jedenfalls die, daß damit die innere Verbindung mit der Gemeinde und ihrem Gottesdienst hergestellt ist. Die Figur ist nicht auf sich selbst bezogen, mit sich allein beschäftigt ohne Rücksicht auf die Umwelt; sondern sie tritt „aus sich heraus”, spricht uns an, ist ausgerichtet, will mehr sein als das Abbild iihres Daseins. Die geistliche Funktion des Grabmals als Teil in Gottesraum und Gottesdienst wird damit erneut betont.

LeerWenn Kleidung, Stil, Haltung und Ausdruck sich auch wandeln in diesem langen Zeitabschnitt, die geschilderte Grundabsicht bleibt die gleiche: bei der verschwimmend- körperlosen Figur des Rudolf von Schwaben 1080 mit dem stark plastischen Kopf (dessen Augen wir uns durch eingesetzte Glasflüsse belebt zu denken haben), wie bei dem ebenso unbestimmt schwebenden, in eine Vertiefung eingebetteten Stuckbild der Äbtissin Adelheid in Quedlinburg (nach 1129), die in ihrer schwer befangenen Körperlichkeit den rechten Arm in altchristlicher Orantenstellung zum Gebet hebt. Sie betet mit der Kirche für das Leben der Christen, das wie die Umschrift sagt, „vanitatis similis factus est” und „dessen Tage wie ein Schatten vergehen.” Der romanischen Zeit liegt das entschiedene Hinausweisen über das begrenzte irdische Dasein durch zeitlos-einfache und wenig gegliederte, strenge plastische Form. Dieser Wille prägt hier auch der Bildnisdarstellung das Gesetz des Überpersönlichen, Allgemeingültigen auf.

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LeerFür die stolze und selbstbewußte Zeit der staufischen Ritterkultur nennen wir als Beispiel das Marmorgrabmal Heinrich des Löwen und seiner Gemahlin Mathilde im Braunschweiger Dom (um 1240). Obwohl die Figuren auf dem Deckel der Tumba liegen, bleibt es unklar, ob sie stehend oder liegend gedacht sind; diese beiden Vorstellungen bleiben tatsächlich bis zum Ende des Mittelalters „ineinander verschränkt, aller realistischen Logik zum Hohn” (Dehio). Jedenfalls sind die Braunschweiger Gestalten nicht im Todesschlafe, sondern in jugendlicher strahlender Lebensfülle dargestellt. Heinrich, der große Kämpfer um die Kolonisation des deutschen Ostens und Gegenspieler Barbarossas, hält das Schwert neben sich in der einen und das Modell des Domes, den er gestiftet hat, auf der anderen Hand; die Herzogin erhebt betend die Hände unter das Kinn. Das neue Gefühl der Zeit für gelöste und sprechende Leiblichkeit, über Frankreich aus antiken Quellen gespeist, verbindet sich mit dem erregten Spiel meisterhast geformter Gewandfalten zu einem Bild temperamentvoller und doch gehaltener Kraft.

LeerMilder, zarter und stiller ist im 14. Jahrhundert die Haltung des nicht unähnlichen Doppelgrabsteins des Landgrafen Heinrich Otto und seines Sohnes in der Marburger Elisabethkirche. Geist der Mystik spricht aus dem still-gelassenen Händefalten der beiden gleich „jugendlichen” Männer, die nicht fest auftreten wie der Braunschweiger Sachsenherzog, sondern schwebend über die stützenden Löwenkörper zu gleiten scheinen. Noch entschiedener spricht dieser Wille gotischer Vergeistigung aus der großartigen Figur des Bischofs Friedrich von Hohenlohe im Bamberger Dom (um 1351). Dieser überschlanke, körperlose Asket, dem Krummstab und Buch zu schwer zu sein scheinen, ist nur noch als Zeichen von der Meisterhand eines ganz großen Bildhauers vor die leere Platte „hingeschrieben” (Pinder). Der porträtartige, knochig-schmale Kopf blickt versunken nach unten; eigentlich blickt hier ein Mensch in sich hinein, dem die bischöflichen Insignien mehr Zutat und Bürde sind. Hier nimmt der Mensch angesichts des Todes schon im Leben Abstand von sich selbst, um sich für Gottes Wirken „durchsichtig” zu machen. Der wenig jüngere Grabstein des Erzbischofs Gerlach von Mainz in Kloster Eberbach/Rhein (um 1360) zeigt in einer Sockelzone - eine Seltenheit! - das Bild von Christi Auferstehung und seiner Begegnung mit Maria Magdalena als Hinweis auf den Sinn des christlichen Sterbens.

LeerDas späte 14. Jahrhundert macht uns auch mit einer großen Zahl bürgerlicher Bildnisgrabsteine bekannt und bildet als neue Gattung den Totenschild in der Kirche aus, der als direkte Ableitung des „Heergewätes” im germanischen Sinne zu gelten hat. Einzelne Originalrüstungen oder Rüstungsteile als Totenmal sind in Kirchen erhalten. Der Totenschild enthält meist nur Namen und Wappen oder Hausmarke des Toten; nicht immer war dieser in der Kirche beigesetzt, in der sein Schild an der Wand hing. In vielen Städten, z. B. Nürnberg, findet sich Figur und Wappen verstorbener Stadtherren und ihrer Familien als „Gedächtnis” auch in den Glasfenstern der Kirchen; meist knien sie dann mit betend erhobenen Händen zu Seiten einer Madonna- oder Heiligenfigur, einem Bild des „Gnadenstuhls” oder dem „Erbärmdebild”. Dem Totenschild fehlt jeder solcher Hinweis auf die Ausrichtung von Tod und Sterben von Christen. Doch wurde diese Gattung nie beherrschend und bildet eine rasch verblühende Episode in der Geschichte des Grabmals.

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LeerDie monumentale Bildnisplatte entwickelt sich über die lieblichen, satten und daseinsfreudigen Darstellungen des beginnenden 15. Jahrhunderts (z. B. Grabstein der Anna v. Dalberg zu Oppenheim) zu Menschenbildungen von starker innerer Erregtheit. So steht z. B. bei dem Doppelgrabmal Kaiser Heinrichs II. und der Kaiserin Kunigunde im Bamberger Dom von Tilmann Riemenschneider (1499 bis 1513) die zuckende Beweglichkeit der Gewandsprache über gebrechlichen Körpern im Dienst einer aufgewühlten und beunruhigten Geistigkeit. Ein vergleichender Blick auf das Denkmal Heinrichs des Löwen in Braunschweig belehrt uns, wieviel unbeschwerte Selbstbewußtheit - auch gegenüber dem Tod - den Christen der Jahrzehnte vor der Reformation verloren gegangen ist.

LeerZugleich geht der ursprüngliche Sinn für die gottesdienstliche Aufgabe des Grabsteins im Raum verloren. Wie das gleichzeitig vordrängende, bewegliche Tafelgemälde wird der Grabstein zum Andachtsbild. Auf der Grabplatte des Erzbischofs Uriel von Gemningen im Mainzer Dom (nach 1514) läßt der Bildhauer Hanns Backoffen den Kirchenfürsten im vollen Ornat zu Füßen des Kruzifixes knien, geleitet und beschützt von dem Domheiligen St. Martin. Die dröhnende Heftigkeit aller Bewegungen und die schwere Körperlichkeit täuschen über die (innere Erschütterung nicht hinweg, die sich als Kennzeichen der Zeit an solchen meisterhaft durchgeformten Werken ausprägt.

LeerDie gleiche Zeit bildet auch das Epithaph als neue Form des Grabmals endgültig aus, die Wandgrabplatte, die weder als Platte oder Tumbadeckel im Schiff der Kirche liegt, noch an den Pfeilern aufgestellt wird. Ihre Vorgänger waren die Totenschilde. Der inneren Wandlung zur privaten Frömmigkeitspflege im Gedenken an Tod und Tote entspricht der äußere Wechsel zum „beweglichen” Totenmal mit einer ausgesprochenen Andachtsdarstellung. In diese wird der Tote als Teil des Bildgedankens einbezogen. In Deutschland, auf das wir uns dabei beschränken, ist der Wandel von der einfachen Bildnisplatte zur reichen Bilddarstellung oft an Grabmalreihen abzulesen, .die in einzelnen Kirchen erhalten sind, so z. B. die Gräber der Familie von Berlichingen im Kreuzgang des früheren Klosters Schöntal (Wttbg.). Außer dem Gekreuzigten wird wohl auch ein Reliefbild der Himmelfahrt, der Kreuzigung, der Auferstehung oder sonst ein entscheidendes Geschehnis des Lebens und Leidens Christi gewählt, vor dem der Tote - allein oder mit Frau und Kindern, - im Relief oder auch als Freifigur kniet. Mitunter sind es reiche Aufbauten mit zahlreichen Reliefplatten, vor denen die Stifterfigur ganz in den Hintergrund tritt. Vom Bodensee durch Mitteldeutschland (Magdeburg, Sachsen z. B.) bis nach Schleswig-Holstein, von Schlesien bis Münster und Trier begegnen uns in den Kirchen diese altarähnlichen Riesen-Aufbauten zum Gedächtnis wohlhabender Adliger, Bischöfe, Stadtherren oder Kaufleute durch das 16. und 17. Jahrhundert.

LeerDer barocke Überschwang drängender Körperlichkeit und lebhafter Bewegung sind nicht dazu angetan, uns von der Echtheit und Tiefe des christlichen Bewußtseins vor dem Wirken des Sensenmannes mit dem Stundenglas - der in diesem Zusammenhang oft auftaucht - zu überzeugen. Einzelfiguren aus den besten Werken dieser Art beweisen aber doch immer wieder den Ernst, mit dem das bildhauerische Können der Jahrzehnte vor dem Dreißigjährigen Kriege und während seiner Dauer sich um die Deutung des christlichen Sterbens bemühen. Ein schönes Beispiel schlichter, echt evangelischer Beschränkung auf die wesentliche Aussage im Kleide der Zeit ist das Grabmal Nosseni in der Dresdener Sophienkirche, von Sebastian Walther geschaffen in den Jahren, in denen Heinrich Schütz in Dresden lebte und seine Musik für den kurfürstlichen Hof und für den evangelischen Gottesdienst der sächsischen Hauptstadt schrieb. Der Bildhauer beschränkt sich auf die vollplastische Darstellung des stehenden „Schmerzensmannes” und des Verstorbenen, der an einer zurückliegenden Seitenplatte in echter Ergriffenheit auf die Knie gesunken ist.

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LeerDas 18. Jahrhundert benutzt die Gestaltung von Grabmälern bedeutender Zeitgenossen auch in Kirchen als Gelegenheit zu einem gut gespielten religiösen Schauspiel; zumal in katholischen Kirchen der Zeit finden wir nicht selten Säulenaufbauten, vor denen der Tote etwa unter einer großen Uhr (mit laufendem Uhrwerk) mit sprechend erhobener Hand auf dem Lager liegt, während Engel aufgeschlagene Bücher oder Abzeichen ihres Amts tragen (Grabmal Plettenberg, 1706, im Dom von Münster), oder vor einem Kruzifixus an einem Bühnenvorhang kniet oder aus einem solchen Vorhang heraus nach vorn vor die erstaunte Welt tritt, im eleganten Schritt des höfischen Weltmanns auf den Knochenmann am vorderen Rande zu (Marschall von Sachsen in Straßburg). Die Papstgrabmäler Berninis und seiner Zeit in St. Peter in Rom haben hier offenbar Schule gemacht. Im evangelischen Bereich bildet sich gegen diese, uns unzugängliche Frömmigkeit im Totenmal die überwältigend schlichte Gemeinschaftsform der Herrnhuter Gottesäcker heraus.

LeerSeit der Dürer- und Lutherzeit sind wir über die Gestalt christlicher Friedhöfe und ihrer Grabmale unterrichtet. Bereits der bekannte Nürnberger Johannes-Friedhof gibt mit seinen liegenden Gruftplatten das Bild gediegener und selbstverständlicher Einheitlichkeit. Das bleibt auch so, als im 17. Jahrhundert die Darstellungen des Grabsteins mitunter reicher werden (Fischerfriedhöfe auf den friesischen Inseln, schmiedeeiserne Kreuze auf bayerischen und Tiroler Dorffriedhöfen.) Auf den Gottesäckern der Brüdergemeine in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern kommt eine geradezu altchristliche Strenge und Anspruchslosigkeit zum Ausdruck. Nur Namen und Datum enthalten die leicht gewölbten Platten, die ohne Blumenschmuck und Hügel in großen Feldern dicht nebeneinander liegen. Nichts wirkt im Gegensatz zu dem Grab-und Leichenpomp jener Zeit überzeugender, als der Verzicht auf persönliche Eitelkeit und Geltungsbedürfnis vor dem Tode gläubiger Christen als diese schlichten Anlagen.

LeerBekanntlich versammeln sich auf ihnen in der Osternacht die Gemeinden, um den Anbruch des Osterlichtes gemeinsam mit ihren Toten unter Gesängen zu begrüßen. Damit ist dem Gottesacker und mit ihm jedem Grabmal seine ursprüngliche gottesdienstliche Würde zurückgegeben. Über die klassizistischen Anlagen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts hinweg mit ihren formal fein empfundenen Säulen, freiplastischen Tempelchen, Figuren, Vasen, Obelisken und anderen „gelehrten” Formen wirken die Friedhöfe der Brüdergemeine für unsere Tage vorbildlich und gültig in Idee und Gestalt. Die vollendete Willkür der Formen, Farben, Werkstoffe und Maße auf den Großstadtfriedhöfen seit der Gründerzeit läßt uns heute den inneren Wert einer einheitlich gestalteten und ausgezeichneten Gemeinschaftsanlage aus christlichem Bewußtsein besonders eindringlich erkennen; denn das verpflichtungslose und eitle Geltungsbedürfnis und die Sentimentalität dem Tode gegenüber umgeben uns auf den Massenfriedhöfen der Städte, aber auch auf den meisten Landfriedhöfen in ihrer ganzen Trostlosigkeit. Die christliche Kirche hätte und hat allen Grund von der lebenerweckenden Kraft ihrer Verkündigung her gerade hier ihrem Glauben von der Auferstehung des Fleisches aus der Kraft der Auferstehung ihres Herrn glaubwürdige Gestalt zu geben - oder sich wenigstens um eine solche echte Gestalt zu mühen.

Ev. Jahresbriefe 1941, S. 50-56

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-17
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