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Der Brief
von Wilhelm Stählin

LeerWir haben um zwei Freunde zu trauern, deren Tod auch für den weiten Kreis des B. D. einen schweren und schmerzlichen Verlust bedeutet. Arn 31. März d. J. starb, erst 42 Jahre alt, der Leiter der Evangelischen Frauenhilfe, Pfarrer Adolf Brandmeyer in Potsdam. Seine stille und klare Art, seine biblische Nüchternheit und die Wärme seines Herzens gab seinem Wort besonderes Gewicht und öffnete ihm viele Herzen. Die Bibelschule der Reichsfrauenhilfe war der Mittelpunkt einer weitverzweigten Arbeit, die stark von seinem persönlichen Dienst geprägt wurde, und zugleich verwaltete er jetzt während des Krieges ein arbeitsreiches Amt im Dienst der Heeresseelsorge. Der unermüdliche Eifer, mit dem er sich ganz hingab an die Aufgaben und die Menschen, die auf ihn warteten, haben seine Kraft früh verzehrt. Unsere Berliner Freunde, die immer wieder zu Tagen der Besinnung in feine Arbeitsstätte einkehren durften, empfinden besonders stark die Lücke, die sein Tod auch für unsere Arbeit bedeutet. -

LeerAm 17. April starb in Stuttgart Adelbert Alexander Zinn. Er hat seinen 60. Geburtstag, dessen wir im vorigen Jahr gedacht haben, nur um ein Jahr überlebt. Denen, die ihm persönlich nahetreten durften, war er ein väterlicher und gütiger Freund und Berater, vielen anderen, die ihn nur aus seinem dichterischen Werk kannten, ein Meister, durch den sie sich gern von der Freude am geistreichen Wort und Spiel in die innersten Kammern der Weisheit und des Glaubens führen ließen. Die herzliche Verehrung, mit der wir seiner gedacht haben, bleibt mit seinem Namen verbunden.

LeerZugleich aber sprechen wir mit aller Ehrfurcht, die solchen letzten Geheimnissen gebührt, das aus, was viele von uns gerade in diesen Tagen stärker als je empfunden haben: wenn wir in der Feier der Messe unserer entschlafenen Freunde gedenken, so sind wir wirklich mit ihnen verbunden; sie geleiten uns aus der Ferne, und wir geleiten sie auf ihrem Wege, der sie zum Anschauen der göttlichen Herrlichkeit führt.

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LeerSeit dem Beginn dieses Jahres habe ich die schöne Aufgabe, einen Kreis von Frauen der hiesigen Gemeinde für den Dienst als Helferinnen im Amt der kirchlichen Jugendunterweisung vorzubereiten. Mit großer Freude habe ich diese Möglichkeit ergriffen, wieder einmal in einer unmittelbar praktischen Arbeit mitzuwirken. Die tiefen Wandlungen im Gesamtverständnis der Kirche und ihres Amtes haben sehr weittragende Folgen für die Gesamtaufgabe der kirchlichen Unterweisung. Wie viel wir da versäumt haben und wie vieles wir in einem irregeleiteten Eifer verkehrt gemacht haben, ist mir freilich über dieser Besinnung oft erschreckend deutlich geworden. Wir müssen den Mut haben, wirklich umzulernen und neue Wege zu gehen, die freilich in Wahrheit die alten, erprobten und leider verschütteten Wege sind.

LeerZwei Dinge sind vor allem andern wichtig: Die Unterweisung der Jugend ist nur dann ein echter kirchlicher Dienst, wenn sie im engsten Zusammenhang mit dem gottesdienstlichen Leben der Kirche geschieht, als Hilfe und Anleitung, mit der Kirche zu beten und zu leben; und sie ist nur dann ein wirklicher Dienst an den jungen Menschen, wenn sie die Kinder anleitet, den ehrfürchtigen und liebenden Umgang mit der heiligen Welt Gottes in ihr eigenes Leben hineinzunehmen und darin fruchtbar zu machen. Es ist hier nicht der Ort, das im einzelnen auszuführen. - Am Sonntag des Guten Hirten sind die von mir ausgebildeten und einige andere Helferinnen feierlich in ihr Amt eingewiesen worden; selten habe ich so nachdrücklich verspürt, daß wir an einem neuen Anfang stehen, der unter schwierigsten äußeren Verhältnissen uns aufgetragen und uns geschenkt wird. Ich werde von Zeit zu Zeit, wenn es möglich ist, einmal auch in größerem Rahmen berichten, wie es mit dieser Arbeit steht.

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LeerNoch in einer anderen Hinsicht stehen wir vor einem neuen Anfang. In der Frage der kirchlichen Jugendunterweisung kommt eine viel umfassendere Frage dringlich auf uns zu, die uns seit Jahren bewegt: die Zurüstung und Einweisung von Gemeindegliedern zu einem konkreten verantwortungsvollen Dienst am Leben der Kirche. Jeder solcher Dienst fordert eine bestimmte äußere und innere Vorbereitung. Gewiß werden wir nie fertig mit der nötigen Zurüstung und wir hören, hoffentlich, nicht auf weiterzulernen auch in dem, was wir längst ausüben; aber es gibt umgekehrt Menschen, die Jahr um Jahr Anregungen und Hilfen empfangen, etwa auch aus unserer Berneuchener Arbeit, ohne daß hier auch nur vorläufige Ziele wirklich erreicht werden; sie nehmen immerzu auf und wachsen doch nicht hinaus über den Dauerzustand solcher im Grunde unfruchtbaren und unverbindlichen Anregungen. Darüber steht im 2. Timotheus-Brief, wennschon in ganz anderem Zusammenhang, ein erschreckendes Wort von solchen Leuten, die „immerdar lernen und nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen”. Viele von uns haben das Wort Christian Morgensterns von dem „tief demütig lebenslangen Lernen” im Ohr und im Herzen; aber es gilt auch das andere, daß jedes Lernen ein Ziel haben muß, und daß es, ohne Eitelkeit und Überhebung, einen Zustand der Reife gibt, in dem die Früchte bereit werden, andere zu nähren.

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LeerAuf dem Hausaltar eines Freundeshauses - es ist nicht einmal ein feierlicher „Altar” - fand ich 3 hohe schlanke Kerzen, keine ganz der anderes gleich, jede auf einem niederen Leuchter besonderer Form und Art. Das sind bie Taufkerzen, die die Kinder des Hauses bei ihrer Taufe empfangen haben. Jedes Kind kennt „seine” Kerze genau. Bei besonderen Anlässen, vor allem am Tauftag (nicht am Geburtstag) eines jeden Kindes wird seine Kerze angezündet. Das ist ein Taufgedächtnis, das sich dem Kinde unauslöschlich einprägt; wie sehr kommt solche Sitte all dem zu Hilfe, was wir den Kindern über Sinn und Nutzen der Taufe sagen können.

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LeerZu den beiden Aufsätzen, die ich für den „Osterbrief” geschrieben habe, haben mich einige Freunde ihre lebhafte Zustimmung wissen lassen; andere scheinen beunruhigt zu sein vor allem von dem, was ich auf Seite 41 über die kirchliche Bestattung von Selbstmördern geschrieben habe. Vielleicht ist in der Tat nicht ganz deutlich genug geworden, daß ich im Zusammenhang jenes Aufsatzes über die Bestattung der Toten nicht etwa die schwere und verantwortungsvolle Frage nach dem Dienst der Kirche am Grabe eines Menschen, der durch eigene Hand aus dem Leben geschieden ist, oder gar die Frage nach seinem ewigen Schicksal nebenbei habe beantworten wollen. Wie off bin ich selbst mit erschrockenem Herzen an einem solchen Grabe gestanden, voll Not und Frage, warum die Liebe nicht vermocht hatte, einem armen beladenen Menschen den Mut zum Leben zu erhalten oder neu zu erwecken!

LeerWenn man es überhaupt wagen wollte, über diese dunkle Frage des Selbstmordes und das ewige Schicksal dessen, der selbst sein Leben von sich geworfen hat, ein Wort zu sagen, dann müßte dazu vielerlei gesagt werden, woran ich in jenem Aufsatz gar nicht rühren konnte und wollte: wie fließend die Grenze zwischen dem Selbstmord im engeren Sinn und einer heimlichen und chronischen Selbstzerstörung ist, und wie sehr wir gerade hier das Urteil unserer begrenzten Einsicht von dem Urteil, das sich Gott allein vorbehalten hat, unterscheiden müssen; schließlich und vor allem, daß wir auch den armen Menschen, der im tiefsten Sinn am Leben schuldig geworden ist, der Barmherzigkeit Gottes befehlen dürfen, die all unser Verstehen übersteigt.

LeerVon alledem konnte in jenen Sätzen gar nicht die Rede sein, weil es sich dort um eine ganz bestimmte Frage handelt: welchen Sinn hat es überhaupt, wenn die Ordnung der Kirche - in irgend welchen Fällen - die Bestattung versagt, und was folgt daraus für das Verständnis der Bestattung überhaupt? Um es noch einmal mit einem Satz zu sagen: Wenn die Kirche sich in irgend welchen Fällen um des Verstorbenen willen berechtigt und verpflichtet fühlt, ihre Mitwirkung bei der Bestattung zu versagen, so wird darin sichtbar, daß die Bestattung nicht nur ein seelsorgerlicher Akt an den Hinterbliebenen ist; denn von hier ans läßt sich jene Weigerung in keinem Fall begründen. - Es geschieht vielleicht manchen unserer Freunde ein Dienst, wenn ich auf diesen begrenzten Sinn jener Sätze noch einmal besonders hinweise und sie dadurch vor Folgerungen schütze, die ganz außerhalb ihrer Absicht liegen.

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LeerZu den Opfern, die der Krieg von uns fordert, gehört auch dies, daß weniger gedruckt werden kann, als es unserer Gewohnheit und Neigung entspricht; es kann sein, daß in unsere gewohnten Veröffentlichungen noch viel größere und fühlbarere Lücken gerissen werden. Oft frage ich mich, ob nicht auch darin im Grunde - ganz abgesehen von den Notwendigkeiten des Krieges - eine tiefe und heilsame Notwendigkeit sich vollzieht. So wie der leibliche Organismus zu Zeiten sich reinigt, indem er auf Aufnahme neuer Stoffe verzichtet und von seinen angesammelten Reserven zehrt, so sollen wir vielleicht durch äußeren Zwang dazu getrieben werden, das Viele, das uns anvertraut ist, gute ältere Bücher, auch den Reichtum, der in den Jahrgängen und Bänden unserer Zeitschriften vergraben ist, ganz anders auszuschöpfen und zu verarbeiten. Und wenn wir daneben regelmäßig und treu an unseren Altären feiern, singen, hören, beten könnten, würden wir dann nicht eines Tages diese Zeit, wo unser Hunger nach Neuem nicht gestillt werden kann, als eine Zeit der Genesung segnen?

Ev. Jahresbriefe 1941, S. 95-98

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-17
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