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Sonntagsfriede im Kriege

LeerNur mit tiefem Dank kann ich diesen Sonntag beschließen, es war ein Sonntag für Leib und Seele, den ganzen hungrigen Menschen, nach fünf Monaten fast der erste solche Sonntag. Ich hatte wirklich freibekommen, und nun begann ich zu feiern. Um halb acht Uhr morgens zog ich los. Zuerst in die orthodoxe Kathedrale und fand dort in der Krypta, in der die Erzbischöfe von P. seit Jahrhunderten bestattet liegen, die einzige Stätte dieser einst so kirchenreichen Stadt, an der heute noch Gottesdienst gehalten wird. Ein Raum von jener Erhabenheit, die durch den eigentümlichen Hang des Russen zum Kitsch keineswegs gestört, sondern durch die rührende Liebe des ärmsten Volkes nur geheiligt werden kann. Gottesdienst war noch nicht, aber das Volk sammelte sich, wirklich das „ärmste Volk”. ... Alte bärtige Männer, Frauen jeden Alters, auch junge Männer mit der Bolschewikenmütze und Kinder, kleine und große, betraten den Raum, warfen sich zu Boden, küßten die Fliesen der heiligen Stätte, traten zu den Bildern, schlugen das Kreuz, küßten das Bild Jesu und Marias. Eine arme heilige Schar von völliger Hingegebenheit an das Reich, das über dieser gequälten Welt auf uns wartet. Frauen ordneten die Gewänder für die Priester und den Tisch im Allerheiligsten. Alles Gerät war altersschwach, alle Tücher und Stoffe verschlissen, die Bücher abgegriffen, aber alles getragen von der demütigsten Liebe eines Volkes, das dem Erlöser treu blieb. Auch den Küsterdienst des Kerzenverkaufens, wie er in der russischen Kirche üblich ist, besorgte eine alte Frau, und sie kamen alle und kauften die langen dünnen Honigkerzen, die hernach der Kirche den Widerschein des ewigen Lichtes geben sollten. Lange stand ich an diesem Opferstock und sah dem Volke zu, das einlegte, und mein Herz jubelte über die arme Witwe, die in der heiligen Kirche nicht ausstirbt. Ein freundlicher alter Russe zeigte mir die Gräber der heiligen Bischöfe, die bis hinein in die letzte Bolschewikenzeit die Treue gehalten haben, und erzählte mir viel, das ich nicht verstand. Ich konnte nur auf das Bildnis des Herrn zeigen und Ihn preisen mit den wenigen russischen Worten, die ich weiß. Als ein Beschenkter ging ich aus dem Hause des russischen ... Die Menschen gedachten es böse zu machen, der Herr aber hat es gut gemacht und hat die letzten zu den ersten gemacht, die Ärmsten zu den Reichsten.

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LeerUnd dann ging ich zum „Gottesdienstraum” der Wehrmacht. Eine russische Baracke hinter dem Soldatenkino, keine irdische Pracht, nur eine Hütte. Aber wer eintritt, sieht an der Stirnwand ein gewaltiges Holzkreuz, darunter den Altar, auch eine richtige Kanzel, eine abgeteilte Sakristei, alles, sowie auch die Kirchenbänke, aus wenigen Brettern, sauber und würdig gezimmert. Und ich staunte, denn zu dieser Hütte strebte ein ganzer Zug von Soldaten. Ich war nicht allein in dieser Stadt unter der unabsehbaren grauen Schar. Der Herr hat in ihr seine Gemeinde, da sprang das Herz vor Freude. Es waren ja alles katholische Brüder, aber ich war eins mit ihnen, auch im Gottesdienst der Singbetmesse. Alles war wohlgeordnet, klar und biblisch, und ich konnte nicht nur die evangelischen Choräle, sondern auch alles nach dem katholischen Feldgesangbuch mitbeten. Und die große Männergemeinde mit den Rotkreuzschwestern in der Hütte sang und betete und beugte die Knie und hörte das Evangelium vom Sonntag des Gerichtes. Welche Gemeinde, wie stark in der Hingegebenheit, dicht stehend Kopf an Kopf, vom Altare bis zur Türe. Welch klare edle Gestalten die Priester und die Diakonen, welche Gemeinschaft von Offizier und Mann und Frontarbeiter, welche Nähe des Herrn im Sakramente. Welch staunende Augen der russischen Frauen im Hintergrund über die betenden deutschen Soldaten.

LeerAls diese Gemeinde aus der Kirchenbaracke geströmt war, stand draußen schon die neue Schar, und nun wurde es evangelischer Gottesdienst. Ganz schlicht, sicher zu schlicht, reduziert auf das Letzte, Lied, Gebet, Schriftlesung, Predigt, Sakrament, aber doch Gottesdienst, ganzer Gottesdienst. Die Schar ist kleiner als die erste, es sind wenige Offiziere da, aber sie ist doch voll die Kirche, und wieder singen Männer und beten und beugen wenigstens das Haupt vor ihrem Herrn. Und das in langen Monaten nach christlicher Gemeinschaft, nachHimmelsbrot hungrige Herze fragt nicht nach der verkehrten Armut des Feldgesangbuches, es hört nur die heiligen Worte der Schrift, hört sie eben wie einer, der hungrig und durstig geworden ist nach der Gerechtigkeit und satt werden soll, es wird satt am Worte und am Sakramente. Wann habe ich es je so gehört als nun im grauen Gewand „wasche mich rein von aller Sünde” und „unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten ward ...” Ich komme ja aus der Nacht, aus der großen Schuld, ich bin ja mitbeteiligt, ich kann die Schuld ja nicht auf andere wälzen, ich bin ja zehn Tage lang mit dem Zuge des Grauens und Todes marschiert und habe das Hungern und Sterben und Stoßen der sterbenden Kreatur gesehen. Nun kann ich hören „... nahm er das Brot, dankte und brachs und sprach: dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird zur Vergebung der Sünden.” Nun höre ich mit den vielen grauen Kameraden, Mann bei Mann: „gehe hin in Frieden”. Siehe, es gibt auch Tränen der Freude, wenn der verlorene Kriegsmann heimkehrt in das Haus seines Vaters.

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LeerÜbermorgen ziehe ich wieder hinaus in die große Einsamkeit östlich dieser Stadt, aber ich weiß nun, hier wird gebetet und gelobt, hier ist eine Hütte Gottes bei den Menschen. Der Her legt eine Last auf, und ich habe sehr geseufzt unter dieser Last, die Er hier mir auflegte, und wußte nicht, daß Er mir gerade hier helfen, gerade hier mich stärken, gerade hier mich nähren und speisen wollte. Ich, sein törichtes Kind. Gelobt sei Sein Name ewiglich.

LeerAber ich hatte noch nicht genug Freude empfangen an diesem Tage. Der Soldatenpfarrer, der bei der Austeilung des Sakramentes mithalf, lud mich für den Nachmittag zu sich in eines der Lazarette ein. Und da saß ich nun seit Monaten das erste Mal an einem Tisch mit einer Decke in einem Zimmer, das ein Bett, einen richtigen Schrank, sogar ein Bücherbord, eine Tischlampe hatte. Ich trank Kaffee aus einer Tasse, aß Kekse mit Marmelade, gab einer deutschen Schwester die Hand. Alles so kleine irdische Dinge, ganz irdische, von deren Größe Ihr ja gar nichts ahnt. Und ich war gar nichts als ein Mensch neben einem Menschen und der graue schmutzschwere Schützenrock wurde mit einem Male so leicht, und ich konnte drei Stunden lang reden und hören mit einem Manne, der einmal Soldat wie ich war und nun als Pfarrer auch doch noch Soldat ist wie ich. Und es war jene Einigkeit und gegenseitige Beglückung da, mit der ein Mensch den andern reich machen kann. Und es war so, daß nach den drei so unsagbar schönen Stunden, leiblich, geistig und geistlich schön, der Kriegspfarrer dem Soldaten mit einer jener scheuen männlichen Gebärden die Hände auf die Schultern legte und ein paar stammelnde Worte sagte, weil er wußte, - was ja so selten ist - daß er einen Menschen glücklich gemacht hatte, weil er ihn gerate beherbergte, und vielleicht selbst eine brüderliche Gabe empfangen hatte.

LeerNun ist es ein langer Brief geworden und doch nur ein paar Worte für den Reichtum der Geschenke dieses Tages, eine „Aufzeichnung” mit sehr wenigen Strichen. Aber sie sagen doch genug davon, daß Du mit mir weißt, welch schöne Stationen es gibt auf der Straße, die der Herr seine Kinder führt, welche Oasen auf der Wanderung durch die Wüste. ... Wenn der Brief zu Dir kommt, bin ich längst von hier wieder weg und ostwärts P. in neuem Sicherungseinsatz. Also wirklich nur ein Sonntag. Muß man nicht für diesen einen dankbar sein und sich all derer schämen, die man in Undank versäumt hat?

Evangelische Jahresbriefe 1942, S. 34-36

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-05
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