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Abendmahlsgemeinschaft
von Wilhelm Maurer

LeerIm heiligen Sakrament des Altars vollzieht sich immer aufs neue die Herablassung des himmlischen Christus in die irdische Wirklichkeit; in der heiligen Feier setzt seine Menschwerdung sich fort. Wer darum glaubt an das Wort, das Fleisch ward, hat mit allen Gläubigen seinen Platz am Tisch des Herrn. Der Glaube an Christus begründet die Abendmahlsgemeinschaft. Sie ist deshalb eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und der einfache Christ, der unbelastet von der kirchlichen Tradition - die Schuld und Segen in gleicher Weise in sich schließt - zum Sakrament kommt, ist aufs höchste befremdet, wenn er bemerkt, daß die Konfessionen trennende Schranken um ihre Altäre gezogen haben.

LeerWir hätten einen langen Weg miteinander zu gehen, wollten wir erkennen und verstehen, wie in der Geschichte der Kirche die einzelnen Konfessionen gerade im Ringen um die sakramentale Gegenwart Christi in ihre verschiedenen Richtungen auseinandergetrieben worden sind und wie somit das Mahl der Gemeinschaft und der Liebe zum Zeichen der Trennung geworden ist. So schmerzlich diese Entwicklung auch ist, es ist doch gut zu sehen, daß sie nicht willkürlich vollzogen wurde. Es geht in der Abendmahlsfrage um die Christusfrage; das gibt ihr ihren Ernst und ihre Würde. Wo Menschen in letzter Verantwortung das Größte und Tiefste aussprechen, was sie von der Gottesoffenbarung in Christus zu sagen haben, da muß man ehrfürchtig auf sie hören, auch wenn man ihnen nicht ganz und vielleicht im wesentlichen ihrer Aussage nicht zustimmen kann. Und wo Menschen um solcher Verantwortung willen nicht mit anderen in der gleichen Altargemeinschaft zusammenstehen zu können glauben, muß man sie gewähren lassen.

LeerDaß solche Unvollkommenheiten in Erkenntnis und Liebesgemeinschaft innerhalb der Kirche bestehen, beugt uns tief; und wir dürfen nicht aufhören, um ihre Beseitigung zu beten und zu ringen. Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, daß sie mit der Not unseres gesamten kirchlichen Zustandes zusammenhängen. Wir wissen um Menschwerdung und Auferstehung; aber wir warten noch auf die Wiederkunft Christi und damit auf die Vollendung Seiner Kirche. Und all unser Beten um Mehrung unserer Erkenntnis und Liebeskraft ist umschlossen von der einen Bitte: „Dein Reich komme”. Erst wenn diese Bitte restlos erfüllt ist, wird es ein einheitliches Bekenntnis und damit auch eine allumfassende Sakramentsfeier geben können; „vor der Parusie kann es kein Weltbekenntnis geben, denn seine Entstehung ist ein eschatologisches Ereignis” (W. Künneth: Theologie der Auferstehung, 1934 2, S. 257).

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LeerIn der Evangelischen Kirche Deutschlands stellt die Abendmahlsgemeinschaft ein besonders dringliches Problem dar. Die beiden evangelischen Konfessionen haben sich in der Reformationszeit um der Sakramentsfrage willen getrennt und einander lange Zeithindurch die Abendmahlsgemeinschaft verweigert. Die kirchlichen Unionen, die seit 1817 in Preußen und nach diesem Vorbild in vielen deutschen Landeskirchen stattfanden, wollten in den meisten Fällen Lutherische und Reformierte Kirche nicht aufheben, sondern sie zur Abendmahlsgemeinschaft zusammenfügen. Es bestehen heute weit über den Kreis der Theologen hinaus starke Bedenken gegen die Beweggründe, die bei der Einführung der Union maßgebend waren, und gegen den politischen Zwang, der dabei in einzelnen Fällen angewandt wurde. Und doch, nach mehr als einem Jahrhundert haben sich die allermeisten Gemeinden der Unionskirchen an die Abendmahlsgemeinschaft gewöhnt und betrachten sie als ein hohes unverlierbares Gut.

LeerAuf der anderen Seite kann man auch verstehen, daß es lutherische und reformierte Gemeinden und Landeskirchen gibt, die dafür dankbar sind, daß sie sich der Union entziehen und ihr ursprüngliches Wesen rein erhalten konnten. Besonders gilt dies von den außerpreußischen Landeskirchen lutherischen Gepräges, die unter den politischen Verhältnissen seit der Bismarck'schen Reichsgründung dauernd das Übergewicht der altpreußischen Union zu ertragen hatten und denen noch zuletzt 1934 durch den „Rechtswalter” Jäger die Union aufgezwungen werden sollte. Sie konnten sich als lutherische Kirchen am besten und auf rein innerliche Weise so behaupten, daß sie die lutherische Abendmahlslehre festhielten und die Zulassung zum Abendmahl von ihrer Bejahung abhängig machten.

LeerDas Sakrament als ein Mittel zur Erhaltung der kirchlichen Selbständigkeit in Lehre und Ordnung - ist das nicht eine Verkennung seines eigentlichen Stiftungszweckes? So wird man mit Recht fragen. Und man erhebt mit dieser Frage noch keine Anklage, weder gegen die Vorkämpfer der Union des 19. Jahrhunderts, noch gegen deren Gegner, sondern man rührt an eine der tiefsten Nöte, die der Evangelischen Kirche Deutschlands als Erbteil aus ihrer Vergangenheit zugefallen sind. Es ist eine Zwangslage, in der wir uns hier befinden, die heute unser Gewissen so oder so belastet. Sollen wir die Wahrheit aufgeben, für die die Väter einst unter Opfern sich eingesetzt haben und die uns nicht nur als Erbteil, sondern auch als gegenwärtige Wahrheit innerlich bindet? Wie können wir damit die Pflicht der Liebe vereinen gegen die, die wir als Brüder anerkennen, auch wo das Maß ihrer Erkenntnis der unseren nicht entspricht? Für solche Gewissensnöte, die auf beiden Seiten bestehen, muß Verständnis haben, wer die Notwendigkeit der Abendmahlsgemeinschaft und ihre Hindernisse richtig würdigen will. Es ist hier der wichtigste, aber auch der zarteste Punkt in dem Verhältnis der Konfessionen getroffen. Deshalb kann hier nichts im Sturme erzwungen werden, will man nicht größeres Unheil anrichten und dem im Sakrament gegenwärtigen Herrn Unehre machen.

LeerUnter diesen Umständen ist schon ein gewisser Fortschritt erreicht, wenn in dem Entwurf einer Verfassung für eine Vereinigte Evangelische Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) vorgesehen ist. daß die hier zusammengefaßten Kirchen lutherischen Bekenntnisses sich gegenseitig die Gemeinschaft von Kanzel und Altar gewähren. Bisher galt dem Buchstaben des Kirchenrechtes nach der Grundsatz, daß solche Gemeinschaft nur innerhalb ein und derselben Landeskirche möglich war.

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LeerAber seit dem Treysaer Kirchentag vom Juni 1946 ist man noch einen Schritt weitergekommen. Jedes evangelische Gemeindeglied, einerlei, woher es stammt, ist zu der Abendmahlsfeier innerhalb seiner Ortsgemeinde zugelassen, selbstverständlich unter der Voraussetzung, daß es die heilsame Gegenwart Christi dabei anerkennt und sich in die jeweils gültige Ordnung fügt. Damit ist die Tatsache zugegeben, daß im Zeitalter der Freizügigkeit die engen landeskirchlichen Bindungen nicht mehr möglich sind; damit ist vor allem dem Anliegen der vielen Flüchtlinge Rechnung getragen, daß sie, die ihre irdische Heimat verloren haben, wenigstens in der Gemeinschaft des Altars eine neue Heimat finden möchten.

LeerMan sollte sich dies erfreuliche Ergebnis nicht dadurch verkleinern lassen, daß gelegentlich von einer gastweisen Zulassung zum Abendmahl gesprochen wurde. Gewiß sind wir alle nur Gäste an des Herren Tisch; vor Ihm ist kein Unterschied, ob wir nun in der betreffenden Gemeinde unseren angestammten Sitz haben oder nicht; als Gäste und Fremdlinge auf Erden sind wir alle miteinander Christi Hausgenossen. Und doch muß eine christliche Gemeinde wissen, wer zu ihrer Sakramentsgemeinschaft gehört. Wenn sie das Recht und u. U. die Pflicht hat, Verächter und Irrlehrer von ihr auszuschließen, so hat sie auch die Aufgabe, darüber zu wachen, wen sie zuläßt. Genug, wenn sie solchen, die in anderen lehrhaften und kultischen Traditionen aufgewachsen sind, das Vertrauen schenkt, daß sie in der rechten inneren Haltung zum Abendmahl gehen und sich der sakramentalen Gemeinschaft würdig einfügen. Die Voraussetzungen für das innere Zusammenwachsen der unter den heutigen Verhältnissen so sehr durcheinandergewürfelten Gemeinden sind mit jener „gastweisen” Zulassung gegeben. Denn nur in der Gemeinschaft des Altars und im Angesicht des unsichtbaren gegenwärtigen Herrn können die Gläubigen sich finden.

LeerDaß mit dieser äußerlich-rechtlichen Zulassung zur Abendmahlsgemeinschaft noch nicht alles getan ist, liegt auf der Hand. Schon der Treysaer Kirchentag hat beschlossen, daß das verbindliche theologische Gespräch über die Lehre vom Abendmahl innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands in Gang kommen soll. Es liegen mancherlei Tatsachen vor, die uns Hoffnung machen können auf günstige Ergebnisse eines solchen geistlichen und theologischen Ringens. Auf beiden Seiten hat man eingesehen, daß die Fragestellungen, von denen aus die Väter des 16. Jahrhunderts an ihre Abendmahlslehre herangingen, so im Neuen Testament nicht vorhanden sind, daß die Formulierungen, die sie fanden, nicht unmittelbar der Heiligen Schrift entstammen, daß wir also die Aufgabe haben, unsere Abendmahlslehre immer aufs neue an der Schrift zu prüfen. Auf der anderen Seite ist klar, daß die Herablassung Gottes ins Fleisch und damit das Kernstück des christlichen -Offenbarungsglaubens als eine gegenwärtige Wirklichkeit von der Kirche in ihrem Altarsakrament bezeugt wird und daß es eine Abendmahlsgemeinschaft in Wahrheit nur geben kann, wo dieses Bekenntnis sich in seiner ganzen Fülle entfaltet.

Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 53-56

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-02
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