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Von außen gesehen...
von Kurt Meschke

LeerWer sein irdisches Vaterland verliert - vielleicht nur für eine Zeit und auf äußerliche Weise verliert-, dem ist doch Heimatrecht geboten in der Kirche. Es gehört zu ihrem hohen mütterlichen Amt, den Flüchtigen Trost und Friede zu gewähren. Wer durch viele Länder wandert, als Christ möchte er doch bei Christen herzlich wie ein Bruder willkommen geheißen werden. Wohin ihn auch die Flucht treiben mag, im Vaterhause ist er nur von einer Stube in die andere gegangen.

LeerFür uns ausländische Pfarrer, die wir während des Hitlerkrieges in Schweden sein mußten, viele aus immer dem gleichen, nicht guten Anlaß, wenn auch aus verschiedenen Ländern hierher verschlagen, wurde die große Erfahrung dieses „Zuhause” in der Una Sancta durch eine Pfarrerbruderschaft vermittelt, die wir gebildet hatten, englische, französische, norwegische, dänische, lettische, estnische, finnländische, russische, österreichische und deutsche Pfarrer, Lutheraner, Reformierte und Orthodoxe.

LeerDieser Zusammenschluß war Kirche für uns, und damit war er der tragende Grund für unser Leben, für unser Denken und Handeln.

LeerAber was war das, Kirche?

LeerEs war nicht abhängig von den Menschen. Heute gehören andere zu dem Kreis als damals, es sind andere Bereiche, aus denen die Berichte kommen, andere Leiden, die jetzt erschüttern. Gewiß, es war wichtig gewesen, was jeder Pfarrer dem Kreise mitgeteilt hatte, besonders wichtig, wenn ein tief geistliches Leben, eine Zucht in der Heiligung daraus sprach, um solche alten Worte zu gebrauchen, - wichtig auch, wenn ein Bruder sprach, der diese Tiefe schmerzlich vermissen ließ und dessen Bericht ein säkularisiertes Kulturgerinnsel war, wichtig als Mahnung an das Eine, das not tut.

LeerAuch das war nicht „Kirche”, daß wir alle einig gewesen wären. Wir hatten verschiedene Ausgangspunkte und Linien des Denkens und wir verlangten von jedem, daß er klar war und umfassend in seiner Theologie. Freilich war es oft eine große Freude, leitende Männer der Kirchen bei uns zu haben und Deutungen zu hören, die uns alle verbanden, oder es war ein Ereignis, wenn etwa bei den Reformierten der Bischofsgedanke eine positive Deutung erhielt, die die Lutheraner plötzlich Brücken sehen ließ, wo mancher vorher keine Übergänge geglaubt hatte.

LeerEinig waren und sind wir in der religiösen Grundfrage der Zeit. Wir sahen alle die Krankheit der Welt in der Dämonisierung. Es gibt keine Neutralität. Die Säkularisierung bedeutet die Entleerung der Welt. Wenn diese Leere nicht von Gottes Geist neu erfüllt wird, brechen die Dämonen ein und vollenden das Werk der Vernichtung in heftiger Machtballung und steilem Sturz. Darin waren wir uns einig und damit hatten wir ökumenisch die Front von Barmen bezogen. Aber nicht einmal weil wir hier einig waren, waren wir Kirche. Auch uns führte schon der nächste Schritt, etwa die Frage nach der Berechtigung der Sabotage, auseinander und gar nicht einmal länderweise, sondern als Zuschauer eines innerdänischen Problems.

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LeerJede Zusammenkunft schloß mit gemeinsamer Andacht - oft sprachen wir nur das Herrengebet gemeinsam, mitunter beteten wir das Completorium nach der schwedischen Kirchenordnung von 1571, einmal hielt uns der Erzbischof eine Andacht im Upsalaer Dom. In diesen Andachten wurde immer neu der Grund der Ökumene gelegt und erfahren. Dennoch, auch diese Andachten waren noch nicht das letzte und eigentliche, was wir meinten, wenn wir von Kirche sprachen, sondern das war die geistliche Wirklichkeit des lebendigen Herren selbst. Zwischen ihr und der irdischen Unvollkommenheit, in der wir unsere Zusammenkünste hatten, bestand eine Korrelation. Alles war auf den Herren der Kirche ausgerichtet und erhielt seinen Sinn von ihm in steter Erneuerung, und alles war zugleich fern von ihm.

LeerDas, was wir mit Kirche meinten, lebte ausschließlich aus der objektiven Wirklichkeit des Christus, jeder war ein Einzelner vor Christus und doch durch Christus hindurch wie durch den Scheitel aller möglicher Winkel mit dem andern zur Bruderschaft verbunden. Jeder machte für sich seine Erfahrungen und hatte seine Gedanken, oft verschieden von denen der andern und dennoch in Übereinstimmung, in der „Über den Einen Stimmung”, so wie die Blumen eines Straußes oder die Säulen unter einem Dache zusammengehören.

LeerDaher kann man gerne in „Wir”-Form von den Gedanken und Wegen des Kreises reden, selbst wenn nur einer sie aussprach oder ging.

LeerVon solchen Gedanken möchte ich gerne einige nennen. Sie liegen vielleicht in der Färbung weit ab von dem, was gegenwärtig in der deutschen Kirche durchgesprochen wird, und sie sind im Bewußtsein geäußert, daß die eigentliche Lösung von den Brüdern in Deutschland gefunden werden muß; wer am tiefsten sinkt und am schwersten leidet, der sieht am ersten und am gründlichsten die neuen Aufgaben und der bekommt auch die Gaben. Wer mit dem wenigen vergleicht, was sich in den ausländischen Kirchen regt, sieht mit Ehrfurcht auf das ernste und starke Bemühen der körperlich Entkräfteten und erhofft Großes von solchen, die durch das Feuer der Läuterung schreiten.

LeerZunächst meinten wir, daß alle Kircheneinigung und Kirchenzusammenfassung, alle Oekumene einen theologischen und nicht etwa nur einen kirchenpolitischen Grund haben müsse. Dieser Grund ist Christus selbst, ist Wort und Sakrament selbst, und nicht die  A u f f a s s u n g  davon. Auffassungen müssen sein, Bekenntnisse sind hohe Werke und Konfessionen Blüten des Geistes, und jeder Einzelne und jede Gruppe muß die Freiheit haben, in eigener Verantwortung gegen den Herren der Kirche zu leben in der Gemeinde der andern, aber die an der Spitze stehen, werden die Liebe, Geduld und Brüderlichkeit der Heiligen anrufen. Sie haben ihr Amt nicht von Menschen, sondern von Christus. Sie sind Christi Bischöfe und in diesem Amt Kirche.

LeerSodann meinten wir mit der großen Zahl der Christen, daß die gegenwärtige Katastrophe allgemein ist - die schwedische Jugend ist genau so am Ende wie die deutsche -, bloß daß ein voller Bauch leichter über die Ängste des Geistes hinwegträumen läßt, und daß zu dieser Katastrophe Aufklärung, Säkularisierung und „Humanität ohne Divinität” geführt haben. Dennoch wollen wir die Zeit seit Descartes und Goethe nicht auslöschen, schon weil wir sehr dringend - hinhörend - mit denen zu reden haben, deren geistige Existenz in dieser Zeit ihre Wurzeln hat. Wir selber freilich schicken unsere Wurzeln in das kräftige Erdreich der älteren Schichten. Wir sehen, wie alle Kulturerneuerung, soweit sie sich heute schon regt, aus dem Objektiven lebt.

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LeerDas Gespräch über die religiöse und metaphysische Grundlegung der Kultur, aus der zwangsläufig die christliche Entscheidung wachsen muß, sollte heute vor allem geführt werden, mit allen Richtungen und Gruppen, die sich am Neubau beteiligen wollen, und auf allen Gebieten, in Kunst, Wirtschaft, Politik. Und wiederum, diese Fragen brechen auch schon überall in der Welt aus, aber erwartungsvoll richten sich alle Blicke nach Deutschland. Dort wird der Hauptstoß geführt werden müssen. Vor allem muß mit der Jugend gesprochen werden. Die ersten jungen Deutschen, die wir nach Schweden einladen konnten, sagten, die deutsche Jugend stände den Ideen, Parteien, Kirchenformen von vor 33 fremd gegenüber, sie suchte einen eigenen Grund; und wir fragen uns, können die Kirchen der Jugend diesen Grund geben?

LeerWenn wir in einer deutschen kirchlichen Zeitschrift die Frage lesen: „Wo finden wir einen Ausweg?” und die Antwort - die ach so richtige und große Antwort bekommen - „Wir müssen zurück zu Gott!”, dann beginnt für uns erst die Not - für das deutsche Volk und die deutsche Jugend, genau so wie für die Schweden oder Engländer -. „Wie sollen wir das machen, zurück zu Gott, wirklich zu Gott?” Hier liegt auch die Not der Kirchen. Sie können nicht sagen: zu uns. Denn man antwortet ihnen: Ihr seid nicht die Gemeinde, an der die Pforten der Hölle zerschellen. Ihr habt keine Vollmacht, denn ihr habt keine geistliche Erfahrung; ihr habt das heilige Erbe vertan, die Geschichte der Kirchen ist eine Geschichte der Entleerung des Geistes geworden.

LeerDie zitierte Zeitschrift hilft sich in dieser Not der Kirchen mit dem pietistischen Ausweg: „Der Neubau aber beginnt beim einzelnen Christenmenschen. Nur wenn dieser die Aufgabe ganz ernst nimmt, kann er hoffen, seinen Baustein zu der werdenden Kirche und damit zur Gesundung unseres Volkes beizutragen. Nur wenn er sich zur Buße rufen läßt usw.” Dieses pietistische Erbe ist die letzte Substanz der sterbenden Kirchengestalt von heute. Aber mit dem einen wird das andere dahingehen. Das haben die Pastoren so ernst gepredigt: du mußt dich umwenden, du mußt die Kirche bauen, bei dir beginnt es, du mußt..., alle kirchlichen Vereine haben von diesem Aufruf zur Aktivität und Erweckung gelebt - aber das ist nun wohl zu Ende. - Denn das versteht niemand mehr. - Solange nicht Gott und der ewige Christus und Heilige Geist anschaulich und erfahrbar werden, kann kein Mensch wissen, was christlicher Glaube und christliches Leben ist.

LeerDie Gottheit will aber anschaulich und erfahrbar werden in Wort und Handlung des Sakramentes und in Sakrament und Handlung des Wortes.

LeerDie Heilige Messe, der Dienst des Wortes, ist der Quell der Kirche. Die hieraus leben, werden zwangsläufig zu einer Bruderschaft des Sakramentes vereinigt. Sie sind die Gemeinde, der Kern, und an ihnen wird anschaulich, was Kirche ist, ein Vortrupp der erneuerten Welt.

LeerDie fragende Menschheit, die junge wie die alte, wird die Kirche an ihren Früchten erkennen, dem gesammelten Geist und der offenen Liebe, dem Zugleich von Sünde und Rechtfertigung, Buße und Heiligung, dem Zugleich von Mensch und Gott.

Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 72-75

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-02
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