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Nein - sondern!
von Wilhelm Stählin

Josua und Michael

LeerDas Wort steht in einer sonderbaren kleinen Geschichte des Alten Testamentes (Jos. 5,14). Als Josua, der Sohn Nuns, sich rüstete, Jericho zu erobern, begab es sich, daß unversehens ein Mann ihm gegenüberstand, und hatte ein bloßes Schwert in seiner Hand. Josua ist unsicher, ob es einer seiner Krieger ist, der vor ihm steht, oder ob er sich plötzlich einem der Feinde gegenüber sieht, der sich weit aus der belagerten Stadt herausgewagt hat; und er fragt, wie er wohl fragen mußte in diesem Niemandsland zwischen den Fronten: „Gehörst du uns an oder unseren Feinden?” Der Mann mit dem bloßen Schwert aber sprach: „Nein, sondern ich bin ein Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt gekommen.”

LeerDas ist eine sehr gewalttätige Antwort, die „der Fürst über das Heer des Herrn” dem Josua auf seine Frage gegeben hat. „Nein, sondern”. Damit wird nicht etwa nur eine falsche Antwort auf eine richtige Frage zurückgewiesen, ein Irrtum, der nur zurechtgerückt werden müßte; sondern die Frage selber ist falsch gestellt und wird sinnlos vor der Wirklichkeit, die dem Fragenden hier begegnet.

LeerDas Entweder - Oder in der Frage Josuas ist sehr verständlich. Der Soldat kennt Freund und Feind. Der Politiker kennt den Bundesgenossen und den Gegner. Jeder Kampf - es muß gar nicht immer ein Kampf mit Waffen sein - spaltet einen Kreis von Menschen auf in zwei Lager, und jeder Einzelne muß sich fragen lassen, auf welcher Seite er zu finden ist. Es ist keineswegs ein rühmenswerter Vorzug, wenn man von einem Menschen in solcher Frontenbildung nicht genau weiß, wohin er gehört. Bei allen echten Entscheidungen gibt es keine Neutralität, und wer für eine Sache und gegen eine Sache steht, hat keine Freude an denen, die immer nach einer mittleren Linie suchen, auf der sie sich zwischen einem Ja oder Nein hindurchwinden können. - Ein Gespräch zwischen Gliedern verschiedener christlicher Kirchen ist nur möglich und sinnvoll, wenn jeder von dem anderen weiß, welches sein Standort ist. Wenn man erst fragen muß: „Gehörst du uns an oder den anderen?”, dann wird das Gespräch schwierig.

Linie

LeerJosua hat ein Recht zu fragen, ob der Unbekannte zu den „Unseren” oder zu den „Anderen” gehört. Der ihm gegenüber steht, ist aber nicht einer der Krieger, die Jericho angreifen oder verteidigen, sondern er ist ein Engel Gottes, der Fürst über das Heer Gottes, Michael, der Oberste und Anführer der himmlischen Heerscharen. Er gehört nicht zu einer der Fronten, die auf Erden einander gegenüberstehen, und wäre es selbst das Heer des Gottesvolkes und das Heer seiner Feinde. „Nein -sondern...” Die Frage ist falsch gestellt; dieses Entweder - Oder paßt nicht auf die Geistesmächte, die Gottes Boten und Gottes Streiter sind. Es läßt sich nicht alles einordnen in unsere Kampfesfronten, und niemand kann sagen, daß Gott und Seine Engel zu ihm gehören. Wer ganz berauscht ist von seinen Kampfparolen und ganz befangen ist in den Gegensätzen, in denen er allein zu denken vermag, der rechnet gar nicht mehr mit der Möglichkeit, daß es auch Mächte und Kräfte geben könnte, denen gegenüber diese Einteilungen verkehrt sind und lächerlich.

LeerEs hätte keinen Sinn, wenn wir die Engel oder den Herrn des Himmels selber fragen wollten, ob sie lutherisch oder reformiert, evangelisch oder katholisch seien; oder gar, ob sie demokratisch, sozialistisch oder reaktionär seien. Wir würden keine andere Antwort bekommen als die Antwort, die Josua zu hören bekam: Nein, sondern... Es kann auch sonst so sein, daß die Frage falsch gestellt ist und daß das Nein der göttlichen Antwort nicht der falschen Antwort sondern der falschen Frage gilt.

LeerAls die Jünger den Herrn fragen, ob jene Galiläer besonders schuldig gewesen seien, die Pilatus während ihres Opfers hatte ermorden lassen, ober ob jene 18 besondere Schuld getragen hätten, die der Turm von Siloah erschlagen hatte, da sagte der Herr: „Nein, sondern...” (Luk. 13,1 ff.). Er sagt nichts über die Schuld oder Unschuld dieser Getöteten, aber Er weist die Frage nach dem Warum zurück und weist seine Jünger darauf hin, was sie selber bedenken und lernen sollen aus einer solchen Katastrophe.

LeerUnd da die Jünger ihn fragten wegen eines Blindgeborenen: „Meister, wer hat hier gesündigt, dieser oder seine Eltern, daß er ist blind geboren?”, da kam wieder dieses „Nein, sondern...”: sondern daß die Werke Gottes offenbar werden. Eure Frage ist falsch gestellt. Fragt nicht: warum, sondern fragt: wozu. Fragt nicht nach der Schuld der Menschen, fragt nach den Absichten Gottes.

LeerWir beklagen uns oft, daß unsere Fragen ohne Antwort bleiben, ein Rätsel ohne Lösung. Aber liegt es nicht vielleicht daran, daß wir falsch fragen, weil wir meinen, alles messen zu dürfen mit den Maßstäben unseres irdischen Lebens und unseres kleinen Erfahrungsbereiches? Es gibt andere Fronten als die Fronten unserer politischen und selbst unserer kirchlichen Kämpfe. Es fallen andere Entscheidungen, als die, mit denen wir uns einer Kampfesgruppe zuordnen. Es gibt andere Gedanken und Pläne Gottes, als daß wir Ihn fragen dürften: Warum tust Du das? Und .es ist ein Grundton, der durch die Offenbarung Gottes im Alten und im Neuen Testament hindurchklingt, daß wir auf unsere falsch gestellten Fragen die einzig mögliche Antwort bekommen:

Leer„Nein, sondern...!”

Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 107-108

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-02
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