|
von Rudolf Stählin |
Der Aufsatz stammt aus einer ungedruckten Festschrift, die Dozenten der Augustana-Hochschule Frau Oberin Selma Haffner in Neuendettelsau zum 70. Geburtstag gewidmet haben. Es wird in der christlichen Kirche kaum irgendwo bezweifelt, daß das Heilige Abendmahl in wunderbarer Weise mit der Heilsgeschichte verbunden ist und - selbst ein Stück dieser Geschichte - in sie mit hineingehört. Daß aber auch umgekehrt das Heilige Mahl die ganze Heilsgeschichte enthalte, daß das Heilsgeschehen, ausgebreitet in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, im Heiligen Mahl wunderbar verborgen sei und aktualisiert werde, wird nicht unbestritten behauptet werden. So verlohnt es sich, darüber nachzudenken, in welchem Sinn dieser Satz gelten könne. Damit war auch einem neuen Verständnis des Heiligen Abendmahls der Weg bereitet: Einer sehnsüchtig auf ihre Erlösung wartenden Menschheit wird im Sakrament des Altars die Verheißung ihres Heils zuteil. Hatte man sonst das Heilige Abendmahl als ein Zeichen dafür verstanden, daß Jesus sich, seine religiöse Persönlichkeit, den Seinen gibt als „Kitt” ihrer innigsten Gemeinschaft und so eine „Blutsbrüderschaft” mit ihnen schließt (W. Heitmüller RGG 1. Aufl. Band 1 Sp. 35/36), so hat Schweitzer wieder gezeigt, daß im Heiligen Mahl die Tür zur Ewigkeit aufgetan ist: Seitdem der Herr bei Seinem Abschied am Gründonnerstag Seinen Jüngern das Reich als Erbe vermacht hatte (Luk. 22,29 f.), weckte jede Abendmahlsfeier von Neuem die Stimmung und Gewißheit des Liedes „Wir warten dein, o Gottessohn und lieben dein Erscheinen,...” (Bayer. Gesangbuch Nr. 584). So verdanken wir Albert Schweitzer eine neue Schau des Herrenmahls im Zusammenhang der großen Heilsgeschichte: es ist die Brücke, über die die Christenheit aus dem Weg von Weihnachten und Ostern hinübergeht zum Tag der endgültigen, herrlichen Erscheinung Christi. Das Sakrament ist mehr als nur ein individueller Seelentrost, der die unter den Nöten der Zeit Leidenden erhebt zu ewigen Ideen, mehr auch als ein Zeichen dafür, daß die große Persönlichkeit Jesu von Nazareth sich dem einzelnen Frommen mitteilt. Ein reales G e s c h e h e n ist es. Daß die „eschatologische” Ausrichtung dem Mahl eigentümlich und wesentlich ist, bleibt eine Gewißheit, hinter die wir nicht mehr zurückgehen können. Die Frage ist jedoch: Ist das Mahl denn n u r Verheißung, Gleichnis und Weihe für das zukünftige Reich? Gewiß, der Apostel Paulus sagt: So oft ihr dies Mahl feiert, verkündigt ihr mit diesem Tun des Herren Tod, „bis daß er kommt” (1. Kor. 11,26). Und die alte Christenheit betete zu Beginn des Mahls das Maranatha (Der Herr kommt). Aber haben wir das Geheimnis des Heiligen Mahls nicht gerade darin zu erblicken, daß es die Schranken, die uns Gegenwärtige von der Zukunft scheiden, aufhebt und wunderbar schon zur G e g e n w a r t macht, was für die Zukunft verheißen ist? Man hat versucht, das Tun Christi im Heiligen Abendmahl als ein prophetisches Zeichen zu erklären, mit dem Er, wie die alten Propheten es taten, Gottes Willen für die kommende Geschichte ansagt: Wie Jeremia das Joch nehme, den Acker kaufe und vor allem, wie er den Krug zerbreche, so kündige der Herr im Brechen des Brots und im Vergießen des Weins Seinen bevorstehenden Tod an.(1) Aber umschließen die Worte „Das ist mein Leib”, „Das ist mein Blut” nicht noch viel tiefere Geheimnisse? Setzen sie nicht das entscheidende Heilsgeschehen, den Opfertod Christi schon aus wunderbare Weise gegenwärtig? Und haben nicht die Apostel und ihre Gemeinden in Christi Opfertod schon den Anbruch des ewigen Reiches, die Wende der Äonen erblickt und erfahren? So wie die Geschichte des Alten Bundes ihre Mitte hatte im Sinai-Bund und seinem blutigen Opfer (Ex. 24), so steht im Zentrum des Neuen Bundes das blutige Opfer von Golgatha als die Erfüllung aller Heilserwartung. Hier am Kreuz geschieht die Wende der Zeiten, die Erfüllung der Verheißung. Das Reich Gottes ist d a . Und im Heiligen Mahl, dem Bundesmahl des Neuen Bundes, geht die Verheißung von Jer. 31,31 ff. in Erfüllung: „Neuer Bund in Meinem Blut”.(2) Beim Mahl des Herrn sitzest du schon am Tisch des ewigen Königs und hast Teil an Seiner Herrlichkeit, die am Ende der Zeiten offenbar werden soll. Jetzt ist sie verhüllt da; „verborgen im Brot so klein” (Luther in seinem Abendmahlslied „Jesus Christus unser Heiland”), aber sie ist wirklich und leibhaftig da. Die Kirche, die das Mahl feiert, lebt am Ende der Zeiten. Und wenn sie dabei das Maranatha betet (Apostellehre X,6; 1. Kor. 16,22), dann ruft sie damit in beseligter Gewißheit aus: Unser Herr kommt, nämlich jetzt und hier im Sakrament. Jetzt, schon im Mahl geht die Bitte „Komm. Herr Jesu” in Erfüllung. Die natürlichen Schranken von Zeit und Raum sind durchbrochen, und mitten in aller Anfechtung und Not der Zeit erfährt die feiernde Gemeinde den Anbeginn des ewigen Reichs. Wir werden es nicht mehr aufgeben, was A. Schweitzer und seine Schüler uns neu sehen gelehrt haben, daß nämlich das Heilige Abendmahl hineinführt in den großen Zusammenhang der Heilsgeschichte. Aber wir werden darin über ihn und seine Schüler hinausgehen, daß wir den Herrn, der im Mahl wunderbar einkehrt bei den Seinen, nicht nur als den großen Propheten ehren, der Seine Jünger für die Zukunft des Reiches Gottes weiht, sondern vor allem als den ewigen H o h e n p r i e s t e r , der mit Seinem das Heil vollendenden Opfer gegenwärtig ist. Hier bietet sich zunächst eine Lösung an, die der prophetischen Deutung des Abendmahls in unserer ersten Frage genau entspricht. Wie dort das Mysterium des Sakraments von der Analogie des Alten Testaments aus gedeutet wurde, so sieht man hier im Heiligen Abendmahl ein Gedächtnis des Kreuzestodes Christi in Gestalt einer E r i n n e r u n g s f e i e r , so wie die Juden im Passa-Fest ein „Zeichen und Denkmal” für die Befreiung aus Ägypten hatten (Ex. 13, 9.16). In der Tat vermag uns diese Erinnerung entscheidend weiterzuhelfen. Es ist uns heute nicht mehr zweifelhaft,(6) daß Jesus das letzte Mahl mit Seinen Jüngern als Passa-Mahl gefeiert hat. Gewiß war „d i e s e s Passa” (Luk. 22,15) ein besonderes, neues, ein erfülltes Passa, aber eben doch ein Passa-Mahl.(7) Der Befreiung aus Ägypten verdankte das Volk Israel seine Existenz; durch sie war es erst ein Volk geworden. Dieses Ereignisses Gedächtnis wird im alten Passa gefeiert. Ganz entsprechend begeht die Kirche in ihrem Sakrament das Gedächtnis d e s einmaligen Geschichtsereignisses, dem sie i h r e Existenz verdankt: des Kreuzesopfers Jesu Christi, das Er „einmal” auf Golgatha dargebracht hat. So sind wir erneut vor die Frage gestellt, w i e das Heilige Abendmahl mit dem Geschehen auf Golgatha verbunden sei. Man ist bei der Beantwortung dieser Frage wie gesagt beim Alten Testament in die Lehre gegangen und hat die Gleichung aufgestellt: Das Sakrament ist mit dem Kreuzesgeschehen genauso verbunden wie das Passa mit dem Auszug aus Ägypten.(9) Das ist der einleuchtende Weg des humanistischen Denkens, der im modernen Protestantismus, über alle Konfessionsgrenzen hinweg, viele Anhänger gefunden hat. Die neutestamentlichen Berichte selbst weisen uns jedoch einen anderen Weg. Paulus schreibt im 1. Korintherbrief: „Solches tut ... zu meinem G e d ä c h t n i s . So oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, verkündigt ihr den Tod des Herrn.” (1. Kor. 11, 26. Die von Luther mit einem Imperativ übersetzte Form „sollt ihr verkündigen” ist als Indikativ zu verstehen). Das Wort „Gedächtnis” erhält hier einen neuen, vertieften Sinn. Schon im Alten Testament bezeichnet es nicht eine Gedächtnisstütze derer, die an etwas gedenken, sondern ein Geltendmachen vor Gott, etwa Num. 10, 10. Diese Bedeutung findet sich im Neuen Testament wieder in Apostelgesch. 10,4, wohl auch Mk. 14,9. Für unsere Frage heißt das: Indem die christliche Gemeinde das Mahl feiert, gedenkt sie des Opfertodes Christi vor Gott, hält sie ihn Gott vor. Das sagt mit aller Klarheit der Vers Johann Heinrich Schröders: „Nichts kann ich vor Gott ja bringen,Das Gedenken der Abendmahlsgemeinde ist also Anbetung, Dank vor Gott im Sinn des lateinischen Wortes für danken „gratiam referre”.(10) Nun ist aber Christus in Seiner Gemeinde, in ihrem Beten, in ihren Sakramenten selber gegenwärtig, ja Er ist dabei der eigentlich Handelnde. Als der „Priester in Ewigkeit”, der „ein unvergängliches Priestertum” hat, „kann Er auch selig machen immerdar, die durch Ihn zu Gott kommen und lebt immerdar und tritt für sie ein”. (Hebr. 7, 21 -25). Das Opfer, das Er „ein für allemal” (Hebr. 10,10ff.) am Kreuz dargebracht hat, ist immerdar vor Gott gegenwärtig und wirksam. „Ist Er ein ewiger Priester, so ist Er alle Stund ein Priester und ohne Unterlaß opfert Er vor Gott” (Luther WA 6,369). Von hier aus wäre dann auch das Wort „ihr verkündigt” (1. Kor. 11,26) zu deuten: Mit eurem Essen und Trinken, also dadurch, daß ihr das Mahl haltet, verkündigt ihr Christi Tod. Hier wird also nicht mehr über einen zeitlichen Abstand weg von einem Ereignis der Vergangenheit geredet, sondern dies Ereignis ist wunderbar gleichzeitig und wird durch eine Tatverkündigung proklamiert.(13) „Solche Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch; ich kann sie nicht begreifen”: dies Psalmwort gilt hier in besonderem Maße. Denn hier muß der jüdische Verstand mit seiner Eschatologie ebenso kapitulieren wie die humanistische Fähigkeit sich an Vergangenes zu erinnern. Wir stehen vor dem Geheimnis des Herrenmahls, das im Neuen Testament bezeugt, von der alten Kirche verehrt, durch Luther gegen alle Profanisierung geschützt und von Wilhelm Löhe für die Lutherische Kirche neu entdeckt und verherrlicht ist. Dies Geheimnis können Worte nie auflösen. Denn was unsere Worte nur nacheinander, Stück um Stück entfalten können, ist hier in einem einzigen Geschehen zusammengefaßt: Die ganze Fülle des Heils, Christi Heilswerk von Weihnachten bis zur Himmelfahrt, Christi Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Darum kann das Sakrament neben dem „Wort” nicht entbehrt werden; erinnert es doch beständig an die Einheit alles dessen, was in den Worten der Lehre auseinanderliegt und nur nacheinander gesagt werden kann. Hier im Sakrament ist alles in Einem. Hier ist die vollkommene Einheit des gesamten Heilswerkes Christi gegeben. Und alles, was die Kirche tut und sagt in Christi Namen, lebt von dieser Mitte und zielt hin auf sie. Ein Gebet im Missals Romanum faßt das Geheimnis in die Worte: quoties hujus hostiae commemoratio celebratur, opus nostrae redemptionis exercetur.(16) So ist das Heilige Mahl nicht nur ein Geschehen im Rahmen der Heilsgeschichte, sondern es umschließt und repräsentiert sie in ihrer ganzen Fülle. Das Heilige Mahl ist das Wunder aller Wunder. In ihm sind die Wunder Jesu erfüllt; in ihm geschehen sie fort und fort in der zu Ende gehenden Weltzeit. Von diesem Wunder kann man nicht anders zeugen als im anbetenden und lobpreisenden Vollzug des Sakramentes selber. Wir kehren zu unserem Ausgangspunkt zurück. Das Herrenmahl ist eschatologisches Mahl. Es weist über sich selbst hlnaus auf die himmlische Tischgemeinschaft, bei der wir Ihn schauen werden von Angesicht zu Angesicht. Was jetzt noch verhüllt ist, wird dann offenbar werden. Was jetzt cibus viatorum, Speise der „Hinwegeilenden” (Ex. 12,11), der Pilger ist, wird dort der selige Zustand im himmlischen Jerusalem sein. Noch leben wir im Glauben und nicht im Schauen. Aber im Glauben haben wir an der Fülle des ewigen Lebens schon Anteil, sind wir Gottes Hausgenossen und werden im Sakrament des Altars auf n e u t e s t a m e n t l i c h e Weise gewiß, daß der Herr kommt. Maranatha. Amen, ja komm, Herr Jesu! Anmerkungen:
Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 109-116 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-05-02 Haftungsausschluss |