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Das Herrenmahl
von Rudolf Stählin

Der Aufsatz stammt aus einer ungedruckten Festschrift, die Dozenten der Augustana-Hochschule Frau Oberin Selma Haffner in Neuendettelsau zum 70. Geburtstag gewidmet haben.

LeerEs wird in der christlichen Kirche kaum irgendwo bezweifelt, daß das Heilige Abendmahl in wunderbarer Weise mit der Heilsgeschichte verbunden ist und - selbst ein Stück dieser Geschichte - in sie mit hineingehört. Daß aber auch umgekehrt das Heilige Mahl die ganze Heilsgeschichte enthalte, daß das Heilsgeschehen, ausgebreitet in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, im Heiligen Mahl wunderbar verborgen sei und aktualisiert werde, wird nicht unbestritten behauptet werden. So verlohnt es sich, darüber nachzudenken, in welchem Sinn dieser Satz gelten könne.

1.

LeerAlbert  S c h w e i t z e r , für uns alle verehrungswürdiges Vorbild tätiger, dienender Liebe und in gleicher Weise begnadeter Meister kirchlicher Orgelkunst, hat auch als gelehrter Interpret christlicher Wahrheit Anspruch auf unsere bleibende Dankbarkeit. Indem er im Kommen des Reiches Gottes den eigentlichen Kern der neutestamentlichen Verkündigung erkannte, hat er die Christuswahrheit befreit aus der bürgerlichen Enge und der rationalen Plattheit, in deren Fesseln sie geraten war: Daß über dem Leben und Lehren Christi der Morgenglanz der Ewigkeit, die Herrlichkeit des verheißenen ewigen Reiches liegt, hat er die Menschen seiner Zeit neu sehen gelehrt.

LeerDamit war auch einem neuen Verständnis des Heiligen Abendmahls der Weg bereitet: Einer sehnsüchtig auf ihre Erlösung wartenden Menschheit wird im Sakrament des Altars die Verheißung ihres Heils zuteil. Hatte man sonst das Heilige Abendmahl als ein Zeichen dafür verstanden, daß Jesus sich, seine religiöse Persönlichkeit, den Seinen gibt als „Kitt” ihrer innigsten Gemeinschaft und so eine „Blutsbrüderschaft” mit ihnen schließt (W. Heitmüller RGG 1. Aufl. Band 1 Sp. 35/36), so hat Schweitzer wieder gezeigt, daß im Heiligen Mahl die Tür zur Ewigkeit aufgetan ist: Seitdem der Herr bei Seinem Abschied am Gründonnerstag Seinen Jüngern das Reich als Erbe vermacht hatte (Luk. 22,29 f.), weckte jede Abendmahlsfeier von Neuem die Stimmung und Gewißheit des Liedes „Wir warten dein, o Gottessohn und lieben dein Erscheinen,...” (Bayer. Gesangbuch Nr. 584).

LeerSo verdanken wir Albert Schweitzer eine neue Schau des Herrenmahls im Zusammenhang der großen Heilsgeschichte: es ist die Brücke, über die die Christenheit aus dem Weg von Weihnachten und Ostern hinübergeht zum Tag der endgültigen, herrlichen Erscheinung Christi. Das Sakrament ist mehr als nur ein individueller Seelentrost, der die unter den Nöten der Zeit Leidenden erhebt zu ewigen Ideen, mehr auch als ein Zeichen dafür, daß die große Persönlichkeit Jesu von Nazareth sich dem einzelnen Frommen mitteilt. Ein reales  G e s c h e h e n  ist es.

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LeerUnd wer davon ergriffen wird, den stellt es unter die Heilswirkung, die der Weltvollendung entgegenführt. Jahrzehnte sind vergangen, seit A. Schweitzer uns diese Erkenntnis neu geschenkt hat. Jahrzehnte, in denen wir das Geheimnis des Heiligen Mahles neu lieben und verehren gelernt haben, in denen ihm viel nachgedacht und nachgebetet wurde, und in denen vor allem das Mahl wieder häufiger begehrt wurde von Menschen, die im regelmäßigen Gebrauch des Sakraments die Mitte ihres geistlichen Lebens fanden. In solchem Feiern, Meditieren und ehrfürchtigen Bedenken hat sich mancher neue, vertiefte Einblick in den innigen Zusammenhang von Herrenmahl und Heilsgeschichte erschlossen.

LeerDaß die „eschatologische” Ausrichtung dem Mahl eigentümlich und wesentlich ist, bleibt eine Gewißheit, hinter die wir nicht mehr zurückgehen können. Die Frage ist jedoch: Ist das Mahl denn  n u r  Verheißung, Gleichnis und Weihe für das zukünftige Reich? Gewiß, der Apostel Paulus sagt: So oft ihr dies Mahl feiert, verkündigt ihr mit diesem Tun des Herren Tod, „bis daß er kommt” (1. Kor. 11,26). Und die alte Christenheit betete zu Beginn des Mahls das Maranatha (Der Herr kommt).

LeerAber haben wir das Geheimnis des Heiligen Mahls nicht gerade darin zu erblicken, daß es die Schranken, die uns Gegenwärtige von der Zukunft scheiden, aufhebt und wunderbar schon zur  G e g e n w a r t  macht, was für die Zukunft verheißen ist? Man hat versucht, das Tun Christi im Heiligen Abendmahl als ein prophetisches Zeichen zu erklären, mit dem Er, wie die alten Propheten es taten, Gottes Willen für die kommende Geschichte ansagt: Wie Jeremia das Joch nehme, den Acker kaufe und vor allem, wie er den Krug zerbreche, so kündige der Herr im Brechen des Brots und im Vergießen des Weins Seinen bevorstehenden Tod an.(1)

LeerAber umschließen die Worte „Das ist mein Leib”, „Das ist mein Blut” nicht noch viel tiefere Geheimnisse? Setzen sie nicht das entscheidende Heilsgeschehen, den Opfertod Christi schon aus wunderbare Weise gegenwärtig? Und haben nicht die Apostel und ihre Gemeinden in Christi Opfertod schon den Anbruch des ewigen Reiches, die Wende der Äonen erblickt und erfahren? So wie die Geschichte des Alten Bundes ihre Mitte hatte im Sinai-Bund und seinem blutigen Opfer (Ex. 24), so steht im Zentrum des Neuen Bundes das blutige Opfer von Golgatha als die Erfüllung aller Heilserwartung. Hier am Kreuz geschieht die Wende der Zeiten, die Erfüllung der Verheißung. Das Reich Gottes ist  d a . Und im Heiligen Mahl, dem Bundesmahl des Neuen Bundes, geht die Verheißung von Jer. 31,31 ff. in Erfüllung: „Neuer Bund in Meinem Blut”.(2)

LeerBeim Mahl des Herrn sitzest du schon am Tisch des ewigen Königs und hast Teil an Seiner Herrlichkeit, die am Ende der Zeiten offenbar werden soll. Jetzt ist sie verhüllt da; „verborgen im Brot so klein” (Luther in seinem Abendmahlslied „Jesus Christus unser Heiland”), aber sie ist wirklich und leibhaftig da. Die Kirche, die das Mahl feiert, lebt am Ende der Zeiten. Und wenn sie dabei das Maranatha betet (Apostellehre X,6; 1. Kor. 16,22), dann ruft sie damit in beseligter Gewißheit aus: Unser Herr kommt, nämlich jetzt und hier im Sakrament. Jetzt, schon im Mahl geht die Bitte „Komm. Herr Jesu” in Erfüllung. Die natürlichen Schranken von Zeit und Raum sind durchbrochen, und mitten in aller Anfechtung und Not der Zeit erfährt die feiernde Gemeinde den Anbeginn des ewigen Reichs.

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LeerSo scheidet sich der Neue Bund vom alten. Damals lag der Schwerpunkt der Zeit noch ganz in der Zukunft; jetzt aber in der Gegenwart des Kreuzesopfers. Am Abend des Gründonnerstags blickt der Herr noch hinweg über Sein Sterben und Auferstehen darauf, daß Er neu essen und trinken werde im Reich Gottes (Luk. 22, 16-18)(3): Das geht in Erfüllung in den Mahlfeiern, die der Auferstandene an und nach Ostern mit den Seinen hält (Luk. 24; Joh. 21; Apostelgesch. 10,41, auch 1, 4, wo Luther übersetzt: „als er sie versammelt hatte”). In der Auferstehung Christi bricht die neue, „ewige” Welt aus dem Tode der alten Welt hervor. Ostern und die österlichen Mahlzeiten des Auferstandenen sind der Ausgangspunkt des eucharistischen Sakraments der Urgemeinde.(4)

LeerWir werden es nicht mehr aufgeben, was A. Schweitzer und seine Schüler uns neu sehen gelehrt haben, daß nämlich das Heilige Abendmahl hineinführt in den großen Zusammenhang der Heilsgeschichte. Aber wir werden darin über ihn und seine Schüler hinausgehen, daß wir den Herrn, der im Mahl wunderbar einkehrt bei den Seinen, nicht nur als den großen Propheten ehren, der Seine Jünger für die Zukunft des Reiches Gottes weiht, sondern vor allem als den ewigen  H o h e n p r i e s t e r , der mit Seinem das Heil vollendenden Opfer gegenwärtig ist.

2.

LeerWir haben das Herrenmahl verstanden als die Erfüllung der messianischen Heilserwartung und haben erkannt, daß die jüdische Eschatologie nicht einfach in das Denken des christlichen Glaubens übernommen werden kann.(5) Dabei war stillschweigend vorausgesetzt, daß das Heilige Abendmahl und das Kreuzesgeschehen in wunderbarer Weise einander gleichzeitig seien. Damit ist uns eine weitere Frage für das Verhältnis von Herrenmahl und Heilsgeschichte gestellt, eine Frage, die nicht weniger bedeutsam ist als die nach Heilsgegenwart und Heilszukunft. Es ist die Frage, wie denn im Sakrament die Gegenwart Christi mit dem - vergangenen - geschichtlichen Ereignis auf Golgatha verbunden sei.

LeerHier bietet sich zunächst eine Lösung an, die der prophetischen Deutung des Abendmahls in unserer ersten Frage genau entspricht. Wie dort das Mysterium des Sakraments von der Analogie des Alten Testaments aus gedeutet wurde, so sieht man hier im Heiligen Abendmahl ein Gedächtnis des Kreuzestodes Christi in Gestalt einer  E r i n n e r u n g s f e i e r , so wie die Juden im Passa-Fest ein „Zeichen und Denkmal” für die Befreiung aus Ägypten hatten (Ex. 13, 9.16). In der Tat vermag uns diese Erinnerung entscheidend weiterzuhelfen. Es ist uns heute nicht mehr zweifelhaft,(6) daß Jesus das letzte Mahl mit Seinen Jüngern als Passa-Mahl gefeiert hat.

LeerGewiß war „d i e s e s  Passa” (Luk. 22,15) ein besonderes, neues, ein erfülltes Passa, aber eben doch ein Passa-Mahl.(7) Der Befreiung aus Ägypten verdankte das Volk Israel seine Existenz; durch sie war es erst ein Volk geworden. Dieses Ereignisses Gedächtnis wird im alten Passa gefeiert. Ganz entsprechend begeht die Kirche in ihrem Sakrament das Gedächtnis  d e s  einmaligen Geschichtsereignisses, dem sie  i h r e  Existenz verdankt: des Kreuzesopfers Jesu Christi, das Er „einmal” auf Golgatha dargebracht hat.

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LeerDas Heilige Abendmahl der urchristlichen Gemeinde kann also nicht abgeleitet werden von den Mysterien der spätgriechischen Zeit;(8) das Sterben Christi ist nicht ein geschichtsloser Mythus, sondern ein Geschehen in der Geschichte, in Raum und Zeit. Es muß dabei bleiben, daß der Schlüssel, der uns das Verständnis des Herrenmahls erschließt, die Heilsgeschichte ist, die in Kreuz und Auserstehung ihre Mitte hat.

LeerSo sind wir erneut vor die Frage gestellt,  w i e  das Heilige Abendmahl mit dem Geschehen auf Golgatha verbunden sei. Man ist bei der Beantwortung dieser Frage wie gesagt beim Alten Testament in die Lehre gegangen und hat die Gleichung aufgestellt: Das Sakrament ist mit dem Kreuzesgeschehen genauso verbunden wie das Passa mit dem Auszug aus Ägypten.(9) Das ist der einleuchtende Weg des humanistischen Denkens, der im modernen Protestantismus, über alle Konfessionsgrenzen hinweg, viele Anhänger gefunden hat.

LeerDie neutestamentlichen Berichte selbst weisen uns jedoch einen anderen Weg. Paulus schreibt im 1. Korintherbrief: „Solches tut ... zu meinem  G e d ä c h t n i s . So oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, verkündigt ihr den Tod des Herrn.” (1. Kor. 11, 26. Die von Luther mit einem Imperativ übersetzte Form „sollt ihr verkündigen” ist als Indikativ zu verstehen). Das Wort „Gedächtnis” erhält hier einen neuen, vertieften Sinn. Schon im Alten Testament bezeichnet es nicht eine Gedächtnisstütze derer, die an etwas gedenken, sondern ein Geltendmachen vor Gott, etwa Num. 10, 10. Diese Bedeutung findet sich im Neuen Testament wieder in Apostelgesch. 10,4, wohl auch Mk. 14,9.

LeerFür unsere Frage heißt das: Indem die christliche Gemeinde das Mahl feiert, gedenkt sie des Opfertodes Christi vor Gott, hält sie ihn Gott vor. Das sagt mit aller Klarheit der Vers Johann Heinrich Schröders:
„Nichts kann ich vor Gott ja bringen,
als nur dich, mein höchstes Gut;
Jesu, es muß mir gelingen
durch dein purpurfarbnes Blut.
Die höchste Gerechtigkeit ist mir erworben,
da du bist am Stamme des Kreuzes gestorben;
die Kleider des Heils ich da habe erlangt,
worinnen mein Glaube in Ewigkeit prangt.”
Leer(„Eins ist not...” Bayer. Gesangbuch Nr. 245, Vers 6)
LeerDas Gedenken der Abendmahlsgemeinde ist also Anbetung, Dank vor Gott im Sinn des lateinischen Wortes für danken „gratiam referre”.(10) Nun ist aber Christus in Seiner Gemeinde, in ihrem Beten, in ihren Sakramenten selber gegenwärtig, ja Er ist dabei der eigentlich Handelnde. Als der „Priester in Ewigkeit”, der „ein unvergängliches Priestertum” hat, „kann Er auch selig machen immerdar, die durch Ihn zu Gott kommen und lebt immerdar und tritt für sie ein”. (Hebr. 7, 21 -25). Das Opfer, das Er „ein für allemal” (Hebr. 10,10ff.) am Kreuz dargebracht hat, ist immerdar vor Gott gegenwärtig und wirksam. „Ist Er ein ewiger Priester, so ist Er alle Stund ein Priester und ohne Unterlaß opfert Er vor Gott” (Luther WA 6,369).

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LeerUnd nun eröffnet uns im Heiligen Abendmahl Sein auf Golgatha vergossenes Opferblut den Zugang zu Gott (Hebr. 10,19 ff.). Sein Opfer wird im Mahl gegenwärtig (repraesentatur) und nimmt uns mit vor Gottes Thron, durch den Tod, den wir mit Ihm sterben, hindurch zum unvergänglichen Auferstehungsleben. Das sich gefallen und an sich geschehen zu lassen heißt: Das Mahl „zu seinem Gedächtnis halten.”(11) „Indem es aber noch mehr ist als Gedächtnis, indem der ewige Hohepriester uns darin seinen wahren Leib und sein wahres Blut zu essen und zu trinken gibt, wird das Sakrament des Altars für uns zur vollen  V e r g e g e n w ä r t i g u n g  d e  s  O p f e r s , das Christus in unendlicher Liebe zu den Sündern am Kreuze gebracht hat - Er ganz allein.” (H. Sasse).(12)

LeerVon hier aus wäre dann auch das Wort „ihr verkündigt” (1. Kor. 11,26) zu deuten: Mit eurem Essen und Trinken, also dadurch, daß ihr das Mahl haltet, verkündigt ihr Christi Tod. Hier wird also nicht mehr über einen zeitlichen Abstand weg von einem Ereignis der Vergangenheit geredet, sondern dies Ereignis ist wunderbar gleichzeitig und wird durch eine Tatverkündigung proklamiert.(13)

3.

LeerWir blicken also auf einen sehr eigentümlichen Sachverhalt, den wir von keiner biblischen oder außerbiblischen Analogie her ableiten oder begreifen können: Im Heiligen Abendmahl wird Christi Vergangenheit (das Kreuz) ebenso wie Seine Zukunft (die Parusie) wunderbar zur Gegenwart.(14) Im Sakrament rinnen die Zeiten wie Ströme zusammen und sammeln sich in diesem einen zentralen Geschehen hier und jetzt. Ja die gesamte Heilsgeschichte - in den Präfationen der alten Kirche reich entfaltet - wird in unerhörter Verdichtung zu einem einzigen Akt zusammengefaßt. Wir stehen unmittelbar vor dem Geheimnis, das geglaubt, verehrt, angebetet und im Mahl empfangen werden will. Kein Verstand der Verständigen vermag es zu meistern.

Leer„Solche Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch; ich kann sie nicht begreifen”: dies Psalmwort gilt hier in besonderem Maße. Denn hier muß der jüdische Verstand mit seiner Eschatologie ebenso kapitulieren wie die humanistische Fähigkeit sich an Vergangenes zu erinnern. Wir stehen vor dem Geheimnis des Herrenmahls, das im Neuen Testament bezeugt, von der alten Kirche verehrt, durch Luther gegen alle Profanisierung geschützt und von Wilhelm Löhe für die Lutherische Kirche neu entdeckt und verherrlicht ist.

LeerDies Geheimnis können Worte nie auflösen. Denn was unsere Worte nur nacheinander, Stück um Stück entfalten können, ist hier in einem einzigen Geschehen zusammengefaßt: Die ganze Fülle des Heils, Christi Heilswerk von Weihnachten bis zur Himmelfahrt, Christi Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Darum kann das Sakrament neben dem „Wort” nicht entbehrt werden; erinnert es doch beständig an die Einheit alles dessen, was in den Worten der Lehre auseinanderliegt und nur nacheinander gesagt werden kann. Hier im Sakrament ist alles in Einem. Hier ist die vollkommene Einheit des gesamten Heilswerkes Christi gegeben. Und alles, was die Kirche tut und sagt in Christi Namen, lebt von dieser Mitte und zielt hin auf sie.

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Leer„All unser Thun, wie wenig oder viel es sei, hat keine andere Absicht gehabt, und hat noch keine andere, als die schöpferischen Worte unseres allerheiligsten Consecrators im Sakrament des Altars zu ehren. Unter allen denen, die Ihm und Seinen Leuten irgendwo dienen, möchten wir arme Leute von Dettelsau alle unsere gesammte Arbeit als einen geringen, aber immer blühenden Kranz des Dankes und des Lobes Seinem Altare weihen.”(15)

LeerEin Gebet im Missals Romanum faßt das Geheimnis in die Worte: quoties hujus hostiae commemoratio celebratur, opus nostrae redemptionis exercetur.(16)

LeerSo ist das Heilige Mahl nicht nur ein Geschehen im Rahmen der Heilsgeschichte, sondern es umschließt und repräsentiert sie in ihrer ganzen Fülle. Das Heilige Mahl ist das Wunder aller Wunder. In ihm sind die Wunder Jesu erfüllt; in ihm geschehen sie fort und fort in der zu Ende gehenden Weltzeit. Von diesem Wunder kann man nicht anders zeugen als im anbetenden und lobpreisenden Vollzug des Sakramentes selber.

LeerWir kehren zu unserem Ausgangspunkt zurück. Das Herrenmahl ist eschatologisches Mahl. Es weist über sich selbst hlnaus auf die himmlische Tischgemeinschaft, bei der wir Ihn schauen werden von Angesicht zu Angesicht. Was jetzt noch verhüllt ist, wird dann offenbar werden. Was jetzt cibus viatorum, Speise der „Hinwegeilenden” (Ex. 12,11), der Pilger ist, wird dort der selige Zustand im himmlischen Jerusalem sein. Noch leben wir im Glauben und nicht im Schauen. Aber im Glauben haben wir an der Fülle des ewigen Lebens schon Anteil, sind wir Gottes Hausgenossen und werden im Sakrament des Altars auf  n e u t e s t a m e n t l i c h e  Weise gewiß, daß der Herr kommt. Maranatha. Amen, ja komm, Herr Jesu!

Anmerkungen:

  1 vgl. Rudolf Otto „Reich Gottes und Menschensohn” München 1940 S. 239 f. und Karl Stürmer in „Evang. Theologie” 1947 Heft 1/2 S. 55 f.
  2 A. Schweitzer und R. Otto hingegen nehmen die Äonenwende erst beim Einbruch der Parusia an. Ernst Käsemann sieht den großen Wendepunkt an Pfingsten und gewinnt so sein Abendmahlsverständnis vom 3. Artikel aus („Das Abendmahl im Neuen Testament” in „Abendmahlsgemeinschaft”, München 1937 S. 73).
  3 R. Otto und seine Schüler gewinnen von Luk. 22, 15-18 her ihr rein eschatologisches Bild vom Heiligen Abendmahl. Nach Otto schließt Vers 29 ursprünglich unmittelbar an Vers 19a an. Dann ist der Sinn der Handlung, daß Jesus seinen Jüngern die Erbschaft des Reiches Gottes überträgt. Das Wort Diatheke = Bund und das zugehörige Verbum diatithemi, das Luther mit „das Reich bescheiden” übersetzt, versteht Otto dabei vom lateinischen testamentum aus, statt vom biblischen Bundesgedanken (berith). Die Brothandlung wird dann zum eigentlichen Sinnträger des Abendmahls; denn mit dem Weinwort in Vers 20 (19b und 20 werden in der alten westlichen Textüberlieferung nicht bezeugt) fallen für ihn auch alle Beziehungen zum blutigen Opfer am Kreuz und zum „Neuen Bund” weg.
  4 Davon handelt O. Cullmann in seiner bedeutsamen Schrift „Urchristentum und Gottesdienst” Basel 1944. Vgl. auch meinen Aufsatz „Die neutestamentliche Lehre vom HeiIigen Abendmahl” in Nr. 8/1948 der „Evang.-Luth. Kirchenzeitung”,
  5 vgl. dazu das Gespräch, das Oskar Cullmann in seinem Buch „Christus und die Zeit” Jülich 1946 mit den Vertretern der konsequenten Eschatologie, besonders mit Martin Werner führt: „Wer in der urchristlichen Verschiebung des Zentrums der Zeit nicht das radikal Neue im Reuen Testament sieht, kann überhaupt das Christentum nur als eine jüdische Sekte verstehen” (S. 74)
  6 seit Joachim Jeremias „Die Abendmahlsworte Jesu” Göttingen 1935.
  7 Otto Procksch, J. Schniewind und neuerdings Karl Bornhäuser in dem nach seinem Tod herausgegebenen Buch „Die Leidens- und Auferstehungsgeschichte Jesu” Gütersloh 1947 haben überzeugend aufgezeigt, daß mit dem Joh.-Evangelium Jesu letztes Mahl als ein vorweggenommenes Passa-Mahl ohne Passa-Lamm zu verstehen sei (Christus selbst ist das Lamm; 1. Kor. 5, 7). Dann wurde der Herr am 14. Nisan, als die Juden sich zum Passa mahl rüsteten, als das „Lamm Gottes” (Joh. 1, 29) gekreuzigt. Das „neue” Passa hat auch eine „neue” Zeit.
  8 so H. Lietzmann, M. Dibelius und E. Käsemann.
  9 Ethelbert Stauffer in „Die Theologie des Neuen Testaments” Stuttgart 1941: „Der liturgische Akt ist ein Zeichen und Denkmal für den heilsgeschichtlichen Akt..., Das Brotbrechen ist ein Zeichen und Denkmal für die Hingabe seines Leibes. Die Becherspendung ist ein Zeichen und Denkmal für die Hingabe seines Blutes.”
10 So werden im Missale Romanum die Einsetzungsworte in einem  G e b e t  (Qui pridie) rezitiert.
11 Der liturgische Ausdruck solches Gedenkens ist die Anamnese, die Löhe als einen Bestandteil der altkirchlichen Sakramentsliturgie auch in den Abendmahlsgottesdienst von Neuendettelsau aufgenommen hat.
12 In der schönen Schrift „Kirche und Herrenmahl” (München 1938) S. 28. Sasse zitiert hier (S. 27) auch einen Satz aus dem Examen Concilii Tridentini von Martin Chemnitz: „Die Austeilung der Eucharistie oder die Teilnahme an ihr oder Kommunion könnte, weil sie zum Gedächtnis des einzigen Opfers Christi geschieht, und weil dabei das, was einmal am Kreuz für unsere Sünden geopfert ist, dargereicht und empfangen wird, aus diesem Grunde und mit dieser ausdrücklichen Erklärung Opfer genannt werden, obwohl die Schrift das nicht tut.” Vgl. auch H. Sasse „Das Abendmahl im Neuen Testament” in „Vom Sakrament des Altars” (Leipzig 1941) S. 69.
13 An diesem Punkt enttäuscht auch die in mancher Hinsicht verdienstliche und wertvolle Schrift von Markus Barth „Das Abendmahl, Passamahl, Bundesmahl und Messiasmahl” (Zollikon-Zürich 1945). B. leugnet schließlich doch den sakramentalen Charakter des Abendmahls, wenn er (auf S. 34) sagt, das Abendmahl verhalte sich zu dem - vorher in der Predigt verkündigten - Wort von der Versöhnung wie das alttestamentliche Opfermahl zu dem  z u v o r  vollzogenen Opfer, oder wie das Hochzeitsmahl zur Verlobung oder Trauung(!).
14vgl. Ernst Sommerlath „Im Abendmahl aber hebt Christus, soweit es hier in dieser Zeit schon sein kann, Vergangenheit und Zukunft auf und schließt sie beide in die Gegenwart einer vollen, auch leiblichen Gegenwart zusammen.” („Das Abendmahl bei Luther” in „Vom Sakrament des Altars” S. 130).
15 W. Löhe, Correspondenzblatt der Diakonissen 1868, Nr. 12.
16 Secreta auf den 10. Sonntag nach Pfingsten. W. Löhe stand der liturgischen Tradition der Gesamtkirche mit der Freiheit gegenüber, die „sich völlig mit derjenigen liturgischen Richtung vereinigt hat, die sich nicht in zweifelhaftem Neuen versucht, sondern den uralten liturgischen Typus des Abendlandes gegen Fälschung sicherstellt, von Unreinem befreit, ihn durch die Zeiten fortleitet - und auch dadurch die Spuren einer heiligen, allgemeinen Kirche, einer unsterblichen Gemeinde der Heiligen auf Erden aufzeigt und nachweist.” (Agende für christliche Gemeinden des lutherischen Bekenntnisses. Erster Teil. 1. Auflage, Nördlingen 1844 und 2. Auflage Nördlingen 1853 S. XI). Zu dem Einwand, seine Agende romanisiere, sagt Löhe, man müßte das von  a l l e n  lutherischen Agenden gelten lassen, ja von der ganzen lutherischen Kirche. „Man könnte übrigens mit mehr Recht behaupten, die römische Kirche catholisiere in denjenigen Theilen der Liturgie, in denen sie mit der wahrhaft katholischen, hier auf Erdenn lutherisch zubenannten Kirche zusammenstimme” (S. XII)

Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 109-116

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-02
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