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Der Brief
von Wilhelm Stählin

LeerWährend wir diesen Michaelisbrief vorbereiten, rüsten wir uns auf die Fahrt nach Amsterdam zu der ersten großen Versammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen; wenn dieser Brief in die Hände der Leser kommt, werden wir schon zurückschauen auf die dortigen Eindrücke und Erfahrungen. Es ist zu erwarten, daß die in Amsterdam vertretenen Kirchen ein gemeinsames Wort finden werden zu dem großen Thema, das nicht nur das Thema dieser Konferenz, sondern das Thema der gegenwärtigen Menschheitsstunde überhaupt ist: „Die menschliche Unordnung und Gottes Heilsplan”. Der Versuch, in diese Weltlage hinein ein gemeinsames Wort der nicht-römischen Christenheit zu sagen, wird eine Probe darauf sein, ob die sehr sorgfältigen Vorbereitungen auf dem Boden verschiedener kirchlicher Traditionen und Lehrmeinungen zu der Tiefe durchgedrungen sind, wo man von jeder Oberfläche aus auf das Felsgestein der einen und unteilbaren Wahrheit stößt.

LeerDoch darf diese Versammlung nicht allein daran gemessen werden, ob sie eine solche Kundgebung zu formulieren, einmütig anzunehmen und in die Welt hinein zu sagen vermag; wichtiger und bedeutungsvoller scheint mir die Tatsache dieser Zusammenkunft selbst. In der merkwürdig parallelen Situation, in die die Kirche überall, in allen Ländern und Völkern, gegenüber der von den Menschen angerichteten Unordnung geraten ist, wächst das Bewußtsein von der wesenhaften Einheit der ganzen christlichen Kirche, und von der unaufgebbaren Verpflichtung, einander zu dienen mit den besonderen Erkenntnissen und Kräften, die den einzelnen Teilkirchen gegeben sind.

LeerDieses ökumenische Bewußtsein ist gleich weit entfernt von jeder Schwärmerei, die die geschichtlich gewordenen und die theologisch begründeten Verschiedenheiten beiseitesetzen möchte zugunsten eines unklaren Gefühls der Gemeinsamkeit, wie von jeder sektiererischen Rechthaberei, die jene Verschiedenheiten absolut setzt und sich weigert, die Stimme des Bruders als Frage, Warnung und Hilfe zu hören. Wir können vielleicht noch nicht in allen Einzelheiten theologisch exakt formulieren, wie sich das .Bekenntnis der einzelnen „Konfessionen” zu dieser ökumenischen Weite und Ganzheit der einen christlichen Kirche verhält; aber dieses ökumenische Bewußtsein ist aus dem Selbstverständnis der Kirche nicht mehr hinwegzudenken, und wir sehen nicht ohne ernstliche Sorge, daß sich die römisch-katholische Kirche, an ihre Überlieferung und ihren dogmatischen Anspruch gebunden, aus dieser von dem Geist Gottes gewirkten ökumenischen Einheit geflissentlich ausschließt.

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LeerEs wäre unnatürlich, wenn nicht auch an dieser Stelle ein Wort darüber gesagt würde, was die sogenannte Währungsreform für uns bedeutet- Es ist eine schwierige Sache, daß diese lebensgefährliche Operation zwar notwendig und unaufschiebbar war, aber nicht vom deutschen Volk selbst ausgeführt werden konnte. Als ich die ersten Scheins des neuen Geldes in der Hand hielt, war es mein erstes Gefühl, man sollte wohl statt von der „Deutschen Mark” von der „undeutschen Mark” reden. Zunächst einfach um des Aussehens willen. Wir wollen nicht so anmaßend sein, unseren Geschmack für den allein richtigen zu halten, und wir wissen, daß anderen Völkern anderes gefällt als uns; und es ist keine nationale Überheblichkeit, wenn wir aussprechen, daß diese Gestalten samt Zubehör, Ornamenten und Farben nicht unser Geschmack sind. Ich finde, das ist gut so; denn es entspricht der unzweifelhaften Tatsache, daß diese Währungsreform zwar unser Volk, sein Leben und seine Zukunft betrifft, aber nicht unter der Verantwortung unseres Volkes gemacht ist.

LeerDie von verschiedenen Seiten mit sehr vielen Gründen und den dringlichsten Vorstellungen eingereichten Vorschläge sind im wesentlichen nicht beachtet worden. Für das Elend, dem ungezählte Alte, Erwerbslose, kleine Sparer, freie geistige Arbeiter preisgegeben sind, und für die lebensgefährliche Bedrohung aller sozialen und karitativen Arbeit ist keine deutsche Stelle verantwortlich zu machen. Es ist das neue Geld in seinem uns äußerlich so fremden Aussehen das echte Sinnbild für die Unfreiheit und Rechtlosigkeit des total besiegten Volkes. Es ist notwendig, sich das unerbittlich klar zu machen und sich von allen Illusionen zu lösen. Aber ebenso notwendig ist es nun, das uns auferlegte Schicksal mit allen unseren Einsichten und Kräften anzunehmen und zu versuchen, es zum Guten zu wenden. Die undeutsche Mark wird in dem Maß eine deutsche Mark werden, als wir sie zum Werkzeug unseres gemeinsamen Lebenswillens und unserer Verantwortung füreinander machen. Die letzten Entscheidungen fallen immer in uns selber; und es gehört uns das zu, was wir mit unserem Leben durchdringen.

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LeerIn Heft 3/4 (März/April 1948) der Zeitschrift „Die Christengemeinschaft” hat sich Kurt von Wistinghausen in einem kleinen Beitrag „Um eine gegenwartsgemäße Kultuserneuerung” mit unserer Berneuchener Arbeit, mit einem Aufsatz von Karl Bernhard Ritter (in der Wochenschrift „Sonntagsbote” Neuwied, November 1947) und mit Äußerungen von mir in meinem Heft „Berneuchen” (1937) beschäftigt. Er wiederholt den Vorwurf, den wir seit vielen Jahren immer wieder zu hören bekommen, daß wir die Quellen nicht nennen, die unseren Gedanken und denen der Christengemeinschaft gemeinsam wären; wir „müssen sein (Stählins) christliches Streben solange für ernstlich gefährdet halten, als er die umfassende Erkenntniskraft der Anthroposophie zwar indirekt mitbenutzt, aber gleichzeitig ablehnt”. „Eine religiöse Morgenfeier wird nicht dadurch zum „Kult” oder zur „Messe”, daß man sie aus alten liturgischen Texten, Gesängen, Gewändern zusammenfügt, sondern erst, wenn sie durch die Wandlung in übermenschliche Kraftfelder einbezogen wird. Man wird immer in der Gefahr sein, Steine statt Brot zu geben oder zu empfehlen, wenn man dem wachsenden Weihebedürfnis der Menschen Liturgie bietet statt eines aus der heutigen Geistwelt abgelesenen Kultus.”

LeerWir sind natürlich von vielen Seiten auf diese Anklage und diese Warnung aufmerksam gemacht und aufgefordert worden, etwas dazu zu sagen. Wir möchten aber, soviel an uns liegt, die Beispiele einer öffentlichen Auseinandersetzung zwischen denen, die den Willen haben und überzeugt sind, Christus zu dienen, nicht vermehren und haben deswegen brieflich und in persönlichen Gesprächen die Verbindung mit führenden Männern der Christengemeinschaft aufgenommen; wir planen gründliche Aussprachen in kleinstem Kreise, um, wenn es möglich ist, unsere Beziehungen von jedem unguten Ton einer lieblosen und anklagenden Polemik zu reinigen. Eben diesem Bemühen diente der letzte Briefwechsel, den ich mit meinem verehrten alten Freunde Friedrich Rittelmeyer kurz vor seinem Tode hatte. Es ist uns eine selbstverständliche Pflicht, diese bevorstehenden Gespräche abzuwarten, ehe wir Kurt von Wistinghausen öffentlich antworten, so diene diese kurze Notiz unseren Freunden nur zur Kenntnis, daß jener Angriff von uns nicht unbeachtet geblieben ist.

LeerInzwischen war schon, ehe jener kleine Aussatz in der „Christengemeinschaft” erschienen ist, eine Arbeitsgemeinschaft zusammengetreten, um das Verhältnis zwischen Evangelischer Kirche einerseits und Anthroposophie und Christengemeinschaft andererseits gründlich zu untersuchen; ich habe es für meine Pflicht gehalten, die mir angetragene Leitung dieser Arbeitsgemeinschaft vorläufig zu übernehmen. Über die erste Tagung dieser Arbeitsgemeinschaft ist eine kurze Notiz in der Presse erschienen, die dem Sinne nach besagt, wir hätten festgestellt, daß die Erkenntniswege und Denkformen der Anthroposophie mit dem christlichen Glauben unvereinbar seien. Dieser Bericht ist nun einfach nicht richtig. Eine solche Erklärung abzugeben und damit einen unüberbrückbaren Gegensatz festzustellen haben wir vielmehr ausdrücklich abgelehnt, um zuvor die von der Anthroposophie her an die Kirche gerichteten Fragen ganz ernst zu nehmen und gründlich durchzudenken. Es dient vielleicht jenem notwendigen Gespräch, wenn zunächst jene durch die kirchliche Presse gegangene unzutreffende Notiz richtiggestellt wird.

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LeerIn England kam mir Heft 6/1947 der Zeitschrift „Unterwegs” (von einem evangelischen Arbeitskreis in Berlin herausgegeben) in die Hände. Darin werden auf den letzten Seilen einige „kirchliche Untertöne” wiedergegeben, unter der Überschrift „Als ob nichts geschehen wäre!” Das heißt, es werden ein paar Geschehnisse und Äußerungen zusammengetragen, die zeigen sollen daß manche Leute die Zeit nicht verstehen und noch so reden und handeln, wie es vielleicht früher erträglich war, aber sicher heute nicht ertragen werden kann. Es sind einige unerfreuliche Dinge dabei, und es ist vielleicht ganz gut, wenn solche Dinge öffentlich bloßgestellt werden. Was aber soll man dazu sagen, wenn in dieser Sammlung die folgende Stelle „aus der Rede eines evangelischen Bischofs” (ich weiß nicht, wer damit gemeint ist, vielleicht bin es ich selber) angeführt wird: „Wenn Gott unserem Volk noch einmal gnädig ist, dann wird er die Gestalten, die in der Stille vor ihm beten und nach seiner Wahrheit fragen, die entscheidenden Gestalten der deutschen Geschichte sein lassen, dann könnte es sein, daß bei den Gebeten dieser Einsamen die Zukunft unseres Volkes liegt.” Hat dieser Bischof nicht einfach recht? Und was soll denn aus einem Theologengeschlecht werden, das es wagt, dieses Wort neben eine kleine Skandalgeschichte zu stellen? Wehe der Kirche, in der dieser „Unterton”  n i c h t  zu hören ist!

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LeerEin westfälischer „Evangeliums-Verlag” (offenbar Selbstverlag des Verfassers) empfiehlt zwei kleine Schriften über das Evangelium mit folgenden Sätzen: „Soweit die bereits bekannt christliche Literatur erkennen läßt, ist hier erstmalig das urchristliche Evangelium Jesu Christi und der Apostel nachprüfbar und allgemein verständlich aus Gottes Wort dargeboten. Es fördert die großen evangelischen Bekenntnisse und ist dennoch berufen, eine neue Ära der Heilsverkündigung samt allem daraus folgenden Segen einzuleiten”.

Leer„Eine neue Ära der Heilsverkündigung”: Wer den Mund so voll nimmt (noch dazu, wenn es sich um Seine eigenen Erzeugnisse handelt), macht sich daran mitschuldig, daß das Wort der Kirche in solcher Inflation keine Valuta mehr hat.

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LeerZwei Bitten an all unsere Freunde, die Briefe an uns schreiben:

LeerDie heutigen Geldverhältnisse erlauben es uns allen nicht mehr, mit der gleichen Großzügigkeit wie bisher die Portokosten unseres sehr umfangreichen Briefwechsels zu tragen, und wir können auch weder die Michaelsbruderschaft noch den Berneuchener Dienst damit belasten. Wer auf eine Antwort rechnet, ist deswegen gebeten, Briefmarken für die Rückantwort beizulegen.

LeerEs ist für niemand von uns möglich, die Anschriften aller der Menschen, mit denen wir in einem vielleicht noch dazu sehr seltenen Briefwechsel stehen, auswendig zu wissen. Es spart uns Zeit und Mühe (und manchmal auch einen kleinen Ärger), wenn wir die Anschrift nicht erst aus dem (natürlich längst beseitigten) Briefumschlag oder aus älteren Briefen heraussuchen müssen, sondern sie auf dem Briefblatt selber vor uns haben.

LeerIch bin überzeugt, daß ich beide Bitten zugleich im Namen aller anderen, des Leiters und des Sekretariats des Berneuchener Dienstes und der Vertrauensleute in den einzelnen Konventen, aussprechen darf.

Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 141-144

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-02
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