Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1950
Jahrgänge
Autoren
Suchen


„Solches tut zu meinem Gedächtnis”
von Wilhelm Stählin

„Solches tut zu meinem Gedächtnis”
„Also gedenken wir...”

LeerDaß wir in der Messe „des heilbringenden Leidens und Sterbens unseres Herrn Jesu Christi gedenken”, scheint so eindeutig das Herzstück der sakramentalen Feier zu sein, daß wir wenigstens in diesem Punkt die Kirche von keiner Zwiespältigkeit der Meinungen bedroht sehen und die Messe wenigstens in dieser Hinsicht keiner näheren Erläuterung für bedürftig halten. Indes ist es keineswegs unnötig, klar zu sagen, welcher Art dieses Gedächtnis des Leidens Christi im Sakrament des Altars ist, und worin also die Weisung des Herrn, „solches” zu Seinem Gedächtnis zu „tun”, erfüllt wird.

LeerSo verschieden im einzelnen die Feier des Altarsakraments vollzogen wird, keine Form (selbst nicht der „formloseste” Vollzug) verzichtet auf die Wiedergabe der Worte, in denen uns die Stiftung des Heiligen Mahles erzählt wird, und zwar folgt die Wiedergabe im allgemeinen dem ältesten unter den uns erhaltenen Berichten, das ist den Versen, in denen der Apostel Paulus (im 11. Kapitel des 1. Korintherbriefes) diese Einsetzungsgeschichte als eine bis auf den Herrn selbst zurückgehende Überlieferung weitergibt. Diese Einsetzungsworte, die verba testamenti, setzen jede Feier des Heiligen Mahles unmißverständlich in Beziehung zu einer bestimmten geschichtlichen Situation und unterscheiden damit die Mysterienfeier der christlichen Gemeinde grundsätzlich von allen heidnischen Mysterien, die ihr Urbild nicht in einer Geschichte, sondern in einem Naturmythos haben. Indem die Kirche bei jeder einzelnen Feier des Heiligen Mahles diese Worte wiederholt, bekennt sie, daß sie eben das vollzieht, was in jener einmaligen geschichtlichen Stunde geschehen ist, und wovon der Herr in jener Stunde Seinen Jüngern geboten hat, eben „dieses” „zu Seinem Gedächtnis” zu vollziehen.

LeerDiese einmalige geschichtliche Stunde selbst ist unzertrennlich verbunden mit dem Todesleiden des Herrn. Die zeitliche Nähe zu dem unmittelbar bevorstehenden Todesgang macht die Stiftung dieses Mahles zum Vermächtnis des Sterbenden, und die Stiftung hat den Opfertod Christi als ihren eigentlichen Inhalt. Er bricht den Jüngern das Brot, so wie Sein eigener Leib im Tode zerbrochen und dahingegeben wird; und wenn er den Wein im Becher als das einen neuen Bund begründende Opferblut deutet, so ist er selber das Opfer, dessen Blut als des von Gott selbst dargebotenen Opferlammes vergossen wird „zur Vergebung der Sünden”. Indem Er Seinen Jüngern mit diesen Worten das Brot bricht, daß sie es essen, und ihnen den Kelch reicht, damit sie daraus trinken, verbindet Er sie in geheimnisvoller Weise mit Seinem Opfertod. Diese Beziehung auf die Passion des Herrn und das darin vollbrachte Opfer ist mit gemeint, wenn die urchristliche Gemeinde das „Brechen des Brotes” als das entscheidende Merkmal dieses Mahles verstand und die ganze Handlung danach benannte.

Linie

LeerWir haben aber auch die deutlichste Spur davon, daß die Feier des Sakraments schon in der ersten Generation nach der Analogie eines Opfermahles verstanden worden ist, bei welchem die Teilnehmer mit dem Blut des Opfers „besprengt” und dadurch entsühnt wurden (Hebr. 10, 22) und eben durch den Genuß der heiligen Speise in eine folgenschwere Verbindung mit dem Gott gelangten, dem das Opfer gebracht wurde (1. Kor. 10, 16 ff.). Es ist darin sehr tief begründet, daß jede Feier des Heiligen Mahles das Gedächtnis des Kreuzesopfers als ihr eigentliches Herzstück in sich trägt, daß die Gemeinde vor Beginn des Mahles selbst betend singt „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd' der Welt, erbarm dich unser”, und es ist aus diesem Zusammenhang wenigstens begreiflich, daß die Feier des Heiligen Mahles in der evangelischen Kirche zeitlich eine besondere Verbindung mit der Passion des Herrn und der ihrem Gedächtnis geweihten Zeit gewonnen hat.

LeerDoch ist das Gedächtnis „des heilbringenden Leidens und Sterbens” Jesu Christi von einer zwiefachen Verengung bedroht. Die apostolischen Schriften sehen nirgends die „Passion” als ein isoliertes Faktum, sondern sie betrachten den Kreuzestod des Herrn auf der einen Seite als die notwendige Vollendung Seiner Menschwerdung (weil Er „gleich ward wie ein anderer Mensch”, mußte Er den Weg des Menschen in Leiden und Tod vollenden, und nur weil Er der ewige Sohn des Vaters ist, hat Sein am Kreuz vergossenes Blut die Kraft, deren sich der Glaubende getröstet), auf der anderen Seite als den Durchgang zu Seinem Sieg, als die Erhöhung zur Herrlichkeit des Vaters. Man kann darum auch in der Feier des Sakramentes des Leidens Christi nicht gedenken, ohne zugleich Seiner Geburt und Seiner Auferstehung zu gedenken. Das Gedächtnis des Leidens weitet sich für die betende Kirche zu der anbetenden Betrachtung des ganzen Erlösungswerkes, das die Geburt aus dem Schoße der Jungfrau und die himmlische Herrschaft umschließt, „von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten”.

LeerDieses Gedächtnis des ganzen Christusweges, der im Kreuz seine Mitte hat, geschieht liturgisch zunächst in der Präfation (dem großen Dankgebet, welches dem Dreimal-Heilig vorangeht), deren Mittelstück, je nach dem besonderen Fest-Anlaß wechselnd, die gesamten Heilstaten Gottes besingt, und danach in der „Anamnese” (das Wort heißt „Gedächtnis”), in welcher sich die hier und jetzt versammelte Gemeinde mit der ganzen heiligen Kirche zum anbetenden Lobpreis der heiligen Geburt, des heilsbringenden Leidens und Sterbens des Herrn, Seiner Auferstehung und Seiner Auffahrt zur Rechten des Vaters vereinigt. Die umfassende Weite dieses „Gedenkens” hebt die Feier des Sakraments hinaus über den schwer lastenden Ernst eines einseitigen Passionsgedenkens und rechtfertigt den Namen, unter dem die Feier der Messe auch in den Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche zumeist erscheint, den Namen der Eucharistie, das heißt der Feier der Danksagung.

Linie

LeerAber ebenso wichtig oder noch wichtiger ist es, daß das „Gedenken” selber in der rechten Weise verstanden und geübt wird. Eine bloß phantasiemäßige Rückerinnerung an das Geschehen von Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern, so wie wir es aus den biblischen Berichten kennen, würde das nicht erfüllen, was mit dem biblischen Wort „Gedächtnis” gemeint ist; und auch der von Luther so stark betonte Gedanke, daß wir zum Trost unserer Seele und zur Vergewisserung der uns geschenkten Vergebung die Frucht jenes Opfertodes empfangen und „zu uns nehmen” dürfen, trifft nur ein Teilstück, wenngleich ein überaus wichtiges Teilstück aus der Fülle des sakramentalen Geschehens. Auch hier ist der Raum des Mysteriums in drei Dimensionen weiter, als es einer Frömmigkeit bewußt ist, welche den Wert des Heiligen Mahles auf die tröstliche Aneignung des „für uns” vollbrachten Erlösungswerkes beschränkt.

LeerVor allem ist das kultische „Gedächtnis” etwas in der Tiefe anderes als eine historische Erinnerung nach Art eines Jubiläums, nämlich selbst ein lebendiges Geschehen, in welchem das geschichtliche Ereignis (ebenso wie die erhoffte und erflehte Zukunft) gegenwärtig wird. Das Mysterium (und also auch das Sakrament, welches eine Daseinsform des Mysteriums ist) gehört einem Bereich an, in welchem der Abstand des Raumes ebenso wie der Zeit aufgehoben ist, wo wir dem „gleichzeitig” werden, dessen wir „gedenken”, und wo wir nicht nur die Früchte des Christusopfers und Seines Sieges empfangen, sondern in Sein priesterliches Opfer und Seinen Sieg als in ein gegenwärtiges Geschehen hineingezogen werden. „Wir werden mit Christus geopfert” war die Formel, mit der Luther im „Sermon vom Neuen Testament, das ist von der Heiligen Messe” (1520) dieses realistische Verständnis des sakramentalen Gedenkens gegen jede nominalstische Entleerung verteidigt hat. Man kann darum nicht des Opfertodes Christi in der kultischen Feier „gedenken”, ohne sich hineinziehen zu lassen in das Opferhandeln Christi und mit Ihm und durch Ihn zu sterben, um in der Hingabe an Ihn für Ihn und mit Ihm zu leben.

LeerDamit ist die zweite Dimension schon berührt. Der leidenschaftliche Gegensatz, mit dem die Reformation jedes Verständnis der Messe als eines vom Menschen für Gott dargebrachten Opfers abgewehrt und aus dem Vollzug der Messe getilgt hat, hat in dem gesamten gottesdienstlichen Geschehen und Handeln die dem Menschen zugewendete Seite einseitig einseitig in den Vordergrund treten, und fast vergessen lassen, daß mit dem gesamten Gottesdienst auch das Sakrament eine Gott zugewendete Seite hat. Wir gedenken wirklich vor Ihm, dem Herrn und himmlischen Vater, alles dessen was Seine Gnade uns zugedacht hat; wir haben Gott nichts darzubringen, als was Er selbst uns gegeben hat, und wir nahen dem Thron Seiner Gnade geschmückt mit dem hochzeitlichen Kleid „der Ehre und Herrlichkeit Christi”. Der Hebräer-Brief redet an der entscheidenden Stelle (10, 19 ff.) von der gottesdienstlichen „Versammlung” der Gemeinde in dem Sinne, daß wir darin den Weg, den uns Christus durch Sein Kreuzesopfer eröffnet hat, wirklich beschreiten, mit Ihm und durch Ihn wirklich „eingehen in das Heilige”. Es ist uns nicht erlaubt, hinter der leibhaften Fülle dieses biblischen Denkens freiwillig zurückzubleiben, uns auf eine bloße Erinnerung an das, was am Karfreitag geschehen ist, zu beschränken und also das Sakrament ebenso seiner Weite und Tiefe, wie der gegenwärtigen Wirklichkeit zu berauben.

Linie

LeerDoch hätte auch diese Betrachtungsweise noch nicht völlig erkannt, „welches da sei die Höhe ...” (Eph. 3, 18). Denn das, was wir „zu Seinem Gedächtnis” vollziehen und was den Inhalt dieses Gedenkens bildet, ist nicht beschränkt auf die irdische Wirklichkeit, sondern es gehört zugleich jenem überweltlichen und unsichtbaren Bereich an, von dem wir stammelnd als von dem „Himmel” reden. Nur deswegen kann das Golgatha-Geschehen im irdischen Raum heute und hier gegenwärtig werden, weil der Gekreuzigte zugleich der zum Himmel Erhöhte ist, der dort im himmlischen Heiligtum die Liturgie Seines ewigen Opfers vollbringt und uns priesterlich vor Gott vertritt (Röm. 8, 34; Hebr. 9, 24).

LeerMit tiefem Recht wehrt sich das in der Reformation erwachte Gewissen gegen die Redeweise, daß an den Altären der Kirche in der Messe das einmalige und allgenugsame Opfer Christi „wiederholt” werde. Das Wort „Wiederholung” ist aber nicht nur deswegen unstatthaft, weil das ein für allemal gebrachte Opfer weder wiederholt zu werden braucht noch wiederholt werden kann, sondern vor allem darum, weil uns Christus immerdar vor Gott vertritt und zu der Welt der Vollkommenheit nicht die (aus Mangel und Not erwachsende) Wiederholung, sondern das ein für allemal Gültige gehört. Nicht nur der Abstand der Zeiten, sondern auch der Abstand von Himmel und Erde ist im sakramentalen Geschehen aufgehoben; was damals geschah, geschieht heute, und was im Himmel geschieht, geschieht hier auf Erden, an diesem Altar. Dächten wir wirklich, so wie es sich gebührt, an das Leiden und Sterben des Herrn, wenn wir nicht den Gekreuzigten und Geopferten zugleich sähen als den zur himmlischen Herrschaft erhobenen König und mit den Engeln und mit der Gemeinde der Vollendeten einstimmten in den Preisgesang zu Ehren des „Lammes, das erwürget ist”? Denn es ist eben das Lamm, das würdig ist zu nehmen Preis und Ehre und Lob, zu dessen Abendmahl wir berufen sind.

LeerWir haben versucht, von diesen Geheimnissen, von denen alle menschlichen Worte eher zu stammeln als zu reden vermögen, so zu sprechen, daß die schwierigen theologischen Fragen, die hier alsbald aufbrechen und die gerade in unserem Geschlecht neu in Fluß gekommen sind, beiseite gelassen werden, und nur dem, der das Sakrament des Altars zu feiern begehrt, der Weg seines andächtigen und dankerfüllten „Gedenkens” gewiesen wird. Nur dies sei zum Ende wenigsteens mit einem Satz angedeutet: Jede rechte und wahrhaft christliche Besinnung über das Geheimnis des Heiligen Mahles muß sich darum bemühen, zwei Erkenntnisse miteinander zu verbinden, von denen nur allzu leicht das eine das andere verdeckt: Es kann in alle Ewigkeit kein anderes Opfer sein, das wir Gott darzubringen oder das wir auch nur zu gedenken vermöchten, als das eine, einmalige, vollkommene und allgenugsame Opfer, das Christus für uns gebracht hat. Das Gedächtnis dieses Opfers ist der Inhalt des eucharistischen Mahles; nichts, was danach oder daneben oder an seiner Statt geschehen könnte. - Aber dieses Gedächtnis ist nicht die Rückerinnerung an das , was vor 2000 Jahren geschehen ist, sondern es ist selbst ein gegenwärtiges Ereignis, in dem sich der gegenwärtige Augenblick mit der Geschichte und zugleich mit der himmlischen Welt verbindet; ein Gedenken, das geladen ist mit den überschwenglichen Geheimnissen und das uns hineinzieht in das Leben und Handeln des ewigen Hohenpriesters.

Leer„ A l s o  vereinigen wir uns mit der ganzen heiligen Kirche und gedenken vor Dir, Herr, himmlischer Vater, des heilbringenden Leidens und Sterbens Deines lieben Sohnes, unseres Herrn Jesu Christi und preisen Seine sieghafte Auferstehung von den Toten und Seine Auffahrt zu Deiner Rechten.” Und eben in dem wir „durch Sein Blut gereinigt und versöhnt mit Freudigkeit eingehen in das Heilige”, meinen wir das recht zu erfüllen, was der Herr Seiner Kirche als Vermächtnis befohlen und anvertraut hat: „ S o l c h e s  t u t  zu meinem Gedächtnis!”

Evangelische Jahresbriefe 1950, S. 42-46

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-16
Haftungsausschluss
TOP