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Kirchenjahr - Christusjahr
von Bernhard Jahn

LeerDas Leben der Menschen ist wie das Leben der Tiere und Pflanzen und der von uns tot genannten Wesen, der Erden und Steine, der Wasser und Lüste und Flammen, der Sterne, ein Ast am großen Baum des Lebens der Welt. Das Leben der Menschen atmet mit dem Ganzen ein und aus und wird von den gleichen Säften durchpulst und von den gleichen Kräften bewegt. Wohl ist der Mensch Geist und hat Willen. Darum hat er die Fähigkeit und manchmal die Pflicht, sein eigenes Leben aus dem Rhythmus des Natürlichen herauszunehmen und etwas Eigenes zu sein. Aber früher als Geist und Wille, in der Tiefe unter ihnen bleibend und sie überdauernd ist die Einheit des Menschen mit dem natürlichen Leben.

LeerDer Takt im Rhythmus des Weltlebens, der auch Leib und Seele des Menschen bestimmt, ist der Viertakt des Tages: Morgen, Mittag, Abend und Nacht. Er kehrt weiträumiger wieder im Viertakt des Jahres: Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Begegnet er nicht noch einmal, wieder umfassender, im Viertakt des Lebens: Kindheit, Mannestum, Greisenalter und Tod? Ist ein Menschenleben ein Takt im ganzen Leben der Welt?

LeerDie Viertel der Zeiten entsprechen einander, und gleiche Kräfte beherrschen sie. Die Jugend, der Frühling, der Morgen sind die Zeiten der engsten Verbundenheit mit den Wachstumskräften. Die alten Völker, die in Bildern sich vorzustellen verstanden, was wir mit abstrakten Begriffen nicht immer besser sagen können, lehrten, der Stier regiere das erste Viertel der Zeiten. Er ist das Symbol der vegetativen Kräfte. Der Mittag, des Tages Mannesalter, ist das zweite Viertel der Zeit, der Sommer ist des Jahres männlicher Mittag. Das Zeichen des Mannes, des Sommers, des Mittags ist der Löwe; er bezeichnet Schärfe der Sinne und leidenschaftlichen Willen zur Tat. Dem Herbst, der wie der Abend und das Greisenalter aus der Sinnen- und Tatwelt lösen und dem Geist das Zepter reichen sollte, erkannten die Alten das Zeichen des Weisheitstieres, des Vogels, zu, und sie wählten als sein Symbol den königlichen Adler. Doch scheint dem namenlosen Bewußtsein der Menschen die Ahnung gegeben worden zu sein, daß der Geist in der gottentfremdeten Welt sich nicht als Herr zum Himmel zu schwingen vermag, sondern an die Erde gebunden bleibt und mit seiner Mühe sich und anderen nur Tod bringt: an die Stelle des Adlersymbols trat das Bild des Skorpions. Das vierte Viertel der Zeiten sollte die drei Kräfte der andern Viertel in Harmonie vereinen; wenn man der Zeit des Winters das Bild des vollkommenen Mannes, des Menschen oder des Engels, zueignete, so spricht daraus freilich ein Wissen darum, daß die Nacht mehr ist als das Ende und der Tod der Einzug in das ewig Vollkommene - ein Wissen, das nicht aus der Beobachtung des natürlichen Lebens gewonnen ist. Der Seher der Offenbarung läßt die vier Wesen: Stier, Löwe, Adler und Mensch miteinander vor dem Stuhle Gottes anbeten. Die vier Zeiten miteinander machen das Leben aus. Sie sind das Rad des Lebens, mit dem wir uns drehen.

LeerIn der Welt nach dem Sündenfall, die Gott entfremdet ist, gehorchen die Kräfte und gehören die Zeiten dem Widersacher Gottes, den die Bibel den Herrn dieser Welt nennt. Die auf das Rad der Zeit geflochtenen Menschen werden immer tiefer in seine Gewalt hineingestrudelt. So muß uns der Adler zum Skorpion und die Vollkommenheit der vierten Zeit in dieser Welt zu Winter, Nacht und Tod gewandelt werden.

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LeerChristus, der ins Fleisch einging, ging in die Zeit ein. Er überwindet in seinem eigenen Leben von der Geburt in der Krippe bis zur Wiederkunst am Ende der Tage die gottfremde Gewalt und wandelt die Kräfte und Zeiten zu ihrem eigentlichen Sinn. In der Nacht des Wintertodes wird das Kind in der Krippe geboren und straft Tod, Frost und Dunkel Lügen. Während das Frühjahr zur Hingabe an die Kräfte der Erde ruft, führt der Leidende, Sterbende, Auferstehende durch das Opfer des Irdischen ins eigentliche, ewige Leben. Passion und Ostern sind das erste Viertel des Christuslebens. Sein Sommer, seine Manneszeit ist sein Leben mit der Kirche seit Pfingsten. Wie der Täufer Johannes, dessen Spruch heißt: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen”, wie Petrus, der sich von fremden Händen gürten läßt und geführt wird, wohin er nicht will, wie Paulus, den der Herr aus der Bahn reißt und sich zum auserwählten Rüstzeug macht, so sieht der Mann aus, der Christus gehört, und so lebt Christus in denen, die ihm gehören, in diesem zweiten Viertel der Zeit. Bis endlich das Rad der Zeit und des Christuslebens seine letzte Strecke durchlaufen wird: die Endzeit wird den letzten, schwersten Kampf mit den Mächten bringen, die das Heilige bedrohen. Der Geist, der sein wollte wie Gott, wird offenbart werden als dem Abgrund gehörig. Der Michaelskampf und die Wiederkunft des Herrn beenden das Herbstalter seines Lebens in der Zeit und das Herbstalter der Welt. Das Rad der Zeit rollt aus im Reiche Gottes, da alles zu Füßen des Sohnes gelegt ist.

LeerWir leben mit der Natur das Jahr, das gottentfremdeten Mächten gehorcht. Der Rhythmus der Zeiten möchte uns auf der Bahn einer Spirale in die Tiefe wirbeln. Christus lebt gegen die Verfallenheit an den Widersacher mitten in der Zeit sein Leben nach dem Willen Gottes. Wer mit ihm leben will, sich heraussehnend aus dem Preisgegebensein, seine Gegenwart sucht, der begegnet ihm ja in den Zeiten des Jahres und des Lebens je als ein anderer Mensch, mit anderen Versuchungen und anderer Schuld. Und Christus gibt je ein anderes Stück seines göttlichen Lebens in das Leben des Menschen hinein. Das ist der tiefe Sinn des Kirchenjahrs. Es ist das Leben auf dem Rad der Zeit mit Christus, der Zeiten und Knills wandelt zu ihrem göttlichen Sinn.

LeerDer Winter ist die Nacht des Jahres, aus der der Jahrestag aufsteigt. Adventszeit wartet und bereitet auf das Kommen des Herrn. „Adventus” heißt Ankunft. In die Farbe der bußfertigen Bereitung, in violette Tücher kleidet in diesen Wochen die Kirche Altäre und Kanzeln. Sie gebraucht als Sinnbild den Stern, dem die Weisen zur Krippe folgten, und den Adventkranz, an dem Licht um Licht von der ersehnten Lichtfülle des Christbaums zeugt. Die Lesungen berichten vom Vorläufer des Kommenden, Johannes, von den letzten Dingen, von den Sehern des alten Bundes und von der Freude der Mutter des Heilands.

LeerWenn die Sonne in der Jahresbahn am tiefsten steht, leuchtet das Licht aus der andern Welt auf. In der Christnacht ist das Christkind geboren. Seine Krippe ist das Zeichen der weihnachtlichen Zeit. Die weihnachtliche Farbe ist die Lichtfarbe, Weiß. Der Lichterbaum ist der Paradiesesbaum; nicht in der Winternacht ewigen Todes, sondern im erschlossenen Paradies endet die Zeit. Über die zwölf heiligen Nächte, die unsere Väter nach der Wintersonnenwende zählten, bis zum Epiphaniastage feiert die Kirche ihr Christfest. So lange brennen die Weihnachtskerzen und werden die Weihnachtslieder gesungen. In die Tage der Weihnachtsfeier fällt der bürgerliche Feiertag der Jahreswende, der mit bußfertigem, dankbarem Rückblick am Altjahrsabend - vielleicht um Mitternacht - und am Neujahrsmorgen im Gottesdienst mit dem Evangelium „Vom Namen Jesu” begangen wird.

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LeerDer 6. Januar, der Weihnachtstag der alten Kirche des Ostens, ist uns der Tag der Predigt von der leuchtenden Erscheinung der Herrlichkeit Gottes über dem Kind in der Krippe. Von der Epiphanie, der Erscheinung des Gotteslichtes um Jesus, reden Lesungen, Sprüche und Lieder der Epiphaniaszeit. Die Weisen beten das Kind an. Der Mann Jesus wandelt den Hochzeitsleuten in Kana Wasser in Wein. Drei Jünger dürfen auf dem Berg der Verklärung Christus im nachösterlichen Lichte sehen. Das sind Epiphanie-Evangelien. Grün ist die Farbe der Altartücher jetzt, wie das keimende Leben und die Hoffnung, und die drei Kronen der Weisen vor der Krippe oder das Zeichen der Hochzeit zu Kana, die Krüge, mögen als Symbole verwendet werden.

LeerDrei Sonntage bilden den Übergang zur Passion: Septuagesimä, Sexagesimä, Quinquagesimä oder Estomihi - die alten lateinischen Zahlworte geben auf Zehner abgerundet die Zahl der Tage an, die noch bis Ostern vergehen werden. Dann beginnt mit dem Aschermittwoch die Bereitung auf Ostern und die Wanderung mit Jesus zum Kreuz. Vierzig W e r k tage zählt die Passionszeit, die Zeit des Leidensgedächtnisses. Sie heißt auch Fastenzeit: es gibt ein evangelisches Fasten, eine heilsame Zucht der Sinne und des Leibes, die der Herrschaft der Erdkräfte das Opfer entgegenstellt. Die Sonntage dieser Wochen sind dem Passionsgedächtnis entnommen; ihre Evangelien reden nicht vom Leidensweg. Alle Sonntage, auch die der Passion, sind kleine Osterfeste, Freudentage. Die Namen der Passionssonntage sind die Anfangsworte der Eingangspsalmen der Sonntagsliturgie: Invocavit, Reminiscere, Oculi, Laetare, Judica, Palmarum. Die Farbe, die der Fastenzeit gehört, ist das Violett der Abkehr vom Leben. Das Zeichen mag die Dornenkrone sein.

LeerDie Karwoche ist die heilige Woche der Passion. Sie beginnt am Palmsonntag mit dem Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem. Der Mittwoch ist der Tag des bösen Rates, an dem Judas Verräter wurde. Der Gründonnerstag (Tag der Aussöhnung der „greinenden”, weinende» Büßer in der alten Kirche) gilt dem Gedächtnis der Fußwaschung und der Einsetzung des heiligen Abendmahls. Der Karfreitag stellt uns unter das Kreuz. Er ist der stillste Tag des Jahres. Am Karsamstag gedenkt die Gemeinde der Grabesruhe und der Höllenfahrt. Die Altäre entbehren an den letzten beiden Tagen der stillen Woche jedes Schmuckes. Orgel und Glocken sollten schweigen. Die Farbe der Altartücher mag die schwarze Todesfarbe sein.

LeerDie Osternacht ist die Nacht der Auferstehung des Herrn. Mit dem Ostermorgen beginnt die vierzigtägige Freudenzeit, die erst mit dem Himmelfahrtstag endet. In diesen Wochen erschallt das Halleluja wieder, das in der Passionszeit verstummt war, und klingt in allen Liedern der Kirche in unendlichem Widerhall auf. Die Altare sind weiß bedeckt, die Kerzen brennen, Blumen stehen wieder zu Füßen des Kreuzes. An den Sonntagen der Freudenzeit bricht sich vielfältig der österliche Jubel; Quasimodogeniti, Misericordias Domini - Sonntag des guten Hirten, Jubilate, Cantate - Singesonntag, Rogate - Gebetssonntag sind ihre Namen. Der Himmelfahrtstag beendet die glückliche Zeit, in der der Auferstandene leiblich bei den Seinen weilte. Er preist den König aller Könige. Das Kreuz über dem offenen Grab bezeichnet, was Ostern geschah. Das Kreuz über der Weltkugel ist das Symbol der Königs- Herrschaft des zum Himmel Gefahrenen.

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LeerBis zum Pfingstfest wartet und betet die Kirche zehn Tage um die Ausgießung des Geistes. Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche, sein Zeichen die niederfahrende Taube, seine Farbe des Feuers Rot. Die Gemeinde bittet um die Gaben des Geistes und freut sich ihres Zusammenhangs mit der ganzen Gemeinde der Heiligen.

LeerAm Sonntag nach Pfingsten, am Trinitatissonntag, feiert die Kirche gleichsam den Nachklang der großen Tage des Christuslebens zwischen Ostern und Pfingsten und den Beginn des Christuslebens mit der gegenwärtigen Gemeinde. Von diesem Sonntag an werden die grünen Decken ausgelegt. Als Zeichen begegnen die Symbole der Gegenwart Christi in seiner Kirche: Der Fisch im Wasser als Bild der Taufe, die Schlüssel als Symbol der Beichte, Brot und Wein des Altarsakraments. Die Sonntage haben nun keine Namen mehr, sie werden nur noch „Nach Trinitatis” gezählt. Es scheint, als hätten sie keinen Charakter mehr und wüßte die Kirche keine Botschaft für sie. Das mag daran liegen, daß dieses zweite Viertel der Zeit der Abschnitt der männlichen Abwendung vom Natürlichen, der aktiven Hinwendung nach außen ist. Der Mann geht aufgerichtet und ist der Erde am fernsten. Das Kind ist mit der Erde verbunden, der Greis muß sich wieder zu ihr neigen. Der Sommer ist eine männliche Zeit. Der Mann will nicht wissen, daß er auch vom Rhythmus der Zeit mitgenommen wird. Es fällt in diese Wochen der Tag des Täufers Johannes (24. Juni), an dem die Väter von der sich wendenden Sonne die Johannesbotschaft predigen ließen: Er muß wachsen. Der 29. Juni ist der Tag der Apostel Petrus und Paulus, deren wir zu gedenken nicht weniger Grund haben als die römische Kirche. Der 10. August heißt nach einem Blutzeugen des Herrn, dem Märtyrer Laurentius, der auf glühendem Rost um seines Glaubens willen getötet wurde. Das sind Vorbilder männlichen Wesens, wie Christus es formt.

LeerDer Herbst läßt den Kampf zwischen Licht und Dunkel draußen wieder entbrennen. Der Engelstag und Michaelstag (29.9.) deckt die Altäre wieder weiß. Der Erzengel war der Patron des Reiches der abendländischen christlichen Völkerfamilie. Den letzten Sonntagen des Kirchenjahres gehören Zeichen, Lesungen, Sprüche und Lieder, die zur Wachsamkeit mahnen. Man gedenkt der im Glauben Entschlafenen. Die vor der Tür des Himmelreichs Wartenden reinigen ihre Lampen. Das Christusleben steht vor seinem Eingang ins Ewige. Die Gemeinde bittet um das Kommen des jüngsten Tages. Hier schließt sich der Kreis des Jahres; Endziel und Adventzeit gehören zusammen. Weihnachten wird offenbaren, daß wieder noch nicht unser Dasein ins Reich Gottes mündete, daß aber der Herr des Reichs zu uns in die Zeit, ins Fleisch kommt.

LeerLeben mit dem Kirchenjahr - das heißt: Evangelien, Episteln, Psalmen, Lieder und Sprüche der Sonntage kennen, aus ihnen ihr Anliegen wissen. Es heißt weiter, sich in der persönlichen Andacht jedes Tages nicht einem zufällig gewählten Schriftwort unterstellen, sondern in der Lesung für das Jahr der Kirche die Gedanken der Sonntagslesungen in anderer Brechung wieder aufnehmen. Es heißt im Haus und, wenn man kann, in der Gemeinde den Farben und Zeichen und vor allem den Liedern der Zeit Raum geben. Der Herr bedarf freilich nicht solch seelsorgerlicher Weisheit der Menschen, um seine Botschaft in ihre Herzen zu bringen, das ist wahr. Und doch lebte der Herr in der Zeit und lebt noch in ihr und läßt uns in der Zeit leben, und er lebt doch für uns in der Zeit. Leben wir in ihm, leben wir in der Kirche, so wird unser Jahr und unsere Zeit die von ihm verwandelte Zeit, das Christusjahr sein.

Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 27-31

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 15-11-23
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