Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1951
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Das 21.Kapitel des Johannesevangeliums
von Iwan Tschetwerikow

LeerDie rationalistische negative Kritik ist schon lange in die Geschichte eingegangen, aber nicht als positiver, sondern als negativer Faktor. Nirgends ist die Grundlosigkeit dieser Kritik so grell zutage getreten, wie in ihrer Analyse des Evangeliums des Johannes und besonders des einundzwanzigsten Kapitels. Zugleich trat auch die Grundlosigkeit ihrer prinzipiellen Voraussetzungen zutage, und gerade in diesem Zusammenhang wurden auch diejenigen Voraussetzungen klar, die der historischen Analyse überhaupt und der des Evangeliums im besonderen zugrunde gelegt werden müssen.

LeerDie negative historische Kritik hält das ganze Johannesevangelium für ein spätes, in nachapostolischer Zeit entstandenes Werk, und das 21. Kapitel für ein noch späteres Einschiebsel, das keinesfalls dem Apostel Johannes zuzuschreiben sei.

LeerDiese entschiedene Behauptung widerspricht vielen historischen Zeugnissen. Sie stützt sich nicht auf historische Tatsachen, sondern auf die Logik. Sie ist eine Folgerung aus den Widersprüchen, der Zusammenhanglosigkeit der Darstellung, aus der schriftstellerischen Unerfahrenheit des Verfassers des Kapitels. Der Verfasser des Evangeliums und der Offenbarung konnte nicht so schreiben.

LeerBetrachten wir einmal die Einwände der negativen Kritik genauer. Von ihrem Standpunkt aus gliedert sich das 2l. Kapitel in zwei ungleiche Teile- 1. die Verse 1 -17, wo der unbekannte Verfasser über den Fischfang berichtet, gleichsam als eine Wiederholung der Erzählung bei Lukas (5, 4 -10), dann über das Abendmahl Christi mit den Aposteln und über die Wiedereinsetzung des Apostels Petrus ins apostolische Amt. 2. Der zweite Teil (die Verse 18-25) ist apokalyptisch und eröffnet die letzten Schicksale der Apostel Petrus und Johannes. - Die beiden Teile stehen ohne Verbindung nebeneinander, der Übergang von einem zum anderen zeigt einen augenscheinlichen Widerspruch, so sagt die negative Kritik. Im ersten Teile spricht der Verfasser von dem Gespräch Christi mit seinen Jüngern beim heiligen Mahl, doch das apokalyptische Gespräch geschieht unerwartet auf dem Wege: „Petrus aber wandte sich um und sah den Jünger folgen, welchen Jesus liebhatte” (21,20). Man vermißt ein einheitliches Zentrum der einzelnen Bruchstücke. In den Versen 1-8 z. B. vereint der Verfasser zwei verschiedene Begebenheiten: den wunderbaren Fischzug und die große Freude des Petrus, der Christus erkennt, sein Hemd um sich gürtet und sich ins Meer wirft. Der Leser, so sagt die Kritik, erwartet die Beschreibung der frohen Begegnung mit dem geliebten Meister, doch erwähnt der Verfasser kein Wort davon. Man weist hin auf die Ungereimtheiten der Erzählung vom eucharistischen Mahl. Christus fragt seine Jünger: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?” Doch als die Jünger ans Ufer gelangt waren, sahen sie die Kohlen gelegt und die Fische darauf und Brot. (Anm. 1) Ebenso unverständlich ist auch die Forderung Christi, noch Fische aus dem Fischfang zu bringen, als wäre das von ihm vorbereitete Mahl nicht für alle zureichend. Und endlich die letzte Unklarheit: die genaue mengenmäßige Bestimmung des Fischzuges: 153 Fische.

LeerNach Ansicht der Kritiker wollte der Verfasser mit dieser Zahl die wunderbare Menge des Fanges unterstreichen. Doch hat der Apostel Lukas diesen Zweck viel anschaulicher ohne Angabe der Zahl erreicht, er sagte einfach: mit den gefangenen Fischen wurden zwei Schiffe voll gefüllt, also daß sie sanken (Luk.5,7). Die Bemerkung der negativen Kritik, daß die Apostel in dem Boote Christus erkannten, nachher beim Abendmahl mit ihm aber zweifelten, ob er Christus sei, kann man unbeachtet lassen; sie zeugt von grober Unkenntnis der menschlichen Seele. Zweifel und Gewißheit können sich in der menschlichen Seele paaren, dies mußte besonders bei den Aposteln dem Auferstandenen gegenüber der Fall sein, da sein Leib vergöttlicht war und sich den Gesetzen der materiellen Welt nicht unterordnete. Es war für sie derselbe und nicht derselbe. Sie zweifelten nicht, daß er der Meister ist, aber zweifelten, ob er nur Geist, oder ein Geist im Körper sei. Zwar wollten sie ihn fragen, doch scheuten sie sich.

Linie

LeerAlles das steht wirklich in diesem Kapitel. Doch darin Widersprüche und Inkonsequenzen zu sehen, entspricht einem äußerlichen Standpunkt, aber nicht einer innerlichen Betrachtung dieser Tatsachen. Die negativen Kritiker betrachteten die evangelischen Berichte von dem in der Neuzeit üblichen positiv-geschichtlichen Standpunkt, der alle Metaphysik in der Realität und Geschichte negiert. Für diese Kritik existiert nur die Welt der Erscheinungen, deren Lauf nur durch das Gesetz der Kausalität bestimmt wird. Diese oberflächliche, äußerliche Betrachtungsweise identifiziert das Sein mit dem Schein, negiert die Tiefe der sichtbaren Welt und erklärt die Flut der Erscheinungen aus sich selbst. Man bemerkt nicht den logischen Zirkel, der dabei entsteht. Die gegenwärtigen Historiker kommen immer entschiedener zu der Anerkennung metaphysischer Faktoren, die nicht inmitten der Erscheinungen, nicht in der Kausalitätskette, sondern hinter der Welt der Erscheinungen, in der Tiefe der Realität liegen, dort, wo diese Realität sich mit Gott, dem Schöpfer, und Seiner Vorsehung vereinigt. Dieser göttliche Wille durchleuchtet die Welt der Erscheinungen, lenkt sie, gibt der kosmischen Geschichte Beständigkeit und Sinn, führt die Ewigkeit in die Zeit hinein. (Anm. 2)

LeerDie göttliche Vorsehung sollte mächtiger wirken, das übernatürliche Moment in der Geschichte klarer werden, nachdem Gott in die Geschichte hineintrat. - Soll schon die äußerliche Einstellung zum Menschen, zur Geschichte, zum Kosmos vertieft werden, um wieviel mehr ist diese innere Einstellung nötig für das Verständnis der Evangelien. Der Grundirrtum der rationalistischen Kritik besteht in dem Versuch, die evangelischen Tatsachen vom äußerlich- historischen Standpunkt aus zu beurteilen und auf sie das Gesetz der Kausalität anzuwenden, dessen Anwendung schon in der physischen Welt zweifelhaft ist. Einzig hier liegt die Urquelle aller Beschuldigungen von seiten der negativen Kritik, das 21. Kapitel sei unklar und widerspruchsvoll.

LeerMan darf die Erscheinungen auch nicht zu Symbolen einer anderen Welt machen und versuchen, die hinter ihnen liegende Realität zu erraten. (Symbolische Deutung des Evangeliums.) Phänomene sind keine Symbole; in ihnen scheint durch das Äußere die Innenwelt hindurch, wie das Mienenspiel des menschlichen Antlitzes kein Symbol der inneren Regungen ist, sondern ihr Ausdruck, ihr Abglanz in der Außenwelt.

LeerTritt man von diesem inneren, man kann sagen „physiognomischen”, Standpunkt aus an das 21. Kapitel heran, so erscheint es als eine Ganzheit, kosmisch erhaben und apokalyptisch, es verschwinden alle Unklarheiten und Widersprüche. In seinem apokalyptischen Charakter ist es zweifellos eine Schöpfung des Verfassers der Apokalypse, es gliedert sich auch als ganz natürlicher Abschluß ins Johannesevangelium ein. Schon in urchristlicher Zeit nannte man Johannes den „Seher der Geheimnisse”. Er war stets still und verschlossen, doch sein tiefdringendes Auge und Ohr erlauschte und erschaute hinter der äußeren Schale die letzten Tiefen der Worte Christi und seiner Taten.

LeerVon diesem inneren Standpunkt aus gewinnt das 21. Kapitel einen ganz neuen Sinn: es wird klar, daß es hier nicht geht um das Wunder des großen Fischzuges am hellen Tage, dort, wo sich bei Nacht nichts fangen ließ - sondern um den Bau der Kirche, die die Menschen aus dem dunklen Chaos herauszieht, um sie und endlich die ganze Menschheit in die Kirche als den Leib Christi einzuschließen. Als die Apostel in der Nacht auf eigenen Antrieb (ευϑύς Joh. 21, 3) fischen gingen, singen sie nichts; doch als sie auf Christi Wort am hellen Tage das Netz auswerfen, können sie es kaum herausziehen. Der Fang erfolgt nach dem Willen Christi, auf Sein Geheiß zieht Petrus das Netz aus dem Meer des Lebens. Nicht die stürmische Freude der Begegnung des Apostels mit Christus, wie die rationalistische Kritik glaubte, sondern die Rettung der Menschheit aus dem Chaos, der Bau der Kirche ist ein Grundgedanke dieses Kapitels.

Linie

LeerDer andere Hauptgedanke dieses Kapitels ist das eucharistische Abendmahl, das aufs innigste mit dem Leben der Kirche verbunden ist. Als die Apostel an Land gingen, sahen sie die Fische auf den Kohlen und das Brot daliegen. Das Abendmahl - Christi Opfer - ist schon bereitet. Doch Christus gebietet, noch einige Fische von dem eben gemachten Fang zu bringen, nicht etwa, weil der Verfasser als unerfahrener Schriftsteller die eben erwähnten Brote und Fische auf dem Feuer vergessen hätte; auch nicht etwa, weil Christus ein ungenügendes Mahl bereitet hat, sondern aus anderen, unendlich tiefer liegenden Gründen.

LeerDer Apostel Paulus schreibt mehrfach, daß das Kreuz Christi für uns erlösend ist, doch nicht objektiv und nicht nur durch einen Glauben im Sinne einer verstandesmäßigen Anerkennung dieser erlösenden Wirkung, sondern dadurch, daß wir mit Christus gekreuzigt werden und mit Ihm sterben, um dann mit Ihm auferstehen zu können (Gal.2,19: χριστᾦ συνεσταύρομαι Kol. 2, 12: εν ᾦ συνηγέρϑητε). Zu den Broten und Fischen auf den Kohlen müssen auch die Fische aus dem Fang, die Glieder der Kirche, hinzukommen, um mit Ihm für diese Welt zu sterben und die eigene Sündhaftigkeit mit Feuer auszubrennen. Das Beichten der Sünden, ihr Aufzählen vor einem Priester ist keine zureichende Vorbereitung für die Teilnahme am heiligen Abendmahl. Die Beichte als μετάνοια ist das Gelöbnis, das eigene sündige Leben zu ändern, darüber hinaus aber die Beteiligung am Opfer Christi, d. h. die Bereitschaft, für die andern zu leiden und zu sterben um der Liebe willen, das Eintauchen in die allumfassende Liebe Christi.

LeerWenden wir uns nun der Zahl 153 zu. Wie der hl. Hieronymus schreibt, sei dies die Zahl der von den Zoologen festgestellten Fischgattungen in Palästina. Demnach ginge es in diesem ! Kapitel nicht um die bloße Menge der gefangenen Fische, sondern um die Vollständigkeit des Fanges; wie in dem Netze alle Fischgattungen vereint sind, so in der Kirche die Gesamtheit ,der Menschheit. Diese Auslegung des Hieronymus zeigt, daß die Christen der ersten Jahrhunderte nicht nur das Ende dieses Kapitels, sondern das ganze Kapitel apokalyptisch auffaßten; daß sie ganz anders als die Neuzeit an die evangelischen Ereignisse herantraten. Augustinus meinte ebenso wie Hieronymus, daß die Zahl 153 die Fülle bedeutet, die Fülle der Kirche am Ende der Weltgeschichte. Die Zahl 10 symbolisiert das alttestamentliche Gesetz und die Christen aus dem Judentum (10 Gebote). Die Zahl 7 symbolisiert den Heiligen Geist (7 Gaben, 7 Sakramente) und bedeutet die Christen aus dem Heidentum. In Christus gibt es keinen Unterschied zwischen Juden- und Heidenchristen, sie sind gleichwertige Glieder am Leibe Christi. 10 + 7 = 17. das ist die Fülle der Erlösten. Die Zahl 17 -in höchster Steigerung (die Summe der Zahlen von 1-17) gibt die Zahl 153. Hier ist wichtig, daß die Zahl 153 schon in der Urkirche, auf die sich Augustinus bezieht, die Fülle und die eschatologische Bedeutung des 21. Kapitels des Johannesevangeliums symbolisierte.

LeerDie Frage nach dem rätselhaften Sinn dieser Zahl beschäftigt auch die neuzeitliche Exegesis. Karl Bernhard Ritter meint in seinem Artikel „Von der Zukunft der Christenheit” (1949), sich dabei auf Fr. Rittelmeyer stützend, daß 153 die Zahl der Sternminuten ist, die die Nacht bilden. Er nimmt an, der Evangelist habe mit dieser Zahl die Unmöglichkeit unterstreichen wollen, die Menschen aus der Nacht des Heidentums und die des Alten Testamentes in die Kirche zu ziehen. Die Gezwungenheit dieser Deutung ist augenfällig. - In einem späteren Artikel „Die Zahl 153” (Anm. 3) erklärt Karl Bernhard Ritter diese Zahl anders. In der Kabbala bezeichnet sie das Osterlamm, das die Hebräer im Laufe der Nacht vor dem Auszug aus dem ägyptischen Land in Eile verzehren mußten (Exodus 12,8 und 11). Die Kabbala ist im 13. Jahrhundert entstanden und ist eine Sammlung der ältesten hebräischen Überlieferungen; man kann daher annehmen (Paul Vulliand: „
Les textes fundamentaux de la Kabbalet”), daß schon zur Zeit Christi diese Zahl das Osterlamm bezeichnete.

Linie

LeerHerbert Goltzen (Evangelische Jahresbriefe 1951, Osterbrief S. 91-93) anerkennt nicht das Gekünstelte der mathematischen Operationen der Dreieckzahl und gibt einen einfachen und klaren Übergang von der Zahl 17 zur Zahl 153. Die Zahl 17 bedeutet die ganze erlöste Menschheit, alle Menschen, die getauft wurden im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, im Namen der Heiligen Dreieinigkeit; sie wird symbolisiert durch die Zahl 9, das ist 3x3. Die in der Taufe vollzogene Verbindung der Dreieinigkeit mit den Menschen tritt auch in der Zahlensymbolik in Erscheinung: 17x9 (3x3) = 153. Die letzte Zahl symbolisiert das Endziel des göttlichen Heilsplanes, der alle Menschen zu Gott führt, der sein wird „alles in allem” (1. Kor. 15, 28). Das bedeutet Einswerdung Gottes mit der Welt. Taufe und Mission, die zu diesem Endziel führen, sind also auch enthalten in dieser Zahl. Der Verfasser bringt noch andere Erklärungen für die Zahl 153. Ihr liegt zugrunde die heilige Zahl 12; multipliziert man sie mit sich selbst, so erhält man die Zahl 144 (apokalyptisch 144 000 Versiegelte, Offenb. 7, 4 und Kp. 14, 1 -3). Wenn man dieser Zahl 3x3 zufügt, entsteht auch die Zahl 153 (12 X 12 = 144 + 9 = 153). Diese Erklärung ist nicht weniger gekünstelt als die vom seligen Augustinus. Die Zahl der Dreieinigkeit ist einmal Multiplikator, das andere Mal Summand, je nachdem, welche mathematische Anwendung der Zahl 9 nötig ist, um die Zahl 153 zu bekommen.

LeerTrotzdem beweisen alle diese Erklärungen die Heiligkeit dieser Zahl, ihren apokalyptischen Sinn, das ist die Fülle der Kirche am Ende der Weltgeschichte. Aber sie alle haben keine unmittelbare Beziehung zum Inhalt dieses Kapitels. Sie klären scheinbare Unklarheiten in ihm nicht auf. Um den Sinn dieser Zahl zu erklären, soll man sie in Kontext mit dem Inhalt des ganzen Kapitels betrachten.

LeerDie beiden Auslegungen Karl Bernhard Ritters können vereinigt werden. Es ist möglich, daß die Zahl 153 sowohl das Osterlamm als auch die Osternacht bezeichnet, d. h. die Vollkommenheit und die Universalität der Kirche, ihre kosmische Bedeutung und ihre Identität mit dem Gotteslamm, „das erwürget ist von Anbeginn der Welt” (Offb. 13, 8). Wenn der Apostel Paulus die Kirche den Leib Christi nennt, so nennt sie der Apostel Johannes Το αρνιον το ἐσφαγμένον ἀπὸ καταβογῆς κόσου. Εσφαγμένον „schlachten” gehört sprachlich zur Wurzel φαγέἱν „verzehren”. Εσφαγμένος „zum Verzehrtwerden bereitet”, „erwürget”. Die Bezeichnung für den fleischgewordenen Christus als „das Lamm” wendet Johannes in seinem Evangelium zweimal, in der Offenbarung einundzwanzigmal an.

LeerBei solchem Verständnis der Zahl 153 wird auch der andere Inhalt dieses Kapitels klar. Christus fragt seine Jünger: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?” Welchen Sinn hat diese Frage, wenn er selbst schon am Ufer das Brot und die Fische auf dem Feuer vorbereitet hat? Hier wiederholt sich dasselbe, was Christus im Gespräch mit der Samariterin zum Ausdruck brachte, wenn er sagte: „Gib mir zu trinken” und später antwortete: „Wer das Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten” (Joh. 4,7 und 14). Und ein andermal: „Ich bin das Brot des Lebens ..., so jemand von diesem Brot isset, der wird in Ewigkeit leben; aber das Brot, das ich ihm geben werde, ist mein Fleisch . . . ” (Joh. 6, 51). Der gewöhnlichen Speise ist gegenüberzustellen die eucharistische Speise, oder Fleisch Christi dem gewöhnlichen Brot und lebendiges Wasser dem gewöhnlichen Wasser. Bei der Ankunft der Jünger im Boot sollten sie erfahren, daß die von Christus auf dem Feuer zubereitete Speise eine ungewöhnliche Speise war. Deshalb ist die Aufforderung Christi berechtigt, Fische von denen dazu zu bringen, die Petrus auf sein Geheiß aus dem Wasser gezogen hatte. Die Kirche soll mit Christus sterben, selbst das Opferlamm werden. Man findet in diesem Kapitel ein erstaunlich eindrucksvolles und verdichtetes Bild der neutestamentlichen Heilsökonomie für die ganze Welt: das Meer - ein Symbol des dunklen Chaos und des verwirrten Lebens des Kosmos, die Fische - die Menschen der alttestamentlichen Epoche, im Chaos der Sinnlichkeit versinkend, das Ausbleiben des Fanges in der Nacht - die Unfähigkeit der Jünger Christi, aus eigener Kraft (ευϑύς) ohne den Willen Christi die Menschheit aus dem Abgrund der Sünde zu erheben (Anm. 4); die Erscheinung Christi am Ufer des Meeres, sein Gebot, die Netze auf der rechten Seite des Schiffes auszuwerfen, der Fang - der die Ganzheit des Lebens der Welt umfaßt - alles das ist die Kraft der Kirche Christi, die ganze Menschheit, ja den ganzen Kosmos aus dem Chaos ans Licht zu erheben, all das ist schließlich die Teilnahme der Glieder der Kirche am eucharistischen Opfer, am Leben der Kirche: ihre Bereitschaft, sich mit dem Christuslamm schlachten zu lassen und dadurch mit ihm aufzuerstehen und aufzufahren zum Throne Gottes des Vaters (Gal. 2, 19).

Linie

LeerIn dieser seiner dritten Erscheinung nach der Auferstehung hat Christus den Bau der Kirche fortgesetzt, den er auf Golgatha begonnen hatte. Dort hatte er den Grund der Kirche gelegt, dort waren vereint die Gottesmutter, das schmerz- und liebevolle Herz der Kirche; Johannes der Theologe, der einzige Jünger unter dem Kreuz und das erste Glied der Kirche - und das Haupt, Christus, der hoch an dem Kreuz die Arme über die Welt ausbreitete. Alle drei waren ganz Liebe: die Mutter, die ihren Sohn der Welt hingegeben hat, der Sohn, der sich im Opfer darbrachte, und der Lehrer der Liebe, dem Christus das Herz der Kirche anvertraute.

LeerJetzt setzt Christus den Bau fort: er trägt dem Petrus, der ihn verleugnet hatte, auf, das Netz aus dem Meer zu ziehen, das quantitative Wachstum der Kirche zu lenken. Als Zentrum des kirchlichen Lebens wird das Heilige Mahl eingesetzt, nicht als Gedächtnis in unserem Sinne, sondern als kosmische Liturgie, (λάος = Volk; ἔργον = Werk; λειτουργία = Aufgabe der gesamten Menschheit) als allmenschliches Opfer.

LeerIn diesem Kapitel ist bis auf das Ende Johannes nicht besonders erwähnt. Er ist nicht einmal unter den Jüngern genannt, die zum Fischfang ausgefahren sind. Er ist offenbar einer der „andern zwei seiner Jünger” (Kap. 21, 2). Die gewohnte letzte Demut des großen Apostels der Liebe, des Verfassers des vierten Evangeliums, der sich immer selbst verschweigt. Und doch haben wir in ihm das erste Glied der Kirche vor uns. Die letzten Worte Christi, in diesem Gespräch an Apostel Petrus gerichtet, waren: „Folge mir nach”, und der Evangelist fügte hinzu: Petrus aber wandte sich um und sah den Jünger folgen, welchen Jesus lieb hatte. Hier und besonders in der russischen Übersetzung entsteht der Eindruck, als ginge Johannes hinter Petrus. Im griechischen Text ganz anders: „ἐπιστραφεῖς δὲ ὁ Πετρος βλέπει τὸν μαϑητῆν, ὃν ἀγάπα Ιησοῦς ἀκολουϑοῦτℵ”. Ἐπιστρέφω heißt: umwenden, die Richtung ändern. Ἀκολουϑεω hat nicht unbedingt die Bedeutung eines räumlichen Nachfolgens, es bedeutet eher: jemandes Jünger sein, den Handlungen eines anderen nachfolgen. (Anm. 5) Den Sinn der Worte des Evangelisten können wir eher so wiedergeben: Jesus hatte den Apostel Petrus mehrmals gemahnt: „Folge mir nach, setze mein Werk fort”. Petrus aber, der sich an Johannes erinnerte, bemerkte, daß dieser schon Christo nachfolgte. Das Wort „ihm” (im Sinne der Übersetzung: dem Petrus) ist im Urtext nicht vorhanden. - Der hl. Johannes läßt auch jetzt seinen Meister nicht im Stich, er bedarf keiner Ermahnung, denn ihn treibt die Liebe; er, der einzige Apostel, der am Kreuz gestanden ist, setzt seine Nachfolge mit liebender Seele fort. Petrus und Johannes sind die beiden Stützen der Kirche: der eine der Hüter ihres äußeren Wachstums, der andere der Hüter ihres inneren Lebens.

LeerDas apokalyptische Bild wird durch die Enthüllung der letzten Schicksale der kosmischen Kirche vollendet. Christus, spricht von dem Ende, das den Apostel Petrus erwartet. Doch da er jetzt der Hüter des äußeren Lebens der Kirche ist, ist sein Schicksal das Schicksal der Kirche. „Du wirst deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen wohin du nicht willst. Das sagte er aber, um anzudeuten, mit welchem Tode er Gott preisen würde”, nach der Überlieferung mit dem Kreuzestod. Die Kirche erwartet am Ende ihrer Tage eine Gefangenschaft, darnach ein Golgatha, die letzte Kreuzigung. Doch das ist kein Sieg über die Kirche, welche ja auch „der Hölle Pforten nicht überwältigen werden”, sondern es ist der Beginn ihrer Herrlichkeit.

LeerUnd der Apostel Johannes? So fragte auch Petrus. Christus gab keine direkte Antwort: „So ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an?” Johannes ist der Apostel der Liebe, die die Menschheit eint und erhebt im inwendigen Leben der Kirche, das ist ihre größte innere Gotteskraft. „Die Weissagungen werden aufhören” schreibt der Apostel Paulus, „die Zungen werden verstummen und die Erkenntnis wird enden”. Das sind alles unterschiedliche Gaben der Kirche, in denen sich ihr Leben äußert; sie werden offenkundig ; in den letzten Tagen aufhören, in den Tagen der Gefangenschaft, des Martyriums der Kirche. „Doch die Liebe höret nimmer auf”, fährt Paulus fort. „Bleiben werden Glaube, Hoffnung, Liebe; diese drei, aber die Liebe ist die Größte unter ihnen” (1. Kor. 13, 8 u. 13). Dem Apostel Johannes war von Christus die Gottesmutter, das Herz der Kirche, anvertraut worden. Er muß über das Innenleben der Kirche und ihr inneres Wachstum bis zur Wiederkunft Christi wachen. Der Eifer des Petrus muß sorgen, daß im Lauf der ganzen Weltgeschichte sich immer neue und neue Triebe am Weinstock Christi ranken. Ihm war von Christus die missionarische Tätigkeit der Kirche anvertraut. Die Liebe des Johannes aber soll die neuen Triebe ins Leben des Weinstocks einschließen und, dessen Säfte in sie leitend, den ganzen Kosmos in Christo beleben und vergeistigen.

LeerDas ist das großartige Bild des Lebens und der letzten Geschicke der Kirche Christi in der Geschichte der Welt und des Kosmos.

Anmerkungen
1: Die Worte im griech. Text ὸψάριον ἐπικείμενον καί ἂρτον haben keine Artikel und können daher als Pluralia aufgefaßt werden.
2: In diesem Zusammenhang interessiert besonders die Arbeit von Manfred Schröter: Untergangs-Philosophie? Leibniz-Verlag, München 1949.
3: Evangelische Iahresbriefe 1950, Osterbrief S.110-114.
4: Der Evangelist unterstreicht, daß die Apostel in einen Kahn stiegen (ευϑύς) aus eigenem Antrieb, auf eigenes Risiko, ohne nach Gottes Willen zu fragen.
5: In diesem Sinne verwendet der Apostel Johannes dieses Verbum sehr oft: Kap. 8, 12; 12,26; -Offb. 14, 13.

Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 173-178

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 15-12-01
Haftungsausschluss
TOP