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von Wilhelm Stählin |
Niemand wird mir billigerweise den Vorwurf machen können, daß ich in konfessioneller Unduldsamkeit teilhabe an den schroffen „protestantischen” Urteilen über alles „Katholische”; ich bekenne mich mit der größten Entschiedenheit dazu, daß die „lutherische” Kirche gemäß der Überzeugung ihrer Väter, denen wir das Augsburgische Bekenntnis verdanken, zu der „katholischen” Kirche gehört, und daß das rechte Verhältnis zwischen der römischen Teilkirche und den nichtrömischen Zweigen der ecclesia catholica et apostolica eine Schicksalsfrage für die ganze Christenheit ist. Nicht trotzdem, sondern eben deswegen ist mir jede Konversion von der einen Kirche zur anderen ein Ärgernis, und ich halte es für notwendig, das einmal mit großer Offenheit auszusprechen. Ich bin aufrichtig bemüht, das Verständnis und den schuldigen Respekt zu bewahren für persönliche Lebenserfahrungen, in denen ein Mensch sich genötigt sieht, die Kirche, in der er getauft, erzogen und unterwiesen ist, zu verlassen und in einer anderen Konfession eine neue und, wie er sicherlich meint, bessere Heimat zu suchen; ich bin auch ehrlich bereit, in jedem solchen Fall mich an der ernsten Überlegung zu beteiligen, was unsere eigene Kirche denen etwa schuldig geblieben ist, die sich von ihr zur römischen Kirche wenden, und wie sehr also jeder Übertritt ein nicht überhörbares Moment der Anklage gegen die Kirche enthält, die der Übertretende glaubt um seines Gewissens willen verlassen zu sollen. Auch scheint es mir zu jener Zurückhaltung und Achtung zu gehören, die wir einander in solchen persönlichen Entscheidungen schulden, daß wir uns in allen solchen Fällen ebenso eines Urteils über die Lebensentscheidungen eines anderen Menschen enthalten, wie wir das gegenüber einer zerbrochenen Ehe zu tun für richtig halten. Wir würden nur glauben, daß diese schuldige Achtung erleichtert würde, wenn die Übertretenden selbst (ähnlich wie solche, die ihre Ehe aufgelöst haben und in eine neue Ehe getreten sind) die in solchen Fällen gebotene Zurückhaltung wahren und die Öffentlichkeit mit dem Eifer, mit dem sie ihren Schritt vor sich selber glauben rechtfertigen zu müssen, verschonen wollten; dem öffentlichen (persönlichen oder literarischen) Auftreten von Konvertiten haftet leicht etwas Peinliches an, und es wäre gut, wenn auf beiden Seiten ein ungeschriebenes Einverständnis darüber bestünde, daß solche, die von einer Kirche zur anderen übergetreten sind, sich selbst zunächst einmal für ein paar Jahre Schweigen auferlegen. Denn gerade dieses scheint mir die Frage zu sein, ob in einer Konversion nicht jene persönlichen Erlebnisse, Erfahrungen und Bedürfnisse ein Gewicht bekommen, das ihnen, jedenfalls in der heutigen kirchengeschichtlichen Lage, nicht zukommt, ob also hier nicht das einzelne religiöse Individuum, das vielleicht glaubt, persönlich nicht anders handeln zu können, sich in einer unerlaubten Weise wichtig macht. Wir haben oft darauf hingewiesen, daß heute quer durch alle einzelnen Kirchen hindurch, quer über alle geschichtlich gewordenen Kirchentrennungen hinweg, wesentliche Verschiedenheiten spürbar sind, welche vielfach tiefer greifen als die offiziellen Unterschiede der Konfessionen. In jeder Kirche kämpft sich ein neuer Aufbruch aus den Ursprüngen, eine wirkliche Erneuerung der Kirche aus ihren Wurzeln, das heißt aus dem lebendigen Christus und dem Walten Seines Geistes, mühsam durch durch die zähe Beharrung in dem, was nun einmal da ist und mit dem ganzen Schwergewicht des Überlieferten sich behauptet. An dieser Buße der Kirche kann man überall teilhaben, während jede Konversion die Unbußfertigkeit derjenigen Teilkirche stärkt und steigert, welcher der Übertretende durch seinen Übertritt recht gibt. Wie manches Mal haben mir das in früheren Jahren auch römisch-katholische Freunde gesagt: Verhindern Sie doch, so oft Sie können, einen Übertritt; jeder Übertretende fällt uns in den Rücken! Jede Konversion verdunkelt den Sachverhalt, daß es sich heute nicht mehr so sehr um den konfessionellen Ort des einzelnen Christen, sondern vielmehr um das rechte Verhältnis der getrennten Kirchen selber handelt. Wir pflegen in der Feier der Messe zu beten für alle Brüder und Schwestern (in aller Welt und also auch in allen „Kirchen”), die mit uns um die Erneuerung und für die Einheit der heiligen Kirche beten und kämpfen. Aus dieser Front, mit der wir uns hier fürbittend vereinen, bricht derjenige aus, der nur für sich persönlich eine solche Entscheidung glaubt treffen zu können. Die Konversion ist ein Anachronismus, der dem apokalyptischen Ernst der gegenwärtigen Stunde der Kirche nicht gerecht wird, sondern aus dieser Gesamtverantwortung, an der wir alle teilhaben, in die persönliche Sphäre entflieht. „Nun lasset uns beten, daß der Heilige Geist dem Heiligen Vater und auch den religiösen -Oberhäuptern unserer getrennten Brüder die Kraft göttlicher Erleuchtung schenke, damit unter allen Gläubigen... ein tiefes Schmerzgefühl ob unserer Getrenntheit, eine echte Buße und Bereitschaft zur Wiedergutmachung, ein inbrünstiges und friedenwirkendes Gebet erweckt und genährt werde.” Die Gläubigen werden sodann ausgefordert, an den einzelnen Tagen um die „Heiligung” der einzelnen Kirchen zu beten, und wenn dabei „die Heiligung der Katholiken” an erster Stelle steht, so wird niemand etwa die Meinung vertreten, seine eigene Kirche bedürfe keiner solchen Buße und Heiligung; vielmehr wird für jeden von uns das Gebet um die Heiligung der eigenen Kirche an erster Stelle stehen. ..Lasset uns um Vergebung bitten für unsere so oft von Spott und Engherzigkeit beherrschte Auseinandersetzung mit unseren Brüdern (Abbé Couturier sagt an dieser Stelle: „mit unseren nichtkatholischen Brüdern”; aber wir werden den gleichen Anlaß haben, das Gleiche von unserem Verhältnis zu den katholischen Brüdern zu sagen), für unsere Unversöhnlichkeit und für unseren Rachegeist.” Die Rückkehr der Katholiken zur Bibel sei eine große Hoffnung, „die mit Recht die Herzen unserer protestantischen Brüder höher schlagen läßt.” „Wenn die katholischen Seelen... aufs neue gelernt haben werden, das Wort Gottes zu lesen, darin zu forschen und vor allem darüber nachzudenken, werden sie einen gemeinsamen Grund mit den Seelen ihrer protestantischen und anglikanischen Brüder entdeckt haben.” Aus einem Brief, der durch meine (im Weihnachtsbrief ausgesprochene) Bitte um Äußerungen ausgelöst war: „In einem Gespräch mit drei Pastoren sagte der eine unter ihnen, er bemühe sich, seinen Konfirmanden nicht die jungfräuliche Geburt, sondern die reine Mutterschaft nahe zu bringen und zu verherrlichen. Auf meinen Einwand, daß er selbst dann doch unser Bekenntnis „geboren von der Jungfrau Maria” nur mit einer reservatio mentalis (einem heimlichen Vorbehalt) sprechen könnte, griff der andere Pfarrer vermittelnd ein und sagte, ich sei in meinen religiösen Ansichten wohl stark orthodox.” Die hier aufbrechende Frage läßt sich gewiß nicht einfach durch den Hinweis auf den verpflichtenden Charakter des Bekenntnisses zu der jungfräulichen Geburt lösen. Ich versuche den Pfarrer, der seinen Konfirmanden nur „die reine Mutterschaft” „nahebringen” will, von seinen Voraussetzungen aus zu verstehen. Er hält es vielleicht für dringend geboten, bei seinen Kindern Ehrerbietung vor der Würde leiblicher Mutterschaft zu erwecken, und er hält es vielleicht für unmöglich und selbst für bedenklich, den Kindern in diesem Alter das Geheimnis der jungfräulichen Geburt des Herrn nahezubringen. Beides, jedes für sich genommen, kann einer ernsthaften und verantwortungsvollen Erwägung entspringen. Es wird beides verkehrt und gefährlich, wenn es in Gegensatz zueinander gebracht und also von „reiner Mutterschaft” geredet wird, wo von dem natus ex Maria virgine geredet werden müßte. Denn wir würden das Geheimnis, das in diesen Worten beschlossen liegt, zutiefst mißverstehen, wenn wir darin ausgesprochen fänden, daß dadurch ein Makel auf Ehe und Mutterschaft fiele. Das ist genau so wenig der Fall, wie durch das „Wunder”, in dem sich Gottes Kraft und Güte enthüllt, das „normale” und alltägliche Geschehen aus allem Zusammenhang mit dem Walten Gottes gerückt wird. Das Geheimnis der „reinen Mutterschaft” ist groß und ehrwürdig; aber gerade wer die menschliche Würde der Mutterschaft wahren will, wird bereit sein, das tiefere Geheimnis des gottgewirkten neuen Anfangs zu verehren, an den jene Worte ex Maria virgine rühren. Was mir aber Kummer bereitet, ist die Nachricht, daß diese neue Kathedrale von Coventry als ein Bau aus Beton und Glas erstehen soll. Aus die Gefahr hin, vor Architekten und Pfarrern als hoffnungslos altmodisch zu erscheinen, wage ich zu sagen, daß Beton kein möglicher Baustoff für sakrale Bauten ist. Im Raum des kirchlichen Bauens gibt es nichts, was n u r technisches Mittel und nicht zugleich sinnvolles Zeichen wäre. Oder dürfen wir uns nicht mehr darauf besinnen, was Holz, was Stein, was Licht und Farbe als Kreaturen Gottes sind? Der Beton aber ist nicht „Kreatur*; sondern er wird dadurch hergestellt, daß der gewachsene Stein in kleine und kleinste Stücke zermahlen und dann mit viel Zement zu einer neuen künstlichen Einheit zusammengepreßt wird. Damit entspricht der Beton als Baustoff genau dem Wesen der „Masse”, die immer und notwendigerweise, nachdem die gewachsenen Einheiten zerbrechen oder zerstört sind, die atomisierten Einzelheiten künstlich organisiert. Das ist genau die Art, wie Gott mit den Menschen n i c h t umgeht. Das für das neutestamentliche Denken so wesentliche Bild von den „lebendigen Steinen” ist auf den Beton nicht anwendbar. Wir sprachen einmal im Konfirmandenunterricht über den Kirchbau als Symbol der Gemeinde; einer der Jungens hatte schnell erfaßt, woraus es ankommt: Wenn man die Kirche aus Beton bauen wolle, so meinte er, dann müsse man die Stelle 1.Petr. 2,5 verändern: „Also auch ihr, laßt euch einstampfen!” Wenn wir nicht so stumpfen Sinnes wären, dann würden wir unmittelbar empfinden, daß eine Kirche aus Beton dem widerstreitet, was in ihr geschehen soll. Die Liturgie hat, solange sie wirklich lebendig war, sehr viel mehr freie Gestaltung in sich gehabt, als wir uns das vorstellen können; innerhalb der Messe bot vor allem die „Präfation” die Gelegenheit zu frei ausströmendem Lobgesang. Dieser Begriff der „Improvisation” schließt freilich nicht aus, daß die für eine bestimmte Situation frei eingefügten Fürbitten in ihren einzelnen Anliegen und auch in ihrer Formulierung sorgfältig überlegt und vorbereitet sind; wer in dem Gebet der Kirche mit seiner strengen und zuchtvollen Form heimisch geworden ist, dem formen sich dann auch die Worte in dem liturgisch geordneten Stil, statt in die wortreiche Trivialität oder ein geistliches Geschwätz abzugleiten. Es wäre nur ein Zeichen für unsere liturgische Unlebendigkeit, wenn wir nach einem Buch verlangten, in dem für alle möglichen und denkbaren „Fälle” vorgeschriebene Gebete zu finden sind (wie in manchen der alten Gebetbücher), oder wenn wir überhaupt keine innere Freiheit und darum auch keine Freudigkeit zum freien Gebet mehr hätten. Die Bindung an die kirchliche Ordnung des Gebetes bewährt sich darin, daß sie bewahrt vor der Willkür augenblicklicher Einfälle und uns zugleich entbindet zur rechten Freiheit. Evangelische Jahresbriefe 1952, S. 68-73 |
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