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von Wilhelm Flückiger |
Wir haben allen Grund, die theologische Entwicklung im französischen Reformiertentum aufmerksam zu verfolgen. Mehrmals ist in den „Evangelischen Iahresbriefen” schon über die Communauté de Cluny berichtet worden, deren Ziel ja demjenigen der Michaelsbruderschaft so verwandt ist. Nur eben beiläufig sei hier auf die Zeitschrift „Verbum Caro” verwiesen, die vom Pfarrer der französisch-reformierten Gemeinde in Basel, Jean-Louis Leuba, in Gemeinschaft mit J. J. von Allmen, Christophe Senft und Max Thurian herausgegeben wird. So brachte etwa die Nummer 13-16 vom vorigen Jahr einen sehr feinen Aufsatz von Richard Paquier über „Le fondement christologique de la liturgie” (Die christologische Grundlage der Liturgie), der uns sehr anschaulich zeigt, was für Kräfte in der Kirche Calvins im Aufbruch begriffen sind. Die Zeitschrift erscheint bei Delachaux und Niestlé in Neuchâtel. Mit besonderem Nachdruck sei nun aber hier kurz aus eine größere Arbeit von Jean-Louis Leuba verwiesen, die unser aller Beachtung verdient. Unter dem Titel „L'institution et l'événement” hat Leuba, ebenfalls bei Delachaux und Niestlé, seine Doktordissertation veröffentlicht, in der er, wenn wir den Titel so frei und nicht ganz zutreffend übersetzen dürfen, das Verhältnis von Amt und Charisma in der Schrift neu untersucht. Das ist freilich, wie Leuba selber im Folgenden schön zeigt, nicht etwa starr schematisch zu verstehen. In beiden Titeln kommt vielmehr das ganze Handeln Gottes zum Ausdruck; nur sind die Akzente je verschieden verteilt. Es geht also in beiden christologischen Linien nicht um einen Gegensatz, sondern um die Einheit des ganzen, des einen Christus. Keine Linie darf zu Gunsten der andern vernachlässigt oder gar gegen die andere ausgespielt werden. Jesus hat gewiß, so sagt Leuba einmal etwas pointiert, den Geist Gottes empfangen, weil er der Davids-Sohn ist. Aber, wie David, bleibt er Knecht und Prophet Gottes, weil er, ohne Aufhören, immer neu den Geist Gottes empfängt. Die ganze Wahrheit kann also nach Leuba nur dialektisch, nur komplementär gesehen werden. Zum selben Ergebnis kommt der Verfasser auch im zweiten Teil, in dem das Wesen des Apostolates untersucht wird. Wiederum, wie bei der Christologie, läßt Leuba zunächst den Dualismus vor uns erstehen. Er stellt gegenüber das „institutionelle Apostolat” der Zwölfe und das „spirituelle Apostolat” des Paulus. Zunächst wird festgehalten: Beide Formen des Apostolates sind das Werk des Christus. Aber sie sind es auf eine je verschiedene Weise. Das Apostolat der Zwölf Apostel ist zu Beginn der Wirksamkeit Jesu in Galiläa gegründet und gestiftet worden (Mark. 3.13 -19 - Luk. 6.12 -16), Paulus dagegen wird Apostel auf eine außergewöhnliche, plötzliche Art (s. Seite 51 bei Leuba). Was sie beide verbindet, ist der Umstand, daß sie den Auferstandenen gesehen haben und von ihm die Sendung empfingen. So wie in der Christologie selber sich „institution” und „événement”, „Amt” und „Charisma” gegenüberstehen und nur zusammen den ganzen Christus bezeichnen, so bedingen sich auch gegenseitig die zwei Formen des Apostolates (s. Leuba, Seite 80-81). Diesem je verschiedenen Verhältnis von Juden- und Heidenchristentum zum alten Israel entspricht die verschiedene Entstehungsweise der juden- und heidenchristlichen Kirche. In der judenchristlichen Kirche ist von Anfang an Jerusalem das sakrale Zentrum der neuen Gemeinschaft, wie es das Zentrum des alttestamentlichen Kultes gewesen ist. Das „neue Jerusalem” steht nicht nur in spiritueller, sondern auch in lokaler Kontinuität mit dem alten. In Jerusalem residieren die Apostel. Auch nach Pfingsten ziehen sie nicht aus in alle Welt, sondern bleiben in der Stadt, auch dann noch, als die Verfolgung angeht. Selbst Paulus, der außerhalb der institutionellen Reihe steht, bestätigt diesen Sachverhalt ohne irgend welches Ressentiment: um die ersten Apostel zu sehen, muß man nach Jerusalem gehen (Gal. 1. 17 und 2.1-2). Auch die Evangelisation, die sich von Jerusalem aus nach Judäa und Samarien erstreckt, schafft nicht neue Zentren; sie stellt vielmehr einfach die Ausweitung der Jerusalemer Gemeinde dar. Leuba faßt (Seite 92) zusammen: „Die judenchristliche Kirche weist also von Anfang an eine hierarchische und zentralisierte Struktur auf. Sie schart sich um einen gleichzeitig geographischen und dogmatischen Mittelpunkt. Dieser Mittelpunkt ist nicht einfach bloß die Kirche, die sich nun einmal i n Jerusalem befindet, sondern es ist die Kirche v o n Jerusalem” Auch bei den heidenchristlichen Gemeinden besteht eine Beziehung zu Jerusalem, aber diese Verbindung geht nicht auf ihren Ursprung zurück. Sie sind nun nicht einfach Ableger der Ierusalemer Gemeinde. Auf heidenchristlichem Boden entsteht eine Kirche, wo zwei oder drei sich im Namen Jesu versammeln. Damit haben wir auch hier wieder das dem institutionellen entgegengesetzte spirituelle Moment (s. Leuba Seite 93). Zusammenfassend wird das ganze Problem noch einmal im folgenden Abschnitt „Tradition et Inspiration” dargestellt. Das Ergebnis ist dies, daß nur beide Zweige zusammen die ganze Kirche darstellen. Keiner darf sich vom andern lösen, wenn er nicht häretisch werden, aus der katholischen Wahrheit herausfallen will. Die Studie Leubas kann jedenfalls befruchtend auf das neu in Gang gekommene Gespräch über das Verhältnis von Amt und Charisma in der Kirche wirken. Evangelische Jahresbriefe 1952, S. 112-114 [Nachruf auf Jean-Louis Leuba † 2005] |
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