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von Helmut Hochstetter |
Turgenjeff bemerkt einmal, alles Gebet lasse sich auf die einfache Formel bringen: „Laß geschehen, daß zweimal zwei nicht vier ist”. - Wenn das mehr ist als eine weitverbreitete Meinung über das Beten, dann heißt das, wir wollen durch das Gebet erlangen, was uns wesenhaft nicht zukommt und dem offenbar geordneten Schöpferwillen nicht entspricht. Wiewohl wir durch Gebetserhörung immer wieder erfahren haben, daß Gott auch fünf einmal gerade sein läßt und auch „auf die krummen Zeilen grade schreibt”, macht doch das Wesen des Gebetes nicht so sehr das Bitten aus. Es ist nicht primär im „Entbehren und Begehren” begründet. Man müßte auch beten, wenn man nichts mehr zu bitten hätte. Es hat seine Notwendigkeit im Menschen selbst, der zu Gott hingewandt ist, der beten muß, weil er nicht anders kann. Es entsteht aus der Anbetung und enthält den Dank und das Fürbitten. Die Liebe Gottes führt zwingend zur Anbetung. Beten ist Antwort auf göttliches Wort. Und so hat ja auch der Heidelberger Katechismus auf die Frage: „Warum ist dem Christen das Beten nötig?” geantwortet: „Darum, daß es das fürnehmste Stück der Dankbarkeit ist, welches Gott von uns fordert. So auch geschieht das Gebet nach dem 50. Pfalm: ‚Opfere Gott Dank und bezahle dein Höchsten deine Gelübde’, dann erst heißt es: ‚und rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten’.” Seinen besonderen Grund aber hat das Gebet im göttlichen Gebot, in den stets wiederkehrenden Imperativen der Heiligen Schrift, die das unablässige Gebet fordert. Vgl. Luthers Erklärung zum 2. Gebot: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir... seinen Namen in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken”. Desgl. die Apologie, welche die guten Werke- Beten, Fasten und Almosen als Forderungen Gottes im Sinne „guter Werke” voraussetzt. (Apol. IV, 42,46, Cat. Major, III, 4 f.) Die Aufforderung zum Gebet steht fast nie alleine da. Es wird Fasten und Beten, Wachen und Beten gefordert, und es werden die asketischen Werke mithin mit dem Gebet verknüpft. (Vgl. Matth. 17,21,26,41; Luc. 21,36; Apg. 1,14.) Aber auch das Beten als Kampf ist gefordert. (Apg. 15,30.) Es ist klar, daß die Gebetsopfer nicht geistig im populär-platonischen Sinne gemeint sind, sondern eine universale, eine ganze Hingabe des Beters voraussetzen, der sich selbst hingibt und immer bitten wird: „Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut, nimm a l l e s hin und laß dirs Wohlgefallen.” So sehr gehört das Opfer zum Wesen, ja zur Substanz des Gebetes, daß auch in der jüdischen Religion an Stelle des Tempelopfers vom Tage der Zerstörung des Tempels an das Gebet getreten ist. In unvergleichlicher Weise hat diesen Gedanken Walter Flex zum Ausdruck gebracht mit den Zeilen: „Beten heißt, sich ganz in Gott begraben und durch ihn auferstehn. Willst Du deinen Willen blühen sehn, mußt du ihn erst Gott geopfert haben.” Die Hingabe ist der korrespondierende Akt zu Gottes Gabe, das mihi fiat der Maria, die Einstimmung in den göttlichen Willen ebenso wie das „Ja, Vater” des Sohnes und das „Dein Wille geschehe” Seines Gebetes. Und was das Dankopfer in Sonderheit betrifft, drückt das Wort „action de grâce” in seiner Doppelsinnigkeit die Entsprechung von Gottes Gnadengabe und des Menschen Hingabe bedeutsam aus. Aber inwiefern darf man bei einem Gebet den Begriff Opfer verwenden? Schon die Heilige Schrift weist darauf hin, wenn sie in den Psalmen sagt: „Mein Gebet müsse vor Dir taugen, wie ein Rauchopfer, mein Händeaufheben wie ein Abendopfer.” Oder Psalm 107,17 ff.: „Die Narren, so geplagt waren um ihrer Übertretung willen ... er sandte sein Wort und machte sie gesund und errettete sie, daß sie nicht starben, die sollen dem Herrn danken für seine Güte und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut, und Dank opfern und erzählen seine Werke mit Freuden.” Desgl. 116, 17: „Dir will ich Dank opfern und den Namen Jahwes anrufen.” - Lobpreis und Dank opfern, das galt der frühen Christenheit als die allein angemessenen Opfer des Neuen Bundes. Benjamin Schmolck singt ja in dem bekannten Liede: „Laß in Furcht mich vor Dich treten, heilige Du Leib und Geist, daß mein Singen und mein Beten ein gefallig Opfer heißt.” Hier freilich ist der Lobgesang selbst leibliche Hingabe oder das, was für leibliche Hingabe steht. Der Verlust der eigentlichen Orantenhaltung, das unkörperliche Gebet, aus dessen Haltung eine Hingabe nicht mehr zu erschließen ist, kennzeichnet den Verfall der Vorstellung, als ginge es im Gebet noch um eine Hingabe. Sehr bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Haltung der meisten protestantischen Beter und der Vergleich etwa eines benediktinischen oder eines orthodoxen Mönchs-Gebetes mit Der üblichen Haltung in unseren Gotteshäusern. Auf die Aufforderung: Lasset uns beten! geschieht eigentlich nichts, als daß alle den Kopf hängen lassen. Das ist nicht Hingabe, sondern Resignation. Der Gesang hingegen ist vielleicht das letzte, wenn euch sehr sprechende Anzeichen einer leiblichen Hingabe im Gebet. Daß im übrigen die mangelnde Stille im Kirchenraum, aber auch die zum Beten höchst ungeeigneten Gestühle einer leiblichen Bereitung höchst undienlich sind, sei nebenher erwähnt. In der Tat wird das Mühlrad nicht aus eigener Kraft getrieben, sondeen empfängt sie nur selbst und gibt sie weiter. Die Gabe bes Mühlrades ist die Gabe des Wassers. Wir könnten, im Bild bleibend, sagen: Das Opfer bes Beters ist nicht sein eigenes Opfer. Wir nehmen und geben nur, was wir empfangen haben. Wenn es aber Opfer ist, was im Gebet geschieht, dann müssen wir uns fragen: W e r ist es, der opfert? Die Antwort gibt uns das Gebet selbst. Die Gebete der Christenheit geschehen „durch Christum unsern Herrn”. Joh. 14/13 unb 16/23 ist die Gebetserhörung zugesagt in Seinem Namen. Jesus ist der Hohepriester, der das Opfer des Gläubigen darbringt. Vergl. auch Eph. 5/20, wo seine Mittlerstellung angedeutet wird durch das: „In dem Namen des Herrn Jesu Christi.” Hier ist Name gleichbedeutend mit Kraft, und so heißt denn unser Gebet: „Im Namen Jesu”, daß wir es in Seiner Kraft vollführen. In welchem Verhältnis steht unser Gebetsopfer zum Opfer Christi, und weiter, in welchem Verhältnis das ein für alle Mal geschehene Opfer Christi zu unserem Gottesdienst, zur Eucharistie und den mit ihr dargebrachten Gebeten? Zunächst aber, wie begegnet uns Christus als Opferpriester in der Heiligen Schrift? Am deutlichsten haben wir Seine Gestalt im Hohepriesterlichen Gebet vor uns. Es ist das Fürbittengebet vor dem Opfergang: „Ich bitte für die, die Du mir gegeben hast” (Joh. 17, 20-21). „Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf daß sie alle eins seien, gleich wie Du, Vater, in mir, und wie ich in Dir, daß auch sie in uns eins seien.” Die Bitte um die Einheit geschieht als Fürbitte vor dem Opfergang des Herrn, der zugleich Heimgang zum Vater ist. Das Wort „sich heiligen” begegnet wieder in Hebr. 10/10, wo wir deutlich bezeichnet werden, als geheiligt durch das Opfer des Leibes Jesu Christi ein für alle Mal, desgleichen Vers 14/29 und 13, 12. Wir haben also einen doppelten Aspekt des Wortes „sich heiligen” vor uns. Einmal die Bedeutung: sich selbst zum Opfer begeben, dann: durch sein eigenes Opfer die anderen heilig machen. Im Christusopfer werden wir geheiligt und im Zusammenhang mit dem Christusopfer bringen wir unser Opfer dar, „die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen” (13, 15). An keiner Stelle des christlichen Gottesdienstes tritt uns das „durch Jesum Christum” geschehende Gebet deutlicher entgegen, als in der Praefation. Schon die Aufforderung ist ja eine solche zur Hingabe, nicht zur Gemütserhebung. Das „Erhebet eure Herzen” leitet das Dankgebet ein, das im Namen Jesu dargebracht wird. Die lutherische Reformation hat den Opfergedanken im Gottesdienst, soweit es sich um unser e i g e n e s Opfer handelt, festgehalten. Aber die polemische Abwehr des Werkcharakters der Messe führte dazu, daß das Wort Opfer, ja alles, was daran erinnern konnte, vermieden wurde. Uns bleibt aber wichtig, festzuhalten, daß die Anrufung, die Danksagung und ebenso das Lobopfer als Opfer angesehen werden und in der Messe als Opfer ihren Platz haben - um die Mitte der Erlösungstat Christi gestellt, die das Opfer schlechthin, das vollendete und vollendende Opfer, ein für alle Mal war, ist und sein wird (1). Wie steht es mit der liturgischen Verwirklichung des Opfers als Gebet und in Sonderheit als Gebet um die Einheit? Die Geschichte der Messe innerhalb der lutherischen Kirche ist hier sehr aufschlußreich. Der in den Bekenntnisschriften ausgesprochene Gedanke der Selbsthingabe des Gebetsopfers, des Lob- und Dankopfers findet in der formula missae und in den späteren Gottesdienstordnungen keinen sinnfälligen Ausdruck mehr. An Stelle des Lobopfers treten Vermahnungen, das Kultische weicht dem Pädagogischen, die Anbetung der Belehrung. Wir wissen heute, daß man damit dem Wesen des Gottesdienstes nicht gerecht wurde. Und so konnte Wilhelm Löhe in seiner Agende sagen: „Kein Gedanke, daß wir dem Opferwesen der katholischen Kirche zu huldigen vorhätten, wohl aber halten wir es für wichtig, und sogar für liturgisch nötig, daß das Volk sein Beten und sein kirchliches Almosengeben wieder wie die älteste Zeit schriftmäßig als Opfer fasse. Solange die Gemeinden ihr Geben und Beten nicht als Opfer fassen lernen - natürlich als Dank- und Lobopfer, da ja die Gemeinde dem Opfer Christi um alles nicht zu nahe treten möchte -, so lange wird ihr kirchliches Beten und Geben der rechten Wethe und auch des rechten Ernstes entbehren.” Das Liedgut unserer Kirche weist aus, daß der Gedanke des Opfers in der Frömmigkeit der Gemeinde nie erloschen ist. Jeder kennt aus seinem Gesangbuch Beispiele wie die folgenden: „Was soll ich dir denn nun, mein Gott, für Opfer schenken?oder: „Du willst ein Opfer haben,oder: „Ich will von deiner Güte singen,Sehr schön kommt der Gedanke zum Ausdruck in dem Abendmahlslied von J. Heermann: „Mein Geist und Herze wollst du zu dir neigen,und in dem Passionslied: „O hilf, Christe, Gottes Sohn, durch dein bitter Leiden,Wir wollen nunmehr dem Gedanken des Gebetes als Opfer für die Einheit in unserer Evangelischen Messe nachgehen. Schon das Fürbittengebet beginnt mit einem Bekenntnis zur Einheit der Kirche und mit der Bitte um ihre Eintracht: „Herr, gedenke an deine Gemeinde /Im darauf folgenden „Offertorium” werden die Opfergaben nach der Aufforderung eingesammelt: „Opfert Gott Dank und bezahlet dem Höchsten eure Gelübde,Wahrend der Einsammlung singt die Gemeinde ein Opferlied, das, mit der Zeit des Kirchenjahres wechselnd, mit dem Wort zum Ausdruck bringt, was in der Tat geschieht. Z. B. zu Weihnachten das Paul-Gerhardt-Lied: „Ich steh' an deiner Krippen hier”, in der Epiphanias,zeit das Lied: „Jesu, großer Wunderstern...”, in dem die Gaben Gold, Weihrauch und Myrrhe als Opfer des Glaubens und der Reue gedeutet werden. Auch in dem Darbringungsgebet von Brot und Wein wird der Einheit der Kirche gedacht mit den Worten: „Wir rufen dich an für uns, für die ganze Heilige Kirche und für alle Welt...” Um die Mitte des Christusopfers sammeln wir uns also mit unseren eigenen Opfergaben, die ein schwacher Abglanz des einen Opfers Christi selbst sind. Die Anamnese läßt noch einmal die zentrale Bedeutung des Christusopfers aufleuchten, zugleich aber die Einheit der in ihm verfaßten Kirche: „Also vereinigen wir uns mit der ganzen heiligen Kirche /Wiederum geschieht in der Epiklese die Bitte um die Sendung des Heiligen Geistes „in das Haus Deiner ganzen Kirche” und endlich bei der fractio panis mit der Aufnahme des ältesten Abendmahlgebetes die Bitte: „Und wie dies gebrochene Brot zerstreuet war aus den Bergen und zusammengebracht eins wurde /Wer unser „Gebet der Tageszeiten” übt, weiß, daß an jedem Donnerstag unsere Bitten in besonderer Weise auf die Einheit der Kirche gerichtet sind mit den hier angeführten Worten: „Herr, wir bitten dich /Was aber bedeutet für uns persönlich das Gebet für die Einheit als Opfer? Fragen wir uns: Was haben wir zu opfern, wenn wir Gott bitten, die Mauern zu zerstören, die uns trennen? Wir können nicht ernstlich so bitten, ohne selbst zu beseitigen, was wir beseitigen können. Wo wir selbst nicht nachgeben wollten, hat der Herr der Kirche uns gezwungen, ein Opfer unseres Willens zu bringen, Vorurteile zu revidieren, gegenseitige Positionen anzuerkennen. Was aber mehr ist als dies alles: miteinander die Heilige Schrift zu lesen und miteinander zu beten. Die Einsicht, daß wir preisgeben müssen, um zu gewinnen, ist in uns gewachsen. Was müssen wir preisgeben, was müssen wir opfern? Welchen Stolz und welche Stärke? Was immer geschehen mag - es wird nichts sein ohne das Gebet. Wie sehr wir uns um eine Einigung bemühen, es ist doch unser Tun umsonst, wenn wir nicht eins werden, um darum zu bitten. Anmerkung (1) Vgl. dazu die Ausführungen von Wilhelm Thomas in der Festschrift für Heiler „Das eucharistische Opfer nach dem lutherischen Bekenntnis”. Evangelische Jahresbriefe 1952, S. 142-148 |
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