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Über die Problematik von Engelbüchern
von Wilhelm Stählin

LeerIm Michaelisbrief des vorigen Jahres (S.210 ff.) hat Professor Dr. Wolfgang Krönig mehrere Bücher über Engel kritisch besprochen. Dr. Hans Werner Hegemann hat sich in persönlichen Briefen beklagt über die Art, wie in diesem Zusammenhang sein Buch (Die Engel in der deutschen Kunst; Verlag R. Piper u. Co. München 1950) beurteilt worden ist, und hat den von Krönig gegen dieses Buch vorgebrachten kritischen Bedenken entschieden widersprochen. Um unsere Jahresbriefe nicht mit einer Kontroverse zu belasten, die eine gewisse Schärfe vielleicht nicht hätte vermeiden lassen, habe ich es übernommen, ein abschließendes Wort zu den dabei aufgebrochenen Fragen zu sagen; nicht um in diesem Konflikt eine Vermittlerrolle zu übernehmen (wer dürfte sich dessen unterfangen?), sondern um nach beiden Seiten hin deutlich zu machen, um was es in dieser tiefen Meinungsverschiedenheit, in der scharfen Kritik Krönigs und in der ebenso entschiedenen Selbstverteidigung Hegemanns, eigentlich geht.

LeerNur diese freilich sehr tief greifenden sachlichen Gegensätze können die Leser unserer Jahresbriefe interessieren. Wenn wir uns nicht haben entschließen können, einer Erwiderung von Dr. Hegemann selbst an dieser Stelle Raum zu geben, dann sehr wesentlich deswegen, weil der Verfasser des Engelbuches sich persönlich angegriffen gefühlt hatte und bei seinem Kritiker eine ungute Absicht, eine „unerhört überlegte Weise des Angriffs” argwöhnte und glaubte sich dagegen zur Wehr setzen zu müssen. Davon kann nun wirklich keine Rede fein. Es scheint nicht nur in der Theologie, sondern auch in anderen kulturellen Bereichen so zu sein, daß man die Leidenschaft sachlicher Polemik nicht mehr von unlauteren persönlichen Motiven unterscheiden kann, und meint, der eine müsse „etwas gegen den anderen haben”, wenn er eine grundsätzlich andere Denkweise mit sachlicher Schärfe vertritt. Also weder die Persönlichkeit des Verfassers (H), noch irgend welche Motive des Kritikers (Kr.) stehen zur Debatte, sondern allein die sachliche Frage, in welchem Sinn man ein Buch über die Darstellung der Engel in der deutschen Kunst zusammenstellen und herausgeben kann. Darum taucht auch nur ganz am Rande die Frage auf, ob die Auswahl der Bilder in dem Buch von H. und das Verhältnis des Textes zu den Bildtafeln glücklich ist, oder ob es einen Sinn hat, im Text auch solche Kunstwerke stilkritisch zu erörtern, die im Bildteil nicht wiedergegeben sind.

LeerDagegen leitet ein anderer Gesichtspunkt sofort zu der Kernfrage. H. hält es schon für verkehrt, daß Kr. in seinem kleinen Aufsatz das Buch von Hegemann zwischen den beiden anderen Büchern von L. Schreyer (Die heiligen Engel) und von G. Schiller (Die Boten Gottes) besprochen hat. Es sei ungerecht, sein Buch mit diesen beiden anderen Büchern auf eine Linie zu rücken und zu vergleichen, weil er als Kunst- und Kulturhistoriker das Phänomen der Engeldarstellungen von vorneherein unter einem ganz anderen Gesichtspunkt untersucht und dargestellt habe. Denn genau dieses ist die Frage, die der ganzen Kontroverse zugrunde liegt, ob diese Betrachtungsweise, die H. als die seine in Anspruch nimmt und verteidigt, möglich und der Sache angemessen ist oder nicht.

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LeerWiederholt sagt H., nicht erst in den durch die Kritik von Kr. veranlaßten Briefen, sondern schon im Textteil seines Buches, daß er sich die Aufgabe gestellt habe, die Engeldarstellungen in der deutschen Kunst wesentlich in ihren kunstgeschichtlichen Zusammenhängen zu untersuchen, ihre Besonderheiten weniger aus der Eigenart der einzelnen Künstler, als vielmehr aus der „Mitte” der einzelnen kulturellen Epochen zu begreifen; also an dem einzelnen Beispiel der Engeldarstellungen eine Art Längsschnitt durch die ganze kulturgeschichtliche Entwicklung zu geben.

LeerNun wird selbstverständlich auch von Kr. gesehen und anerkannt, daß die Wirklichkeit der Engel niemals „absolut” dargestellt worden ist, sondern immer „gebrochen durch das jeweilige Prisma der Individualität des Künstlers” und der jeweiligen geistesgeschichtlichen und kunstgeschichtlichen Weltperiode; wobei es nur fraglich ist, ob die Verschiedenheiten der einzelnen Künstlerpersönlichkeiten, wie H. in seinem Buch (S. 5) meint, innerhalb einer Epoche aufgelöst sind; wahrscheinlich ist das in den verschiedenen Epochen in einem sehr verschiedenen Maß der Fall. Ebenso wenig besteht eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit darüber, daß die Betrachtung von Kunstwerken überhaupt, von Engeldarstellungen in Sonderheit, im Zusammenhang einer kulturgeschichtlichen Gesamtsituation sehr wichtige Ausschlüsse vermitteln kann; das Buch von H. bietet manche wertvolle Beiträge zur Aufhellung dieser Zusammenhänge; so sehe ich durchaus die theologische Tragweite der beiden von H. herausgestellten Tatsachen, daß die frühe nordische Kunst nicht den Gegenstand als solchen, sondern seine Funktion darstellen will (S. 18 f.), oder daß die Vielzahl der Engeldarstellungen in den Barockkirchen nicht nur spielerisch gemeint ist, sondern ernsthaft etwas mit dem religiösen Grundcharakter des Barock zu tun hat (S. 41).

LeerAber darüber besteht allerdings eine kaum überbrückbare Meinungsverschiedenheit, welche Rolle diese kultur- und stilgeschichtliche Betrachtungsweise gegenüber den Engeldarstellungen überhaupt spielen soll und spielen darf. H. weiß wohl, daß die Engel in ihrer dreifachen „Funktion” als Boten, als Kämpfer und in ihrem anbetenden Lobpreis dargestellt werden; aber sein Interesse als Kunsthistoriker ist sehr viel mehr der Frage zugewendet, in welchen Formen diese dreifache Funktion in den einzelnen Stilepochen dargestellt wird, als der anderen Frage, ob bei allen stilbedingten Verschiedenheiten hier etwas ausgesagt wird über ein überzeitliches Wesen der Engel, das sich eben in dieser dreifachen Funktion verwirklicht. Kr. gibt der Sorge Ausdruck, das ganze Phänomen „Engel” werde „relativiert”, seines objektiven Seinsgehaltes entkleidet, wenn es in solcher Weise, wie H. das tut, zum Gradmesser für die Empfindungsweise einer Zeit gemacht wird. H. schreibt in einem seiner Briefe, er wolle zuerst die „Seinsschicht” charakterisieren, aus der heraus das einzelne Engelbild zu verstehen sei; aber ist dann, so würde Kr. demgegenüber fragen müssen, diese „Seinsschicht” eine kunstgeschichtliche „Mitte”, das Stilgesetz einer bestimmten Epoche, oder ist sie nicht vielmehr jene andere Dimension des „Seins”, in der es Engel und Dämonen gibt? In dem Maße, als der Kunsthistoriker, der Engelbilder betrachtet und deutet, seine Aufmerksamkeit dieser „Seinsschicht” der Engel selbst zuwendet, wird aber die Beschränkung seiner Betrachtung auf die „deutsche” Kunst erst recht fragwürdig, weil - vielleicht - für die Ausdrucksformen der Darstellung, aber sicher nicht für die Erfahrung jener metaphysischen Wirklichkeit selbst die Grenze des Volkstums bemerkenswerte Grenzlinien zieht.

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LeerKurz gesagt: Kann eine Ikonographie der Engel als Bestandteil einer allgemeinen Kulturpsychologie betrieben werden? Auch hier werden die Engeldarstellungen nach ihrer „Aussage” befragt; aber sie dürfen nur etwas aussagen über das Stilgesetz ihrer Zeit, aber nicht über jene geheimnisvolle und verborgene Wirklichkeit, die sich in jenen Engeln manifestiert.

LeerH. redet am Ende des Textteils seines Buches (S. 55) von der „Weiterentwicklung der Kunstgeschichte zu einer generellen Anthropologie hin”. Gewiß wird sich jede tieferdringende Anthropologie auch mit den Engeln befassen müssen, aber vielleicht gerade in einer umgekehrten Bewegungsrichtung, als es hier offenbar gemeint ist. Man wird nicht bestreiten können (und das kommt in der Kritik von Kr. vielleicht nicht deutlich genug zum Ausdruck), daß H. an mehreren Stellen seines Buches wichtige Aussagen über das in seinen Bildern zutage tretende Wesen der Engel selbst gemacht hat; aber auch diese Aussagen über die Engel erscheinen im Zusammenhang seiner ganzen Darstellung als Aussagen über den Menschen, als Details aus einem „ikonographisch-seelengeschichtlichen Zusammenhang” (S. 55). Solche Einzelheiten, wie die ausgezeichnete Bemerkung (S. 16), daß in den christlichen Engeln - im Gegensatz zu den geflügelten Wesen der griechischen Kunst - nicht Menschliches, sondern Göttliches spreche, werden durch den anthropologischen Ansatz des ganzen Buches entwertet. Eine sorgfältige Analyse des Verhältnisses zwischen Mensch und Engel würde gewiß auch eine so fragwürdige Behauptung revidieren wie die, daß die Engel sich nicht an die Person, sondern nur an die Seele des Menschen wenden (S. 11), und sie würde vielleicht dazu gelangen müssen, eher den Menschen von seiner Begegnung mit Engeln her zu interpretieren und ihn nach seiner Möglichkeit, Engel zu „sehen” und dieses Widerfahrnis auszudrücken, zu beurteilen als umgekehrt die Engeldarstellungen in jene kunstgeschichtlichen Tatsachen einzuordnen, die dann als „Symbol seelischer endogener Entwicklungsvorgänge in Menschen und Epochen” zu deuten wären (S. 55).

LeerVielleicht sind wir evangelischen Christen in diesem Punkt empfindlicher als viele römisch- katholische Christen, gerade weil unsere Kirche, unsere Theologie nicht ausgenommen, durch lange Zeit sehr viel anfälliger gewesen ist für diese anthropologisch-psychologische Verlagerung und sich nur langsam und nicht ohne manches Unverständnis in unseren eigenen Reihen zurücktastet zur Anerkennung jener „Seinsschichten” und „Wirklichkeitsbereiche”, die eben schlechterdings nicht mehr in den Bereich einer kultur- psychologischen oder anthropologischen Betrachtung einzufügen sind. Wer Dogmengeschichte treibt, hat es mit jenen Dimensionen der Wirklichkeit zu tun, über welche die christliche Kirche zu verschiedenen Zeiten, in den Grenzen ihrer psychologischen Möglichkeiten, etwas aussagen wollte; und wer sich mit der Darstellung der Engel in der deutschen oder irgend einer anderen Kunst befaßt, muß unmißverständlich, unmißverständlicher als es H. getan hat, sagen, daß die Wirklichkeit der „Engel” schlechterdings wichtiger, bedeutsamer und verpflichtender ist als alle zeitbedingten Darstellungen. Wenn ich Krönig recht verstanden habe, ist es ihm in seiner Kritik, auch bei dem von H. beanstandeten Vergleich mit zwei anderen Engelbüchern, allein um diese Frage gegangen.

Evangelische Jahresbriefe, S. 206-209

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-30
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