Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1953
Jahrgänge
Autoren
Suchen

Laientum und Parochie
von Felix Miller

LeerDer Leitaufsatz des ersten Quatember-Heftes „Gottes Volk als Bruderschaft”, der programmatisch gedacht war, hat ein sehr lebhaftes, zum Teil auch kritisches Echo gefunden. Wir bringen aus der Reihe der zahlreichen Zuschriften zwei, die sich auf je ihre besondere landeskirchliche Situation beziehen. Felix Miller ist der Leiter des Laiendienstes der Evangelischen Akademie Schleswig-Holstein, Pfarrer Georg Weiß der Leiter des Amtes für Volksmission der bayrischen Landeskirche. [siehe hier]

LeerDie Kirche Christi ist die geheime Lebensmitte eines Volkes. Jeder Christ und alle Träger eines kirchlichen Amtes müssen daher sehr beunruhigt darüber sein, daß das deutsche Volk immer mehr in Verirrungen, Schuld und Unglück und zuletzt in die größte Katastrophe seiner Geschichte geraten ist. Es genügt nicht, daß wir zu uns sagen: Wir haben die Reformatoren zu Kirchenvätern.

LeerDie Kirche der Reformation ist in Deutschland zu wenig eine Kirche der Ämter und Dienste für ihre „Laien”, für das Gottesvolk im Nationalvolk, gewesen und findet auch heute nur schwer die rechten Formen kirchlicher Verantwortung für ihre aktiven und die Kirche liebenden Glieder. Wichern und andere, die diesen Mangel mit Hilfe des diakonischen Amtes beheben wollten, wurden dafür bekämpft. So kam es zum Aufmarsch der politischen Amtsträger aller Gliederungen bis zum Block- und Zellenleiter, weil nur das eine kirchliche Amt in Geltung sein sollte und kirchliche Amtsträger für die verschiedenen Funktionen der Kirche nicht berufen waren. Der Kirchenkampf hat deutlich gemacht, daß die Kirche nicht nur auf dem Amt der Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung steht. Sie braucht auch die Ämter der Diakonie, der Verleiblichung, der Inkorporation, des Dienstes bis in alle Lebensbereiche der Gemeinde und der Gesellschaft hinein.

Leer„Wir leben nicht in einem Jahrhundert der Gemeinde, sondern in einem Jahrhundert der Kirche. Das schließt ernste Probleme in sich” (Bischof Dibelius in Elbingerode). Der Auftrag der Kirche wird von denjenigen verengt, die nur die gemeindlichen Ämter und Dienste und nicht ebenso die gesamtkirchlichen bejahen und mittragen wie etwa: das Erziehungsamt christlicher Eltern, das Lehramt christlicher Lehrer, das soziale Amt christlicher Arbeiter, das politische Amt christlicher Politiker usw.

LeerDer Auftrag der Kirche wird eingeengt und bleibt auf vielen Gebieten unerfüllt, wenn die Meinung vorherrschend wird, daß Ämter und Dienste nur im kirchlichen Hauptberuf wahrgenommen werden könnten. In den deutschen Ostgebieten rechts der Oder/Neiße-Linie werden alle Ämter und Dienste von Laien wahrgenommen. Das kirchliche Leben geht in den von Pastoren entblößten Gebieten weiter. Auch die Frau hat ihre Eignung zu kirchlichen Ämtern unter Beweis gestellt. Die Erfahrungen der leidenden Kirche, der Äußeren Mission und der „Jungen Kirchen” sind nicht ohne Verpflichtung für die Landes- und Heimatkirchen. Die kirchliche Lösung der Laienfrage liegt nicht in Laienorganisationen, Tagungen und öffentlichen Aufmärschen, nicht in einer Laienkonferenz oder einem Werk der Männer, Frauen und der Jugend, obgleich dies alles als Hilfseinrichtung dazugehören mag oder zeitbedingt sogar erforderlich ist.

Linie

LeerAlle Formen von Organisation in der Kirche haben auch Tendenzen, sich nur selbst zu sehen. Die wahre geistige und geistliche Welt, in die die „Laien” einbegriffen sind, ist ihrem Wesen nach hierarchisch aufgebaut und läßt sich nicht organisieren. Monopol- oder Totalitätsansprüche einer einzelnen Einrichtung haben in der Kirche kein Recht. Kein Christ kann einen andern „eingliedern” oder ihm vorschreiben, wozu ihm Gabe, Kraft und Auftrag geworden sind. Auch die Bibel gibt kein bestimmtes Rezept für die Einordnung der Ämter. Nebeneinander stehen drei Gemeindetypen: die jerusalemitische Gemeinde der Juden-Christen unter Petrus, später Jakobus, wo das Amt besonders betont wird. Bei Johannes ist die Gemeinde eine Bruderschaft von geistesbegabten Gliedern; alle sind gewissermaßen „Amtsträger”. Dazwischen steht die paulinische Gemeinde mit „mancherlei Ämtern”. Berufungen gibt es nur durch den Heiligen Geist. Zu einer einschneidenden Verengung des Auftrages der Kirche ist die Luthersche Übersetzung von 2. Kor. 5, 18 geworden, auf die oft das Predigtamt allein zurückgeführt wird.

LeerWeit mehr als das Predigtamt muß auch nach C. A. V. unter der lateinischen Fassung „ministerium ecciesiasticum” verstanden werden. „Kirchlicher Dienst” meint auch das Priesteramt, das liturgische Amt, das diakonische Amt. Die Verkürzung, die hinsichtlich dieser Ämter seit 400 Jahren in unsere Kirche eingegangen ist, ist vielleicht der tiefste Grund für den „Verlust der Mitte” in unserem Volk. Die Erneuerung des diakonischen Amtes wird von Professor Wendland und einer theologischen Kommission in ihrem Gutachten wie folgt bejaht: „Mit den ‚sieben Thesen’ des Laiendienstes der Evangelischen Akademie sind die theologischen Gutachter darin einig, daß 1. unsere Kirche und ihre Gemeinden der Erneuerung des diakonischen Gedankens und Amtes bedürfen, und daß 2. diese Erneuerung nur durch die Freudigkeit der Laien zustande kommen kann, die freiwillig um Christi willen Dienste auf sich nehmen, um durch Ausgliederung des einen Amtes der Kirche in vielen Diensten den Leib Christi aus der Kraft erbauen zu helfen, die allein von dem Haupte dieses Leibes herkommt.”

Leer„Der Ruf zur Mitarbeit der Laien wird schwärmerisch mißbraucht oder wird bald verhallen, wenn wir nicht klar sagen, was wir meinen” (Propst Asmussen). Die Lösung der Laienfrage muß orientiert sein am Amt der ganzen Kirche wie dieses am dreifachen Amt Jesu Christi. Er ist der „eine treue Hobepriester vor Gott”, der „Prophet des Höchsten”, der „Herr aller Herren und König aller Könige”. Der Ort, wo die sich gegenseitig dienenden Ämter der ganzen Kirche gemeinsam zur Verkündigung des Wortes Gottes, zum Loben, Danken und Beten in Erscheinung treten sollen, ist die Versammlung der Gläubigen im Gottesdienst. Wer ein kirchliches Amt - auch als „Laie” - verantwortlich ausübt, hat durch einen Dienst im Altarraum den Ort der Bindung, der Indienstnahme wie des Ausschlusses. Laiendienst führt zum ordo. Es sollte bald keine Gemeinde mehr geben, in der nicht nach neuer Agende an allen entsprechenden Stellen kirchlich tätige Laien im ständigen Gottesdienst eingesetzt sind.

Quatember 1953, S. 97-98

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
Haftungsausschluss
TOP