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von Wilhelm Stählin |
Etwa in der Mitte des Johannes-Evangeliums (7, 38 f.) spricht Christus „am letzten Tag des Festes, der am herrlichsten war”, ein Wort, das als ein Schlüsselwort zum Verständnis des ganzen Evangeliums dienen kann; „Wer an mich glaubet, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen”; und der Evangelist fügt hinzu: „Das sagte er von dem Geist, welchen empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Heilige Geist war noch nicht da, denn Jesus war noch nicht verkläret.” Die Bemerkung, daß der Heilige Geist zu irgend einer Zeit „noch nicht da”, noch nicht vorhanden war, gehört zu den paradoxen Aussagen, mit denen das Johannes-Evangelium seine Leser aufzuregen liebt. Schließt nicht die von unseren Liedern so geflissentlich betonte Gleichordnung des Heiligen Geistes mit dem Vater und dem Sohne, „mit beiden gleiches Thrones, mit beiden gleich gepreist”, auch dieses ein, daß der Geist Gottes teilhat an der Ewigkeit Gottes, der ohne Anfang und ohne Ende ist, und daß er ebenso wie der „Sohn” „im Anfang”, im Ursprung aller Dinge gegenwärtig und wirksam war? In diesem Zusammenhang muß das Wort verstanden werden, daß der Heilige Geist noch nicht „da war”, ehe Jesus verklärt war. Wenn der Heilige Geist die Energie Gottes ist, mit der er seinen Ratschluß verwirklicht, so läuft zwar ein ununterbrochener Strom von jenem Urbeginn, in dem diese göttliche Tatkraft wie ein brütender Vogel über den chaotischen „Wassern” schwebte, über die Erwählung eines Volkes und die Verkündigung des Gesetzes und über die von Gott erweckte Schau der ausgesandten Boten, die deuten dürfen, was Gott tut, und ahnen, was er vorhat, bis hin zur Taufe im Jordan und zur „Ausgießung” dieses Geistes am Pfingsttag. Aber damit ist doch nur die eine Seite der Wahrheit ausgesprochen; die andere Seite ist die, daß es in diesem lebendigen Strom verschiedene Stadien seines Laufes gibt, und daß auch für die Kraft der göttlichen Selbstverwirklichung die Geburt des ewigen Wortes aus der Jungfrau Maria, der Kreuzestod, die Auferstehung und die Erhöhung des Gott-Menschen Wendepunkte bedeuten, von denen an diese göttliche Energie die Form ihres Wirkens und die Gestalt ihrer Verwirklichung ändert. Den „Heiligen Geist” im engsten und eigentlichsten Sinn nennt das Neue Testament die Kraft des göttlichen Wirkens, wie sie sich seit der „Verklärung” des Gottes- und Menschensohnes ausdrückt und darstellt. In dieser Gestalt ist der „Geist” erst am Pfingsttag „ausgegossen” worden, und was er nun tut und wirkt, vor allem aber die Art, wie er das tut, ist ein novum in der Geschichte, die sich zwischen Gott und Mensch abspielt, ein Neues, das es so in der vorpfingstlichen Menschheitsgeschichte nicht gegeben hat. Was ist dieses Neue, das selbst zu Lebzeiten Jesu noch nicht „da” war, das Neue, hinter dem nicht nur Johannes der Täufer, sondern auch alle Kraftwirkungen Gottes im Raum des alten Bundes als ein Vorläufiges zurückbleiben? Wenn man die vielfältigen Aussagen des Neuen Testamentes über das Wirken des Heiligen Geistes überschaut, dann treten in diesem Bild die folgenden Züge hervor: Obschon das gleiche Wort hin und wieder - selten genug! - auch von einer bestimmten Seite des menschlichen Wesens gebraucht wird, ist doch das pneuma im strengen Sinn immer der „Geist” Gottes, Gottes lebendiger Odem, Gottes schöpferische Energie, die Dynamik des göttlichen Wirkens schlechthin. Es bleibt ein Geheimnisvoll-Undurchdringliches, Unberechenbares und Unverfügbares in dem Wirken dieses göttlichen pneuma. Aber eben diese geheimnisvolle Aktion Gottes bemächtigt sich nun des Menschen, ruft im menschlichen Bereich sichtbare und spürbare Wirkungen hervor und ist also nun in einer „neuen” Weise „da” in der Geschichte. Der „Geist” ist die spezifische Weise, in der sich „nun” Gott mit der Menschenwelt verbindet, die Weise, in der sich die „Inkarnation” Gottes auswirkt und als göttliche „Einwohnung” weiterschwingt durch die Jahrhunderte hindurch. Wenn wir versuchen, dieser göttlichen Aktivität, zu deren Werkstatt und Werkzeug der Mensch geworden ist, unter fünf Gesichtspunkten inne zu werden, so kann es sich wirklich nicht um fünf verschiedene Kräfte oder „Gaben” des Heiligen Geistes handeln, sondern um einen durchaus einheitlichen Vorgang, der freilich von verschiedenen Seiten her und dementsprechend in verschiedener Perspektive betrachtet werden kann. Sie ist in vollem Sinn die Gegenwart Gottes, der Liebe ist, das einzig glaubwürdige Zeugnis des Glaubens an die Erscheinung Gottes im Fleisch (I. Joh. 4, 2 f.); nur darum erscheint das „Hohelied der Liebe” (I. Kor. 13) im Zusammenhang der Rede von den Gaben des Heiligen Geistes als die Krone und Vollendung aller „Charismen”, die die Kraft des göttlichen Geistes im Menschen erwecken kann, als „die Möglichkeit Gottes im Menschen” (Karl Barth). Darum erscheinen alle christlichen Tugenden, in denen die Liebe ihre konkrete Gestalt gewinnt (Freundlichkeit, Sanftmut, Geduld, Gütigkeit, Barmherzigkeit, Lindigkeit... Kol.3, 3 2; Phil. 4, 5), nicht als das Ergebnis einer menschlichen Einübung im Guten, sondern als „Frucht” des Geistes (Eph. 5,9), und sind doch zugleich ganz des Menschen eigene Tat, eine uns Menschen zugemutete Verhaltungsweise, welche zu versäumen von dem uns zugedachten Leben und Heil ausschließt, weil der nicht Liebende den Lebensstrom unterbrochen und unterbunden hat, der vom Vater zum Sohn, vom Sohn zu den Seinen, von Bruder zu Bruder fließen will. Liebe als Einwohnung Gottes in Herz und Willen des Menschen: Dieses ist das neue Gebot, das der Herr „gibt”, dieses die Gegenwärtigkeit Christi im menschlichen Bereich, der „Heilige Geist”, den es vor dem Opfertod und der Erhöhung Christi nicht gegeben hat. Die genaue Übersetzung von II. Kor. 4,6 ist in dieser Hinsicht höchst lehrreich: „Gott, der da sprach: Aus der Finsternis leuchte Licht, leuchtete auf in der Tiefe unseres Wesens; so entsteht ‚Erleuchtung’, nämlich Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes”. Dabei unterscheidet die biblische Sprache nicht zwischen Erkenntnis Gottes und Erkenntnis Christi, weil Gott in seinem „Bild” Jesus Christus angeschaut und erkannt werden will (Joh. 17,3), und weil die Erkenntnis Christi Erkenntnis Gottes ist (weswegen es keine „Christologie” geben kann und geben darf, die nicht in ihrem innersten Wesen Theologie, Lehre von Gott, wäre). Der Geist entfaltet das, was mit Christus in die Geschichte eingetreten ist, den fleischgewordenen logos Gottes, in fortschreitender Erkenntnis, und es ist der Gemeinde verheißen, daß dieser „Geist” sie „in alle Wahrheit leiten” werde, ohne sie doch jemals von dem hinwegzuführen, was ihr in Christus ein für allemal gegeben ist (Joh. 16,13 f.). Der tiefe Schaden, daß „Glauben” und „Wissen” wie zwei einander feindlich gesinnte Brüder sich entzweit haben, wurzelt ebenso in einer subjektiven und gemüthaften Frömmigkeit, in der der tiefe Drang nach Erkenntnis verkümmert ist und die allem klaren Denken mißtrauisch begegnet, wie in einer Isolierung und Überschätzung der Verstandeskräfte, die die Liebeskraft des Herzens glaubt entbehren zu können und damit die Demut verliert, ohne die es echte Erkenntnis nicht gibt. Auch das Erkenntnisstreben des Menschen kommt nur da zu seiner Erfüllung, wo der Mensch von dem Thron seiner Selbstherrlichkeit und Selbstmächtigkeit heruntersteigt und zunächst einmal empfängt, was sich ihm aufgetan hat: Gott sieht, Gott erkennt, Gott weiß, und wir werden von Gott „erkannt”; aber dem, der zur Liebe und zum Opfer erweckt ist, werden neue Organe der Erkenntnis zu Teil; er darf „sehen”, was man nicht sehen kann, „hören”, was man nicht hören kann, und „erkennen”, was jenseits aller unserer Erkenntnis liegt; und nur die immer von neuem vollzogene liebende Verehrung und Hingabe bewahrt die pneumatische Rede von Gott vor der Hoffart des bloßen Wissens, das nirgends zerstörerischer ist, als wenn es sich an den Geheimnissen Gottes vergreift. Darum darf die Kirche nie vergessen, daß Theologie ohne Hingabe, Liebe und Anbetung eben nicht mehr unter der Leitung, darum auch nicht unter der Verheißung des Heiligen Geistes steht. Diesen Prozeß der Umschmelzung des ganzen Menschen in dem Feuer des Heiligen Geistes nennt die biblische Sprache „Heiligung”, und es wird ausdrücklich gesagt (Hebr. 12,14), daß niemand ohne diese Heiligung „den Herrn sehen”, das heißt das Heil erlangen wird. Es ist sozusagen der Kolonialkrieg Gottes in dem bisher von dem „alten Adam” besetzten und beherrschten Territorium. Das Bild aber, das in diesem Umschmelzungsprozeß sichtbar gemacht werden soll, ist in der Gestalt des Gott-Menschen schon im voraus gegeben, und es ist das Ziel der Heiligung, daß wir auf dem Weg des Sterbens und der neuen Geburt Christus-ähnlich, Christus-förmig werden. Es ist aber wieder höchst aufschlußreich für das Werk des Heiligen Geistes, daß in den neutestamentlichen Aussagen ebenso Gott, wie der Mensch selbst als Subjekt dieser „Heiligung” erscheint. Gott ist es, der uns heiligt, das heißt sein Eigentumsrecht an uns durchsetzt und verwirklicht, und er benützt als Mittel seiner göttlichen Erziehung auch die mit dem Erdenleben notwendig verbundenen Leiden, um im Feuer der Trübsal alles Unreine hinweg zu brennen, das dieses Bild entstellt und verdeckt: „Unter Leiden prägt der Meister in die Herzen, in die Geister sein allgeltend Bildnis ein” (Karl Friedrich Hartmann). Zugleich aber wird der Mensch selbst aufgerufen, der Heiligung nachzujagen (Hebr. 12,14) und sich selbst zu reinigen (II. Kor. 7,1). Der Heilige Geist erweckt in uns Gottes Tun als unseren eigenen Nachvollzug. Wird die Heiligung allein als menschliches Vollkommenheitsstreben gesucht, ohne Antrieb und Leitung durch die göttliche energeia, so entsteht jener Krampf und Tugendstolz, der viele Christen so unlebendig und die Heiligkeit vieler Heiligen so sehr einer selbsterwählten Werkerei verdächtig macht; müßte aber der Mensch die Heiligung rein passiv erleiden, ohne daß er sie mit seinem eigenen Willen ergreift, so würde er ja von dieser göttlichen Aktivität vergewaltigt und nicht, wie es in Wahrheit geschieht, zu sich selber, zu seiner wahren Bestimmung befreit. Es steht beides hart nebeneinander als die beiden Seiten eines und desselben Vorgangs, den der göttliche Lebensstrom in uns hervorruft: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Und wir werden verwandelt...” (II. Kor. 3,17 f.). Weil der Empfang des „Geistes” von Pfingsten an unzertrennlich mit der Erwartung des neuen Äons, des neuen Himmels und der neuen Erde verbunden ist, darum ist dieser Geist die eigentliche Quelle und Kraft der Hoffnung, in der die christliche Gemeinde lebt. „Der Geist und die Braut sprechen: Komm!” (Offenb. Joh. 22,17); das heißt: Die flehentliche Erwartung des endgültigen und offenbaren „Kommens” Jesu Christi ist ein Kennzeichen der von dem Heiligen Geist lebenden christlichen Kirche. Aber gerade das Wort „Hoffnung” steht in besonderer Weise unter dem Doppelsinn einer objektiven Gegebenheit und einer subjektiven Verhaltungsweise. Das Wort bezeichnet niemals eine hoffnungsvolle Seelenstimmung und steht durchaus im Gegensatz zu allen Hoffnungen, die wir „uns machen”; sondern es beschreibt die neue Lage, in die wir durch die Erhöhung Christi versetzt sind, weil wir dadurch in dem Himmel als dem Ort der noch verborgenen zukünftigen Dinge schon Heimatrecht haben. Es sind durchaus nicht menschliche Wunschträume, sondern es ist der schöpferische Lebensodem Gottes selbst, der uns in diesen Stand der Hoffnung versetzt hat. Aber doch erweckt, dieser „Geist” zugleich in uns eine eigentümliche Aktivität gegenüber dieser auf uns zukommenden Zukunft; angespannte Erwartung und flehentliches Gebet um die endgültige Erlösung und die Offenbarung der jetzt verborgenen Herrlichkeit sind selbst eine treibende Kraft, die die Erfüllung herbeibetet, indem sie sich ihr entgegenstreckt. Der Strom der Gottesgeschichte erhält sein Gefalle nicht ohne die von ihm berührten und ergriffenen Menschen, und wenn nach dem kühnen und schönen Wort Blumhardts das Gebet der Christen eine Teilnahme an der Weltregierung Gottes ist, so gilt gerade von diesem Gebet erst recht, daß es der „Geist” ist, der uns lehrt und ermächtigt, so zu beten, daß damit etwas geschieht. So ist in jedem Betracht der „Heilige Geist” die Aktion Gottes, sein wehender Odem seine wirkende Kraft, der Strom seines Lebens und seiner Liebe; er steht in keiner Weise uns zur Verfügung, so daß wir seine Dynamik nach unserem Gutdünken einschalten könnten wie einen elektrischen Kraftstrom; wohl aber Werden wir Menschen eingeschaltet, nicht nur so, daß wir nun erleuchtet, erwärmt, bewegt und gewandelt werden, sondern so, daß wir selber zu aktiven und mitwirkenden Organen (nicht nur Instrumenten) des göttlichen Lebenswillens werden. Dieses, wenn irgend etwas, ist das Neue, das vor der Einsetzung Christi in die himmlische Glorie nicht da war und nicht da sein konnte, jetzt aber da ist, weil der Geist die Form ist, in der der rex Christus seinen Kampf und Sieg in die Welt hinein verwirklicht; er ist „das Wasser des Lebens”, das jeden, der davon trinken darf, zum Brunnen, ja zum weiterströmenden Strom macht. Quatember 1953, S. 129-135 |
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