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Geistliches Laientum
von Erich Müller-Gangloff

LeerEs gibt Binsenwahrheiten, deren offenkundige Banalität dadurch nicht erträglicher wird, daß sie ständig wiederholt werden. Wer könnte es noch mit anhören, wenn heute von allen kirchlichen Gremien und Foren, von allen Kanzeln und Vortragspulten, sei es von wohlmeinenden Pfarrern oder streitbaren Laientheologen, die längst selbstverständliche Erkenntnis von der Notwendigkeit des Laien in der Kirche wie eine letzte Erleuchtung vorgetragen wird. Alle Gruppen und Parteiungen innerhalb der Kirche, alle Konfessionen und theologischen Richtungen sind sich in diesem Punkte einig. Aber es geschieht nichts, es ändert sich nichts - oder doch so gut wie nichts: Die Kirche bleibt, aufs ganze gesehen, eine Pfarrerskirche wie nur je, das Einmannsystem funktioniert - mit kleinen Abwandlungen - weiter recht und schlecht, und die „Laien” - bleiben eben Laien, wie sie es immer waren.

LeerWoran liegt das? Gewiß nur in seltenen Fällen an einem ausdrücklichen bösen Willen. Eher schon an der Banalität der besagten Rede, denn solange ich mit Onkel Bräsig lediglich feststelle, daß die Armut von der Powertee herkommt, kann ich dieser kirchlichen Powertee schwerlich beikommen. Vielleicht sollte man allen kirchlichen Vertrags- und Festrednern für eine Weile verbieten, über eine derart ernsthafte Frage so billig daherzureden, damit endlich einmal das Problem selber ins Blickfeld kommt.

LeerIst es nicht vielleicht schon im Ansatz verkehrt, in der Weise, wie wir das heute beinahe selbstverständlich tun, vom Laien zu sprechen? Sollte nicht ein falsches Verständnis vom Wesen des Laien ganz entscheidend dabei mitsprechen, daß wir mit der Problematik des Laientums in der Kirche heute nicht fertig werden?

LeerEs gibt drei verschiedene, nicht unwesentlich voneinander abweichende Bedeutungen und Sinndeutungen des Laiennamens: man kann den Laien ganz weltlich im Gegensatz zum Fachmann verstehen, man kann ihn kirchlich im Gegensatz zum Klerus begreifen, man kann den Namen schließlich aber auch vom Laos, dem Gottesvolk her deuten und ihm damit in der Rückführung auf seinen Ursprung eine ganz neue Sinnfülle geben. Es soll hier versucht werden, jede der drei Bedeutungen daraufhin zu befragen, was sie uns heute zu sagen hat und wie weit sie uns helfen kann, die Problematik des Laientums zu begreifen und möglicherweise zu bewältigen.

LeerDas Vulgärverständnis des Laien als des Nicht-Fachmannes ist an sich das späteste und dem Ursprung der Namensbildung fernste, dabei aber zweifellos bei weitem das verbreitetste. Wenn heute außerhalb der Kirche von Laien gesprochen wird, dann geschieht es meistens in einem ähnlich abschätzigen Sinn, in dem das Wort Banause gebraucht wird. Der Laie ist der, der von einer Sache nichts versteht, sich also zweckmäßig allen Urteilens enthält. Der Ursprung dieses Wortgebrauchs ist ebenso bemerkenswert wie kennzeichnend: er entstammt einer Zeit, in der das Wissen und alles Gelehrtentum auf den Klerus, den Stand der „Geistlichen”, beschränkt war.

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LeerDas gehört bereits in den Bereich des zweiten hier zu behandelnden Bedeutungszusammenhangs, weist aber zugleich auf unsere Grundfrage hin: ist nicht das Normalverständnis vom Laien in der heutigen Kirche auch das eines dem Banausen vergleichbaren Nicht-Fachmannes, der von der Theologie als der zentralen Wissenschaft eben nicht genügend mitbekommen hat, um mitsprechen zu können? Trägt nicht diese falsche und Ungeistliche, nämlich typisch weltliche Optik ganz wesentlich dazu bei, daß die Laien gewohnt sind, sich von vornherein als die geistlich Minderbemittelten in einer theologischen Expertenkirche anzusehen, die dann notwendig sehr bald aufhört, als etwas, das sie unmittelbar angeht, begriffen zu werden?

LeerEs bleibt aber auch zum „weltlichen” Laientum etwas Wichtiges zu sagen, was die Identifizierung der Kirche mit einem gewissen theologischen Expertentum gründlich in Frage stellt. Wir leben zweifellos in einem Zeitalter der zunehmenden Verfachlichung aller Wissenschaften. Aber diesem Zug zur fachlichen Spezialisierung geht ein anderer parallel: da die Gefahr eines Managertums der Experten immer deutlicher gesehen wird, geschieht zugleich ein sehr nachhaltiges Bemühen um die Entspezialisierung, etwa um eine für alle Wissenschaften grundlegende neue Lehre vom Menschen oder um ein Studium Generale, um unsere Fachhochschulen wieder zu Universitäten zu gestalten.

LeerDie Entwicklung geht also nicht nur vom Laien fort zum Experten und Spezialisten, es gibt auch die gegenläufige Bemühung, bei der es um die Bewahrung des Allgemeinverbindenden gegenüber dem Fachlich-Besonderen, wenn man will: um die Bewahrung des „Laien” im Fachmann geht. Sollte diese weltliche Entwicklung nicht in einem erheblichen Maße auch beispielhaft für die Kirche sein? Ist nicht die Kirche als Institution heute auch von einem Managertum bedroht, das dem der weltlichen Institutionen kaum wesentlich nachsteht? Das ist ein eigenes Thema, das in diesem Zusammenhang nur angedeutet werden kann. Aber wir sollten gewiß auch von diesem Gesichtspunkt her die Problematik des kirchlichen Laientums betrachten und gründlich bedenken. Wir brauchen den säkularen Gebrauch des Laiennamens gar nicht unbedingt zu entsäkularisieren, um dieser sehr bedrängenden Beziehung zur kirchlichen Laienproblematik ansichtig zu werden.

LeerUm so dringender scheint uns nötig, den üblichen klerikalen Wortgebrauch zu „entklerikalisieren”. Damit sind wir beim zweiten Themenkreis. Es ist einfach ein Mißbrauch und es heißt eine innerkirchliche Fehlentwicklung verewigen, wenn man, wie üblich, die Bezeichnung des Laien der des „Geistlichen” gegenüberstellt. Hier reicht, wie uns scheint, ein Stück verkehrtes Mittelalter mitten in unsere sich so modern dünkende heutige Kirche hinein.

LeerEs soll damit in gar keiner Weise unterschätzt oder versimpelt werden, welch eine „existentielle” Entscheidung es für einen Menschen bedeutet, den Beruf eines Pfarrers zu wählen. Und es soll schon gar nichts gegen die Ordnung des Amtes und der Ämter in der Kirche gesagt sein, um so mehr aber gegen einen Wortgebrauch, der das Wirken des Heiligen Geistes gleichsam von vornherein auf kirchliche Amtsträger beschränkt. Die evangelische Kirche von heute ist darin noch viel römischer - und zwar in einem durchaus unerfreulichen Sinne -, als sie ahnt. Luther hat auf jeden Fall einem solchen Wortgebrauch nicht gehuldigt: er hat zwar von einem geistlichen Amt gesprochen, aber nie die Pfarrer selbst als Geistliche bezeichnet.

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LeerVielleicht kann ein vergleichender Blick auf die Ostkirche, die darin der Urkirche näher ist, das Besondere der abendländischen Auseinanderentwicklung von Klerus und Laientum am einfachsten verdeutlichen. Trotz einer ausgebildeten Hierarchie und eines vielgestaltigen Klosterwesens ist die orthodoxe Kirche in vieler Hinsicht weniger klerikalisiert als die Kirche des Westens. Die Ostkirche ist insofern viel mehr Laienkirche, als sie die Monopolisierung geistlicher Ämter, wie sie sich im abendländischen Mittelalter vollzog, nicht mitvollzogen hat. Man könnte das Nebeneinander verschiedenartiger geistlicher Ämter, das für die Ostkirche so besonders charakteristisch ist, am besten als ein gegenseitiges Laientum bezeichnen. Der Osten kennt all die falschen Gleichungen nicht, mit denen der Westen seit dem Mittelalter belastet ist: hier sind weder die Pfarrer die einzigen Geistlichen noch sind die Mönche notwendig Priester, und weder Mönche noch Priester müssen notwendig Theologen sein (und die Theologen ebensowenig Priester oder Mönche).

LeerSo können sie sich gegenseitig „Laie” sein, obwohl sie alle ein ganz spezifisch geistliches Amt wahrnehmen: der Theologieprofessor ist weder an den priesterlichen Dienst noch an das Zölibat der Mönche gebunden (man denke an einen Typus wie Nicolai Berdiajew); der Pope darf heiraten und bedarf keines langwierigen Theologiestudiums, ist aber gleichwohl ein vollgültiger Priester. Die Mönche aber als diejenigen, die dem Herrn der Kirche das Ganzopfer ihres Lebens gebracht haben und damit den eigentlichen geistlichen Stand darstellen, sind grundsätzlich, sowohl vom Priestertum wie von der Theologie her betrachtet, Laien, obwohl andererseits aus den Klöstern die höhere Geistlichkeit hervorgeht, die mönchisches Zölibat mit theologischem Studium und priesterlichem Amt verbindet.

LeerUrs von Balthasar hat in einer Schrift, über die an anderer Stelle dieses Heftes ausführlich gehandelt ist, dargelegt, daß auch in der abendländischen Kirche das Laienelement ursprünglich eine viel umfassendere, gerade auch spezifisch geistliche Rolle gespielt hat. Fast alle großen Ordensstifter des Abendlandes waren Laien und auf die Sammlung von geistlichen Laien und nicht von Klerikern bedacht. Ebenso waren die Kirchenväter der frühen Christenheit zu einem wesentlichen Teil insofern Laien, als sie von keiner theologischen Ausbildung herkamen. So gewaltige Namen wie Ambrosius und Augustinus, Chrysostomus und Origenes gehören in diese Reihe.

LeerBalthasar geht noch weiter und beklagt mit kühnen Worten, die durchaus auch auf die Kirchen der Reformation zutreffen, die Klerikalisierung der Theologie. Er meint, die Verbindung von Theologiestudium und klerikaler Laufbahn sei insofern zu einem doppelten Verhängnis geworden, als sie nicht allein die Pfarrer den weltlichen Aufgaben, sondern zugleich die Laien von allem Anteil an der Theologie entfremdete: „Was Laien in der Theologie zu leisten vermöchten, das bliebe noch zu erproben” (wozu bemerkt werden muß, daß Balthasar Priester und Ordensmann ist, also keineswegs pro domo spricht).

LeerWir haben im bisher Gesagten mehrfach die Bezeichnung „geistliche Laien” gebraucht, die nicht eben üblich ist, aber doch wohl einen Sachverhalt trifft, den nämlich, daß es wie von je in der Geschichte so auch heute Menschen gibt, die ohne jede amtliche Verhaftung mit der verfaßten Kirche, ohne Theologiestudium und sonstige Kennzeichen, oft auch bei ausgesprochener Schlichtheit, ja Armut des Geistes, doch unverkennbar geistliche Menschen sind, Menschen, an denen und mit denen der Heilige Geist sein Werk tut.

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LeerWir wagen zu behaupten, daß diese „Geistlichen” aus dem Laienstande nicht nur notwendig zu einer Kirche zugehören, damit sie wahrhaft Kirche sei, sondern mehr noch: daß sie es sind, die das Volk Gottes konstituieren. Die Aussage ist gar nicht so ungewöhnlich, wie es einem klerikalen Denken erscheinen mag. Es ist ja bekanntlich sogar der Wortsinn des Namens Laie, daß er die Zugehörigkeit zum Laos, zum Volke Gottes bezeichnet. Der Laikos ist der, den die Gliedschaft an diesem geistlichen Volke mehr als die Abkunft aus seinem natürlichen Volke, aus seiner Nation, bestimmt.

LeerWenn so der Laos als das Volk schlechthin verstanden ist, dann wohl deshalb, weil es im Unterschied zu den Weltvölkern ein geistliches Volk ist. Es liegt daher beim Laikos von vornherein nahe, daß er als ein geistlicher Laie verstanden werden muß. Es kommt aber noch etwas Entscheidendes hinzu, das zum Thema „Heiligung” gehört. Es ist immer wieder gesagt worden, daß das Abendland, das so großartige Theologien der Schöpfung und der Erlösung entfaltet hat, der Welt bislang eine Theologie der Heiligung, also des Heiligen Geistes schuldig geblieben ist. Jean Danielen hat kürzlich die Vermutung ausgesprochen, daß uns vielleicht die Inder, wenn sie einmal ein christliches Volk geworden seien und ihr eigenes Geisteserbe der Wahrheit des Evangeliums anverwandelt hätten, der Welt diese Theologie des Heiligen Geistes werden schenken können.

LeerVielleicht braucht man gar nicht so weit in die Welt und in die Zukunft zu schweifen, sondern darf sagen, daß die Theologie des Heiligen Geistes bislang ungeschrieben blieb, weil das geistliche Laientum eine noch unentfaltete Möglichkeit der Christenheit war. Denn durch wen könnte die Heiligung und Verwandlung der Welt, die uns unausweichlich aufgetragen ist, anders geschehen als durch ein erneuertes Gottesvolk aus geistlichen, aber dabei ganz der Welt zugewandten Laien.

LeerEs wäre ein unverantwortliches Schwärmertum, wollte man von solchem erneuerten Gottesvolk und geistlichen Laientum mehr als nur eben bescheidene Ansätze in der Gegenwart erblicken. Aber vielleicht rechtfertigt es eine gewisse Zuversicht, wenn heute in den Bereichen, in denen das Christuszeugnis ungleich schwieriger ist als in unserer bürgerlichen Christenheit, geistliche Laien zur Stelle sind, die Botschaft unter die Menschen tragen, wenn etwa in der fast pfarrerlosen evangelischen Diaspora jenseits Oder und Neiße die Fortdauer der Kirche auf dem ungewöhnlich intensiven Einsatz von Laien beruht. Oder wenn auf den Missionsfeldern die Laienmission der zum wirtschaftlichen Aufbau in ein Land gerufenen Christen vielfach an die Stelle der ehemaligen Theologenmission tritt. Oder wenn - ein ganz anderes Beispiel - in der katholischen Kirche heute versucht wird, mit der Einführung eines Weihediakonats einen Stand verheirateter Kleriker zu schaffen, der zwischen dem Priesterstand und dem Laiendiakonat die verbindende Mitte herstellt. Auf die Bemühungen um neue Formen katholischer und evangelischer Ordensbindung, speziell in der Weise von Laienorden, sei hier nur kurz hingewiesen, weil „Quatember” es sich ja zur besonderen Aufgabe gemacht hat, über alle Bestrebungen dieser Art in immer neuen Berichten zu informieren.

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LeerEin grundlegender Hinweis darf allerdings am Schluß dieser Ausführungen nicht fehlen, um kurzschlüssigen Mißverständnissen vorzubeugen. Was gegen die ausschließliche „Geistlichkeit” des Theologen- und Pfarrerstandes gesagt wurde, soll nicht umgekehrt diesen Stand ausschließen. Wenn der Laos wirklich das Volk Gottes ist, dann gehören Pfarrer und Priester, ob mit, ob ohne Theologie, selbstverständlich hinzu. Der Begriff des Laikos ist umfassend genug, den des Klerikos mit einzuschließen.

LeerWenn wir schon die Sprache zur Deutung heranziehen, können wir nicht umhin, auch der Herkunft des Namens Klerus unsere Aufmerksamkeit zu widmen. Sie ist nicht minder interessant und aussagekräftig als die des Laiennamens. Denn das zugrundeliegende griechische Wort bedeutet so viel wie Erbteil oder Eigentum. Es gab im alten Athen Kleruchien als erbliche Besitztümer, mit denen unterworfenes Land besiedelt wurde.

LeerMit dem Namen Kleros wurde daher in der frühen Christenheit das ganze Neue Israel als das Eigentumsvolk Gottes gekennzeichnet. Klerus ist also nichts anderes als eine besonders sinnfällige und prägnante Bezeichnung des Gottesvolkes, fast ein Synonym zu Laos. Erst im Laufe einer längeren Entwicklung schieden sich die beiden Begriffe. Als sich ein besonderer geistlicher Stand bildete, der vorzugsweise Gott zugehörig geachtet wurde, wurde er als Klerus vom Laienvolke unterschieden.

LeerMag man in dieser Entwicklung bereits einen Irrweg sehen oder nicht - niemand wird die tiefe Sinnbezogenheit des Wortes Klerus verkennen. Und warum sollte es im Gottesvolke der Laien nicht einen eigenen Stand geben, der sich in besonderer Weise als Eigentum Gottes versteht? Verstünden sich die Pfarrer so, kein Laie würde es ihnen im Ernst verwehren. Möchten sich nur beide, Klerus und Laien, recht gründlich auf den Ursprung ihrer Namen besinnen und möchten sie, gleichviel ob auf klerikale oder laikale Weise, dem Volke Gottes dazu verhelfen, die Heiligung der Welt, die sein Auftrag ist, zu vollführen.

Quatember 1953, S. 144-148

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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