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Romanischer Calvinismus und evangelische Katholizität
von Arthur Graf

LeerWer aus dem zentralen Voralpengebiet der Schweiz und aus der Gegend um Bern westwärts fährt, gelangt zunächst in das hügelreiche Uechtland, das noch durchaus alemannisches Gebiet ist. Wie er aber die Sprachgrenze erreicht, ändert sich alles. Es ist nicht nur ausgesprochenes Bauernland, sondern ist gesättigt mit Werten, die nicht einfach von jedem festgestellt werden können, sich aber dem erschließen, der aufmerksam zu beobachten und auf die sozusagen unterirdischen Lebensströme zu achten versteht.

LeerLiegt nicht am Nordostrand dieses Gebietes der Ort La Tene? Und gelangt man nicht auf der großen Straße von Murten her zuerst nach dem alten Aventicum (Avenches), dann nach Paterniacum (Payeme) und schließlich nach Überquerung des Gros de Vaud nach Orbe (dem alten Urba) und Romanum Monasterium (Romainmotier) am Fuß des Jura?

LeerMit Ausnahme eines Bezirkes, der unter Fryburg stand, ist dieses ganze Gebiet im 16. Jahrhundert zur Reformation geführt worden. Die Gnädigen Herren von Bern haben das so verfügt. Was in der Tiefe aus ferner Vergangenheit lebendig blieb, hat man immer mehr nur ahnen als feststellen können. Immerhin haben die Landleute dieser Gegend noch zu Anfang dieses Jahrhunderts an den Tagen „Unserer lieben Frau” das Münster zu Lausanne (Notre Dame de Lausanne) zu besuchen die Gewohnheit gehabt. Wenn am Winzerfest zu Vevey, das etwa viermal im Jahrhundert gefeiert wird, die ganze Vorzeit mit den alten Flur- und Feldgöttern im Festzug und Festspiel leibhaft in die Gegenwart tritt, so steigen im farbenfrohen Spiel ans helle Licht des Tages die uralten Mächte, die wohl in das Dunkel des Unbewußten abgedrängt und vergessen werden konnten, die aber noch immer wirkende Wirklichkeiten sind. Die chthonischen Mächte, Ceres mit dem goldgelben Haar, Bacchus und Silen samt dem neckischen Pan.

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LeerIm ersten Viertel des Jahrhunderts lebte in der Hauptstadt der mit dem Lande besonders vertraute Pfarrer ]ules Amiguet. Er ist all den Spuren dieses verborgenen Lebens nachgegangen, wie das vor ihm und für andere Teile des Landes Eugene Rambert getan hatte. Aus seinen Aufsätzen, die er unermüdlich in einer Tageszeitung erscheinen ließ, gewann man Einblicke in diese verborgenen Wirklichkeiten. Er ist es auch gewesen, der in den Tagen des ersten Weltkrieges dem nüchternen und lehrhaften reformierten Kultus seiner Kirche eine wärmere Note zu geben bestrebt war. 1919 widmete er seiner Kirche eine Abendmahlsordnung, die auf das Vorbild der Ostkirche zurückging. Man mochte damals urteilen, es sei viel Romantik bei diesen Bestrebungen im Spiel. Als aber Amiguet sich 1926 zum Privatdozenten für Liturgiegeschichte und Liturgik an der theologischen Fakultät Lausanne habilitierte und den Beweis erbrachte, daß es ihm um saubere, wissenschaftliche Arbeit zu tun war, da horchte die Jugend auf, und es bildete sich in der Folge ein Kreis junger Pfarrer, dem auch der damalige anglikanische Geistliche der Hauptstadt nahe stand, und der in der Folge eine Reihe wertvoller theologischer Arbeiten veröffentlichte.

LeerHatte dieser Kreis sich erst „Ordre et Tradition” genannt und sehr deutlich von politischem Pathos getragene Schriften herausgegeben, so bedeutet „Eglise et Liturgie” eine durchaus kirchlich-theologische Arbeitsgemeinschaft. Emile Doumergue hatte zur Zeit der großen Calvinjubiläen durch sein monumentales Werk „Jean Calvin, les hommes et les choses de son temps” (6 Bde. in folio) die neuere Calvinforschung mächtig angeregt. Es entstand der „Neo-Calvinismus” zumal in Genf, wo ein Kreis die bibliophile Ausgabe von Calvins „Institutio” (4 Bde., Editions de Beiles lettres, Paris) herausgab. Calvin wurde als der „ökumenische” unter den Reformatoren verstanden, und ökumenisches Interesse leitete die Arbeiten der genannten Arbeitskreise. Schon 1931 war eine „Liturgie de communion” erschienen, 1933 folgte deren zweiter Teil, 1936 eine „Liturgie de bapteme et de confirmation”. 1943 gab Richard Paquier das „Office divin de l'Eglise universelle” heraus, das 1949 in stark umgearbeiteter und erweiterter Auflage unter dem Titel „L'Office divin de chaque jour” als das Gebetbuch für „Eglise et Liturgie”, die Communaute de Taize-les-Cluny und die Schwesternschaft von Grandchamp bei Deladiaux et Niestle in Neuchâtel erschien. Es ist ein sehr reichhaltiger Band, Lektionar, Gebetbuch und Hymnensammlung in einem.

LeerSchließlich sei die schöne Sammlung „Liturgies de communion” erwähnt, welche 1952 herausgegeben wurde. Nicht unerwähnt sei die theologische Zeitschritt „Verbum caro”, in der recht bedeutende Studien erschienen, darunter: Paquier, Le fondement christologique de la Liturgie.

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LeerDaß in diesen Jahren die Liturgie der reformierten Genfer Kirche eine gründliche Umarbeitung erfuhr, wobei die in den erwähnten Arbeitsgemeinschaften gewonnenen Erkenntnisse Beachtung fanden, sei nur kurz erwähnt. Ebenso wichtig ist, daß in den Gemeinden gottesdienstliche Erneuerung Platz griff, wenn auch nicht überall in dem Ausmaß, wie es Pfarrer Amiguet in seiner Kirche zu St. Jean in Cour-Lausanne verwirklicht hatte. Die kirchlichen Räume gewannen mehr und mehr das Aussehen von echten Kulträumen, immer häufiger wurde das Kreuz oft in großer Gestalt hinter dem Abendmahlstisch aufgerichtet, so etwa im neuen „Temple” zu Clarens. Man ist im Begriff, nicht wenig von dem zurückzugewinnen, was einst etwa durch den Feuereifer Farels abgebrochen worden war. Man sagt immer weniger im Volk „aller au sermon”, dafür mehr und mehr „aller au culte”. Was schon Vinet in seiner Pastoraltheologie betont hatte, daß im Gottesdienst der Gemeinde die Anbetung, also Lobpreis des Herrn, Gebet und Danksagung voranstehen sollen, findet mmer mehr seine Verwirklichung.

LeerEs muß aber auch gesagt werden, daß bei all den genannten Bestrebungen von Romantik nicht die Rede sein kann. Denn es handelt sich nicht um Repristination, wie man es gewöhnlich denkt, wenn man glaubt, „katholisierende Neigungen” feststellen zu sollen. Davon hört man bezeichnenderweise so gut wie nichts. Dafür ist ein anderes zu beachten: Schon der erwähnte Pfarrer Amiguet hatte ein auch für seine Zeit außerordentliches soziales Interesse. Sein Herz schlug für das Volk, zumal die Armen im Volk. Man hat dem Gottesdienst in den genannten Kreisen darum so großes Interesse entgegengebracht, weil darin sichtbar werden soll, daß die Kirche Jesu Christi Bruderschaft ist. Aber man war sich schon sehr bald darüber klar, daß es mit einer Erneuerung des Gottesdienstes allein nicht getan ist, solange es nicht zur konkreten Verwirklichung dessen kommt, was die feiernde Gemeinde wesentlich ist. Sie ist nicht Zuhörerschaft, sondern leibhafte Gemeinschaft, in der jeder einzelne Glied ist. Es darf daher nicht bei einer bloßen „liturgischen” Erneuerung bleiben. Es muß zur Erneuerung der Kirche und ihrer Gemeinden kommen, und dazu vor allem zur Bildung von lebendigen Zellen, in denen beispielhaft dargelebt wird, was die Kirche werden und sein soll.

LeerSo kam es zu den auch in Deutschland bekannten „Communautes”, einer Bruder- und einer Schwesternschaft, deren gemeinsames Leben gewiß von der Liturgie her seinen Rhythmus empfängt, seinem Wesen nach aber ein Leben „in Christo” ist mit allen Folgerungen, die sich praktisch ergeben. Wir wenden uns daher der Bruderschaft zu, welche ihren Sitz in Taize les Cluny, in Burgund, unweit Mâcon, hat. Dort hat eine eher kleine Schar entschlossener Christen gewagt, ihre „vie communautaire” auf der Basis der Ehelosigkeit und der Gütergemeinschaft aufzubauen. Es ist zum Verständnis dieser Bruderschaft nützlich, auf das zu hören, was deren geistliches Haupt, Max Thurian, sagt. Er schreibt: „Es ist einfach nicht wahr, daß es genügt, schriftgemäß zu predigen, damit die Kirche lebendig sei und ihren Dienst an der Welt ausrichte. Es sei denn, man verstehe unter schriftgemäß mehr, als gewöhnlich der Fall ist, nämlich ein konkretes Geschehen, welches die unserer Zeit gemäße Modalität der Inkarnation ist. Die Erfahrung bestätigt nämlich, daß ein Pfarrer wohl als Neo-Calvinist oder Schüler von Karl Barth die reine Lehre treulich und unverfälscht predigen kann; das hindert keineswegs, daß er in einem Raum, der 500 Menschen faßt, deren vielleicht 50 zusammenbringt - wenn es hoch kommt.

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LeerWill er in einer Evangelisation „das Netz auswerfen”, so gewinnt er vielleicht zwei oder drei Seelen. Er wird den Versuch wiederholen - mit demselben Erfolg. Darüber wird er müde und findet sich mit den Tatsachen ab. Er fährt dann fort, wie seine Amtsbrüder auch, und tauft die Kinder von Ungläubigen, er gewährt vollkommen gleichgültigen Brautleuten die kirchliche Trauung und die kirchliche Bestattung verstorbenen Heiden.”

LeerDie Not der Zeit und der Kirche kann einfach nicht durch bloße Neuausrichtung des theologischen Kurses behoben werden. Die Menschen unserer Zeit verlangen nach anderem, nach Gemeinschaft nämlich. Sie sind auch bereit, dafür einigermaßen erstaunliche Opfer zu bringen. Sie verlangen nicht weniger nach Wirklichkeit. Sie haben es satt, fromme oder gelehrte Abhandlungen als geistliche Speise gelten zu lassen, wenn die Wirklichkeiten, davon sie handeln, sich nicht verleiblichen. Der Intellektualismus ist heute am Ende. Die Stunde eines biblischen Realismus hat geschlagen. Die Menschen haben wieder Sinn und Verständnis für das Gleichnis, das Symbol, das Zeichen, das Sakrament. Die Kirche kann es sich heute einfach nicht leisten, Zeuge zu sein, wie die Menschen allerwärts nach echter Gemeinschaft suchen, und dabei zuschauend abseits zu stehen. Ist sie denn nicht - wenn sie in Wahrheit Kirche ist - qualifizierte Gemeinschaft, Bruderschaft im eminentesten Sinn des Wortes? Sie hat wohl in pathetischer, wortreicher Sprache von diesen Dingen gesprochen und ist darob unglaubwürdig geworden. Woran liegt es, daß sie es nicht oder in so ungenügendem Ausmaß zur Verwirklichung dessen brachte, davon sie so beredt zu sprechen wußte?

LeerDie Kirche hat nicht ganz selten einen Weg beschritten, der scheinbar zum Ziel führte: Sie vollzog die Trennung vom Staat, konstituierte sich als Freikirche mit Bekenntnis und Kirchenzucht, sie wollte, wie das die Täufer im 16. Jahrhundert versuchten, gleichsam die Gemeinde der Erwählten mitten in der argen Welt darstellen. Wie oft aber verfiel sie dabei dem Geist des Sektierertums?

LeerEs ist bestimmt richtiger, wenn innerhalb der Volkskirche (französisch sagt man wohl richtiger „eglise de multitude”), ja innerhalb ihrer Gemeinden Bruderschaften entstehen, welche als konkretes, prophetisches Zeichen sichtbar werden lassen, was Kirche ist. Wie es von Anbeginn gewesen ist: Männer und Frauen vernahmen den Ruf des Herrn, „verließen alles und folgten Ihm nach”, so wird es immer wieder sein müssen. Die, „so mit Ernst Christen sein wollen”, brauchen sich nicht abzusondern und zur Sekte zu werden. Sie werden dennoch „alles verlassen”, werden auf Eigentum und Familie, persönliche Freiheit und Unabhängigkeit verzichten, um in Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam ihr Leben zu führen, demütig, schlicht und tapfer; in der Welt, aber als Gäste und Fremdlinge in ihr, dabei allezeit fröhlich. Ein solches „Zeichen” will Taize sein. Nicht nur in der Urzeit, auch im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte hat es dergleichen gegeben, man wird uns von Seiten der Brüder von Taize nicht nur an die Brüdergemeinde erinnern, sondern auch an. die „Messieurs de Port Royal” (17. Jahrhundert) und dann besonders an die neueren anglikanischen Orden. Urbild aber sind „die Zwölf”, die der Herr selbst berief.

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LeerMan wird fragen, wie ist dergleichen auf reformiertem Boden möglich? Man wird weniger überrascht sein, wenn man einerseits bedenkt, daß Martin Luther nicht einfach das Kloster grundsätzlich abgelehnt hat, daß Zwingli eine Bruderschaft mit geistlicher Lebensregel 1525 vorgeschlagen hat (erstes zürcherisches Predigerseminar in den Räumen des Cisterzienserklosters Kappel a/A), und das keineswegs als temporären Notbehelf; aber daß auch im Calvinismus nicht der Individualismus, sondern der Gedanke der Gemeinschaft voranstand. Es sind denn auch der Gemeinschaft von Taize die beiden Frauengemeinschaften von Grandchamp (am Neuenburgersee) und St. Etienne du Gres in Südfrankreich vorausgegangen. Um 1940 traten gerade unter dem Eindruck der „Wittenberger Artikel” (1536) in Genf einige Mitglieder des Christlichen Studentenweltbundes zu einer ersten brüderlichen Gemeinschaft zusammen. Ihr Leiter war Pfarrer Roger Schütz. Man kam zunächst alle zwei Monate zusammen zu einer Arbeit, welche die der Evangelischen Akademien in gewissem Sinne vorwegnahm.

LeerWie durch eine Fügung wurde diesem Werk ein Schloß in Burgund zur Verfügung gestellt, das Roger Schütz zunächst allein bezog. 1942 traten zwei weitere Brüder ein, welche dem Kreis bisher nicht angehört hatten. Vor der Invasion zog sich die kleine Schar nach Genf zurück, wo sie nahe am Münster eine bescheidene Wohnung bezog, kleinere Freizeiten hielt und unter der Arbeiterschaft evangelisierte. Hatte man sich in Frankreich mehr an das Vorbild von Port Royal gehalten, so jetzt an das der ursprünglichen franziskanischen Bruderschaft. Den Gottesdiensten lagen die Ordnungen des anglikanischen Prayer-Book zu Grunde. Man feierte täglich in St. Pierre. Seit dem Herbst 1944 lebt die Bruderschaft wieder in Taize, wo man das verlassene Landgut neu aufgebaut und in Betrieb genommen hat, eine Schar Kriegswaisen betreut und erzieht, sogenannte „retreats” - Freizeiten oder geistliche Wochen -, auch theologische Besinnungswochen hält und ökumenischen Geist in Studium und Gebet wie in brüderlicher Aussprache über die konfessionellen Grenzen hinweg pflegt. Wer eintritt, fügt sich im Gehorsam in die Ordnung und das Leben des Hauses ein und empfängt von der Bruderschaft die nötigen Weisungen für seine besonderen Aufgaben. Daß neben der erwähnten Tätigkeit auch Handarbeit in Haus und Küche, Werkstatt und Garten nicht fehlt, daß man geradezu von einem landwirtschaftlichen Musterbetrieb sprechen kann, der dem Bruderhaus angegliedert ist, darf nicht unerwähnt bleiben.

LeerNach einer Probezeit von mindestens einem Jahr bindet sich der Probebruder auf Grund der Markus 10,29 ff. gegebenen Verheißung des Herrn, denn Brudersein ist ein Geschenk der Gnade, der Gehorsam des Bruders und sein Verzicht auf die Güter der Welt sind seine dankbare und fröhliche Antwort auf die Gnade. Der Bruder erwählt getrosten Mutes und frohen Sinnes apostolische Armut und Ehelosigkeit. Er läßt sich genügen an dem, was ihm die Bruderschaft zu bieten hat. Die Ehelosigkeit wird nicht an sich gewertet, sondern als notwendiges Gegenstück zur Ehe gesehen: man ist entweder zum einen oder zum anderen berufen und soll aus solcher Berufung das eine oder das andere wählen, nicht aus eigener Willkür.

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LeerDie brüderliche Gemeinschaft hat ihre Voraussetzung darin, daß der Bruder für den Mitbruder „transparent” wird. Für einander offen sein, fern von aller verkrampften individualistischen Reserviertheit, die wie ein Panzer umgelegt erscheint, aber ebenso ferne von unguter Vertraulichkeit und letztlich ehrfurchtsloser Intimität. Die vor dem Pfarrbruder abgelegte Beichte wird immer wieder als außerordentliche Hilfe erfahren. In Übereinstimmung mit dem Ordinationsformular des Prayer-Book wird die Vollmacht zur Absolution auf Joh. 20, 22-23 gegründet, was wohl beachtet sein will. Der Gehorsam des Bruders gebührt dem im Rat der Brüder durch den Mund des Vorstehers offenbar gewordenen Willen des Herrn. Auch und gerade an der Regel erkennt man, wie dankbar man zurückgegriffen hat auf die großen Vorbilder der Mönchsväter, aber auch auf neuere Erfahrungen, wie die der „Veilleurs”, die Wilfred Monod ins Leben gerufen hatte. „Nicht wer von der Vergangenheit besessen, sondern in der Tiefe verwurzelt ist, kann in Wahrheit die Tradition weitergeben” (Jacques Chevalier: Die Gedankenwelt Henry Newmans).

LeerTaize ist auf die künftige Eine Kirche ausgerichtet. Es leidet unter der Zerrissenheit der Christenheit. Es will sich daher von allem lösen, was letztlich Vor-Urteil ist. Man will den ändern verstehen, achten, lieben. In dieser Haltung geht man an die biblisch-exegetische wie an die historische Arbeit, die denn auch ganz anders getan wird, als sonst üblich ist. So sehr man der eigenen, der reformierten Kirche treu sein will, so sehr teilt man brennenden Herzens das Anliegen von Tommy Fallot und Wilfred Monod, welche wünschten, unsere Kirche möchte sich als „reformierte katholische Kirche” bezeichnen. Hat das nicht schon 1644 der zürcherische Antistes Breitinger, einer der Väter von Dordrecht, in einem Kirchengebet getan? Aber gerade weil Taize in Frankreich liegt, kann es nur wünschen, daß die Kirche des Landes im Vollsinn katholisch und evangelisch sein möge.

LeerSo stellt die Bruderschaft von Taize schon das kontinentale Gegenstück zu den anglikanischen Orden etwa von St. John the Evangelist, oder von Mirfield oder Kelham dar. Man will nicht römische Vorbilder nachahmen, sondern in neuen, durch die Gegenwart bedingten Voraussetzungen einer altkirchlichen Aufgabe gerecht werden, die darum überzeitlich ist, weil es zu allen Zeiten Menschen gibt, die in echter Weise zum gemeinsamen Leben berufen sind. Es dürfte hier an die „Brüder vom Gemeinsamen Leben” erinnert werden, wie sie im Rahmen des Schweizer Diakonie-Vereins seit Jahrzehnten bestehen. Damit, daß man die Gefahren erkennt, welche auch auf diesem Wege durchaus bestehen, kann eine Ablehnung des Weges nicht begründet werden. Wir haben die Gewohnheit, über dergleichen zu theoretisieren. Taize geht den Weg der Verwirklichung. Die Treue dem Erbe der Reformation gegenüber wird sich darin zeigen, daß alle Dinge unter das Licht des göttlichen Wortes und unter die Zucht des Heiligen Geistes gestellt werden. Es ist der Ort, an dem ökumenische Weite in die reformierte Kirche einziehen will, sie zu befreien von allem, was sie mit sektiererischer Verhärtung bedroht, aus der sie zu echtem ökumenischem Gespräch unfähig werden müßte. In den Tagen, da „das Ende aller Dinge nahe herbeigekommen” war, sind der Kirche Christi die großen Orden geschenkt worden. Ihre Häuser standen wie Burgen in der Welt, darin der köstliche Schatz inniger Liebe zum kommenden Herrn wie zu seinen Brüdern, lobpreisender Dankbarkeit und unerschütterlicher Hoffnung auf Sein kommendes Reich treu gehütet und bewahrt wurde. Dessen bedarf auch die Kirche unserer Tage.

Quatember 1953, S. 149-154


© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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