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Die Heidenheimer Bruderschaft
vom gemeinsamen Leben

von Georg Weiß

LeerVor mir liegen verschiedene Nummern eines privaten Mitteilungsblattes, das den Titel trägt „Oekumenischer Christusdienst” [Jetzt im Internet]. Unter dieser Überschrift ist die Weltkugel abgebildet, umgeben von der Dornenkrone und bedeckt vom Monogramm Christi. Links davon steht „Joh. 3, 16” und rechts davon „Joh. 17, 18-23” und darunter neben der Angabe das Datum und der Nummer „Quatemberbote”! Dies letzte allein wäre schon Anlaß genug, im „Quatember” davon zu berichten. Da das schlichte Blättchen schon seit 1949 von einem Quatember zum anderen erscheint, wird es Zeit, daß unsere Leser davon erfahren und diesen anderen „Quatember” als Zeichen dafür nehmen, daß Personenkreise, die ähnliches anstreben, auch in Äußerlichkeiten, ohne sich über sie vorher geeinigt zu haben, auf ähnliche Ideen kommen.

LeerWelcher Personenkreis steht hinter diesem Blatt? Was ist der „Oekumenische Christusdienst”? Er ist „nach Gottes Führung und Willen keine Organisation. Er wird von keinem Komitee gebildet oder geleitet. Er stellt lediglich eine Gesinnung und einen daraus hervorgehenden Dienst von gläubigen Menschen dar, die sich von Jesus Christus dazu gerufen wissen. In dieser Gesinnung weiß sich der Oekumenische Christusdienst unzertrennlich eins mit allen echten Christen und mit allen Glaubenswerken und Glaubensgemeinschaften, vor allem aber mit solchen, die keine selbstsüchtigen Partei-Interessen kennen und nur das wahre Heil in Jesus Christus zum Wohle der ganzen Menschheit und Schöpfung im Auge haben...”

LeerLiest man diese sehr allgemein klingenden Selbstbeschreibungen, so fragt man: Aber irgendwie muß der Oekumenische Christusdienst doch organisatorisch faßbar und sichtbar sein? Wer gibt denn diesen Quatemberboten heraus? Das ist „die Vereinigung vom gemeinsamen Leben im oekumenischen Christusdienst” mit dem Sitz in Heidenheim in Mittelfranken. Dieser Marktflecken liegt, fernab von jeder Bahnverbindung, auf einem Höhenzug des Fränkischen Jura, dem „Hahnenkamm”. Das alte romanische Gotteshaus, nunmehr die Pfarrkirche des Ortes, läßt den Besucher sofort ahnen, daß er hier auf kirchengeschichtlich bedeutsamem Boden steht. Wilhelm Löhe schreibt von Heidenheim am Hahnenkamm: „Leser, kennst du die Höhen, die über das Tal der Wörnitz und Altmühl sich erheben? Dort lebten unsere Wohltäter, die Brüder Willibald und Wunibald, die Gründer des Christentums in jenen Gegenden, dort ihre Schwester Walburgis, alle drei Königskinder aus England, von ihrem Oheim Bonifatius in die stille Wildnis gerufen”.

LeerDort also hatte schon vor dem Krieg der deutsche Zweig der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben sein Vereinshaus St. Wunibald. Die Gestapo enteignete es gewaltsam. Inzwischen ist es lediglich als Mietshaus zurückerstattet worden. Die Hoffnung der Bruderschaft, es für Freizeiten und als Stätte ihres gemeinsamen Lebens zurückzuerhalten, hat sich zerschlagen. Die Aussichten, es frei zu bekommen, sind geringer denn je. Dafür konnte die Bruderschaft 1951 in München-Giesing ein Haus mieten, das bei der Übernahme allerdings noch das Aussehen und den Geruch einer kurz zuvor geräumten chemischen Fabrik trug. Das erste, was die Brüder beim Einzug taten, war, daß sie die Hauskapelle mit dem Altar einrichteten, um die heilige Eucharistie feiern zu können.

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LeerEs wohnen etwa 10 Brüder dort (die Zahl schwankt). Der Tageslauf beginnt werktags um 5 Uhr morgens mit Gebet und Gotteswort, freitags schon kurz nach 4 Uhr mit anschließender Eucharistie-Feier, wozu sich sogar schon einige Gäste aus der Stadt einfinden. Als Weckruf und Morgengruß singt ein Bruder im Schlafraum „Gelobt sei Jesus Christus”, worauf die Erwachenden gleich antworten: „In Ewigkeit. Amen.” und schweigend macht sich die Brüderschar für das gemeinsame Morgengebet fertig. Am Sonntag darf etwas länger geruht werden, damit auch der Leib an der Sonntagsruhe teil habe. Gemeinsame Mahlzeiten finden dreimal am Tage statt mit Ausnahme des Freitags, wo morgens ans Dank und Liebe auf die erste Mahlzeit verzichtet wird.

LeerDie Brüder arbeiten teils in einer Fabrik, teils im Hause. Zwei betreiben dort ein pharmazeutisches Labor als Offene Handelsgesellschaft. Ihren gesamten Verdienst liefern sie an die Bruderschaft ab. Sie sind alle ehelos. Ihre Tracht, eine schwarze Dienstbluse, tragen sie gewöhnlich nur am Sonntag. In Deutschland gibt es im ganzen nur 15 solcher lediger Brüder; sie sind ausschließlich in Heidenheim und München stationiert und gehören der Landeskirche oder evangelischen Freikirchen an.

LeerIn der Schweiz ist die Bruderschaft größer an Zahl. Dort ist sie im Jahre 1905 entstanden. Bald nach ihrer Gründung bildete sich neben ihr eine Schwesternschaft sowie ein „dritter Orden”, die Geschwisterschaft. Alle drei Gruppen sind zusammengefaßt im „Schweizerischen Diakonieverein”. Der räumliche Mittelpunkt dieser Körperschaft ist die Krankenanstalt Nidelbad in Rüschlikon bei Zürich mit dem Diakonenhaus St. Stephanus.

LeerAußerdem gibt es eine Station in Holland. Von dort haben sich im ausgehenden Mittelalter auch die „Brüder vom gemeinsamen Leben” verbreitet, jene von Luther so hochgeschätzten Leute, zu denen auch der bekannte Thomas von Kempen gehörte, der Verfasser der „Nachfolge Christi”. Auf sie greifen die heutigen Brüder vom gemeinsamen Leben bewußt zurück: „Wer jene mittelalterliche Genossenschaft ein wenig kennte, der wüßte bereits ein gut Teil von dem, wie sich das Leben der heutigen Brüder gestaltet.” Die damalige und die heutige Bruderschaft kennt keine feste Ordensregel. Die Heilige Schrift, besonders die Lehre, das Leben und das Vorbild Christi sind ihre „Regel”. Im Anschluß an die alte Kirche begeht die Bruderschaft nach bestimmten Ordnungen ihre liturgischen Andachten und die Feier der heiligen Eucharistie. Alljährlich im Juni wird ein Kirchentag gehalten, zu dem sich Christen, auch Theologen, aller Konfessionen einfinden. Die Bruderschaft nimmt lebhaft Anteil an der ökumenischen Bewegung, an der Evangelischen Allianz und an der Bewegung „Una Sancta”. Besonders eng ist die Verbindung mit der „Marien-Schwesternschaft” in Darmstadt und mit der „Christusbruderschaft” in Selbitz.

LeerUm alle Menschen, die eine Berufung zum gemeinsamen Leben erkennen, zu erfassen, gliedert sich die gesamte Körperschaft in nicht weniger als 11 Unterteilungen, die zum Teil Namen aus der mittelalterlichen Bruderschaft tragen:
  1. Kinderbund vom gemeinsamen Leben,
  2. Jugendbund v. g. L.,
  3. Freunde v. g. L.,
  4. Kleriker v. g. L.,
  5. Brüder und Schwestern vom guten Willen,
  6. Kanoniker und Kanonissen v. g. L.,
  7. Devoten v. g. L.,
  8. Ordensleute v. g. L.,
  9. Genossenschaften v. g. L.,
  10. Begharden v. g. L.,
  11. Witwer und Witwen v. g. L.
LeerIn einer Betrachtung über das Wesen der Bruderschaft finde ich folgende Erkenntnisse: „In der heiligen und unzertrennlichen Einheit von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist, sehen die Glieder der Bruderschaft die Wahrheit des in der Bibel bezeugten göttlichen, Einen, vollkommenen Lebens (Matth. 5, 48), das auch uns geboten ist. Und darum könnte man sie auch Brüder und Schwestern von der Heiligen Dreifaltigkeit nennen. Das gemeinsame Leben wendet sich von Gott ausgehend zu Gott in ewiger Liturgie als wahrem Gottesdienst, zur Menschheit in allumfassender Diakonie und verbindet in Christus Jesus die Menschheit in sich selbst. So ist es verständlich, daß die Bruderschaft in ihrem Wesen keine bloße Organisation sein kann mit eingeschriebenen Mitgliedern und rechtlicher Ordnung, sondern diese äußeren Mittel und Wege stehen im Dienste des wahren gemeinsamen Lebens, jenes übernatürlich-natürlichen Organismus, an dem man nur dienend teilhaben kann.”

LeerUns scheint zwar, daß in diesem Bekenntnis etwas vorschnell die widerstreitenden Elemente dieser Welt in allumfassender Liebe harmonisiert werden, aber darin wissen wir uns mit der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben eins, daß „der alleinige Grund und das ewige Vorbild der Bruderschaft das Geheimnis des Dreieinigen Gottes ist”.

Quatember 1953, S. 168-169

[Ökumenischer Christusdienst]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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