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Quatember und Bruderschaft
von Erich Müller-Gangloff

LeerAls wir vor einem Jahr über die künftige Gestaltung der „Evangelischen Jahresbriefe” berieten, war es einer der wichtigsten Grundgedanken, der uns den Mut zu einem neuen Anfang gab, die neue Zeitschrift müsse sich zum Fürsprech jener weltweiten bruderschaftlichen Bewegung machen, die eines der deutlichsten Zeichen dafür ist, daß Gott auch heute mit seinem Volke noch etwas vor hat. Der Gedanke an diese bruderschaftliche Aufgabe in einem ganz umfassenden Sinne ist älter als der Name „Quatember”, und entsprechend haben wir uns bereits in den beiden bisher erschienenen Heften bemüht, in grundsätzlichen Beiträgen sowie in Berichten über Taizé-les-Cluny, Grandchamp / Eau vive und die Untermühle unseren Lesern etwas über diesen Gegenstand zu sagen. Für unser drittes Heft, das zum Feste Johannes des Täufers erscheint und daher unter dem Gedanken der Heiligung steht, liegt das Thema „Bruderschaft” besonders nahe. Daher haben wir das ganze Johannisheft diesem Thema gewidmet, das unter den verschiedensten Gesichtspunkten betrachtet und behandelt wird.

LeerEs überstieg allerdings bei weitem unsere Möglichkeiten, etwa in einem schmalen Zeitschriftenheft den bruderschaftlichen Gedanken in seiner ganzen Breite zu entfalten. Dazu hätte ein Aufsatz über die Laienbruderschaften des späten Mittelalters gehört, wie wir ihn auch vorgesehen und erbeten, aber leider nicht erhalten haben. Auch einen Beitrag über die Bedeutung der Orden in der anglikanischen Kirche haben wir leider vergeblich erbeten, ebenso einen umfassenden Bericht über das, was es heute in Frankreich über Taizé-les-Cluny hinaus an „communautairer” Bewegung gibt. Unsere Freunde aus den dänischen Bruderschaften haben uns Berichte über ihre Arbeit für eines der nächsten Hefte in Aussicht gestellt, und einige sehr instruktive und wertvolle Berichte, die uns bereits vorliegen, mußten wir leider aus Raummangel für das Michaelisheft zurückstellen.

LeerWir glauben jedoch, das Spektrum dieses Heftes sei auch ohnedies breit genug, und wir zweifeln nicht, daß es diesem oder jenem kritisch Lesenden sogar um einiges zu breit erscheint. Denn von den Ordensbildungen im romanischen Kalvinismus bis zum Bemühen der katholischen Kirche um ganz neuartige, ausgesprochene Laienorden scheint es ein ebenso weiter Weg wie von den unversehens mitten unter uns wiedergekehrten „Brüdern vom gemeinsamen Leben” bis zu den indischen Ashrams.

Linie

LeerUnd wenn wir gar die Linien ausziehen und daran denken, daß es heute in Indien bereits auch benediktinische - also römisch-katholische - Ashrams gibt, anderseits aber diese besondere klösterliche Gemeinschaftsform von Stanley Jones, dem methodistischen Asienmissionar, in seine amerikanische Heimat verpflanzt worden ist, wo es heute in Michigan und am Pazifik eine Reihe solcher Ashrams gibt, möchte gar die ganze bewohnte Welt - die Oikumene im Urverstand des Wortes - in unserem bruderschaftlichen Spektrum erscheinen.

LeerWenn in einem Berichtsbeitrag von Israel gesprochen wird, erinnert uns das daran, daß auch die jüdischen Kibuzzim von heute, die Gemeinschaftsdörfer der Zionisten, als allerdings sehr weltlich angelegte Ordensgestalt ebenfalls in diesen Zusammenhang gehören. All das zeigt nur, daß wir unser Thema schwerlich je erschöpfen werden.

LeerNur auf zwei Tatsachen soll an dieser Stelle noch besonders hingewiesen und aufmerksam gemacht werden. Zunächst auf eine merkwürdige zeitliche Gleichläufigkeit: in Grandchamp wurde im gleichen Jahr 1931 die erste Retraite gehalten, in dem in Marburg die Evangelische Michaelsbruderschaft begründet wurde, und die Anfänge von Taizé gehen in die gleiche Zeit zurück. Die ersten indischen Ashrams evangelischer Prägung aber wurden, wie der in diesem Heft wiedergegebene Bericht zeigt, um eben die Zeit eingerichtet, in der sich bei uns die ersten „Berneuchener” sammelten. Sollten wir das nicht als Zeichen dafür ansehen dürfen, daß hier unabhängig von aller Willkür und Zufälligkeit, die die einzelnen Bemühungen kennzeichnen mag, etwas geschehen ist und weiter geschieht, was einer ganz tiefen Not unserer Zeit antwortet, ja daß sich in alledem vielleicht sogar eine entscheidende Wende in der Geschichte des Volkes Gottes ankündigt und anbahnt?

LeerWir können die Frage an dieser Stelle unmöglich beantworten und begnügen uns daher mit dem Hinweis auf einen weiteren merkwürdigen Zusammenhang, der uns auch mehr als zufällig erscheint und zudem ganz unmittelbar zum Thema „Quatember und Bruderschaft” gehört. Georg Weiß hat in seinem Bericht über die Heidenheimer Brüder vom gemeinsamen Leben das beinahe schon kurios anmutende Faktum erwähnt, daß das Mitteilungsblatt dieser fränkischen Bruderschaft mit seinem Untertitel „Quatemberbote” heißt.

LeerDiese Tatsache wurde von uns erst entdeckt, nachdem wir uns schon eine Reihe von Monaten vorher für die Wahl des Titels Quatember für die Evangelischen Jahresbriefe entschieden hatten und unser erstes Quatemberheft bereits umbrochen wurde. Es hat uns also bei unserer Wahl in gar keiner Weise bestimmt, hat uns allerdings dann sehr in unserer Namenswahl bestärkt.

LeerOffenbar gibt es eine innere Beziehung zwischen allem Bemühen um Bruderschaft und dem Kirchenjahr, mit anderen Worten: zwischen der Ordensgestalt des Gottesvolkes und dem Gottesjahr. Auch diesem Gedanken soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Möchte ihn der Leser selber meditieren und möchte er dabei die Anregungen nicht verschmähen, mit denen ihn das exzerpierte Buch von Friedrich Strauß über die quatuor tempora bis in die heidnischen und jüdischen Ursprünge des Kirchenjahrs zurückgeleitet.

Quatember 1953, S. 191-192

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-05
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