|
von Wilhelm Stählin |
Der Schriftleiter unserer Blätter hat das letzte Heft des vorigen Jahrgangs als eine besondere Gabe zu meinem Geburtstag gestaltet, und eine Reihe von Mitarbeitern haben mit ihren Beiträgen dazu mitgeholfen, diesen Gedanken zu verwirklichen. Da dieser persönliche Anlaß damit ohnehin der privaten Sphäre entrückt und ein weiterer Kreis der Mitarbeiter und Leser daran beteiligt worden ist, darf ich wohl auch an dieser Stelle sagen, mit wie großer Dankbarkeit ich alle diese Stimmen, von dem Grußwort von D. Dibelius bis zu den persönlichen Erinnerungen, die Ritter als der Freund und Weggenosse vieler Jahre beigesteuert hat, in mich aufgenommen habe. In der Vielzahl der Briefe und Grüße, die mich zu diesem Tag erfreut haben, und in der auch dadurch erweckten Rückschau auf diese nun dahinten liegenden Jahrzehnte hat mich nichts so sehr bewegt wie der Eindruck, den fast alle diese sehr verschiedenartigen Briefe bestätigen, wie sehr bei der großen Verschiedenheit der Lebenskreise, in denen ich habe stehen und arbeiten dürfen, eine gemeinsame Linie erkennbar ist, die ohne einen eigentlichen Bruch von den Jahren der Jugendbewegung - viele Briefschreiber versicherten mir, daß der Verfasser von „Fieber und Heil” für sie eine entscheidende Rolle gespielt habe - über die Nürnberger Jugendgottesdienste und die akademischen Vorlesungen in Münster zu den Aufgaben einer kirchlichen Erneuerung führt, der ich als Bischof einer lutherischen Kirche dienen wollte, und der auch diese unsere Zeitschrift und mit ihr unsere gesamte Berneuchener Arbeit gewidmet ist. In gewissem Sinn ist unser Faltblatt „Was will Berneuchen?” nebenbei und ganz unbeabsichtigt ein Stück Autobiographie, oder anders herum gesagt: Es mündet nicht nur mein, sondern vieler Freunde langer und scheinbar oft gar nicht geradliniger Lebensweg in diesen Aufruf zum Dienst an der Kirche-, und der Bogen darf nicht weniger weit gespannt sein, ah es eben durch die Aufgabe leibhafter Verwirklichung der christlichen Existenz in unserem irdischen und geschichtlichen Raum gefordert und verheißen ist. Mein inniger und tief aus dem Herzen kommender Dank gilt allen denen, die durch ihre persönlichen Grüße, durch ihr Wort in dem Quatemberheft und nicht am wenigsten durch ihre Mitarbeit und ihre Mithilfe an der Festschrift „Kosmos und Ekklesia” bezeugt haben, daß sie bei aller beglückenden Verschiedenheit im Einzelnen auf dem gleichen Wege sind. In den Tagen, in denen diese Zeilen geschrieben werden, jährt sich zum 400. Mal, daß in Genf auf Calvins Betreiben, jedenfalls mit seiner Billigung, Michael Servet als Leugner der Heiligen Trinität verbrannt wurde. Ich bin dem westfälischen Pfarrer dankbar, der mich auf diesen fragwürdigen Gedenktag aufmerksam gemacht und mich angeregt hat, dazu ein Wort zu sagen. Freilich: Welcher Art kann ein solches Wort überhaupt sein? Mit geschichtlichen Erinnerungen, wer der damals als Ketzer Verurteilte gewesen ist und mit welchen theologischen Begründungen ein Reformator wie Calvin die physische Austilgung eines solchen Irrlehrers für richtig und notwendig gehalten hat, nein, mit solchen Erklärungen würden wir uns ja nur auf die bequeme Position des zeitlichen Abstands zurückziehen und danach in der vornehmsten und wissenschaftlich anständigsten Form versichern: Ich bin es nicht gewesen, und ich halte es nicht für richtig, was damals geschehen ist. Das Recht zu solcher Selbstrechtfertigung ist mit jenem Wort von der Irreformabilität geschichtlicher Entscheidung nicht gemeint. Es ziemt uns vielmehr, uns dazu zu bekennen, daß wir an unserem geschichtlichen Ort in die gleiche Verantwortung für die reine Lehre, für die Verteidigung der Wahrheit, für die Überwindung alles falschen Denkens gestellt sind, und daß insbesondere die Frage nach dem rechten Verständnis der Dreieinigkeit Gottes unter uns neu erwacht und ah eine entscheidende Aufgabe theologischer Arbeit erkannt ist. Keine schwächliche Toleranz, die verständnislos vor der Calvinischen Leidenschaft steht und es überhaupt ablehnt, über solche Fragen des Glaubens ernsthaft zu streiten, wird jemals die Flammen dieses oder irgend eines anderen Scheiterhaufens auslöschen, sondern allein eine innigere Verbindung der gleichen Leidenschaft mit einer größeren Ehrfurcht und Liebe. Es ist durchaus eine Entwicklung zu denken, zu bejahen und zu fördern, die dahin führt, daß sich evangelische Christen keineswegs verlegen entschuldigen für das, was an Servet geschehen ist, sondern im Gedenken an alle die vielen Tausende, die, wenngleich weniger offenherzig und weniger fanatisch, aber eben doch auch den Glauben an die Dreifaltigkeit Gottes bei Seite setzen, mit um so größerer Inbrunst zu erfassen suchen, was jener Glaube meint und besagt. Würde in einer solchen trinitarischen Theologie nicht auch das Ereignis vom 25. Oktober 1553 ein anderes Vorzeichen und eine andere geschichtliche Bedeutung gewonnen haben? Das zweite Beispiel ist ganz anderer Art. Die Geschichte von der Austreibung der evangelischen Salzburger durch den Fürstbischof Firmian und die Aufnahme der Emigranten in Preußen und anderen deutschen Ländern ist in unser aller Erinnerung. Auch dieses gehört, wie es am Tage ist, zu jenen Entscheidungen, die nicht zurückgenommen werden können. Aber was bedeutet es nun, wenn bei der Feier des 75jährigen Bestehens der evangelischen Gemeinde in Salzburg der (selbstverständlich katholische) Landeshauptmann von Salzburg verkündete, daß das Land Salzburg künftig einigen Studenten, die sich als Nachkommen jener um des Glaubens willen Vertriebenen ausweisen können, Stipendien für ihr Studium an österreichischen Universitäten, und Kindern aus jenen Geschlechtern einen kostenlosen Ferienaufenthalt im Lande Salzburg gewähren will? Geschieht hier nicht offenbar etwas wirklich Neues, durch das jenes Ereignis in einen neuen und unserem konfessionellen Denken noch sehr ungewohnten Zusammenhang gefügt wird? Das alles will sagen: Die Frage nach der Widerruflichkeit oder Unwiderruflichkeil geschichtlicher Entscheidungen ist falsch gestellt. Die allein mögliche, vielleicht um so wichtigere Frage ist die, ob wir lebendig und bußfertig genug sind, an unserem Ort und in unserer Stunde Entscheidungen so zu fällen, daß sie nicht einfach wiederholen oder dem widersprechen, was früher einmal gesagt oder getan worden ist, sondern das unwiderruflich Geschehene, aber ebenso unwiderruflich Vergangene einem neuen Geschehen dienstbar zu machen. Ich warne vor diesem Verfahren, das in Wahrheit gar nicht „schlicht”, gar nicht einfältig ist. Quatember 1954, S. 58-61 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-11-02 Haftungsausschluss |