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Vom Gründonnerstag zur Osternacht
von Fritz Leist

LeerOstern ist das höchste Fest des Jahres. Die Heilige Nacht ist nicht die Weihnachtsnacht, sondern die Osternacht. Eine solche Feststellung nötigt zur Überlegung, ob sich die liturgische Ordnung und das praktische Verhalten in Volk und Gemeinde decken.

LeerUnsere Überlegungen gehen nicht von der Geschichte aus, wie die Osterfeier sich innerhalb der Christenheit entfaltet hat. Wir ziehen die liturgischen Bücher der römisch-katholischen Kirche heran, die eine Auskunft über die Struktur der Osterfeier vermitteln können. Wir sind der Meinung, daß die heutigen liturgischen Zeugnisse durchaus ausreichen, um das Wesensgesetz der gesamten Feier wiederzugeben, um aus ihr die eigentliche Struktur zu erkennen.

LeerDie Mitte der Feier ist die Osternacht. Sie ist die Begehung der Auferweckung Jesu, seiner Rückkehr aus dem Grab in neues, verwandeltes Dasein. Von dieser Begehung strahlt die Feier aus, und zwar in die Tage nach rückwärts, in die sogenannten Kartage, wie in die Wochen nach vorwärts, in die Zeit der Pentekoste, in die fünfzig Tage, die mit Pfingsten abschließen. Wenn es zutrifft, daß die Osterfeier, genauer die Feier der Osternacht, die Mitte der gesamten festlichen Zeit ist, dann kann man schon jetzt das Gesetz erraten, das wirkt, wenn diese Feier praktisch nicht mehr im Mittelpunkt steht.

LeerDie Feier der Osternacht ist ein vielschichtig gegliedertes Gebilde. Das neue Licht wird angezündet und in die dunkle Kirche getragen. Im Verlauf der Preisung wird die große, eigens dazu angefertigte Kerze angezündet, und nach einer Weile empfangen alle Lichter in der Kirche von ihr ihr Licht. Dem Vigilgottesdienst folgen die Weihe des Taufwassers und die Taufe. Erst nach der Taufe schließt sich der letzte Akt an, die Eucharistiefeier, das Mahl mit dem auferstandenen Herrn, die Begehung seines Todes und seiner Auferweckung in diesem Mahl. Odo Casel dürfte als erster darauf hingewiesen haben, daß in der Urkirche die Vigilfeier als ein Warten begangen wurde, ob der Auferweckte in dieser Nacht käme und im Morgen des neuen Tages der Nacht der Welt ein Ende setze. Verging die Wache der Nacht, ohne daß der Herr erschien, so feierten sie mit ihm das Mahl, seine Parusie vorwegnehmend, getreu der Anweisung des Paulus: „So oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis daß er kommt.”

LeerDie Nacht ist die Zeit der Feier. In dieser Nacht wird das neue Licht entzündet, die Osterkerze, das Zeichen Christi, des Lichtes, errichtet. In dieser Nacht wird das Wasser der Taufe bereitet und die Taufe als neue Geburt begangen. In dieser Nacht wird das eucharistische Mahl vollzogen und diese Mahlfeier begonnen mit dem Alleluja, das in der Quadragesima ausgesetzt wurde. Die gesamte nächtliche Feier aber steht in der Bezogenheit auf die Parusie des Herrn. Von dieser Bezogenheit, von dem Warten auf das Erscheinen des Herrn in Macht und Herrlichkeit, gewinnt die Feier ihr letztes Gewicht.

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LeerDie Stunden des Tages sind nicht beliebig, so ist es auch nicht beliebig, die Feier der Auferweckung in der Nacht zu begehen. Jede Tagesstunde, der Morgen, der Mittag, Abend und Nacht stellen geistliche Möglichkeiten dar. In dieser Nacht verdichtet sich das Gesamt der Heilsgeschichte. Diese Heilsgeschichte rühmt das geisterfüllte Lied des Exsultet, deshalb so benannt, weil die ganze Schöpfung aufgerufen wird, einzustimmen in den Jubel über das, was in dem Fortgang heiliger Nächte geschah, angefangen in jener Nacht, da das erste Israel durch das Meer flüchtete und von Ägyptens Macht errettet wurde, hinauf zu jener Nacht, an deren Ende der Herr aus dem Grab hervortrat, bis hinein in unsere Nacht, die die Verdichtung all dieser heilspendenden Nächte ist.

LeerAllein die Nacht ist, streng genommen, die Feier der Auferweckung Jesu. Der helle Tag feiert das andere Geheimnis: die Eucharistiefeier und die Vesper des Ostertages feiern die Erhöhung des Auferweckten zum Vater, was die Texte eindeutig bezeugen. Die Rückkehr aus dem Grabe in neues Dasein war Durchgang zu jenem Stand, in dem Jesus als der Gekreuzigte und Auferweckte sich jetzt befindet. Gefeiert wird am österlichen Tage die Erhöhung Jesu zum Herrn und Kyrios. Gefeiert wird der Hineingang in die Verborgenheit Gottes, gefeiert wird sein Sitzen zur Rechten des Vaters. Doch indem diese Heilsereignisse gefeiert werden, wird gleichfalls gefeiert unser Heil; denn für uns geschieht dieses, und wir sind einbezogen in Auferweckung und Erhöhung. Eine Wende der Welt wird gefeiert, eine Wende, die anhob mit dem Einmaligen und Unvergleichlichen, daß einer von uns aus dem Tod zurückkehrt, daß einer von uns hineingenommen ist in Gottes Herrlichkeit, daß einer von uns der Herr ist. Dieses Unvergleichliche, diese Wende ist das Festereignis, das die Kirche innerhalb von fünfzig Tagen je und je feiert. Feiern aber heißt: in das hinein nun sich die Feiernden geistlich vertiefen, in dessen Tiefe sie mehr und mehr hineingeholt werden sollen. Diese Wende wird gefeiert, und noch die Lesung der Osternacht spricht davon: „Wenn ihr mit Christus auferstanden seid, so suchet, was droben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt.” Die fünfzigtägige Festzeit beginnt mit dem Ostertag und endet mit Pfingsten. Pfingsten ist nach dem Gesetz der Osterzeit kein eigenes Fest, sondern der Abschluß jener Feier, die die Wende zu einer neuen Welt, zu einem neuen Dasein begeht.

LeerDie Feier der Osternacht ist nicht nur das höchste Fest des Kultjahres, sondern eigentlich der Anfang jedes Jahres, in dem Gott Heil schenkt. Nur wenn die Nachtfeier richtig verstanden ist, vermag sie den Tagen vorher ihre richtige Wertung zu verleihen.

LeerDie Bedeutung der Kartage läßt sich wie die Bedeutung der Pentekoste nur verstehen aus ihrem rechten Bezug zur Feier in der Osternacht. Diese nächtliche Feier ist der treibende und gestaltende Impuls. Daher sind der Gründonnerstag, der Karfreitag und der Karsamstag ohne einen Bezug oder ohne den klaren Bezug zu dieser Feier nicht verständlich. Wenn wir den Sinn der Osternacht verstehen, wird uns zugleich verständlich, warum diese Feier in die Feier vorher und nachher ausstrahlte, warum sie aus sich entließ vor allem die Begehung der drei Kartage. Es dürfte sich mit der Osterfeier und ihrem Verhältnis zu den Kartagen ähnlich verhalten wie in den Evangelien mit der Begegnung des auferweckten Herrn zu der Ausfaltung der Leidensberichte. Aus der Begegnung mit dem auferweckten und erhöhten Herrn empfangen die Leidensberichte ihre Gestalt und ihre eigentliche Verklammerung. In gleicher Weise verhält es sich mit der Osternacht zu den drei Kartagen. Die liturgischen Namen dieser Tage verweisen auf den Bezug. Bekanntlich zählt die kultische Zählung vom Herrentag, der der erste Tag der Woche ist, die Woche durch, und erhalten die einzelnen Tage, außer dem Samstag, der Sabbatum heißt, keinen eigenen Namen.

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LeerSo ist der Montag feria secunda, der zweite Tag, der Dienstag feria tertia u. s. f. Der Gründonnerstag heißt kultisch feria quinta in coena domini. Der fünfte Tag jener Großen Woche, wie die Gesamtwoche liturgisch heißt, in der der Herr sein Todesleiden begann. Jener unvergleichliche fünfte Tag in einer Woche, an dessen Abend er das Mahl zu seinem Gedächtnis gestiftet hat. Ebenso heißt der Karfreitag feria sexta in parasceve. Wiederum eine einfache Zählung, die sich nur in ihrem Bezug auf Ostern verstehen läßt. Ein sechster Tag einer Woche, aber dieser sechste Tag unvergleichlich, der der Rüsttag war für das Paschafest, und der einmal in den Jahrhunderten zugleich der Todestag Jesu Christi war. Der dritte der drei Vortage heißt einfachhin sabbatum sanctum. Seitdem Gott ruhte und seitdem er zum Gedächtnis, daß alles gut war, jenen Tag der Ruhe als siebenten Tag gesetzt hatte, folgten viele Tage des Sabbats; nur ein einziger Tag trägt den Namen sabbatum sanctum. Heilig ist er, weil an diesem Tag Gottes heiligende Macht wirkte, und weil in der Folge dieses Tages sich diese heilige Macht als die Macht des Lebens erwiesen hat. Heilig nicht zuletzt auch deswegen, weil in einer unvergleichlichen Weise auch dieser Tag ein Tag der Ruhe war, der Ruhe Jesu, unseres Erlösers.

LeerUnter diesen drei Tagen ist der komplizierteste, wenn wir so sagen dürfen, der Gründonnerstag. Er hat eine große Zahl verschiedenartiger kultischer Begehungen an sich gezogen. Unser deutscher Name Gründonnerstag wird von Greinen abgeleitet. Greinen heißt Weinen und wird darauf bezogen, daß am Morgen dieses Tages die Büßer in die Gemeinschaft des Mahles wieder aufgenommen werden, aus der sie am Aschermittwoch ausgeschieden waren. Das Pontificale der römischen Kirche enthält noch beide Begehungen, jene der Trennung am Aschermittwoch und jene der Aufnahme am Gründonnerstag, die aber heute nicht mehr gefeiert werden. Nach der heutigen Ordnung beginnt die Feier mit der Eucharistie. Ihr folgt die Fußwaschung, die großenteils ebenfalls ausfällt. Die Bischofskirchen haben ferner noch die Weihung der heiligen Öle. Der Karfreitag hat demgegenüber eine einfachere Struktur. Die Feier ist ein geistliches Fasten, indem nämlich am Todestag des Herrn auf die Begehung der Eucharistie verzichtet wird und nur ein einfacher Lesegottesdienst stattfindet. Der Text des Liedes, der zur Kreuzesenthüllung gesungen wird, zeigt, wie stark die Verklammerung von Kreuz und Auferweckung, von Karfreitag und Osternacht ist. Das Lied heißt: „Seht das Holz des Kreuzes, an dem das Heil der Welt gehangen. Kommt, laßt uns anbeten.” Noch stärker ist die Beziehung des Kreuzes zur Auferweckung, des Karfreitags zur Osternacht in einer Antiphon, die anschließend in den Wediselgesängen gesungen wird: „Dein Kreuz verehren wir, o Herr; wir preisen und verherrlichen deine heilige Auferstehung.”

LeerNach dieser Verehrung folgt die sogenannte Missa praesanctificatorum. Sie ist eine Kommunionfeier des Priesters, der Träger der Feier ist. Die eucharistische Gabe des Vortags, und zwar bezeichnenderweise nur die des Brotes, wurde an einem Seitenaltar aufbewahrt; sie wird jetzt herbeigeholt und vom Priester genossen. Nach dieser Kommunionfeier schließt der Gottesdienst des Karfreitags.

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LeerJeder der drei Tage, der Donnerstag, der Freitag, der Samstag, hat eine Trauermette, Matutin geheißen. Im allgemeinen werden diese Trauermetten am Abend zuvor gehalten, also am Abend des Mittwoch, des Donnerstag und des Freitag, weil nach der Ordnung schon der Juden der Vorabend zum folgenden Tag hinzugehört. Die Trauermetten und die Klagelieder insbesondere zeigen, was der geistliche Sinn dieser drei Tage ist: die Bereitung auf die Osternacht. Liturgisch. gesehen haben diese drei Tage keinen eigenen Stand; sie leben aus der Osternacht. Geistlich fordert der Mitvollzug: sie sollen die Vorbereitung auf die österliche Feier der Auferweckung und Erhöhung sein. Daher die Betonung der Umkehr. Umkehr ist der eigentliche geistlich-existentielle Weg, der allein wohl eine kultische Mitfeier ermöglichen kann.

LeerWie steht nun praktisch das Kirchenvolk zu dieser Ordnung, wie wird sie tatsächlich in den Gemeinden vollzogen?

LeerWir haben betont, die Osternachtfeier ist die Mitte der gesamten Festzeit; sie entläßt aus sich die Begehung der Kartage und schließlich auch der Quadragesima, die ja nur ungenau Fastenzeit genannt werden kann. Die Osternacht entläßt aus sich auch den österlichen Tag wie die ganze fünfzigtägige Zeit bis Pfingsten als Abschluß. Ohne daß man jemand Unrecht tut, darf man feststellen, daß gerade die Feier der Osternacht, bis zu der fast reformatorischen Wende in den letzten Jahren, nur formal vollzogen wurde. Die Feier der Osternacht sah so aus: in den frühesten Morgenstunden des Karsamstags wurden diese hohen Begehungen von einem Priester mit mehreren Meßknaben in der leeren Kirche vollzogen. Die Gemeinde, das Volk, hatte kaum Anteil daran, im allgemeinen nahmen diejenigen teil, die nicht durch Arbeit verhindert waren, aber die hohen Formen, die wir erwähnten, blieben verschlossen.

LeerDurch diese Verschiebung der Nachtfeier auf den frühen Morgen mußte sich das Bewußtsein wandeln. Es war unmöglich, daß die Feier der Auferweckung des Herrn so im Mittelpunkt stehen konnte, wie sie eigentlich notwendig wäre. Es war unmöglich, daß die Feier der fünfzig Tage als die Feier des erhöhten Herrn und unserer eigenen Verwandlung zu erlöstem Dasein so im Bewußtsein bleiben konnte. Das zeigt sich schon daran, daß eine Wucherung der Feste entstand, wohl aus dem Bedürfnis nach Festlichkeit, aber auch zugleich aus dem Ausfall dessen, daß die eigentliche große Festzeit des Jahres doch die Pentekoste ist. Natürlich wurde auch „vergessen”. daß die Osternacht ihre eigentliche Zielsetzung gewinnt im Blick auf die Parusie. Wer erlebt hat, wie kümmerlich die Osterfeier in den leeren Kirchen in der Frühe des Samstagmorgen war und wie anders die Osterfeier seit wenigen Jahren in der Nacht ist, der ahnt, was verloren war, und erhofft, was möglich werden könnte.

LeerDie Verschiebung der Osternachtfeier hatte aber noch eine andere Folge: die strenge Bindung der Kartage an die Osterzeit mußte gelockert werden, und vor allem geschah jene folgenschwere Wertverlagerung, an der das Jahr der Kirche heute immer noch leidet. Die Heilige Nacht war nun nicht mehr die Osternacht, sondern Weihnachten. Wir sind die letzten, die das Geheimnis der Menschwerdung des Wortes in den Hintergrund rücken lassen wollten. Aber wir müssen doch sagen, daß die kultische Tradition genauer wußte, weshalb sie die Heilige Nacht der Ostern zu der Nacht, zu der großen Wende erklärt hat.

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LeerWir sagten, die Kartage lösten sich aus der Verbindung zur Osterfeier, sie wurden selbständig. Gewiß, sie wurden immer noch in Bezug auf Ostern verstanden. Aber es entstand eine eigentümlich Umakzentuierung, die nicht ohne Folgen blieb. Der Gründonnerstag wurde zur Einsetzung des Altarssakramentes. Gewiß, man kann jene Tat Jesu kultisch begehen, da er das Mahl seines Gedächtnisses gestiftet hat. Aber das ist doch schließlich jede Feier des Herrenmahles. Es beginnt nun, daß die Strahlungskraft der Osternacht sich mindert und die anderen Tage eine eigene Ausstrahlung haben. So strahlt der Gründonnerstag eine eigene Festordnung aus, da in der Trauerzeit eigens die Feier des Altarsakramentes nicht begangen werden kann, wird Fronleichnam notwendig. Dieses Fest kann erst gefeiert werden, nachdem die Pentekoste vorüber ist. Da aber bereits schon die Pentekoste nicht mehr verstanden war und ihrerseits wieder eine Oktav erhielt mit Ende am Dreifaltigkeitssonntag, konnte jener Donnerstag erst in der Woche nach Dreifaltigkeit begangen werden. Auch der Karfreitag strahlt aus. Aus ihm wird jeder erste Freitag des Monats als Herz-Jesu-Freitag gefeiert. Wir sehen also, wie aus der Lockerung der drei Kartage, die eigentlich aus der Osternacht Ihren Sinn empfangen, eine andere Ordnung entsteht, die eine abgeleitete und nicht mehr die ursprüngliche ist, eine Ordnung, die sich mehr aus dogmatischen Gesichtspunkten speist als aus den großen Heilsereignissen, wie sie die Osternacht feiert.

LeerZwei weitere Verschiebungen - oder wie sollen wir sagen: Übermalungen? - müssen eigens erwähnt werden. Am Gründonnerstag wird eine eucharistische Gabe verwahrt für den nächstfolgenden Tag. Daraus folgt in der Akzentuierung des Gründonnerstags als eines Festes der Einsetzung des Altarsakramentes die Anbetung. Sie ist über die anderen liturgischen Feiern gelagert, etwa gar der Trauermetten und ähnlichen Formen. Am Karfreitag wird zu den liturgischen Begehungen noch eine eigene Grablegung hinzugefügt, die ihre Entsprechung hat in einer eigenen Auferstehung am Abend des Karsamstags oder des frühen Ostersonntags. Wem das Wort „Übermalung” zu hart erscheint, der möge sich in süddeutschen oder österreichischen Barockkirchen und Gemeinden einmal anschauen, wie faktisch das Verhältnis zur großen kultischen Ordnung und zu diesen wuchernden Bräuchen ist. In solchen Gemeinden läßt sich feststellen, daß die eigentlichen Feiern am Karfreitag ohne Beteiligung an einem Nebenaltar vollzogen werden, während die Kirche sich füllt, wenn nach den Zeremonien, wie die Karliturgie bezeichnenderweise genannt wird, die Grablegung beginnt. Eine Prozession setzt sich in Bewegung, eine Wachspuppe wird durch die Kirche getragen, ihr folgt die Monstranz mit der eucharistischen Gabe des Brotes. Die Wachspuppe wird in einem Grabe beigesetzt, die Monstranz ausgesetzt. Nicht überall sind die „Feiern” gleich prunkvoll gehalten. Doch ist die Art einer Grablegung und Auferstehung, wenn auch nicht immer in solchen üppigen Formen, sehr weit verbreitet. Man kann an ihr ersehen, aus welcher Haltung die Osterfeier zumeist begangen wird.

LeerDie Feier der österlichen Festzeit mit ihrer Mitte in der Osternacht, die Ausstrahlung der Nachtfeier auf die Tage vorher und auf die Pentekoste nachher, ist eine so anspruchsvolle Weise der Festlichkeit und des Feierns, daß sie höchste Anforderungen an die Gemeinden stellt. Man darf ruhig sagen, eine Gemeinde kann von sich aus nicht ohne Vorbereitung dem Anspruch dieser Feier und ihrer verschiedenartigen Begehungen gerecht werden. Es ist eine eigene Aufgabe, wie Gemeinden und einzelne auf diesen Vollzug vorbereitet und eingeübt werden.

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LeerWir sagen nichts Neues, wenn wir darauf hinweisen, daß schon seit Jahrhunderten eine unheilvolle Spaltung zwischen kultischer und anderer Frömmigkeit innerhalb der abendländisch-lateinischen Kirche eingerissen ist. Aus dieser Spaltung heraus war es wohl verständlich, daß bis vor wenigen Jahrzehnten diese Aufgabe einer eigenen Vorbereitung und Einübung in das Liturgische eigens erst entdeckt werden mußte. Vielfach wurde das Kirchenvolk der Gemeinden in der Feier der heiligen Messe „beschäftigt”. aber geschah kein eigener Mitvollzug. Veränderungen geschehen zumeist sehr langsam, vor allem solche, in der ganze Generationen erzogen werden müssen.

LeerNaturgemäß entstand in der Feier der Kar- und Ostertage eine empfindliche Lücke, Der durchschnittliche Feiernde war also kaum vorbereitet, dem hohen Anspruch, den die Symbole und Formen machten, zu entsprechen. Es war verständlich, daß in diese Lücke Ersatzformen einsickerten. Und ist es nicht auch verständlich, wenn diese Ersatzformen zu wuchern begannen? Wir haben vor uns ein Abgleiten ins Schauspielerische, wobei keineswegs gesagt sein soll, daß im echten Kultus nicht „Spiel” seinen Platz hat. Doch hier geschieht ein anderes: das dichte Kultsymbol und der Vollzug des Kultmysteriums, beide sind vom Wesen her Wort. Das Wort verleiblicht sich in Zeichen, und das Zeichen ist selbst worthaft. Doch ein Kultsymbol wie die Darbringung der Osterkerze etwa, das also zutiefst worthaft ist, bedarf einer eigenen geistlichen Übung, soll die Gemeinde bereitet werden zum Mitvollzug. Doch diese Übung würde nie genügen. Kultsymbole im christlichen Kultmysterium werden zwar geschaut, aber das Schauen bleibt nicht an der Oberfläche. Das Kultsymbol, das vom Wesen her Wort ist, kann gar nicht zureichend geschaut werden, sondern muß als dieses Wort im Glauben gehört und vernommen werden. Eben diese Möglichkeit geistlichen Schauens scheint weithin geschwunden zu sein.

LeerAllerdings dürfen wir nicht vergessen, daß in einer erfreulichen Anzahl von Gemeinden hier ein neuer Durchbruch geschehen ist, wenn auch die größere Zahl unserer Gemeinden immer noch vor dem Aufbruch steht, der sie hineinführen könnte in diese unvergleichliche Welt. Wir sind dankbar, daß es überall Oasen gibt, in denen die Auferweckung und Erhöhung unseres Herrn begangen wird. Gäbe es diese nicht, wir müßten verzweifeln ob dessen, was da und dort immer noch möglich ist.

LeerDas Wichtigste der Neuordnung der Osternacht scheint uns zu sein: hier wurde die Schöpfungsordnung von Tag und Nacht wieder in ihr Recht eingesetzt. Gott hat den Tag und die Nacht gewollt; insofern sind die Gezeiten von Tag und Nacht Zeiten des Heils. Er hat gewollt, daß am Ende einer Nacht sein Sohn das Dunkel des Grabes wieder verlassen soll. Allein schon die Ubertragung der Mitte der österlichen Feier auf ihre eigentliche „Stunde” scheint Kräfte zu entbinden, die wahrscheinlich mehr und mehr eine Vertiefung in das Gesamt der Osterfeier und der Pentekoste auslösen können. Es steht zu hoffen, daß Ostern wieder tatsächlich zum Hauptfest des Jahres wird. Erst dann gewinnen wir die Kräfte, die eine Sentimentalisierung von Weihnachten und eine Säkularisierung der Feste im übrigen Jahr mit Erfolg angehen können.

Quatember 1954, S. 68-74

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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