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Höllenfahrt und Auferstehung
von Karl Friz

LeerWerner Bergengruen erzählt von der Osterfreude des gläubigen Russen: „Wie leicht ist die Erde geworden, daß sie mit uns schwingt wie eine Osterschaukel! Im Anfang, da war unsere Erde leicht. Aber dann ist sie schwerer geworden von den Sünden der Menschen. Dann aber geschah es, daß des Erlösers Leib in die Erde gelegt wurde. Da ist so viel Heiligkeit in sie gekommen, daß das Gewicht ihrer Sünden wie fortgepustet war. Und gar am Ostermorgen, als der Herr auferstand aus der geheiligten Erde, da war alle Schwere von ihr genommen. Seitdem schwingt sie an jedem Ostermorgen durch die blaue Luft, schwingt, schwingt höher als eine Osterschaukel, tausendmal höher!”

LeerDas ist richtig erfühlt: Die Ostkirche lebt in einer besonderen, elementaren, fast naturhaften Weise von Ostern.

LeerTrotz aller Trennungen ist der Christenheit der stille Glaube erhalten geblieben, daß letztlich alle das Gleiche meinen, wenn sie Christus bekennen. Deshalb wird keinem Unrecht getan und der Wille zum ganzen Evangelium abgesprochen, wenn darauf hingewiesen wird, daß die Akzente verschieden gesetzt sind.

Leer„Der Sinn des Leidens Christi ist die Auferstehung” - dieses Wort des Origenes ist bezeichnend für die Betrachtungsweise der Ostkirche. „Ostern ist der innerste Kern, der Mittelpunkt, das alles durchströmende Lebensprinzip, der Inbegriff des gesamten Glaubens und Trachtens, der ganzen Zuversicht, der ganzen Sehnsucht der morgenländischen Kirche” (Arseniew). Die Osterfreude bestimmt den Gang des ganzen Kirchenjahres, der ganzen Liturgie, auch am Karfreitag und Karsamstag, wo die Priester der griechischen Kirche schon weiße Gewänder tragen, bis in der Osternacht und am Ostermorgen der Höhepunkt erreicht ist. Man darf wohl darauf hinweisen, daß etwa Weihnachten ohne diesen Hintergrund leicht der Gefahr der Sentimentalisierung verfällt; in unseren besten Weihnachtsliedern ist deshalb Ostern gegenwärtig: „bricht den Kopf der alten Schlangen und zerstört der Höllen Reich.”

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LeerDer Nachdruck bei der Betrachtung des Erlösungswerkes Christi liegt im Osten auf der Vernichtung des Todes, wo man im Westen von der Tilgung von Sünde und Schuld spricht. Die Ostkirche nimmt die Sünde gewiß nicht weniger ernst. Aber die Zerstörung des gottgeschaffenen Zustandes - Leben, Freude, Schönheit, Vollkommenheit - kommt im Tode am brutalsten zur Erscheinung. Der Tod ist der große Feind, das furchtbare Geheimnis - „ich sehe die in den Gräbern liegende, nach dem Bilde Gottes anerschaffene Schönheit häßlich, gestaltlos.” Die Vernichtung des Todes, das Geschenk des Lebens, jetzt schon und in Ewigkeit, ist die herrlichste Gabe Christi.

LeerMan mag sich, um das zu verstehen, an das Lebensgefühl des griechischen Menschen erinnern - Achill will lieber Tagelöhner auf Erden sein als König im Totenreich -, an die Todesangst und Lebenssehnsucht der hellenistischen Zeit. Aber die Ostkirche wird mit Recht darauf hinweisen, daß sie damit das Grundgefühl des Urchristentums und der alten Kirche bewahrt hat: Leben ist der zentrale Begriff des Evangeliums, besonders bei Johannes - Heilung des Menschen nach Leib und Seele. Es ist der christliche Realismus im Gegensatz zu aller Auflösung ins Nur-Seelische, Spirituelle, einst im Kampf gegen doketische und gnostische Ketzereien, heute in Abwehr bedenklicher Mißverständnisse und Verkürzungen des Evangeliums, die auch der Protestantismus nicht ganz vermieden hat; ein Realismus, der den Lebensnöten auch des modernen Menschen eine Hilfe sein kann.

LeerEs geht um die Rehabilitierung der Schöpfung, des ganzen Kosmos und des ganzen Menschen, auch des Fleisches und der Materie. Alle Teile der Schöpfung hat der Herr des Lebens auf seinem Weg segnend und lebenschaffend berührt. Die ganze Erde ist geheiligt, vom Leben erfüllt: „Wenn du mich (die Erde) schlägst, so triffst du dich selbst. Denn dein Leib ist in mir, deine Geheimnisse sind in mich eingegangen.” (Cyrillonas von Edessa um 400). Auf den Höhen der Heiligkeit zeigt sich die Herrlichkeit dieses Lebens schon jetzt: Der Heilige strömt den Wohlgeruch der Seligen aus, und daß der verehrte Starez nach seinem Tode Verwesungsgeruch zeigt, ist für den Gläubigen eine ernste Anfechtung (Dostojewski, Karamasoff).

Leer„Auferstehungstag! Lasset uns licht werden, ihr Völker! Denn vom Tode zum Leben und von der Erde zum Himmel hat uns Christus, unser Gott, hindurchgeführt. Wir singen das Siegeslied. Der Himmel möge sich freuen, die ganze Erde jubeln, die ganze Welt, die sichtbare und die unsichtbare, feiern. Denn Christus ist erwacht. Ewige Freude! Alles ist mit Licht erfüllt, Himmel und Erde und Unterwelt. Es feire die ganze Schöpfung Christi Auferstehung; in ihm ist sie gegründet.” (Liturgie der Osternacht: Kanon des Johannes von Damaskus.)

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LeerDabei kommt nun einem Stück, das sonst ganz in den Hintergrund getreten ist, besondere Bedeutung zu: der Höllenfahrt Christi. Sie ist, neben dem Gang der salbentragenden Frauen, das Thema der Osterikone. Das Geheimnis der Auferstehung selbst - in der Mitte der Nacht nach dem Bericht der Wächter in den Gesta Pilati -, die nach der ostkirchlichen Auslegung auch in Matth. 28 selbst nicht geschildert wird, entzieht sich dem begreifenden Verstand und der bildlichen Darstellung; während die Auferweckung des Lazarus ein beliebter Stoff der Ikonenkunst ist, hat sie sich der Auferstehung Christi erst unter abendländischem Einfluß zugewandt.

LeerAn Stelle der stark juristisch geprägten späteren westlichen Auffassung von der Satisfaktion Christi (Anselm von Canterbury) ist die alte patristische Lehre, daß Christus den Teufel besiegt und das Menschengeschlecht aus der Gefangenschaft befreit habe, in seiner ganzen Dramatik und Bildhaftigkeit lebendig geblieben. In einer strahlenden Aureole vor dem schwarzen Schlund steht Christus in der Kleidung des Verklärten auf dem zerbrochenen Höllentor und zieht Adam aus dem Sarge, umgeben von den Vertretern der alttestamentlichen Gemeinde. Man steht damit in einer reichen Überlieferung.

LeerZahlreiche Schriftstellen sprechen davon - gewiß mehr, als man gemeinhin annimmt - die Apokryphen geben großartige Schilderungen - am eindrucksvollsten das Evangelium des Nikodemus - alttestamentliche Prophezeiungen vom Werk des Messias, das Geheimnis der drei Tage, die nach Ausfüllung verlangen, der Universalismus des Heils in Christus, der heiße Drang aller vorchristlichen Sehnsucht - all das treibt die Kirche der umfassenden Tradition zur Ausgestaltung gerade dieses Stücks. Die griechischen und syrischen Väter geben Gedanken und Bilder, die in der Liturgie weiterleben - Satan und Hades treten redend auf, der Feind erkennt die furchtbare List, der er zum Opfer gefallen ist, im Totenreich erschallt die rettende Botschaft, und der Sieger erfüllt nun das All bis ins Herz der Erde mit dem Licht seiner Herrlichkeit. Die Höllenfahrt Christi ist nicht die Vollendung der Satisfaktion im Erleiden der Höllenqual für uns. Sie ist zwar auch das Endstadium seiner Erniedrigung, aber vor allem der erste und entscheidende Schritt zu seiner Erhöhung, zu seinem Sieg in allen Bezirken und für alle Zeiten.

LeerWie die Osterfreude, so klingt das Motiv der Höllenfahrt, des Sieges über den Hades in der Liturgie fast aller Feste immer wieder an: Schon bei der Geburt Christi „ergreift Zittern die Unterwelt”; bei der Taufe Christi „stöhnt der Fürst der Finsternis”. Und auf vielen Ikonen finden wir anders kaum deutbare Hinweise auf den Sieg Christi in diesem Bereich: Während Christus im Jordan getauft wird, liegt die Schlange zu seinen Füßen und die Unterwelt krümmt sich in Gestalt des Jordanflußgottes; bei der Auferweckung des Lazarus entflicht der Tod und hält mit beiden Händen seinen schmerzenden Leib.

LeerDie Eigenart der ostkirchlichen Frömmigkeit - die Grenze zur Spekulation scheint uns manchmal überschritten, vielleicht weil wir die eigentliche, echte speculatio kaum mehr kennen - kommt gerade hier deutlich zum Vorschein: sie mythologisiert lieber, als daß sie entmythologisiert. Sie bejaht die Trächtigkit der Bilder, der Abbilder ewiger Ereignisse. Ihr ist das Symbol noch der Treffpunkt der irdischen und der ewigen Welt, während eine andere Betrachtungsweise hier mit Unbehagen nur die freie, willkürliche Produktion angeblicher evangelischer Tatsachen feststellen kann (Harnack).

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Leer„Da ertönte mächtig die Stimme unseres Herrn im Totenreiche, rief laut und zerriß die Gräber. Nun ergriffen den Tod grause Schmerzen, und im Unterreiche fuhren blitzende Strahlen hin und her von eingedrungenen Engeln.” (Ephräm von Syrien, übersetzt von Zingerle)

Leer„Kommt und laßt uns dem Herrn frohlocken, der die Macht des Feindes zerstört und das große Siegeszeichen des Kreuzes in dem Sturze des Widersachers aufgestellt hat. Da nun die Schlachtreihe des Feindes gefallen ist, so ist auch jener selbst, welcher die Macht über das böse Heer der Dämonen hat, verschwunden und vertilgt und in sein Nichts zurückgesunken.” (Gregor von Nyssa, übersetzt von Fisch)

Leer„Da du hinabstiegest zum Tode, du, das unsterbliche Leben, da hast du den Hades getötet mit dem Blitze der Gottheit. Wie will der Hades deine Ankunft ertragen? Wird er nicht auf der Stelle zermalmt, wirds ihm nicht schwarz vor den Augen, wenn ihn dein Blitzstrahl des Lichtes blendet? Stöhnend ruft heute der Hades: Besser wäre es für mich gewesen, ich hätte Mariens Sohn nicht aufgenommen. Denn da er zu mir kam, hat er meine Herrschaft vernichtet und die ehernen Tore zertrümmert. Die Seelen, die einst ich besaß, hat er als Gott erweckt. Der Hades herrscht über der Sterblichen Geschlecht, doch nicht ewig. Denn da du im Grabe lagst, Gewaltiger, hast du mit lebenbringender Hand des Todes Tore gesprengt und denen, die lang dort schliefen, untrügliche Erlösung verkündet, o Heiland, als Erstgeborner unter den Toten. Des Lebens Felsen nahm auf in seinen Schlund der allesverzehrende Hades. Da mußte er ausspeien die Toten, die er von jeher verschlang.” (Liturgie des Karsamstags nach Kirchhoff)

LeerImmer wieder leuchtet die Wiederbringung aller Dinge auf, die trotz der offiziellen Verurteilung des Origenes eine Grundstimmung der Ostkirche geblieben ist: Auch der Tod bekennt seinen Glauben an die Gottheit Jesu und bittet ihn, als großes Unterpfand seines Sieges den Adam mitzunehmen - „steh also auf und tritt die Herrschaft über alles an! Höre ich dann einst deine Posaune, so werde ich mit eigenen Händen die Toten deiner Ankunft entgegenführen” (Ephräm von Syrien).

LeerDurch den Ostersieg Christi ist der Christ zur Mitwirkung am Erlösungswerk befreit, in Gott-Menschlichkeit vollzieht sich das göttliche Werk. In Christus führt auch der Christ den unsichtbaren Kampf; auch er fährt in die Hölle und siegt - in den Abgründen der eigenen Seele und überall in der Welt schlummert die Schlange, die besiegt werden muß.

LeerDie alten Väter reden über diese Höllenfahrt des Christen und seinen Sieg in Christus, von diesem „Entbrennen des Herzens über jegliche Kreatur, über die Menschen, die Vögel, die Tiere, die Dämonen und die gesamte Schöpfung” (Isaak der Syrer). Und wenn Dostojewski von der furchtbaren Kraft der demütigen Liebe spricht, mit der man, in die Tiefen steigend, die ganze Welt bezwingen könne, so darf man das nicht Schwärmerei nennen, sondern muß es in diesem Zusammenhang sehen. Noch im Gebet der russischen Bäuerin für den Teufel, von dem Zankow einmal berichtet, ist der Ertrag der Höllenfahrt Christi in einem Nachklang lebendig. Es gehört wohl zur Eigenart der ostkirchlichen Anschauung, daß die Theologie mit ihren scharfen Begriffen und Abgrenzungen überschwemmt wird vom Strom der Frömmigkeit, die anderswo in Gefahr steht, von der rationalistischen Ängstlichkeit theologischer Hemmungen ausgelaugt zu werden.

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LeerKraft eines weitgefaßten Traditionsbegriffs werden auch Männer wie Dostojewski und Lesskow zu den Vätern im weiteren Sinne gerechnet. Sie schildern die Höllenfahrt des Christen. Man könnte unter diesem Stichwort gewiß auch eine Darstellung der modernen westlichen Literatur geben, erschütternde Höllenfahrten werden bei Sartre und anderen getan. Aber sie enden alle mehr oder weniger in Verfallenheit an die dunklen Mächte, ohne Hoffnung. Wohl wird das Geheimnis des Bösen enthüllt, aber nur in seiner lähmenden Macht.

LeerDostojewskis Höllenfahrt steht unter dem Zeichen des Sieges der drei Tage. So steigt der Starez Sossima beim Empfang der gläubigen Weiber in die Tiefe der Seele mit den brennenden Augen. So verneigt er sich vor dem fluchgezeichneten Dmitri bis zur Erde und sendet Aljoscha zu ihm, weil er glaubt, „daß das Bruderantlitz ihn retten könnte”. im Bruder unser aller Bruder Christus. Und sterbend schickt er den Jüngling in die Welt, in die Hölle seiner Familie: „Alles wirst du ertragen müssen, bis du wieder da anlangst, von wo du ausgegangen bist. Und du wirst viel zu vollbringen haben. Doch an dir zweifle ich nicht, und darum schicke ich dich. Christus ist mit dir. Bewahre du ihn, so wird auch er dich bewahren.” Das ist bis in die Worte hinein der Weg Christi von oben durch die Tiefen wieder in die Höhe (Karamasoff 2. Buch 3., 6., 7. Kap., 6. Buch 1. Kap.).

LeerUnter dem gleichen Zeichen steht der Weg des Fürsten Myschkin, des Idioten, der im bald lächerlichen, bald infernalischen Durcheinander seiner Umgebung Christi Sieg in der Hölle symbolisiert - im echten Sinn dieses Wortes. Und in das Zusammensein des Mörders und der Dirne in „Schuld und Sühne” leuchtet das Osterlicht, als sie miteinander Johannes 11 lesen; am Ende des Gangs durch die Hölle beginnt die Geschichte der Erneuerung eines Menschen, wie es am Ende des Romans andeutend heißt. Hinter der psychologischen Kunst Dostojewskis steht überall das alle Psychologie sprengende Geheimnis des Bösen und das reale Wunder des Sieges Christi.

LeerAuch der Fremde in Lesskows Geschichte von der schönen Asa steigt an die untersten Örter einer verlorenen, verzweifelten Seele und offenbart die siegreiche Kraft Christi: „Wisse, daß Er, zu dem deine Seele verlangt, deine Sünde mit Finger auf rinnenden Sand geschrieben und es dem Winde überlassen hat, sie zu verwehen. Da hob Asa ihr Antlitz und weinte, der Christ aber blickte sie an, und unmerklich beugten sich seine Knie; er verneigte sich tief vor ihr und flüsterte leise: Du lebst nunmehr, du lebst.”

Leer„Du bist in das Unterste der Erde herabgestiegen, du hast die ewigen Ketten zerschlagen. Des Todes Tötung feiern wir, die Zerstörung der Hölle, eines anderen, des ewigen Lebens Anbruch.” (Osterkanon des Johannes von Damaskus)

LeerUnd jene Erzählung von der leichten Erde schließt den Ring: „Wenn wir tot sein werden, du und ich, dann wird sie uns auch leicht sein, leicht wie ein Federchen.”

Quatember 1954, S. 81-85

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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