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Berneuchen und seine Herren
(Nach einem Menschenalter VII)
von Elisabeth von Viebahn

LeerBerneuchen,. früher Bernow-nova = Bernöwichen, war ehemals ein „Städtlein” mit Wall und Graben, von dem die Reste noch rings um das Dorf zu erkennen waren. Es liegt an dem Übergang über das früher sumpfige Tal der Mietzel (rechter Nebenfluß der Oder), der die Verbindung von Königsberg/Neumark nach Landsberg an der Warthe vermittelte. Es waren an diesem Flußübergang schon in prähistorischer Zeit menschliche Siedlungen, wie die immer wieder zu Tage kommenden zahlreichen Funde von Tonscherben aus der Periode der Schnur- und aus der der Band-Keramiker beweisen. Auch in späteren Zeitabschnitten spielte die Ton-Industrie eine Rolle. Es gab am Ort, zu bäuerlichem Besitz gehörig, mehrere kleine Ziegelöfen, von denen die letzten Reste erst Anfang dieses Jahrhunderts verschwanden, und auf dem Gelände des Rittergutes die später zu einem großen, modernen Ziegelwerk ausgebaute Ziegelei Bornhofen.

LeerBernöwichen war seit Jahrhunderten Herrensitz, im Dreißigjährigen Krieg stark devastiert im Besitz der Familie von Kuhmeise. Der letzte dieses Namens starb in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges.

LeerNach dem großen Kriege verlor Bernöwichen infolge der Zerstörung und Entvölkerung seinen Stadtcharakter und wurde Dorf. 1653 belehnte der Große Kurfürst seinen Kanzler der Neumark, Hans Georg von dem Borne, mit der Herrschaft Berneuchen, die damals zirka zwölftausend Morgen groß war. Dieser Besitzstand erhielt sich ungefähr in derselben Größe bis 1903. Vom Kanzler Hans Georg erschien, dem Großen Kurfürsten gewidmet, 1641 die Schrift: „Consultatio politico theologica über den gegenwärtigen betrübten und kümmerlichen Zustand der Chur- und Mark Brandenburg”. Von diesem Schriftchen und ihrem Verfasser hieß es später: „Hätte er auch nichts weiter geschrieben als jene consultatio politico theologica von 1641, welche das sittliche und wirtschaftliche Verderben in der Mark mit dem hellen, die Tiefe der Dinge erfassenden Blick des echten Patrioten, mit heiliger Entrüstung und mit heißem Schmerze schildert; er würde den reinsten und edelsten Männern seines Landes doch beigezählt werden müssen!

LeerWir aber danken billig Gott, daß er die Jugend des edelsten Fürsten von solchen Männern geleitet sein ließ, wie Hans George von dem Borne war.” Außer dieser Denkschrift verfaßte Hans Georg eine Übersetzung des „Traktats vom Heiligen Abendmahl”.

LeerUm den in der Familie von dem Borne üblichen Vornamen Kreuzwendedich entstanden Sagen: Ein Knappe aus dem Heer der Kreuzfahrer schöpfte für den Kaiser Barbarossa einen Trunk Wasser aus einer Quelle. Eine Sarazenin verhinderte ihn, dem Kaiser das Wasser zu reichen, da der Quell vergiftet wurde. Ihr Ruf „Kreuz wende dich von dem BorneI” wird von dem für seine Rettung dankbaren Kaiser dem jungen Krieger beim Ritterschlag als Adelsname gegeben. Diese angebliche Überlieferung stellt sich als poetische Phantasie heraus, der ungewöhnliche Taufname kommt 1630 zum ersten Mal in der Borneschen Familie vor. In einer Zeit großer Not, als die Familie nahe daran war zu erlöschen, wird der erstgeborene Sohn der Bornes auf Dalgen, Born und Pritten mit dem bedeutungsvollen Namen Gotthilf-Kreuzwende getauft. Der Name Kreuzwende war in der Familie der Mutter des Knaben, der von Mörner, gebräuchlich und wurde im 18. Jahrhundert als Kreuzwendedich in der Borneschen Familie erblich.

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LeerDie Neumark litt stark im Siebenjährigen Krieg, die Schlacht von Zorndorf spielte sich in etwa fünfzehn bis zwanzig Kilometer Entfernung von Berneuchen ab. Auch während der Napoleonischen Kriege wurde das Land stark mitgenommen, die Landbewohner suchten zeitweise Schutz in den kleinen neumärkischen Städten, so die Berneuchener in Soldin. In Berneuchen ereignete sich 1807 vor dem Gutshaus ein rencontre zwischen dem Gutsherrn Gotthilf-Ferdinand von dem Borne und dem französischen Kapitän Duplain. Dieser verlangte von Borne, er habe entblößten Hauptes mit einem französischen Offizier zu sprechen, und schlug ihm mit dem Stock die Mütze vom Kopf, worauf Borne sich auf den Kapitän stürzte und ihm Epauletten und Ordensschnalle abriß. Der Hauslehrer der Borneschen Kinder, Wagner, warf sich in das entstehende Handgemenge und konnte dem Gutsherrn zur Flucht verhelfen. Ein Duell durfte nicht stattfinden, da Napoleon seinen Offizieren den Austrag von Ehrenhändeln mit preußischen Edelleuten untersagt hatte. Gotthilf-Ferdinand von dem Borne starb - wie man annahm an den Folgen der Kriegsbegebenheiten - im Jahre 1813.

LeerSeine Witwe führte während der Minderjährigkeit des ältesten Sohnes ein energisches Regiment in Berneuchen. Dieser Sohn, Carl Gustav, zog 1815 als achtzehnjähriger Freiwilliger mit der Neumärkischen Landwehr-Kavallerie in den Krieg, machte Belle-Alliance mit und kam bis Paris. In seinen im späten Alter aufgezeichneten Lebenserinnerungen spielten die Erlebnisse der Freiheitskriege eine bedeutende Rolle. Mündig geworden, übernahm er den Familienbesitz, und fast vierzig Jahre lag die Bewirtschaftung von Berneuchen in seinen Händen. Er war der märkische Landjunker alter Art, pflichtbewußt, königstreu, einfach und gerade. Als leidenschaftlichem Jäger und bedachtsamem Forstmann war ihm trotz aller Derbheit ein leiser Hang zur Romantik eigen, die zu seiner Zeit in schönster Blüte stand. So bewegte ihn die Uraufführung von Webers „Freischütz”, die er in Berlin miterlebte, bis zur Begeisterung, und sein ältester Sohn, geboren 1826, wurde daraufhin Max genannt. Carl Gustav war verheiratet mit Pauline von der Osten aus dem benachbarten Warnitz, einer ihrer Vorfahren war Philipp Melanchthon.

LeerMax von dem Borne fing an, eine Teichwirtschaft einzurichten. Die jahrhundertealte „Mühlengerechtsame” mit ihrem bisher für Schneide und Mahlmühle angewandten Stau des Mietzelflusses kam ihm für dies Unternehmen zustatten. Die auf gründlicher naturwissenschaftlicher Kenntnis aufgebauten Anfänge dehnte er nach und nach in den verschiedensten Zweigen aus, so daß Berneuchen in Fachkreisen als Fischzucht und Teichwirtschaft bald weltbekannt wurde. Seine Fach-Korrespondenz dehnte sich über drei Kontinente aus, und Besucher aus aller Herren Ländern, besonders aus England, China und Japan, die die Berneuchener Teichwirtschaft und ihren Begründer kennenlernen wollten, waren keine ungewohnten Gäste. Diesen internationalen Ruf als Teichwirt, Fischerei-Sachverständiger und Sport-Angler verdankte Max von dem Borne unter anderem seinen weit verbreiteten Büchern, in denen er die von ihm gemachten Erfahrungen und die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Beobachtungen niedergelegt hatte. Er war ein großer Bücherfreund und hatte einen nahezu unbegrenzten Bedarf an „Lesestoff” der verschiedensten Art. So entstand im Laufe der Jahre unter seinen Händen die Berneuchener Bibliothek.

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LeerDer Begründer der Berneuchener Teichwirtschaft wurde eine bekannte Persönlichkeit, Fontane läßt ihn in einem seiner Berliner Gesellschaftsromane als Verwandten seiner Romanfiguren erwähnen. Max von dem Borne war verheiratet mit Elisabeth von Dechen, Tochter des Oberberghauptmanns Heinrich von Dechen in Bonn, dessen Vorfahren als Hugenotten der alten französischen Kolonie in Berlin angehört hatten. Das tatkräftige und erfolgreiche Schaffen von Max von dem Borne fand ein plötzliches Ende. Er starb 1894 an einen Herzschlag. Auf der Gedenktafel in der Berneuchener Kirche, die die Erinnerung an ihn und seine Frau, mit der ihn eine überaus glückliche und harmonische Ehe verbunden hatte, wachhalten sollte, stand als besonders kennzeichnend für seine Persönlichkeit das abgewandelte Goethewort: „Gott schenkt ihm große Gedanken / und ein fröhliches Herz!”

LeerIm Jahre 1903 ging der Besitz von Berneuchen in die Hände der beiden ältesten Töchter von Max und Elisabeth von dem Borne über, da die beiden Söhne sich anderen Berufen zugewandt hatten. So waren Luise von Viebahn und Maxa von dem Borne die Eigentümerinnen des alten Familienbesitzes. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die die Landwirtschaft um die Jahrhundertwende schwer belasteten, zwangen zum Verkauf eines großen Teiles der Forsten an den preußischen Staat, und auch die Ziegelei Bornhofen ging in fremde Hände über. Der Rest, Feldmark, Wald und Teiche, war viertausend Morgen groß. Die Verwaltung übernahm der Mann von Luise von dem Borne, Rudolf von Viebahn. Er stammte aus einer preußischen Soldaten- und Beamtenfamilie. Seine Großmutter, eine geborene Spener, stammte als Urenkelin von Philipp Jakob Spener. Sein jüngerer Bruder Georg war der bekannte Evangelist „Vater Viebahn”.

LeerRudolf von Viebahn war Soldat, und erst nachdem er als General der Infanterie aus dem Militärdienst ausgeschieden war, ergab sich die Notwendigkeit, den Besitz seiner Frau und von deren Schwester zu betreuen. Die letztere, Tante Maxa genannt, war in ganz persönlicher Mitarbeit viele Jahre intensiv im Kampf um die Erhaltung von Heimat und Familienbesitz bemüht. Auch Rudolf von Viebahn widmete sich dieser Aufgabe mit der ihm eigenen Pflichttreue und einem unermüdlichen Arbeitseifer, behielt aber daneben seine zahlreichen Ehrenämter bei, von denen ihm besonders ein leitender Posten im Deutschen Roten Kreuz am Herzen lag. Auch für die Erziehung, Weiterbildung und Führung der männlichen Jugend setzte er sich immer wieder mit Nachdruck ein.

LeerSo war es ihm und seiner Frau, die all seinen Vorhaben mit warmem Interesse folgte, ein besonders sympathischer Gedanke, einem Kreis von jungen Pfarrern ihr Haus zu öffnen, die über kirchliche Fragen und die Probleme der Jugend in der Kirche beraten wollten, und er hatte seine helle Freude daran, als diese Pastoren-Konferenzen dann alljährlich in Berneuchen zusammenkamen. Als aufrichtiger Christ erhoffte er eine neue Hinwendung der Jugend zum Christentum von den Bestrebungen, die er als Gastgeber freundlich und freudig förderte, ohne persönlich an den Beratungen und Besprechungen teilzunehmen. Die übrige Familie und einige Hausgäste bildeten bei den Vorträgen und Diskussionen eine sehr aufnahmefreudige Hörerschaft. Es wurden Erkenntnisse und geistige Werte gefestigt und neu gewonnen, die fürs Leben standgehalten haben und sich in manchem Sturm als Kraftquelle bewährten. Die Dankbarkeit dafür ist lebendig geblieben, auch heute, nach einem Menschenalter!

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LeerDie älteste Tochter des Hauses, Gusti Semper geb. von Viebahn, stand der sich entwickelnden Berneuchener Bewegung besonders nahe. Sie war als Heim-Leiterin im Evangelischen Johannestift Spandau tätig und dort Mitarbeiterin ihres Vetters Alexander von Viebahn an der Evangelischen Sozialschule und schloß sich später ganz dem Berneuchener Dienst an, dem sie als Flüchtling in der Gemeinde Brasselsberg-Wilhelmshöhe mitarbeitend gerade in ihrem letzten Lebensjahr viel dankte.

LeerZu einem bleibenden Gewinn für die Familie und das ganze Haus wurden die täglichen morgendlichen Hausandachten, die durch die erste Konferenz begonnen, dann von „Tante Maxa” gehalten, zu einem festen Gebrauch gestaltet, alle Hausgenossen zu gemeinsamem Gebet, Schriftlesung und Morgenlied vereinigten. Es ist wohl von 1922 an bis zur Flucht 1945 nur ganz selten und vorübergehend zu einer Unterbrechung dieser unentbehrlich und segensreich gewordenen Sitte gekommen, und es sei Martin Völkel nicht vergessen, daß er die Tante Maxa bei einem Gespräch über dies Thema so nachdrücklich darin bestärkte, die Hausandacht auch nach Beendigung der Konferenz regelmäßig beizubehalten.

LeerWer den Hausherrn Rudolf von Viebahn näher kennenlernte, wird einen nachhaltigen Eindruck von seiner Persönlichkeit gewonnen haben. Unerschütterliche Treue kennzeichnet sein Wesen und Leben, ebenso wie Herzlichkeit, Wärme, Güte, Pflichttreue, eiserner Fleiß und nie erlahmende Hilfsbereitschaft, wo immer Hilfe nottat. Sein Christentum war geprägt von einem ganz schlichten, festen Gottvertrauen. Während der Konferenztage legte er den größten Wert auf persönliches Zusammenleben mit den Tagungsmitgliedern, mit denen er sich lebhaft unterhielt und deren vollstimmiger Gesang bei der Hausandacht und bei fröhlichen Singabenden ihn erfreute. Es war ihm ein großer Kummer, als 1928 wegen seiner Krankheit die schon vorbereitete sechste Konferenz abgesagt werden mußte. Es war kurz nach seinem neunzigsten Geburtstag und unmittelbar vor seinem Heimgang.

LeerNicht nur die Bornes, auch andere Familien im Dorf saßen seit ungezählten Generationen in Berneuchen und bildeten den Stamm einer heimattreuen Landarbeiterschaft. Aber der Kreis derer, die sich in Berneuchen bis zu einem gewissen Grade beheimatet fühlten, dehnte sich weiter. Verwandte und Freunde in großer Zahl und aller Lebensalter kehrten immer wieder ein, um unter dem Dach des alten Hauses - und im Sommer unter dem schützenden Dach der alten Hauslinde - Ruhe, Erholung, Freude und friedliche Entspannung zu suchen. Rudolf und Luise hatten aus ihrem Trautext nicht nur das „Dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat” im Alltag des Familienlebens verwirklicht, sondern auch das „Seid gastfrei ohne Murmeln” war wie zur Zeit der Voreltern völlig zur Selbstverständlichkeit geworden. Aber wir waren nicht nur die Gebenden. „Gibst du ein Gastgeschenk, so läßt man dir ein schöneres zurück”. Wie oft, in wie unendlich verschiedenen Variationen und auf die verschiedenartigsten Gebiete übertragen, bewahrheitet sich auch dies.

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LeerKinder gab es, mindestens in Ferienzeiten, immer im Haus, manchmal scharenweise. Die Jugend fand sich auf der Jagd, zu Pferde, auf und im Wasser zu fröhlicher Sportkameradschaft zusammen. Studenten kamen, um in Ruhe ihre Doktorarbeiten zu schreiben, die Alten, glücklich, dem Berliner Getriebe zu entfliehen, liebten gemächliche Wege oder Ausfahrten im Park und Wald, und aus mancherlei Altersklassen tauchten die Maler, die Musiker, Schriftsteller und Dichter auf. Man sprach im Freundeskreis vom „Gasthaus zum geduldigen Lamm”! Zur Begrüßung ankommender Gäste strömte gern die ganze Hausgenossenschaft in freudigem Getümmel zusammen, was manchem, der zum ersten Mal in Berneuchen einkehrte, ein wenig überwältigend erscheinen mochte. (Siehe Quatember, Ostern 1953, S. 90!)

Leer1922 ging Berneuchen in den Besitz von Leberecht von Viebahn über, dem einzigen Sohne von Rudolf und Luise von Viebahn. Um den Namen von dem Borne weiter mit der ererbten Scholle verbunden zu halten, nahm er den Namen von Viebahn-von dem Borne an. Leberecht von Viebahn-von dem Borne war vom August 1939 an im Felde, seit 1944 in englischer Gefangenschaft. Seine Frau Angelika von Viebahn geb. von Sydow führte während der Kriegsjahre den landwirtschaftlichen Betrieb weiter. Im Januar 1945 wurden nach wohlüberlegtem Plan Vorbereitungen zum Treck getroffen, der aber nicht wirksam zur Ausführung kam. Nur drei Wagen mit einigen fünfzig Menschen - großenteils in Berneuchen untergekommene Bombenflüchtlinge - konnten am 30. Januar 1945 noch in letzter Stunde Berneuchen verlassen, als die russischen Panzer bereits in fünfzehn Kilometer Entfernung auftauchten'. Am 2. Februar gingen durch Brandstiftung Gutshaus und Kirche in Flammen auf, vom Haus steht noch ein ruinenhaftes Gemäuer, von der Kirche blieb nur ein kleiner Schutthaufen, der Friedhof wurde zur undurchdringlichen Wildnis. Von der zurückgebliebenen Bevölkerung starben in den folgenden Monaten die meisten an Hungertyphus. Die Überlebenden, unter ihnen die Gutsfrau, mußten im Sommer 1945 die Heimat verlassen.

LeerWir setzen unter dies Schlußkapitel von Berneuchen das Wort, das so viele der Gäste dort gesungen haben:
Alles vergehet, Gott aber stehet ohn' alles Wanken,
Seine Gedanken, Sein Wort und Wille hat ewigen Grund.
Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden;
Heilen in Herzen die tödlichen Schmerzen,
Halten uns zeitlich und ewig gesund!
Quatember 1954, S. 153-156

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-18
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