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Die St. Johannes-Bruderschaft
von Albrecht Volkmann

LeerIm Jahre 1929 schloß sich eine Reihe von Gliedern des damaligen hochkirchlichen Kreises unter Führung von Friedrich Heiler zu einer „evangelisch-katholischen eucharistischen Gemeinschaft” zusammen, die sicb dazu gerufen wußte, das, was in diesem Kreise für die Erneuerung der Kirche als richtig und notwendig erkannt worden war, auch zu leben. Es ging dabei erstens um die ganze, nicht einseitig verkürzte biblische Verkündigung („kat'holon”), zweitens um die Entfaltung eines vollen sakramentalen Lebens; drittens um die Wiedergewinnung des historischen Bischofsamtes in der „apostolischen Sukzession”; und endlich viertem um das Beten und Mühen um eine echte oekumenische Einheit, die von vornherein nicht mit Einerleiheit gleichgesetzt wurde, sondern als eine Einheit in der Mannigfaltigkeit vor Augen stand. Auch wurde die von Nathan Soederblom geprägte und von ihm übernommene Bezeichnung „evangelisch-katholisch” (später um des kaum überwindbaren Mißverständnisses willen in „evangelisch-oekumenisch” abgeändert) nie im Sinne einer Propagierung der Verharmlosung der Unterschiede und Gegensätze verstanden, die zwischen römischer und protestantischer Auffassung des Christentums bestehen.

LeerSoederbIom hatte ja vielmehr, weil die römische Form der Katholizität für uns unannehmbar ist, ihr die „evangelische Katholizität” gegenübergestellt: volle Bejahung der gemeinchristlichen „katholischen” Überlieferung, aber stets neu gemessen und geprüft am Evangelium, frei von gesetzlichem Zwang. Alle sollten das dafür herzutragen, was Gott ihnen an besonderen Gnadengaben geschenkt hat, Dabei war von vornherein nicht die Meinung: Beiseiteschieben der zwischen den verschiedenen Konfessionen offenen Wahrheitsfrage, sondern gemeinsames Ringen um die Wahrheit in der einen Kirche. Es soll also ein bestimmtes, menschlich gebundenes Verständnis (oder auch Mißverständnis) der biblischen Wahrheit nicht die Einheit in der Liebe Christi und also auch am Tisch des Herrn hindern können: Gott ist größer denn unser Herz (i. Joh. 3, 20) und auch größer als unsere Erkenntnismöglichkeit.

LeerAndererseits ist auch das deutlich, daß man nicht in „der” Una Sancta Catholica Ecclesia leben kann, sondern nur immer in einer ganz bestimmten historischen Gemeinschaft: in der östlich-orthodoxen, der römisch-katholischen, der anglikanischen. der lutherischen, der reformierten etc. Aber diese konkreten Gemeinschaften, die vermutlich alle an irgendeinem Punkte nicht die ganze Wahrheit haben, sie könnten alle in Demut und Offenheit voneinander lernen, sie könnten in der Liebe und am geheimnisvollen Tische des Herrn eines sein und von dieser gelebten Einheit her mehr und mehr in das Geheimnis der göttlichen Wahrheit und ihrer Wunder eindringen. Es gibt sogar Fragen, deren Diskussion irrelevant wird, wenn man vorher in der Liebe miteinander am Tisch des Herrn gekniet und von Ihm selbst das Brot des Lebens empfangen hat. Und eben dieses war das erste Anliegen der Bruderschaft: gelebte oekumenische Einheit am Tische des Herrn, Einheit in der Liebe, und danach: gemeinsames Fragen nach der rechten Formulierung der Wahrheit, die wir immer als die eine wissen.

LeerIn der Zeit des nationalsozialistischen Regimes, in der viele Glieder der eucharistischen Gemeinschaft verfolgt und bestraft wurden, war es mehr und mehr unmöglich geworden, ein bruderschaftliches Leben in größerer Weite zu entfalten. Lediglich die Pfarrbrüder blieben auch durch den Krieg hindurch in engerer Verbindung unter der Bezeichnung „Pfarrerbruderschaft”. Als aber nach dem Zusammenbruch sich die Möglichkeit neuer, freier Betätigung eröffnete, fand sich allmählich der Kreis wieder zusammen und führt seitdem den Namen „Evangelisch-oekumenische St. Johannesbruderschaft”.

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LeerDie Regel der Johannesbruderschaft ist in vier Abschnitte eingeteilt. In einem Vorspruch ist gesagt, daß „die Bruderschaft sucht, die Forderungen der „Evangelisch oekumenischen Vereinigung des Augsburgischen Bekenntnisses” (der früheren Hochkirchlichen Vereinigung) in ihrem Umkreis in die Tat umzusetzen. Die Johannesbruderschaft ist also der engere, bruderschaftlich gebundene Kreis der Evangelisch-oekumenischen Vereinigung bzw. (im Osten) des Evangelisch-oekumenischen Kreises und sucht von einem festen lutherischen Ausgangspunkt aus in die Weite der Oekumene hinauszustoßen. Den Namen führt die Bruderschaft nach dem Evangelisten Johannes, dem „Apostel der Liebe”. der Christi Wort von der einen Herde und dem einen Hirten und Sein hohepriesterliches Gebet um die Einheit aller Seiner Jünger der Christenheit überliefert hat.

LeerDer erste Abschnitt der Regel spricht über „Glaube und Verfassung” der Bruderschaft. Da wird zunächst von Gottesdienstleben und Liebesarbeit gehandelt, und dann folgt der schwerwiegende Satz: die Johannesbruderschaft „erstrebt die Gottesdienst- und Abendmahlsgemeinschaft der ganzen Christenheit, insbesondere die Interkommunion mit den Episkopalkirchen, und ist bereit, die dazu nötigen Schritte zu tun.” Unter den dazu nötigen Schritten ist vor allem die Einreihung in die apostolische Sukzession zu verstehen, deren Verwirklichung durch die Bruderschaft vor 25 Jahren so viel Staub aufgewirbelt hat, da hier ein Zeichen aufgerichtet wurde, an dem niemand, dem ernstlich an der oekumenischen Einheit gelegen war, vorübergehen konnte.

LeerIn einem zweiten Unterabschnitt spricht die Regel davon, daß die Bruderschaft auf dem Boden der Heiligen Schrift steht, die sie im Einklang mit dem Glaubenszeugnis der Gesamtkirche auslegt. Ein hierauf folgender Hinweis auf das Augsburgische Bekenntnis von 1530 zeigt, wie dies gemeint ist: wie die Augustana sich auf die Grundlage der Heiligen Schrift stellte und zum Zeugnis ihrer Auslegung die Väterstimmen aus der ganzen „katholischen” Kirche aufrief, so will auch die Johannesbruderschaft zur Auslegung der Heiligen Schrift die ganze Kirche hören, nach Luthers Wort, daß es „fährlich” sei, etwas zu glauben wider das einhellige Zeugnis der ganzen christlichen Kirche. Wir dürfen uns dem grundsätzlich nicht verschließen, wenn wir dem Heiligen Geist keine Schranken anlegen wollen. Daneben wird ausdrücklich davon gesprochen, daß die wahrheitsoffene Erforschung der Bibel, der Kirchengeschichte etc. zu den bleibenden Beiträgen gehört, die das reformatorische Christentum der oekumenischen Kirche zu schenken hat.

LeerDie Bruderschaft gebraucht die drei sogenannten oekumenischen Symbole, „insbesondere bekennt sie den dreieinigen Gott, den Logos, der jeden Menschen erleuchtet” (Joh. 1, 9), den menschgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Gottessohn und Erlöser, sowie die Rechtfertigung des Sünders durch Gottes alleinige Gnade”. Bezüglich der Sakramente unterscheidet sie zwischen den in der Heiligen Schrift als vom Herrn selbst eingesetzt bezeugten grundlegenden Sakramenten (Taufe und Abendmahl) und den fünf weiteren, in der oekumenischen Kirche üblichen „sekundären” Handlungen, von denen die Apologie zur Augustana zweien, nämlich der Absolution und der Ordination, selbst sakramentalen Charakter zugestehen will, während sie diesen Charakter bezüglich. der Konfirmation, der Krankenölung und der Ehe „nicht hoch anficht” (Apol. XIII, 6, 14).

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LeerGemäß dem Unterabschnitt 7 sieht die Johannesbruderschaft „im Abendmahl den Mittel- und Höhepunkt des christlichen Gottesdienstes; sie bekennt die wahre Gegenwart Christi im Herrenmahl als der Darstellung der gesamten Heilsgeschichte; sie anerkennt seinen Opfercharakter im Sinne der Vergegenwärtigung des einmaligen Kreuzesopfers Christi sowie des Lob- und Dankopfers und der Selbstdarbringung der Gemeinde an Gott durch Christus.” Damit ist der altchristliche Opfergedanke bejaht, die römische Anschauung von der „Verfügbarkeit” des Opfers Christi, das wir Gott als einem noch zu Versöhnenden darzubringen hätten, jedoch abgewiesen. Bei ihren Feiern gebraucht die Bruderschaft die liturgischen Formen der abendländischen Überlieferung, wobei sie jedoch jeden übertriebenen Prunk meidet.

LeerDie Johannesbruderschaft „anerkennt im geistlichen Amt ein wesentliches Organ der Kirche und bejaht die bischöfliche Nachfolge der Apostel als die allgemeinkirchliche Grundlage desselben.” Das heißt zugleich, daß es in der Kirche auch andere wesentliche Organe gibt, und es heißt weiter, daß die nicht in apostolischer Nachfolge stehenden Ämter evangelischer Kirchen durchaus nicht ohne weiteres „ungültig” sind, sondern es fehlt ihnen nur die allgemeinkirchliche Grundlage. Das hat ja bekanntlich die schmerzliche Folge, daß die Sakramente der nichtbischöflichen Kirchen in den bischöflichen Kirchengemeinschaften nicht als „gültig” anerkannt werden, während die Bruderschaft selbst in dieser Frage einen weitherzigeren Standpunkt einnimmt.

LeerIm nächsten Unterabschnitt werden die altkirchlichen Ämter aufgezählt, die im Bruderschaftskreise erneuert worden sind Später wurde, um Mißverständnissen zu begegnen, ausdrücklich hinzugefügt, daß Glieder der Bruderschaft auch solche Geistlichen und Laien werden können, die ein Amt in der apostolischen Sukzession nicht oder noch nicht empfangen wollen. Die Leitung der Johannesbruderschaft liegt in den Händen eines „apostolischen Vorstehers”. dem ein Beirat von sechs Brüdern und Schwestern zur Seite steht.

LeerDer zweite Hauptabschnitt der Regel beschäftigt sich mit dem Leben der Brüder ,und Schwestern. Da steht zuerst der Satz: „Als evangelische Christen betrachten die Glieder der Bruderschaft die Regel nicht als buchstäblich zu befolgendes Gesetz, dessen Erfüllung verdienstlich ist, sondern als Wegweisung und Hilfe zur tieferen Erfassung der göttlichen Gnade und zu einem vollkommeneren Dienst an den Menschen.” „Vollkommen” wird unser Dienst nie werden, aber wir sollen „ihm nachjagen, ob wir's auch ergreifen möchten” (Phil. 3, 12). Es wird ein geregeltes Gebetsleben nach einem kirchlichen „Brevier” nahegelegt, das nach Möglichkeit gemeinsam vollzogen werden soll. Dann folgt ein wichtiger Satz, der deutlich die Ausrichtung auf den Dienst an unserer evangelischen Kirche dartut: „Die Mitglieder beteiligen sich möglichst eifrig am Leben ihrer örtlichen Kirchengemeinde. Sie nehmen möglichst oft am heiligen Abendmahl teil.”

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LeerFür die Geistlichen ist gesagt, daß sie möglichst an jedem Sonntag das Herrenmahl in der Gemeinde feiern sollten, nur wo dies nicht möglich ist, wird auf eine sonntägliche Feier wenigstens im engeren Kreis verwiesen. Also auch hier der Wunsch, in Liebe und Treue innerhalb der landeskirchlichen Gemeinden zu dienen. Weiter wird auf das Besuchen der geöffneten Kirchen zum Gebet hingewiesen, die Ablegung wenigstens einer Einzelbeichte im Jahr wird empfohlen, die Geistlichen werden auf die strenge Einhaltung des Beichtsiegels verpflichtet. Die Einhaltung der im Abendland üblichen Fastenregeln wird anempfohlen, das Streben nach der Freiheit von der Anhänglichkeit an äußere Güter, die Unterstützung Notleidender und die finanzielle Unterstützung der Bruderschaft zur Pflicht gemacht. „Die Mitglieder erweisen ihren geistlichen und weltlichen Vorgesetzten Gehorsam bis an die Grenze des Gewissens.” Vor wichtigen Entscheidungen holen sie den Rat erfahrener Mitbrüder oder Mitschwestern ein. Weiter wird ihnen die Unterstützung der Friedensbestrebungen, der oekumenischen und Una Sancta-Arbeit zur Pflicht gemacht. Tatsächlich unterhält die Bruderschaft zu allen größeren Kirchengemeinschaften lebendige persönliche Beziehungen.

LeerIm dritten Abschnitt, „Zusammenkünfte”. wird von der Art und Weise gesprochen, wie die Johannesbruderschaft die persönliche Verbindung pflegt. Wenn man zusammenkommt, sollen wenigstens Teile des Stundengebetes gehalten werden und nach Möglichkeit das Heilige Mahl. Jedes Glied der Bruderschaft soll wenigstens einmal im Jahr an einer Einkehrzeit teilnehmen und bei Verhinderung die Teilnahme anderer durch ein Geldopfer unterstützen.

LeerAbschnitt IV endlich behandelt den Ein- und Austritt, Die Gliedschaft steht grundsätzlich jedem getauften Christen offen. doch wendet sich die Bruderschaft werbend nur an Angehörige der evangelischen Kirdchen. Dem Eintritt folgt eine einjährige Probezeit. Dem neu Eintretenden wird ein Helfer zur Seite gestellt, der ihn in das Leben der Bruderschaft einführt. Nach Ablauf des Probejahres findet eine feierliche Aufnahme statt. Zu den von der Bruderschaft veranstalteten Gottesdiensten und zu den Sakramenten werden alle Christen zugelassen. Ausschluß aus der Bruderschaft kann in bestimmten Fällen erfolgen, jedoch betrachtet die Bruderschaft die Gemeinschaft mit dem Ausgeschlossenen oder mit einem Ausgetretenen nicht als gelöst, sondern bleibt in fürbittender Liebe mit ihm verbunden.

LeerSo steht die Evangelisch-oekumenische St. Johannesbruderschaft im Ringen um die Einheit und die sakramentale Erneuerung der Kirche da als eine Gemeinschaft von Menschen, deren Grundlage das Evangelium unseres Herrn und Heilandes ist, deren Liebe der ganzen heiligen Kirche und ihren ehrwürdigen Überlieferungen gehört und die nichts weiter wollen, als gemäß dem Willen ihres Herrn auf dieser irdischen Pilgerschaft mit „brennenden Lampen” Ihm entgegenzugehen.

Quatember 1954, S. 172-175

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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