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Die Quatember in Sage und Legende
von Ludwig Fischer

LeerEs gibt Themen und Gegenstände, die so lange unbeachtet waren, daß man sie nur zu sichten braucht, um immer neue Entdeckungen machen zu können. Das Thema „Quatember” ist von dieser Art. Wer sich einmal näher mit ihm beschäftigt, findet immer neue interessante Fakten und Perspektiven, die es nur aufzuspüren gilt. Das aber ist nicht einmal allzuschwer, da es eine ganze Literatur über diesen Gegenstand gibt. Wir bringen im folgenden einen Auszug aus dem 1914 in München erschienenen Buch von Ludwig Fischer über: „Die kirchlichen Quatember, ihre Entstehung, Entwicklung und Bedeutung in liturgischer, rechtlicher und kulturhistorischer Hinsicht” (Veröffentlichungen aus dem Kirchenhistorischen Seminar München, IV. Reihe, Nr. 3).
[Einen weiteren Auszug „Bruderschaftliche und zünftige Vierzeiten” finden Sie im Michaelisheft]


LeerIn der Sage des Volkes, in seinen Sitten und Bräuchen spielen die Quatember eine bedeutende Rolle.

LeerIm allgemeinen tragen die Quatember im Sagenkreis des Volkes einen düsteren Charakter, sie sind Unglückstage. Menschen, die zu allem ein „Fronfastengesicht” (air de quatre-temps) machen, sind in Frankreich und in der Schweiz ungefähr dasselbe, wie bei uns zu Lande Leute, welche „dreinsehen wie neun Tage Regenwetter”.

LeerDie Quatembernächte sind „finstere Nächte”, in denen Frau Sälde mit einem gespenstigen Volk umherzieht und diejenigen bestimmt, welche binnen Jahresfrist sterben werden. Es sind die gefahrvollen Nächte, in denen die „Temper”, die wilde Jagd umgeht, das „wütische nud unholde Heer”. In der Schweiz heißt sie die Sträggelen. Wehe dem, der es wagen wollte, zu dieser Zeit unterwegs zu sein oder neugierig auf das wilde Heer zu warten. Ehe man sich dessen versieht, wird man von den Hexen und Unholden mit fortgenommen. Ganz besonders gefährlich sind in diesen Tagen die Hexen. Wer nach dem Abendläuten vor die Türe geht, den holen sie auf einen hohen Berg und reißen ihn in zwei Teile. Einen Teil lassen sie dort, den anderen tragen sie auf eine andere Bergspitze. Besonders in diesen Nächten fahren die Hexen durch den Kamin auf den Blocksberg zu ihren höllischen Tänzen, zum Hexensabbat.

LeerIn diesen Tagen sind die Geister frei und haben Macht über den Menschen. Und man soll sich ja hüten, etwas gegen die Geister zu unternehmen. Wenn man in der Fronfastenzeit länger als bis zehn Uhr aufbleibt, so sucht ein Geist, Fronfaste genannt, einem zu schaden.

LeerGanz sonderbare Geister sind es, die an den Quatembern erscheinen. Schon Fischart spricht im Gargantua von „mitternächtigen meerwundern, wie sie einem zu mitternacht in der fronfasten, wenn man zu vil bonen ist und am rücken ligt, fürkommen”. In Illzach und anderwärts erscheint das „Fronfastentier”, ein Gespenst von der Größe eines Kalbes, mit feuersprühenden Augen, wie runde Fensterscheiben so groß. Es ruft zur Fronfastenzeit seine Opfer beim Namen, und wenn sie darauf antworten, sind sie in seiner Gewalt und werden von ihm fortgeschleppt.

LeerGanz besonders sind es die Geister der Verstorbenen, welche in diesen Tagen auf die Erde zurückkehren. Die vor der Zeit Gestorbenen (Erstochene, Erhängte und so weiter) „die lauffen allermeist in den fronfasten und vorauß in der fronfasten vor Weihnachten, das ist die heiligest Zeit.

LeerDoch nicht jeder kann diese Geister sehen. Das können nur die sogenannten goldenen Sonntagskinder oder Fronfastenkinder, das heißt die Menschen, welche an einem Quatembersonntag erzeugt oder geboren sind. Man erkennt solche Kinder an ihren sonderbaren Augen und Gebärden. Sie sind sehr gescheit, aber sterben meist sehr frühe. Sie können Geister und Gespenster sehen und stehen bei diesen in hoher Gunst. Die Geister helfen ihnen Schätze heben. Sie stehen mit den Geistern in geheimnisvollem Verkehr und wissen Bescheid in vielen Dingen, welche gewöhnlichen Sterblichen verborgen bleiben. Sie besitzen das zweite Gesicht, die Gabe der Hellseherei. Darum das Sprichwort: „Er sieht viel, denn er ist ein Fronfastenkind.”

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LeerBesonders gesund sind, ähnlich wie die Quatemberschwitzbäder und die Johannisbäder für die Kranken, auch die Quatemberfastenbretzen im Mai. Ähnlich ist es mit den Quatemberkücheln, die besonders im Schwäbischen eine beliebte Fastenspeise bilden.

LeerIn den Bauernregeln spielen die Quatember eine wichtige Rolle.

LeerWie das Wetter an den Quatembern ist, so ist es das ganze nächste Vierteljahr, und wo der Wind an diesen Tagen herweht, daher kommt er auch im nächsten Vierteljahr.

LeerAuch in Dänemark wird der Roggen wohlfeil, wenn die Quatember am Anfange des Monats stehen, sonst teuer. Die einzelnen tamperdagen bestimmen die Witterung. Der Mittwoch bestimmt das Wetter für den ersten kommenden Monat, die beiden anderen Tage für die weiteren zwei Monate. Ebenso weht auch der Wind das ganze Vierteljahr aus der Richtung, aus welcher er am tamperdag kommt.

LeerEin immer wieder erscheinendes Moment ist die Idee einer geheimnisvollen Zeit. Geheimnisvoll ist ihre Kraft, geheimnisvoll ihr Blick in die Zukunft, geheimnisvoll auch die Gewalt, das Tun und Treiben der Überirdischen an diesen Tagen.

LeerNachdem die kulturhistorischen Erscheinungen an den Quatembern ein Spezifikum der germanischen Welt sind, fremd zugleich der kirchlichen Idee von den Quatembern, müssen wir ihren Grund da suchen, wo wir sie finden: auf germanischem Boden.

LeerErinnern wir uns, daß die Quatember mit den germanischen Sonnwenden zeitlich ungefähr zusammenfallen, so finden wir die Lösung des Rätsels. Vergegenwärtigen wir uns die klassische Schilderung, welche Wolfgang Menzel von der „Sonnwende im altdeutschen Volksglauben” gibt: „In der Mitternachtsstunde der dunkelsten Nacht und in der Mittagsstunde des hellsten Tages wendete die Sonne, stand gleichsam still, ehe sie den neuen Lauf begann, und in dieser kurzen Stunde des Stillstandes wurde nach der übereinstimmenden Vorstellung der deutschen Stämme die Zeit zur Ewigkeit. Der Unterschied der drei Zeiträume war aufgehoben; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gingen ineinander auf. In diesen zwei heiligen Stunden wurde alles Vergangene wieder gegenwärtig, das Totenreich öffnete sich und die ältesten Könige und Helden des Volkes zogen mit dem wilden Heere der Toten durch die Luft. Ebenso wurde die Zukunft offenbar.”

LeerAuf Grund dieses Vergleiches kommen wir zum Schlußresultat der Kulturgeschichte der Quatember. Der mythologische wie kulturgeschichtliche Charakter der Quatember hat seinen Grund in dem zeitlichen Zusammenhang der Quatember mit der germanischen Sonnwendfeier. Selten sehen wir so klar in die Ideenwelt der Germanen hinein, wie gerade in diesen Sagen und Gebräuchen der Quatember. Wir erfassen ihn in seiner tiefsten und innerlichsten Seite, der religiösen. Das ist die besondere Bedeutung der römischen Quatember für das germanische Volksleben, daß sie den gewohnten Aufblick des Germanen zu seinen Göttern in den weihevollen Stunden der Sonnwende geläutert und verklärt haben.

Quatember 1954, S. 190-191

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-02
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