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Friedrich Reck-Malleczewen
von Erich Müller-Gangloff

LeerDie Gedächtnisfeiern zur zehnjährigen Wiederkehr des 20. Juli 1944 haben wesentlich dazu beigetragen, Wertmaßstäbe zurechtzurücken, die bereits auf bedenkliche Weise verschoben zu werden drohten. Es war bereits höchste Zeit, der Welle der Verunglimpfungen gegen die Männer, die in einer durch das Ertragen eines schimpflichen Regimes besudelten und erniedrigten Zeit die Ehre ihres Landes gerettet haben, mit Entschiedenheit entgegenzutreten. Vielleicht ist der weiteren Öffentlichkeit erst dadurch völlig bewußt geworden, daß es sich bei dem Ereignis des zwanzigsten Juli nicht um eine vereinzelte Aktion, sondern um das wichtigste Glied in einer ganzen Kette von Geschehnissen handelte, daß es im Hitlerstaat nicht nur eine Widerstandsbewegung, sondern gleichsam einen ganzen Lavastrom des Widerstandes gab, der in jenem Ereignis seine geschichtliche Ausbruchsstelle fand. Weder die Geschwister Scholl noch der Kreisauer Kreis um James von Moltke, weder Dietrich Bonhoeffer noch die umstrittene „Rote Kapelle” hatten unmittelbar mit diesem Ereignis zu tun und gehören doch alle ganz ohne Zweifel in die Geschichte des deutschen Widerstandes hinein.

LeerIn diesem Strom eines unterirdischen Widerstandes, dem es - mit einem Wort Moltkes zu sprechen - um die Rettung und Wiederaufrichtung des Menschenbildes ging, kommt Friedrich Reck-Malleczewen, dem Erzähler und Essayisten, der am 11. August 1954 siebzig Jahre alt geworden wäre, keine geringe Rolle zu. Obwohl ohne unmittelbare Fühlung mit den verschiedenen Verschwörerkreisen, darf man ihn zu den bedeutendsten geistigen Exponenten des Widerstandes rechnen. Sein Buch über Jan Bockelson, den Wiedertäuferkönig von Münster, das mitten in der Hitlerzeit in einem deutschen Verlag erscheinen konnte, wies für jeden Kundigen so deutlich auf die zeitgeschichtliche Parallele, daß man es noch heute mit Gewinn studieren kann, um jenes abgründig böse Phänomen zu enträtseln, das zwölf Jahre unserer Geschichte geprägt und bestimmt hat.

LeerWer Friedrich Reck gekannt hat, dem fällt es fast schwer, sich ihn als einen Siebziger vorzustellen. Dieser Mann mit seiner unverwüstlichen sprühenden Lebensfreude, der noch als Fünfzigjähriger wie ein übermütiger Junge tollen konnte, der es zeitlebens verschmähte, sich eines Automobils zu bedienen, weil er es vorzog, mit seinem geliebten Motorrad durch die Landschaft zu brausen, und der Donau und Rhone lieber mit dem Faltboot als mit den Vehikeln der modernen Technik entdeckte, glaubte selber nicht, daß ihm ein sonderlich langes Leben beschieden sein werde. Wenn er sich zeitlebens - ein in seinen Briefen immer wiederkehrendes Motiv - einen Tod wünschte, mit dem er ein Zeugnis geben könne, so hat er wahrscheinlich nicht an jenes anonyme Ende im Massensterben eines Konzentrationslagers gedacht, das ihm beschieden war. Aber gerade mit diesem anonymen Sterben, von dem nicht einmal das genaue Datum und schon gar nicht die äußeren Umstände bekannt sind, hat er ein besonders eindrückliches Zeugnis ablegen können.

LeerReck war der seltene Typ eines Erzkonservativen, der mit allem Streben und mit allen Sinnen der Zukunft zugewandt war, seiner Herkunft nach ein ostpreußischer Junker, der aus seinem Wissen um die überlieferten Werte ausgesprochen revolutionäre Konsequenzen zog - daher trotz aller betonten, ja überbetonten Abkehr von allem Preußischen in vielen Zügen jenen „roten Grafen” verwandt, die beim 20. Juli eine so bestimmende Rolle gespielt haben. Wenn man sich nach literarischer Nachbarschaft umsieht, so möchte man am ehesten an Georges Bernanos denken, der ja auch ein politischer Feuerkopf ohnegleichen war, wie Reck polemisch bis zur Ungerechtigkeit und in der Gewalt seiner Zorneskanonaden fast noch maßloser als er.

LeerEs liegt ein tiefer Sinn darin, daß Reck-Malleczewen gleich den Männern vom 20. Juli das von ihm im Innersten abgelehnte und leidenschaftlich gehaßte Regime nicht überleben durfte. Gleichwohl wird man ein Gefühl der Bitterkeit nicht los, wenn man feststellen muß, daß Reck im heutigen Deutschland so gut wie vergessen ist. Man erinnert sich seiner allenfalls noch als gelegentlichen Filmautors und Verfassers von Unterhaltungsromanen, während seine eigentliche und wesentliche Hinterlassenschaft kaum dem Namen nach bekannt ist. Wir denken an seine „Acht Kapitel für die Deutschen” mit ihrer teilweise noch heute aktuellen Analyse der geistigen und politischen Weltsituation, an die „Siedlung Unitrosttown”, einen von dem üblichen Schema durchaus abweichenden Zukunftsroman, sozusagen eine Apokalypse der technischen Zivilisation, und an den schon erwähnten „Bockelson”. Vor allem aber an das von Freunden Recks aus seinen hinterlassenen Papieren veröffentlichte „Tagebuch eines Verzweifelten”, das in der ersten Nachkriegszeit in einer miserablen Ausgabe auf schlechtem Papier erschien und seitdem fast verschollen ist.

LeerDer schweizer Literarhistoriker Ernst Alker hat Recks „Tagebuch” das beste literarische Zeugnis von Geist und Wesen der innerdeutschen Opposition genannt und hat einen seiner Doktoranden dazu angeregt, sich mit diesem Mann und seinem Lebenswerk zu beschäftigen. Professor Hans Rothfels hat dem gleichen Buch, als er noch in Amerika war, eine Rezension in einer in Chikago erscheinenden Zeitschrift gewidmet, und auch in Holland und England, ja bis nach Calcutta hin hat dieses von Deutschen kaum gekannte Buch einen lebhaften Widerhall gefunden.

LeerDafür gibt es in deutscher Sprache eine Roman von über dreihundert Seiten Länge, in dem der von Recks Freund zum Nazikriegsberichter avancierte Bruno Brehm in der Form einer sehr durchsichtigen Schlüsselerzählung eine Rache an dem ehemaligen Freund nimmt, die sicherlich den Gipfel an Verunglimpfung darstellt, den die zeitgenössische Literatur aufweist. Man braucht dieses Buch nicht tragisch zu nehmen, das auf seine Weise - widerwillig genug - noch ein Zeugnis für das Ungewöhnliche dieses Mannes Reck-Malleczewen ist, aber es ist doch wohl ein merkwürdiges Zeichen unserer Zeit, daß dieser „Roman” immerhin einen Verleger fand, der sich für die Bücher Recks seither noch nicht wieder gefunden hat.

LeerVielleicht darf man ein wenig Hoffnung hegen, daß die Rückbesinnung auf die echten und eigentlichen Werte unserer Geschichte, die mit dem zehnjährigen Gedenken an den 20. Juli begonnen hat, auch einem Manne wie Reck zur allerdings etwas verspäteten Genugtuung gereichen wird. Er selber hatte zuletzt alle Ehrgeize begraben und dem Himmelsstürmertum seiner Jugendjahre abgesagt. Wer ihn gekannt hat, kann nicht ohne Ergriffenheit das Bekenntnis lesen, das er zu Beginn jenes Jahres 1944 abgelegt hat, an dessen letztem Tage er verhaftet und auf den Weg zu Konzentrationslager und Tod geführt worden ist: „Ich weiß, daß ich bald von all den schönen Dingen, die mich hier umgeben, Abschied nehmen muß. Es ist mir oft unheimlich, daß die Augen nun so weit sich öffnen und daß alle Ahnungen für mein persönliches körperliches Leben nichts Gutes besagen. Und dennoch kreisen die besten Gedanken und die Zwiesprache mit Gott nur um diesen Wunsch: Gib, daß ich nicht scheide mit unbezahlter Rechnung, gib, daß ich, der geborene Egoist, im Tod mich vergesse, gib, daß mein Blut für andere fließt, tu das unfaßbare Wunder, daß ich, der Eigensüchtige, im Tod hinauswachse über mich und mich vergesse und einen Schatz der Liebe hinterlasse.”

Quatember 1954, S. 231-232

[Friedrich Reck-Malleczewen in Wikipedia]

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-18
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